WiiWare-Review von Tim Herrmann (mail) | 07.10.2011
In diesem Moment auf Nintendos WiiWare-Plattform neue Spiele herauszubringen, ist fast so, als würde man sich nachts um zwölf auf den Friedhof stellen und leckeres Eis anbieten. Das Eis kann noch so gut und noch so schmackhaft sein, aber wenn man einsam und verlassen im Nirgendwo steht, hilft einem das kaum weiter. Nintendo selbst versucht gar nicht zu verheimlichen, dass WiiWare und der Wii-Shop-Kanal mittlerweile einer Friedhofslandschaft gleichen – es werden keine neuen Titel mehr angekündigt, gute Spiele floppen der Reihe nach und Apps auf mobilen Plattformen ziehen staubsaugerartig die Kunden von den starren und langsamen Marktplätzen der etablierten Konsolen ab. Einer traut sich aber trotzdem noch, es auf WiiWare zu versuchen: RedLynx hat MotoHeroz für WiiWare auf den Markt gebracht - wenn das Eis schon fertig ist, muss man es eben verkaufen, bevor es schmilzt. Und wenn das nur um 12 auf dem Friedhof geht, dann muss es halt so sein. Unser Test klärt, ob MotoHeroz ein liebenswertes, buntes Rennspiel ist… oder nicht.
Ein Spiel zum Hassen
RedLynx könnte für alle ein Begriff sein, die sich ab und zu auf XBOX Live Arcade umschauen. Denn dort hat das finnische Studio 2009 mit Trials HD alle überrascht: Man steuerte ein Motorrad durch zweidimensionale Parcours und navigierte es in lebensmüder Art und Weise tollkühn über Rampen, durch Loopings und über steile Schanzen. Das Spiel war nicht nur in Reviews ein echter Erfolg, sondern schlug sich auch kommerziell überragend: Zwei Millionen Mal konnte RedLynx Trials HD verkaufen.

MotoHeroz ist nun ein Exklusivtitel für WiiWare und wenn man dieses Review ganz kurz gestalten möchte, könnte man einfach sagen: „Es ist Trials HD in bunt und mit vier Rädern“. Tatsächlich ist das Spielprinzip exakt das gleiche: Ihr steuert einen kleinen motorisierten Buggy über allerhand 2D-Strecken, die mit zahllosen Hindernissen, Beschleunigungsrampen, Loopings oder Sprungschanzen ausgestattet sind. Ist MotoHeroz also ein familienfreundliches, buntes Rennspiel, an dessen actionreicher Geschwindigkeit sich der Spieler berauschen darf?
Mitnichten. Und jeder, der das auch nur ansatzweise erwartet, wird weinend vor seinem Fernseher sitzen und den 1.500 Wii-Punkten hinterhertrauern, die er verschleudert hat. Gut vorstellbar, dass es einige Familien gibt, die sich den hübschen Titel auf gut Glück herunterluden und auf seichte Unterhaltung hofften. Mit Klein Anna verwirrt vor dem Fernseher sitzend, würde man dann wohl von ihnen hören: „Das fährt ja gar nicht richtig! Das überschlägt sich ständig. Da ist irgendwas kaputt“.
Fast darf man MotoHeroz gar nicht mehr Rennspiel nennen. Es ist ein Geschicklichkeitsspiel. Und dabei ein knallhartes und unverzeihliches. Ein Spiel zum Auswendiglernen. Ein Spiel zum Hassen.
Mit dem 2-Knopf der quer gehaltenen Wiimote gebt ihr Gas, mit dem 1-Knopf bremst ihr bzw. fahrt zurück. Die wichtigste Rolle übernimmt aber das Steuerkreuz, das den Motor-Buggy in seinen Flugphasen nach vorn oder nach hinten neigt und in alter Excitebike-Manier die Räder so ausrichten muss, dass sie beim Landen alle Bodenkontakt haben. Bis hierhin noch machbar? Ja, aber wenn es darum geht, auch noch Münzen einzusammeln, schneller als ein zu besiegender Geist zu sein und nicht gegen Hindernisse zu fahren, muss der Buggy in Präzisionsarbeit über den Kurs gescheucht werden, damit die minutiöse, arcadelastige Physik-Engine sich nicht für Überschläge entscheidet.

Wer einfach nur Gas gibt und hofft, dass schon alles gut gehen wird, liegt schneller virtuell auf dem Rücken, als er „MotoHeroz“ sagen kann. Zwar gibt es keine Crashs, die automatisch das Ende bedeuten. Dafür kosten solche Überschläge aber gut und gerne mal zwei Sekunden, bis man sich durch Schütteln des Controllers wieder aufgerichtet hat. Stattdessen ist man manchmal durchaus schneller, wenn man gar kein Gas gibt. An einer Rampe könnte man beispielsweise manchmal Tempo rausnehmen, um nicht ganz so hoch zu fliegen und damit schneller wieder Boden unter den Rädern zu haben. Es kann sogar manchmal sinnvoll sein, im Flug eine 90°-Neigung vorzunehmen, sodass die Räder an einer vertikalen Wand liegen, dann rückwärts daran in Richtung Boden zu fahren, nur um dann wieder um 90° zurückzudrehen und den Schwung mit in die Ebene zu nehmen. Hört sich kompliziert und absurd an? Ist es auch.
Das Punch-Out!! der Rennspiele
Um die Finessen der insgesamt mehr als 100 Kurse zu kennen, sind schon so einige Durchläufe nötig: Wo ist welche Rampe, wann muss ich mich im Sprung drehen, wo muss ich besonders aufpassen? Zum Glück hat Entwickler RedLynx hellwach mitgedacht. Ein einfacher Druck auf den Minus-Knopf ermöglicht einen sofortigen Neustart ohne langes Rumklicken oder Warten. Den wird man auch gut und gerne 40 Mal auf einer Strecke brauchen, um den richtigen Rhythmus für sich zu finden.
Damit erinnert MotoHeroz spielerisch an einen Nintendo-Titel, zu dem man zunächst einmal gar keine Parallelen sieht: Punch-Out!!. Auch hier geht es darum, das Verhalten der Gegner zu studieren, sie nach und nach auswendig zu lernen und dann im richtigen Moment die richtige Aktion durchzuführen. Um den Ablauf perfekt zu kennen, waren Neustarts ein permanenter Begleiter im Spielablauf.
Insofern kann man sagen: MotoHeroz ist ein Titel für Spieler, die es drauf haben. Die Strecken sind keine Parcours, sie sind Gegner. Wer sich mit wenig zufrieden gibt und sich schnell durchwurschteln möchte, wird mit MotoHeroz wenig Spaß haben. Nur wer akribisch nach dem Optimum strebt und dafür auch 50 Neustarts in Kauf nimmt, um den einen optimalen Lauf zu erwischen, kann in MotoHeroz seine wahre Freude finden. Wer sich darüber im Klaren ist und sich auf MotoHeroz einlässt, bekommt von RedLynx ein beeindruckendes Päckchen geschnürt.

Ein Premium-Download
Mit HD-Grafiken wie Trials HD kann MotoHeroz – oh Wunder – nicht auftrumpfen. Das kaschiert es aber recht geschickt mit seinen bunten Comic-Grafiken, die sich thematisch an die verschiedenen Welten (Feuer, Eis, Dschungel, Wüste) anlehnen und insgesamt sehr detailliert und liebevoll auf den Bildschirm gezaubert werden. Ab und zu kann es lediglich ein wenig lästig werden, wenn die verschiedenen Objekte und Ebenen in der 2,5D-Landschaft den Flitzer verdecken und man erahnen muss, wo er gerade ist und was er macht.
Beim Sound scheiden sich wohl die Geister: Das Leierkastengedudel im Hintergrund passt nicht gut zum verzwickten Geschicklichkeitsgameplay und auch ansonsten harmoniert der Ton nicht besonders treffend mit den Spiellandschaften. Alles hört sich irgendwie gleich Sci-Fi-Space-mäßig an und lässt ein wenig rockiges Uptempo für die Racing-Aspekte des Titels vermissen.
Bei den Modi bietet MotoHeroz alles, was das Herz begehrt. Der Story-Modus ist das Herz und die Seele des Spiels, wo ihr nach und nach gegen Ghosts der Entwickler oder gegen echte computergesteuerte Kontrahenten antretet und so eine Stage nach der anderen meistert. Lediglich die Rennen am Ende einer Welt werden dabei unnötig chaotisch und fallen unangenehm aus dem Gesamtkonzept. Im Hintergrund läuft eine belanglose Geschichte, die kaum näherer Erklärungen bedarf. Time-Trials, spezielle Herausforderungen, Multiplayer-Modi für vier Spieler und Online-Leaderboards komplettieren das Gesamtpaket, das sich trotz des happigen Preises von 1.500 Punkten sehen lassen kann.
Fazit: MotoHeroz ist kein Spiel f�r Jedermann. Wer sich ein lustiges, kleines Rennspiel f�r Zwischendurch erhofft, sollte vom Kauf absehen. Wer nach knackigen Herausforderungen f�r seine Fingerfertigkeit und seine Hartn�ckigkeit sucht, bekommt mit MotoHeroz einen w�rdigen Gegner. Es ist ein Spiel, das man nicht durchspielt, sondern das man besiegt. Der Spa� am Spiel besteht im Hass auf das Level-Design. Zwar macht das Spiel mit Power-Ups und einigen High-Speed-Abschnitten ab und zu Anstalten in Richtung Normalit�t, bleibt im Kern aber ein hartes Geschicklichkeitsspiel, in dem R�ckw�rtsfahren durchaus Teil des Vorw�rtsfahrens sein kann und �berschl�ge in der Luft �berlebensnotwendig anstatt lebensm�de sind. Technisch ist MotoHeroz solide, das Gesamtpaket ordentlich umfangreich. Wer sich zu der oben beschrieben Zielgruppe z�hlt, macht mit MotoHeroz nichts falsch. Alle anderen sollten sich den Kauf ganz genau �berlegen.
Von Tim Herrmann
|