WiiWare-Review von Tim Herrmann (mail) | 12.07.2010
WiiWare ist die Plattform der Geschicklichkeitsspiele, der Puzzle-Konzepte, der Minispielsammlungen, der Innovativexperimente. Herkömmliche Spielkonzepte, wie man sie in erweiterter Form auch genauso gut auf Disc bekommen könnte, sah man bisher nur selten auf dem Download-Service. Umso überraschender waren die ersten Bilder aus Jett Rocket von Shin’en für WiiWare. Mit seiner grafischen Qualität hätte es auch gut als Disc-Titel durchgehen können und so fragen sich nun alle: „Ist es dem Münchener Entwickler wirklich gelungen, gute Technik mit spannendem Gameplay zu verbinden und somit ein Genre auf WiiWare zu ermöglichen, von dem man nicht gedacht hätte, dass es dort seinen Platz finden könnte?“. Wir beantworten diese Frage jetzt im Test.
Grafik grandios, aber…
Wenn man über Jett Rocket schreibt, muss man auch auf die Technik eingehen, die Shin’en hier zum Einsatz gebracht hat. Denn diese ist rundum über jeden Zweifel erhaben. Der Titel glänzt (im wahrsten Sinne des Wortes) mit vielen kleinen Details, die das ohnehin schon strahlende Gesamtbild erheblich aufwerten. Protagonist Jett Rocket verfügt über einen Raketenrucksack, dessen Abgase man in einem Feuerstrahl in der Luft flimmern sieht, metallene Oberflächen glänzen und reflektieren Licht und umstehende Objekte realitätsnah, schaut man in Richtung einer Lichtquelle z.B. der Sonne, blendet sie den Blick auf die Landschaften. Die Levels sind bunt und in strahlenden Farben gestaltet, Texturen nie verwaschen, pixelig oder unscharf.

Kurzum: Das Hauptargument von Jett Rocket ist seine Grafik, die sich auch hinter großen Disc-Titeln nicht verstecken muss und besser aussieht als ca. 70% von dem, was man so im Regal findet. Auf WiiWare besetzt es damit natürlich unumstritten den Grafik-Thron.
…Grafik ist nicht alles
Stellt sich nun immer noch die Frage: Wie sieht es mit dem Gameplay aus, das sich hinter der schönen Fassade verbirgt? Um es kurz zu machen: Das Leveldesign ist solide, handwerklich gut gestaltet, frei von groben Schnitzern und die Steuerung weich und ordentlich ausbalanciert, aber insgesamt ist das spielerische Gesamtpaket einfach nicht spektakulär oder gar revolutionär. Es handelt sich um ein ganz klassisches Jump & Run mit ein paar lose verstreuten Gegnern, ein paar Schalterrätseln und vielen Geschicklichkeitsparcours.
Als einziges Plus, das Jett Rocket spielerisch von 08/15-3D-Jump-&-Runs abhebt, sind die vielen kleinen technischen Spielereien zu nennen, mit denen es der Protagonist zu tun bekommt. Jett hat zum einen seinen Raketenrucksack zur Verfügung, der ihn über weite Abgründe bringt oder ihn auch höhere Plattformen erreichen lässt, der allerdings auch ständig neu aufgeladen werden muss und nicht besonders lange durchhält. Zum anderen sind da Magneten, mit denen man Abgründe überqueren kann, Fallschirme, die lange Gleitflüge ermöglichen, oder Artefakte, die Jett nach Aktivierung weit in die Ferne schießen. Außerdem stehen Jett Rocket schwebende Snowboards und ab und zu auch Bomben oder ein Jetski zur Verfügung.

Das Spiel besteht aus drei Welten mit je vier Levels: Das Atoll mit paradiesischen Inseln im strahlenden Ozean, der Nordpol mit klirrend kalten Schneelandschaften und der Dschungel, unwirtliche Gifttümpel mit antiken Steingebilden. Die Spielzeit beschränkt sich damit auf ca. drei bis vier Stunden, was auch daran liegt, dass das Level-Design keine größere Herausforderung für einigermaßen geübte Spieler darstellt. Im Prinzip ist es möglich, einfach schnell durch die Welten zu laufen und am Ende der Welt den Roboter-Endgegner zu besiegen. Etwas Schwierigkeit rührt eher daher, dass man lediglich drei Herzen zur Verfügung hat und man schon nach drei kleinen, blöden Fehlerchen das ganze Level von vorn beginnen muss, was ziemlich frustig sein kann. Besonders dann, wenn man sich zum Ziel gesetzt hat, möglichst alle Solarzellen zu finden, die in den Levels versteckt sind. Sie schalten nach und nach neue Welten frei.
Jett Rocket ist also spielerisch sehr konservativ und nichts wirklich Besonderes. Kämpfe gegen die Gegner beschränken sich auf kurze Schüttler der Wii-Remote, Rätsel bestehen eigentlich nur daraus, Schalter zu betätigen, um Türen zu öffnen. Die Jump-&-Run-Abschnitte können recht fordernd werden, sind aber auch keine Neuerfindung des Genres. Jett Rocket fühlt sich an wie eine Demo zu etwas Größerem. Ein zweiter Teil ist ja bereits in Planung, dafür wären die Entwickler gut beraten, ruhig noch mutiger beim Einbauen von allem möglichen Technikkrams in den Levels zu sein, um für mehr Abwechslung und spielerische Besonderheit zu sorgen, was den Titel nicht nur grafisch vom Einheitsbrei abheben würde.
Fazit: Jett Rocket ist ein brillant aussehendes Spiel, das aber wieder einmal beweist, dass überlegene Technik allein noch kein ebenso erhabenes Spiel zur Folge hat. Beim Gameplay bleibt Jett Rocket ziemlich allgemein und bietet spielerisch nicht viel mehr als viele andere Jump & Runs. Es ist dafür aber rundum fehlerfrei entwickelt und glänzt mit passendem Soundtrack und stimmigem Level-Design. Damit bringt es das Genre der 3D-Platformer erstmals in einer solch qualitativ hochwertigen Form auf WiiWare und bietet für 1.000 Punkte immer noch genug Inhalt, auch wenn es sich doch oft so anfühlt, als sei es nur ein Ausschnitt aus etwas Größerem. Interessant wäre es aber gerade deswegen zu sehen, wie sich dieses Spiel mit noch mehr Inhalt und noch mehr spielerischer Kreativität auf Disc machen würde. So bleibt erst einmal leichte spielerische Unterhaltung mit einem beeindruckenden grafischen Muskelspiel, das man so auf WiiWare noch nicht gesehen hat.
Von Tim Herrmann
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