WiiWare-Review von Tim Herrmann (mail) | 11.10.2009
Gleich zum Start von WiiWare im Mai 2008 erschien mit Lost Winds ein Spiel, das schnell viele Freunde fand. Dass das gleiche Spiel auch heute noch, anderthalb Jahre nach seinem Release, als eines der besten überhaupt auf dem Download-Service gilt, spricht für sich. Doch irgendwie war Lost Winds trotz der grandios liebevollen Gestaltung und des frischen Gameplays irgendwie unbefriedigend. Es endete nach drei Stunden, als man eigentlich damit rechnete, dass es dann erst losgehen würde. Die Hoffnungen der Spieler lagen dann auf dem zweiten Teil, der damals schon angekündigt war, aber erst in diesem September offiziell enthüllt wurde. Lost Winds: Winter of the Melodias heißt das Spiel, das am 09. Oktober 2009 hierzulande erschienen ist und sich in allen Kritikpunkten der Fans gebessert haben will. Wie gut das dem neuen Teil gelungen ist, klären wir in unserem WiiWare-Test.
Angeknüpft
Es hat einen Grund, warum Lost Winds – Winter of the Melodias offiziell nicht „Lost Winds 2“ heißt. Was man eigentlich nach dem Ende von Teil 1 erwartet hätte, tritt nämlich nicht ein. Toku und der Windgeist Enril machen sich nicht nahtlos auf den Weg, um die verbliebenen Geister zu befreien, um den bösen Balasar zu bannen. Stattdessen geht es auf eine Reise, Tokus vermisste Mutter, Magdi, zu suchen, die in die Berge aufgebrochen ist und seitdem kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben hat. Balasar spielt dabei höchstens eine untergeordnete Rolle. Sein Name kommt genau einmal im Spiel vor.

Die Geschichte ist schnell abgetan: Man merkt dem Titel an, dass er hauptsächlich auf sein Gameplay baut und sich aus der Geschichte, wie schon beim letzten Mal, nicht viel macht. Es geht für das Zweiergespann also auf in die Berge - übrigens mithilfe des jetzt wieder ruhigen und lieben letzten Endgegners aus Teil 1, der im Hintergrund klettert und ab und zu in diesem Tutorial helfend zur Seite steht.
Die Windfähigkeiten aus Teil 1 haben Toku und der Windgeist behalten: Sie müssen nicht erst zig Schreine aufsuchen, um Grundlegendes wie den Sog neu zu lernen oder den Dreierwindsprung zu vollführen. Nach wie vor werden Enrils Windkräfte über die Wii-Remote ausgelöst, während Toku mit dem Nunchuk bewegt werden kann. Aktiv springen kann der kleine Junge nicht, dafür muss man mit dem Pointer und dem A-Knopf einen Windstoß auslösen, der Toku bis zu dreimal am Stück in die Lüfte befördert und somit von Plattform zu Plattform „hüpfen“ lässt.
Mehr Gold, mehr Blau
Lost Winds: Winter of the Melodias präsentiert sich weiterhin in zweidimensionaler Spielgrafik, ohne die das Konzept des Wind-Platformings gar nicht möglich wäre. Nachdem ihr oben in den Bergen angekommen seid, überrascht der Titel aber zunächst einmal mit einem ganz neuen, ungewohnten Stil: Wo in Teil 1 noch alles sommerlich grün blühte, ist hier oben jetzt alles gefroren, es herrscht tiefster Winter und Schnee fällt leise vom Himmel. Toku muss aufpassen, dass er sich der Kälte nicht zu lange aussetzt, und hetzt zunächst von Fackel zu Fackel.
Ohne zu viel verraten zu wollen: Der zweite Teil von Lost Winds bleibt nicht permanent so und entwickelt sich stetig weiter – sowohl vom Gameplay als auch von der Umgebungsgrafik her. Erst einmal werdet ihr ein neues Winter-Outfit für euren Protagonisten bekommen, damit er sich im Winter frei bewegen kann, und wenig später ermöglicht es euch die Göttin der Jahreszeiten, Sonté, auch zwischen den Jahreszeiten zu wechseln. Ein Knopfdruck verwandelt die Welt um euch herum dann vom totenstillen Leise-rieselt-der-Schnee-Szenario in eine sommerlich vor Leben strotzende Welt in sattem Grün mit der üblichen beruhigenden Lost-Winds-Hintergrundmusik - nichts sieht mehr so aus wie vorher. Natürlich hat dieser Saisonwechsel auch einen Sinn fürs Gameplay: Wasserfälle erstarren im Winter und werden zu Brücken, während Seen im Sommer wieder auftauen und euch Zugang zur (Unter-)Wasserwelt verschaffen. Mit diesem Feature werden einige komplexe Rätsel gestaltet, dazu aber später noch mehr. Hier seht ihr zweimal die gleiche Landschaft, einmal im Winter, einmal im Sommer:
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Insgesamt sieht Lost Winds 2 noch einmal besser aus als sein Vorgänger, was vor allen an den strahlenderen Farben und der großen optischen Abwechslung liegt, die man genießen darf. Auch die Hintergründe sind unheimlich detailliert gestaltet. Der Spieler wandelt von Sommerparadies in eine klirrend kalte Winterwelt, um danach einen alten Tempel aus goldenem Ton besichtigen zu können, in dem er die Überreste einer alten Zivilisation findet. Diese alte Zivilisation sind die Melodias, die die Mechanismen ihrer Stadt mit Gesang kontrollierten und den Windgeist anbeteten, eines Tages aber von einem besessenen Bösen angegriffen und versteinert werden. Diese Anfangssequenz dürft ihr sogar selbst spielen. Auch Tokus Mutter steht mit dieser alten Zivilisation in Zusammenhang – diese Frage wird später in der am Rande ablaufenden Geschichte erzählt.
Rätselkomplexe von Meisterhand
Hauptinhalte und –Argumente von Lost Winds – Winter of the Melodias sind nicht Geschichte oder die Atmosphäre, sondern hauptsächlich das intelligente Gameplay. Man spielt Lost Winds 2 wegen seiner Rätsel mit Geschicklichkeitselementen– und die sind einfach meisterhaft gestaltet. Es wäre unmöglich oder mindestens zu umfangreich, hier jeden der unheimlich vielen, facettenreichen Rätseltypen kurz anzuschneiden und zu erklären. Erwähnt seien aber die vielen verschiedenen Fähigkeiten, die das Duo anwenden kann, um die unterschiedlichsten komplex miteinander verknüpften Mechanismen innerhalb eines Spielraumes zu bedienen oder Türen zu öffnen. Neben der Sog-Fähigkeit, die kleine Gegenstände zielsicher z.B. auf Schalter transportiert, gibt es auch von Anfang an die Wirbel-Funktion, die in verschneiten Landschaften Schneeflocken zusammenwirbelt, daraus einen Schnellball formt und dieses massive Ding (in Sommerwelten wären das dann Steine) gegen Eiswände schleudert, um sie zu zerstören. Außerdem kann der Wirbel im späteren Spielverlauf Klänge erzeugen, die den Melodias-Gesang imitieren und damit im Tempel helfen.
Mit der Zeit lernt Enril auch, durch Schütteln der Wii-Fernbedienung einen Zyklon zu erzeugen, der gleich drei Nutzen hat. Zum einen wirbelt er Toku hinauf, sodass er höhere Plattformen erreichen kann, zum anderen kann er Wasser aus einem Becken zu Wolken aufquellen, diese an einer anderen Stelle nieder regnen lassen und dadurch Wasser umverteilen, was besonders wichtig wird, wenn die Aggregatzustände wechseln und man Brücken braucht. Auch das Abtragen von leichtem Erdreich liegt im Aufgabenbereich des Zyklons. Jetzt stelle man sich all diese Fähigkeiten einmal zusammen vor, um einen der großen Rätselkomplex zu lösen, die im Prinzip in jedem der 28 Räume warten, aus denen Lost Winds 2 geknüpft ist. Da müssen Steine gesucht und auf Schaltern platziert werden, um eine Tür passieren zu können, hinter der ein Feuer wartet. Dieses Feuer muss mit der Sog-Funktion auf eine nicht brennende Fackel vor der eben durchschrittenen Tür gelenkt werden, um dort daraufhin eine Pflanzenblockade verbrennen zu können, hinter der der Stein vom Schalter dann die Aufgabe bekommt, mithilfe der Wirbel-Funktion eine Steinwand zu zertrümmern. Dahinter geht es dann nicht weiter, weil ein Wasserfall den Weg blockiert – also geht es zurück zum Anfang des Raumes, wo eine Statue stand, mit der man die Jahreszeit wechseln kann. Jetzt ist der Wasserfall gefroren und damit passierbar und der exemplarisch vorgestellte und nicht unbedingt im Spiel vertretene Rätselkomplex gelöst.

Das hört sich jetzt erst einmal fürchterlich kompliziert an, ist aber stets grundlogisch aufgebaut, gut durchschaubar und einfach genial durchdacht und geplant. Die Kameraperspektive zoomt an entscheidenden Stellen nach Bedarf automatisch weiter weg, damit man einen Überblick über mehrere Etagen bekommt und zum Beispiel ein Feuer einer tieferen Etage sieht, welches der Spieler mit dem Wind zu unerleuchteten Fackeln ziehen bzw. wehen kann. Und so ergeben die Rätsel genau die richtige Mischung aus fordernder Komplexität und intelligent durchdachter Logik, die die Kopfnüsse mit ein bisschen Übung und der richtigen Art, mit den Wind-Fähigkeiten zu denken und zu planen, gut lösbar machen.
Schnell vorbei, aber…
Wer aufgrund der Vorversprechungen der Entwickler von Frontier („Wir haben auf die Beschwerden der Fans nach Teil 1 gehört und die Spielzeit deutlich verlängert“) jetzt beim Genuss von Lost Winds 2 auf ein Spaßbündel hofft, das sogar den großen Disc-Titeln von der Spielzeit her Konkurrenz machen kann, wird natürlich enttäuscht sein, wenn er nach (spielerabhängig) etwa drei bis fünf Stunden auch den Abspann des zweiten Teils sieht. Dafür ist dieser Titel eine WiiWare – irgendwie müssen die Entwickler sich im 10-Euro-Rahmen und vor allem unter dem 40-MB-Limit der Download-Plattform halten. Die Entwickler haben mit dem Umfang und der Technik das Limit sicherlich schon angekratzt und mussten demnach auch auf kleine Belohnungen vor, während oder nach der Geschichte verzichten. So ist es etwas enttäuschend, dass das Spiel nach dem Endkampf einfach nur schnell die Credits einblendet und dann wieder zum Titelbildschirm wechselt.
Wie oben bereits erwähnt, spielt man auch in Lost Winds 2 wieder in einer offenen Spielwelt, in der jeder „Raum“ (auch ein offener Landschaftsabschnitt zählt dabei als Raum) mit einem oder zwei anderen verknüpft ist. Während des Spiels bekommt ihr von allen möglichen Persönlichkeiten Aufgaben und Ziele gesetzt, die auf einer Karte (Ja, diesmal gibt es nützlicherweise auch eine Karte) markiert werden. Hier könnt ihr dann erkennen, welchen Ausgang aus einem Raum ihr nehmen müsst, um den richtigen Pfad einzuschlagen. Mit viel Backtracking (also dem Zurückgehen an bereits besuchte Orte, um im Spiel weiterzukommen) wird die Spielzeit gestreckt, was allerdings nie lästig auffällt: Kein Weg ist genauso wie der andere, weil man in den unterschiedlichen Räumen neue Ausgänge finden und bestimmte Mechanismen erst mit neu gewonnenen Fähigkeiten im Gepäck bedienen kann. Auch die grafische Abwechslung, die besonders durch den angenehmen Kontrast zwischen Sommer und Winter hervorgerufen wird, macht das Zurücklaufen nicht unangenehm.

Nach ungefähr vier Stunden ist also Schluss (im Test haben wir für das einmalige Durchspielen ohne großartige Suche nach versteckten Extras ca. drei Stunden gebraucht). Doch einen ganz entscheidenden Vorteil hat Lost Winds: Winter of the Melodias dabei im Vergleich zu seinem Vorgänger. Es ist in sich geschlossen. Es ist EIN Spiel. Das Ende ist zwar immer noch nicht final und lässt Spielraum für einen Teil 3 (den die Entwickler auch nicht ausschließen), aber anders als der Erstling ist Lost Winds 2 mit seinem Ende für sich auch abgeschlossen, die Geschichte ist erzählt und die Spielwelt voll durchgespielt. Nach dem Ende von Lost Winds 2 hat der Spieler nicht den Eindruck, gerade aus der Demo-Version von etwas Großem gerissen worden zu sein wie bei Teil 1. Stattdessen fühlt man sich zufrieden und sieht seine zehn Euro gut investiert für ein gut geschnürtes Paket.
Fazit: Lost Winds 2 ist ein echter Hit und bekommt die uneingeschränkte Kaufempfehlung ausgesprochen. Grafisch ist das Spiel wieder extrem liebevoll gestaltet und trumpft mit satten Farben auf, die (ob nun im Sommer oder im Winter) für wunderschöne optische Abwechslung und malerische Atmosphäre sorgen. Vom Design her muss sich das Spiel hinter kaum einem anderen Spiel auf Disc verstecken. Auch das Gameplay weiß mit knackig-logischen Rätseln und abwechslungsreichem Aufgabenmix zu begeistern. Der Titel fließt melodisch und stimmig vor sich hin, der Spieler lernt, die Windfähigkeiten immer besser zu beherrschen, und wiegt seinen Spielcharakter und alle möglichen Pflanzen und Hintergrundausstattungen im Wind und während man die zahlreichen Rätsel entschlüsselt, vergisst man, wie genial eigentlich alles durchdacht und wie kompakt die ganze Spielwelt miteinander verknüpft ist. Die neuen Fähigkeiten und Features sowie die toll geplante Spielwelt sorgen für ein in sich geschlossenes Paket, dem man nicht böse ist, wenn es nach vier Stunden endet, weil es sich dann auch ausgeschöpft hat. Lost Winds 2 ist wesentlich besser und vielfältiger als sein origineller, aber irgendwie unvollständiger Vorgänger und es gibt keinen Grund, warum man ihm im Rahmen eines solchen WiiWare-Reviews wertungstechnisch den letzten Punkt verwehren sollte. Was World of Goo mit seinem intelligenten Puzzle-Gameplay und dem tollen Grafik-Stil auf dem Gebiet der Strategie- und Geschicklichkeitsspiele ist, ist Lost Winds 2 auf dem Gebiet der WiiWare-Rätsel-Platformer. Lost Winds müsste sich – mit mehr Spielinhalt und einer aufwändigeren Präsentation der Rahmengeschichte – nicht hinter großen Disc-Titeln verstecken und bekommt die WiiWare-Höchstwertung für ein dichtes, forderndes und wunderschön gestaltetes Geflecht aus Rätsel und Platforming.
Von Tim Herrmann
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