WiiWare-Review von Andreas Held (mail) | 20.06.2009
Ikarus fliegt gerne. Seit er fliegen kann, ist es sein Lebensinhalt, herumzufliegen und neue Welten zu entdecken. Eines Tages entdeckt er ein Königreich in den Wolken - Olympus, das Reich der Götter. Dort verliebt er sich in Nyx, die Göttin der Nacht, doch jeden Abend muss er auf die Erde zurückkehren. Trotzdem übersieht er blind vor Liebe, wie sich die Erde in einem stetigen Wandel befindet: Es wird fast unerträglich heiß, Pflanzen und später auch tierisches Leben beginnen zu verenden. Eines Tages schießt eine riesige Feuersäule aus der Sonne, um auch den Rest zu zerstören, der noch übrig ist. Ikarus' wachsene Flügel schmelzen dabei und er kehrt an diesem Tag nicht nach Olympus zurück. Sorgenvoll bricht Nyx die Gesetze des Olymps und steigt auf die Erde herab, um Ikarus zu retten - und sich nebenbei in einer zerstörten Welt wiederzufinden, in der eine Macht ihr Unwesen treibt, vor der selbst Zeus Respekt hat.

Auf der Erde angekommen, ist Nyx nicht viel mehr als ein gewöhnliches Mädchen. Trotz ihrer Flügel an die Schwerkraft gebunden, kann sie nur kurze Distanzen fliegend oder gleitend zurücklegen. Der heiße Wüstensand verbrennt ihre Füße und den Harpien, die nun die Gegend unsicher machen, ist sie schutzlos ausgeliefert. Das alles ändert sich zum Glück, als sie an den Resten einer Statue des Zeus vorbei kommt und der König der Götter mit ihr Kontakt aufnimmt. Statt sie für das Brechen der Gesetze zu tadeln, verleiht er ihr einen Teil seiner Macht, der es ihr nun erlaubt, ihre Umwelt zu manipulieren: Per Telekinese kann sie Objekte greifen, um damit Plattformen zu erschaffen, Hindernisse einzureißen oder lästige Harpien zu erschlagen.
Icarian ist ein zweidimensionaler Puzzle-Platformer, der bei Bosskämpfen oder kniffligen Sprung- bzw. Gleitflugpassagen auch gerne mal euer Geschick testet. Während Nyx wie gewohnt mit dem Analogstick und dem A-Knopf (zum Springen und Fliegen) sowie dem Z-Knopf (zum Gleiten) gesteuert wird, könnt ihr außerdem noch mit der Wii-Remote einen Cursor auf dem Bildschirm steuern, der in der Lage ist, allerlei Objekte zu manipulieren. Nicht selten kommt dabei eine überraschend gute Physik-Engine zum Tragen, die dafür sorgt, dass alle von Zeus' Kräften bewegten Objekte realistisch durch die Gegend fliegen. Dabei geht es aber nicht nur darum, aus den Blöcken neue Konstrukte zu bauen, über die Nyx dann in neue Gebiete klettern kann; richtig knackig wird der Titel erst, wenn Multitasking angesagt ist und ihr gleichzeitig die Steuerung von Nyx übernehmen und Objekte manipulieren müsst, damit sie sicher ankommt. In einem der früheren Level zieht ihr zum Beispiel einen schweren Gesteinsbrocken über den Wüstensand, auf dem Nyx steht und somit auf dem Stein über den gefährlich heißen Sand gleitet. Dabei versperren jedoch einige stachelige Barrikaden den Weg, die ihr mit Nyx überspringen müsst, während gleichzeitig der Block unter der Barrikade hindurchgezogen werden muss, damit Nyx auf der anderen Seite wieder auf ihm landen kann. Wem das zu anspruchsvoll ist, der kann auch einem zweiten Spieler mit der Steuerung des Pointers beauftragen - das hat den Vorteil, dass sich jeder voll auf seine Aufgabe konzentrieren kann, dafür müssen sich beide Spieler aber sehr gut absprechen. Natürlich wird der Pointer im Verlauf des Spiels immer mächtiger und bekommt neue Fähigkeiten, und mit diesen Fähigkeiten kommen neue Herausforderungen. Die sollen hier aber nicht vorweggenommen werden. Der Umfang geht in Anbetracht des Kaufpreises in Ordnung: Ein einfaches Durchspielen dauert zwar nur etwa drei Stunden, aber wer die gut in den Levels versteckten Items finden will, kann hier nochmals einiges draufrechnen.

Icarian lässt zwar erkennen, dass hier ein sehr kleines Studio an dem Titel gearbeitet hat, aber nicht so sehr, dass es wirklich stören würde. Gerade bei den Soundeffekten fällt auf, dass die Entwickler wahrscheinlich selbst ein paar Sprachsamples aufgenommen und im eigenen Garten das Krächzen einer Krähe auf Band festgehalten haben, um Nyx bzw. die Monster zu vertonen - aus irgendeinem Grund fällt das aber nicht negativ auf. Auch bei der Grafik scheint, insbesondere bei den Animationen, noch ein bisschen die Amateurhaftigkeit der unerfahrenen Entwickler durch, dafür kann die Cel-Shading-Optik größtenteils voll überzeugen und manchmal sogar beeindrucken, wenn im malerischen Hintergrund ein Tempel zu erkennen ist, der durch die extrem heiße Luft aber nur noch verschwommen und konturlos daherkommt. Akustisch ist das Spiel leider recht still, was nicht ganz verständlich ist, denn wenn mal Musik zu hören ist, ist diese extrem stimmungsvoll und macht Lust auf mehr.
Fazit: Wenn es Gerechtigkeit auf der Welt gäbe, wäre Icarian ab heute das Aushängespiel für WiiWare. Es verkörpert haargenau das, was sich Nintendo mit dem Service gewünscht hat: Ein ohne viel technischen Aufwand von einem kleinen, unbekannten Entwickler produziertes Spiel, das durch seine perfekte Spielbarkeit und das Gameplay voll überzeugen kann. Für das Leveldesign muss man den Entwicklern höchsten Respekt zollen: Die Physik-Puzzles sind anspruchsvoll, funktionieren perfekt und fast jeder Level überrascht mit neuen Aufgaben, die das Geschick oder den Hirnschmalz des Spielers auf eine neue Probe stellen, ohne unfair zu werden. Meistens gibt es dabei mehr als nur einen Lösungsweg, und statt in einer restriktiven Spielmechanik eingeengt zu sein, kann, soll und muss man als Spieler kreativ werden. Manchmal motiviert die Engine sogar dazu, Dinge zu versuchen, die von den Entwicklern gar nicht vorgesehen und eigentlich unmöglich sind. Erst im letzten der zwölf Level baut das Gameplay dann doch etwas ab, was den Titel zwar nicht kaputt macht, aber leider einen faden Beigeschmack hinterlässt. Rein spielerisch muss sich Icarian trotzdem selbst hinter Vollpreisspielen wie Klonoa oder Little Big Planet absolut nicht verstecken und sorgt durch die gut versteckten Secrets für eine angemessene Langzeitmotivation, sodass sich der Kaufpreis von 1.000 Wii-Points auch gemessen an der Spielzeit gut rentiert. Trotz durchaus vorhandener, aber eher unauffälliger technischer Mängel kann Icarian also getrost zu den wenigen Pflichtkäufen auf WiiWare gezählt werden und jeder, der von einem 10€-Titel keine technisch blankgeleckte Optik samt Orchestersoundtrack oder die Spielzeit eines Disc-Releases erwartet, sollte jetzt (ja, genau jetzt) seine Wii anwerfen und den Titel herunterladen. Alle anderen möge der Blitz treffen.
Von Andreas Held
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