Special von Andreas Held (mail) | 27.06.2011
Schaut man sich lediglich die Hardwareverkaufszahlen an, ist Nintendo der klare Gewinner dieser Konsolengeneration. Auch softwaretechnisch war Wii für Nintendo eine Goldgrube - die zugkräftigsten Titel, Mario Kart Wii, Wii Play und Wii Sports Resort, haben sich jeweils über 27 Millionen Mal und somit mehr als drei mal so oft verkauft wie Halo 3, das First-Party-Flaggschiff auf Xbox 360. Wendet man sich jedoch von diesen Mega-Verkaufszahlen ab, bleibt schon nicht mehr viel übrig, und generell scheinen sich die wirklich großen Erfolge auf die Anfangszeit der Wii-Ära zu beschränken. In jüngerer Zukunft konnten lediglich Hochkaräter wie Super Mario Galaxy 2 und Donkey Kong Country Returns nennenswerte Erfolge einfahren, und selbst hier ist ein deutlicher Einbruch der Verkaufszahlen festzustellen. Es ist also kein Geheimnis, dass das Interesse an Wii-Software rapide abgenommen hat, was zum größten Teil einfach an der quantitativen Unterversorgung der Konsole mit guter Software gelegen hat. Vor allem der First- und Second-Party-Support wurde heftig kritisiert. Dabei gibt es eigentlich viele gute Wii-Spiele; aber dummerweise nur in Japan.
Ist es denn wirklich so schlimm?
Allein die Liste der nennenswerten von Nintendo gepublishten Spiele, die es nie aus Japan heraus geschafft haben, ist lang: Mit Fatal Frame IV, Captain Rainbow, Takt of Magic, New Play Control: Chibi Robo und Zangeki no Reginleiv sind mindestens fünf Spiele nie im Westen erschienen, über die sich sicher einige gefreut hätten, und vermutlich gesellen sich noch Pandora's Tower sowie möglicherweise The Last Story dazu. Zählt man die Spiele mit, die zwar außerhalb Japans, aber nicht weltweit erschienen sind, wird die Liste noch länger. Disaster: Day of Crisis, Another Code R sowie voraussichtlich Xenoblade sind nicht in den USA, Excitebots und Mario Super Sluggers nicht in Europa erschienen. Und noch ein weiteres Mario-Spiel ist betroffen, denn Mario & Luigi: Bowser's Inside Story erschien nicht in Australien. Beschränkt man sich auf Europa, entdeckt man einen besonders kuriosen Fall: Die UK-Version von Inazuma Eleven wurde wenige Tage vor dem Release gestrichen - damals hieß es, der Titel sei im Vereinten Königreich "slightly delayed". Bis heute hat sich daran jedoch nichts geändert, sodass einige Fans auf amazon.co.uk 60 bis 80 Pfund für englischsprachige Versionen ausgeben müssen, die von cleveren Händlern aus Portugal oder Griechenland überteuert dort angeboten werden.
Diese lange und nüchterne Auflistung soll in erster Linie zeigen, dass bei Nintendo nicht nur Faulheit, sondern regelrechte Willkür bei der Veröffentlichung von Titeln herrscht, und dass es hierbei auch nicht nur um Einzelfälle geht. Über die Gründe kann man als Fan nur mutmaßen, doch wahrscheinlich ist, dass Nintendo alle Spiele, die keinen bestimmten Mindestumsatz versprechen, einfach ignoriert. Erlauben kann es sich der Konzern, da er mit den Multi-Millionen-Titeln genug Geld scheffelt, um auf den vergleichsweise geringen Umsatz, den beispielsweise ein US-Release von Disaster: Day of Crisis bringen würde, verzichten zu können. Dass es auch anders geht, zeigen mittlerweile eigentlich alle großen Software-Konzerne außer BandaiNamco: Hier ist es die Regel, dass jeder halbwegs nennenswerte Titel auch bei geringer Nachfrage weltweit zeitnah erscheint. Beispielsweise hat sich SEGA allein aufgrund der Nachfrage von Fans dazu entschieden, Yakuza 3 und 4 zu lokalisieren, obwohl die Übersetzung von Yakuza 2 aufgrund desaströser Verkaufszahlen im Westen ein Verlustgeschäft war. Der Unterschied: SEGA ist momentan generell in Schwierigkeiten und hält es deshalb für nötig, auf seine Fans zu achten, damit diese nicht auch noch vergrault werden.
Alles meins!
Dass Nintendo dabei sogar noch regelrecht destruktiv vorgeht, zeigt das Fallbeispiel The Last Story. Mistwalker hat ein offensichtliches Interesse daran, dass The Last Story doch noch irgendwie im Westen erscheint. Selbst von der breit angelegten Fan-Petition aus den USA namens Operation Rainfall, in deren Fokus zunächst Xenoblade steht, hat man bei Mistwalker sehr schnell erfahren und sich umgehend auf dem Twitter-Account unter (virtuellen) Tränen für die Unterstützung der Fans bedankt.
Jetzt könnte man sich fragen, warum nicht einfach ein Publisher wie X-Seed oder Rising Star mit der Lokalisierung beauftragt wird. Denn während Nintendo die von einem The Last Story zu erwartenden Verkaufszahlen auf dem Abschlussbericht wahrscheinlich wegrunden würde, würden sich diese kleineren Publisher die Finger nach dem relativ namhaften Titel lecken. Einziges Problem: Nintendo hat sich ja den Namen im Westen schützen lassen und somit vermutlich auch die Vertriebsrechte gesichert. Die Frage nach dem "Warum?" ist hier durchaus berechtigt. Nintendos Gedankengang erinnert an den eines psychisch kranken Ehemanns, der seine Frau erschießt, weil sie sich von ihm trennen will: "Wenn ich dich nicht haben kann, soll dich keiner haben!".
Ob Mistwalker das nun toll findet, ist äußerst fraglich. Der Entwickler leidet noch am meisten darunter, da die ausbleibende Veröffentlichung im Westen signifikante finanzielle Einbußen zur Folge hat, während bei der Entwicklung mit diesen Einnahmen möglicherweise schon geplant wurde. Ganz abgesehen von den wirtschaftlichen Aspekten hat jeder Spieledesigner auch den persönlichen Wunsch, dass sein Werk möglichst viele Spieler zu Gesicht bekommen. Dies ist übrigens auch eine effektive Art, Third Parties zu vergraulen: Mistwalker wird es sich wahrscheinlich überlegen, noch einmal mit Nintendo zusammenzuarbeiten, schließlich haben die Microsoft Game Studios Lost Odyssey damals innerhalb von drei Monaten lokalisiert und weltweit vertrieben, was für den Entwickler die deutlich angenehmere Erfahrung gewesen sein dürfte.
Und wie geht es nun weiter?
Nintendo hat auf der E3 viel versprochen und bei der Ankündigung von Wii U damit geprahlt, dass man jedem Spieler eine auf ihn zugeschnitte Spielerfahrung bieten wolle. Zu einer solchen Erfahrung gehört natürlich auch, dass jeder die Spiele, die ihn interessieren, auch spielen kann. Mit dem 3DS ist Nintendo jedoch einen Schritt in die entgegengesetzte Richtung gegangen und hat den ersten wichtigen Handheld veröffentlicht, der ab dem Tag seiner Veröffentlichung Region Codes eingebaut hat.
Aber natürlich ist auch für Wii noch nicht aller Tage Abend und Fakt bleibt, dass Nintendo noch genug Asse im Ärmel hat, um die Wii-Ära mit einem Knall zu Ende gehen zu lassen. Auch möglich ist, dass z.B. The Last Story als Wii-U-Launchtitel erscheint, was wirtschaftlich vielleicht sogar die sinnvollere Entscheidung wäre, als jetzt im Kleinen einen Wii-Release durchzuführen. Am allerschönsten wäre es natürlich, wenn einfach wie bei eigentlich jedem anderen großen Publisher alle Spiele weltweit zeitnah erscheinen würden. Aber davon ist Nintendo momentan so weit entfernt, dass dieses Szenario nicht viel mehr als Wunschdenken ist.
Von Andreas Held
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