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Special von Tim Herrmann (mail) | 01.05.2011
In diesen Tagen spielt Nintendo mit seinen Fans allem Anschein nach ein einziges großes Puzzlespiel, bei dem der Traditionskonzern aus Japan aber immer nur einzelne Teile herausgibt und das Gesamtbild noch mindestens bis zum Juni für sich behält. Das neueste Puzzle-Stückchen: Auf seiner Investorenkonferenz kündigte Nintendo an, eine neue Heimkonsole im Jahr 2012 auf den Markt bringen zu wollen. Normalerweise wäre diese Information für sich betrachtet wie schon letztes Jahr beim Nintendo 3DS eine kleinere oder größere Sensation gewesen – wenn nicht sowieso jeder mit ihr gerechnet hätte und wenn sich diese Meldung nicht so wunderbar in das Puzzle einpassen würde, das sich jetzt seit zwei Wochen auf dem Tisch formiert.
Einen Kaffee, bitte
Am Freitag, dem 15. April 2011, sprudelten die ersten Meldungen über den Bildschirm: Eine neue Nintendo-Konsole soll anstehen. So weit so gut, dachte man sich zuerst. Irgendein Blogger wird nachts wohl wieder eine Vision gehabt haben, die er mit seinen Jüngern teilen muss. Doch es war nicht irgendein Blogger, der wirre Fantasien und Theorien verbreitete, sondern renommierte Videospielmagazine weltweit, die unabhängig voneinander erstaunlich kongruente und konkrete Details zur neuen Konsole veröffentlichten.
Sehr schnell trennte sich die Gerüchtespreu vom -Weizen und so fielen erste Meldungen über ein Blu-Ray-Laufwerk schnell wieder unter den Tisch. Doch das meiste hält sich bis heute: Der Controller der neuen Konsole soll einen 15,4cm-Touchscreen in der Mitte haben und gleichzeitig zwei Analog-Sticks sowie eine ähnliche Knopfkonfiguration wie das GameCube-Pad bieten. Ganze Spiele sollen auf den Controller gestreamt werden können, was für Koop- und sonstige Multiplayer-Spiele eine willkommene Erweiterung bieten könnte. Technisch scheint die neue Nintendo-Plattform die aktuellen HD-Konsolen etwas zu übertrumpfen. Auch über den Namen besteht weitestgehend Einigkeit: Project Café heißt die Konsole intern bei Nintendo. Weil der Controller mit seinem großen Bildschirm aussieht wie ein Serviertablett und wohl auch, weil in einem Café so viele Menschen zusammenkommen und miteinander sprechen etc. pp.
„Lecks“…
Doch woher kommen diese ganzen Infos nun? IGN, Kotaku, Computer & Videogames, die GameInformer oder auch das französische IT-Magazin 01Net gehörten zu den führenden Gerüchteverbreitern im Internet. Und immer sollen die Infos aus geheimen Insiderquellen stammen, aus Nintendo-Kreisen, aus Drittherstellerkreisen, von Branchenkennern, sonstwoher. Doch tatsächlich könnte hinter alldem auch ein ganz anderer stehen: Nintendo selbst.
Bei einer solchen Informationsflut von einem Leck oder einem Entwickler auszugehen, der sich aus Versehen verplappert hat, wäre naiv: Bevor den vertrauenswürdigsten und größten Drittentwicklern eine neue Konsole zur Spieleentwicklung Verfügung gestellt wird, müssen sie Non-Disclosure-Agreements ohne Ende unterschreiben. Bevor sie überhaupt ein Stück Plastik zu sehen bekommen, wird Verschwiegenheit unbedingt vorausgesetzt, schließlich bedeuten ungewollte Enthüllungen auch finanziell einiges, man blicke nur einmal auf den Aktienmarkt. Sollte irgendjemand seinen Mund nicht halten können, drohen Konventionalstrafen in Millionenhöhe. Das wären fünf Minuten anonymen Ruhm bei einem Online-Magazin beileibe nicht wert.
Die Gerüchte drangen alle am gleichen Tag an die Öffentlichkeit. Und selbst wenn die Quellen tatsächlich Brancheninsider oder Drittentwickler waren, so wird es doch vermutlich Nintendo selbst gewesen sein, das im Hintergrund insgeheim die Strippen gezogen hat: „Frühestens am 15. April 2011 dürfen folgende Details anonymisiert an folgende Publikationen gegeben werden…“.
Warum Nintendo das tun sollte? Erfahrung: Im letzten Jahr hat man den Nintendo 3DS mit einer ebenso kurzen Mitteilung angekündigt, wie man jetzt den Wii-Nachfolger offiziell gemacht hat. Und aus heiterem Himmel war Nintendo über Nacht wieder das Gesprächsthema Nummer 1. Die ganze Branche machte sich Gedanken darüber, wie dieses 3D ohne Brille funktionieren könnte, wie stark das System technisch sein würde, welche Spiele Nintendo plant. Schon damals gab es im Voraus einige Gerüchte, doch die waren wirklich nebulös und das große 3D-Feature spielte im Voraus noch überhaupt keine Rolle.
Und worüber diskutieren Fangemeinden noch leidenschaftlicher und intensiver als über harte Fakten? Richtig, über Gerüchte. Nintendo lancierte die Gerüchte selbst und ließ die Spekulationen losbranden. Besonders das Timing bei all dem unterstützt diese Verschwörungstheorien. Die Woche der ersten Gerüchte begann Nintendo mit einer Wii-Releaseliste, die ihresgleichen suchte: Kein einziger First-Party-Titel in Europa bis zum Herbst, in den USA nur eine neue Minispielsammlung mit dem Wii-Play-Namen und ein Hidden-Object-Adventure. An Third Party Releases war höchstens Conduit 2 eine Erwähnung wert. Die Gerüchte um die nächste Konsolengeneration kamen also gerade recht, um die schwache Wii-Situation zu überdecken und von dem mauen Software-Lineup bis zum Winter abzulenken. Schließlich bestand Nintendos Hauptproblem in der Wii-Generation in den immer schneller und zahlreicher abwandernden Vielspielern und traditionellen Fans, die in einer solchen Release-Liste sicherlich kein Argument zum Bleiben gesehen hätten.
Wir haben was, aber wir sagen noch nicht, was
Und nun geht es weiter: Dass die neue Heimkonsole kommt, ist jetzt endgültig klar. Und dass sie auf der E3 2011 das erste Mal spielbar präsentiert wird, ebenfalls. Doch zu den Features machte Nintendo in der Ankündigung keinerlei Angaben – und auch das passt wunderbar ins Konzept. Denn so gehen die Spekulationen und Gerüchte um Project Café noch mindestens bis zum Juni weiter, wenn in Los Angeles die Spielemesse steigt, und Nintendo kann sich über die völlig kostenlose PR freuen, die die Aufmerksamkeit auf die eigene E3-Pressekonferenz lenken wird.
Und dann sind da ja auch noch die ominösen Banner auf Nintendos Entwicklerwebseite WarioWorld, die geradezu darauf warteten, am Ostermontag von findigen Fans entdeckt zu werden: Sie zeigen eine Tasse Kaffee und deuten darauf hin, dass auch der Codename „Project Café“ tatsächlich wahr war und die neue Heimkonsole derzeit so heißt. Nintendo versteckte pünktlich zu Ostern also überall im Netz kleine Ostereier bzw. Puzzlestücke und lässt die Fans sich des Suchens und Kombinierens erfreuen.
In die gleiche Richtung steuern Kommentare von Shigeru Miyamoto und Satoru Iwata, die erstaunlich oft das Wort "Tablet" in den Mund nahmen und von einer neuen Art von Interaktion mit Videospielen sprachen. Unterdessen behaupten viele der mysteriösen Insider-Quellen, Nintendos Project Café halte noch ein viel größeres Feature als den Touchscreen im Controller bereit, eine Überraschung, von der Fans begeistert sein würden. Doch wenn dem wirklich so ist, warum nicht auch dieses Detail an die Öffentlichkeit lassen? Warum über alle möglichen Fakten plaudern, aber über die größte Überraschung noch nicht? Die Antwort ist so simpel wie konsequent: Nintendo will es nicht. Aber Nintendo will Spekulationen darüber.
Uns sei es recht, denn auch wenn es sich bei der gesamten Affäre Project Café womöglich um eine gezielte und geschickt gesteuerte PR-Aktion von Nintendo Japan und Nintendo of America handelt, so gibt sie doch den sehnlichst erwarteten Stoff zum Diskutieren und Spekulieren, den die Wii-Konsole zumindest bis zum Herbst und bis zu The Legend of Zelda – Skyward Sword leider einfach nicht mehr liefern kann.
Von Tim Herrmann
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