Special von Tim Herrmann (mail) | 16.03.2011
Zyklopen machen evolutionstechnisch wirklich überhaupt keinen Sinn. Die riesigen einäugigen Monster aus der griechischen Mythologie mögen zwar gruselig aussehen und ihren Zweck in der Geschichtsschreibung durchaus erfüllen, trotzdem wären sie gewissermaßen ein Konstruktionsfehler der Natur. Denn nur mit zwei Augen kann ein Lebewesen räumlich sehen und sich so in seiner Umwelt zielsicher und schnell orientieren. Es ist für normalsehende Menschen das Alltäglichste der Welt, ihre Welt in 3D wahrzunehmen. Und trotzdem beschäftigt das Thema 3D die Menschen schon seit Jahrhunderten immer wieder, besonders in der Kunst und in der Unterhaltung. Mit dem Nintendo 3DS wird jetzt ein neuer Schritt auf diesem langen Weg gemacht, der noch längst nicht beendet ist, und wir wollen den Launch des ersten echten Massenmarktgerätes mit der Technik der Autostereoskopie nutzen, um für euch zu klären, welche Technologie diesen Effekt eigentlich möglich macht, wie sich das Phänomen 3D im Laufe der Jahrzehnte entwickelt hat und wie es weitergehen wird.
Eins plus Eins = 3D
Augen hat man nicht durch Zufall zwei im Kopf, genauso wenig wie zwei Ohren. Erst durch die zweifache Ausführung werden den entsprechenden Organismen das Navigieren und das Wahrnehmen im Raum ermöglicht. Und die Welt, in der wir leben, ist nunmal ein Raum. Das dürfte für die meisten erst einmal keine schockierende Neuigkeit darstellen, wenn sie nicht von Geburt an audiovisuell beeinträchtigt sind – schließlich verbringt jeder Mensch sein Leben mit dieser Selbstverständlichkeit, dreidimensional sehen und hören zu können. Im normalen Alltag kombiniert unser Gehirn nämlich stets zwei unterschiedliche Bilder zu einem einzigen 3D-Bild mit räumlicher Tiefe. Vollautomatisch. Jedes Auge sieht eine Szenerie nämlich aus einem leicht anderen Blickwinkel und erkennt Dinge, die das andere Auge für sich allein nicht wahrnimmt. Diese banale Information ist die Grundlage dafür, wie sich die Stereoskopie (Gr.: stereos = räumlich, skopeo = das Sehen) im Laufe der Jahrhunderte entwickelt hat.
Menschen hat es schon immer geradezu genervt, dass sie die Welt, in der sie leben, nicht akkurat auf Papier oder an der Wand oder auf der Leinwand festhalten konnten. Sie waren beschränkt auf das ebene Stück, auf dem sie ihre Zeichnungen anfertigen konnten. Deswegen erfanden sie zur Hilfe erst einmal das perspektivische Zeichnen, was schon einen kleinen Fortschritt im Vergleich zu simplen, platten Wandmalereien darstellte. Doch letztendlich wurde auch dadurch nur ein einziges Bild an beide Augen gleichzeitig gesendet, 3D war noch einmal etwas ganz anderes. Deswegen werkeln Menschen parallel seit Jahrtausenden an echtem stereoskopischen 3D. Schon Euklid hatte sich lange vor Christi Geburt Gedanken zu diesem Thema gemacht, doch erst im 19. Jahrhundert kam die Forschung mit konkreten Konzeptionen und Prototypen richtig in Fahrt und flammte dann im Laufe der Geschichte immer wieder auf, mal mehr, mal weniger eindrucksvoll.
Von Flops, Rückschlägen und kurzlebigen Trends
Seinen ersten echten Hochpunkt in der breiten Masse erlebte das 3D-Entertainment Mitte des letzten Jahrhunderts durch die sogenannte Anaglyphentechnik: Die Rot-Grün- oder auch Rot-Cyan-Brillen trieben die Menschen wieder ins Kino, nachdem sie sich zunächst mit ihren heimischen Fernsehern zufrieden gegeben hatten. Und tatsächlich ist das technische 3D-Konzept zwischen damals und heute nicht so viel anders: Im Prinzip lief der gleiche Film zweimal über den Bildschirm, nur aus ganz leicht unterschiedlichen Blickwinkeln zweimal gefilmt. Zwei Blickwinkel für zwei Augen, wie beim ganz normalen Sehen im Alltag. Doch dabei darf das eine Auge nicht das sehen, was das andere auch sieht, sonst gibt es zwei Bilder und damit: Unschärfe. Damit nun das eine Auge nicht die Bilder sieht, die eigentlich für das andere gedacht sind, wurde ein Bild einfach in Rot bzw. Grün eingefärbt und die entsprechende Farbe des Bildes durch das jeweilige Brillenglas herausgefiltert, ehe es das Auge erreichen konnte. Dadurch gab es ein Bild für das linke und eines für das rechte Auge gleichzeitig und damit effektiv einen dreidimensionalen Eindruck. Doch die Brillen waren den Zuschauern schnell mehr als lästig und auf das ewige Farbengewirr mit schlechter Bildqualität machte vielen zu schaffen, sodass sich die Technik nicht durchsetzte, wieder verschwand und erst später vereinzelt wieder in Comics auftauchte.
Lange nach der Hochzeit der Anaglyphentechnik blitzt ein uns allen sehr bekannter Mitspieler wieder mit 3D auf – wobei eigentlich nicht sonderlich viel an dieser Geschichte blitzte: Die Rede ist natürlich vom Virtual Boy, der ersten echten 3D-Konsole und Nintendos einzigem großen Flop. Die ganze Filterthematik umging der Virtual Boy, indem der Spieler sich das klobige Monstrum mit zwei Bildschirmchen einfach direkt vor die Augen führte und sowohl mit dem linken als auch dem rechten Auge ein Bild wahrnahm. So funktionierte zumindest der 3D-Effekt – doch wer sich schon über federleichte Rot-Grün-Brillen im Kino beschwert hatte, fand an dem unhandlichen, halbstationären Unwesen mit der Grafik aus roten Lichtpunkten nicht viel Begehrenswertes. Heute wäre die Technik dank fortgeschrittener LCD-Flachbauweise fast schon wieder so weit, um eine Brille mit zwei Bildschirmen zum 3D-Sehen zu bauen. Probleme sind allerdings das Gewicht und die Stromversorgung, weswegen abzuwarten bleibt, ob irgendein Gedanke des Virtual Boys irgendwann noch einmal zurückkommt.
Heute, im Jahr 2011, arbeitet man in den meisten aktuellen 3D-Darstellungen mit der Polarisation des Lichts. Hierbei machen sich die findigen Ingenieure zunutze, dass Licht als physikalische Welle aufgefasst werden kann, die in unterschiedlichen Ebenen (horizontal oder vertikal) schwingt. In minimalen Abständen werden in diesem Verfahren zwei unterschiedliche Bilder auf die Kinoleinwand (oder auf dem Fernsehbildschirm) projiziert, die erneut die gleiche Szene aus zwei Blickwinkeln zeigen. Die schnelle Abfolge kann das träge menschliche Auge so gar nicht wahrnehmen, dafür ist es zu träge. Damit nun das eine Auge auch wirklich nur das eine Bild aus dem ganz bestimmten Blickwinkel sieht, wird das andere so projiziert, dass die entsprechende Schwingungsebene des Lichts nicht durch das feine Gitter des Brillenglases gelangen kann. Es prallt sozusagen ab. Während das eine Auge also ein Bild sieht, ist das andere verdunkelt und bekommt von diesem Bild nichts mit. Weil das Ganze aber nur Bruchteile einer Sekunde dauert, nimmt das Auge die Dunkelheit nicht wahr und behält sozusagen noch das vorherige Bild im Arbeitsspeicher, um es im Gehirn dann mit dem neuen zu einem 3D-Bild zusammenzusetzen. Das Farbenwirrwarr sind Zuschauer dadurch heutzutage also los, nicht aber die lästigen Brillen. Für Nintendo waren sie bislang das größte 3D-Hindernis, weswegen man sich beim Nintendo 3DS für eine noch recht neue Technologie entschied.
3D ohne Brille
Das obere Display des Handhelds besteht – und hier kommt wieder die magische Zahl – im Prinzip aus zwei Bildschirmen, die streifenweise ineinander liegen. Und auf beiden Bildschirmen läuft der gleiche Film, nur aus zwei Blickwinkeln. Und an dieser Stelle wiederholt sich die bekannte Geschichte von oben. Zwei Bilder, zwei Blickwinkel, zwei Augen: 3D. Der Clou am 3DS ist, dass das Licht der beiden Bildschirme an eine winzige Barriere in der obersten Schicht des Displays kommt, bevor es sich in Richtung Auge auf den Weg macht. Diese Barriere nennt sich Parallaxe. Dadurch wird ein Bild eher nach links und das andere eher nach rechts und damit relativ zielgenau auf das linke und das rechte Auge gelenkt. Eine Brille zum Filtern ist nicht nötig, weil nichts gefiltert wird. Das Licht des einen Bildes erreicht das falsche Auge durch die Ablenkung schließlich gar nicht erst.
Die Konsequenz dieses Prinzips ist der in den letzten Monaten oft zitierte Sweet Spot. Sobald man den Kopf ein wenig zu weit nach links oder nach rechts bewegt, trifft auch das nach links gelenkte Bild das rechte Auge. Das Gesamtbild auf dem Display erscheint daher unscharf, weil mindestens ein Auge beide Bilder gleichzeitig sieht. Das kann beispielsweise auch bei Menschen passieren, die von Geburt an leicht schielen. Und wer nur über Augenlicht auf einem Auge verfügt, kann ohnehin kein 3D sehen. Wie sich dieser Sweet-Spot-Effekt letztendlich in der Praxis bemerkbar machen wird, kann noch kaum einer sagen: Dafür ist das Gerät noch nicht lange genug auf dem Markt. Fakt ist, dass bewegungsintensive Spiele wie AR Games oder Face Raiders schon deutlich die Grenzen beim Zusammenspiel zwischen 3D-Display und Bewegungssensor aufzeigen.
Einige (besonders TV-)Geräte, die sich aber noch in der Prototypenphase befinden, führen daher schon sogenanntes Headtracking durch. Alle Kopfbewegungen werden von einem Sensor registriert und die Ablenkungsrichtung des Lichtes damit entsprechend dynamisch reguliert. Das richtige Bild scheint einem sozusagen also immer direkt in das richtige Auge. Ebenfalls noch nicht marktreif sind Geräte, die nicht zwei, sondern bis zu 64 Bilder versenden, um mehrere Sweet Spots überall im Raum zu kreieren und darüber hinaus einen Hologramm-Eindruck vermitteln, bei dem man durch gezielte Kopfbewegung neue Details wahrnimmt. Verständlich aber, dass darunter auch die Bildqualität leidet. Auf lange Sicht werden die Hersteller zukünftig jedenfalls alles daran setzen, die Brillen zum 3D-Sehen überflüssig zu machen, doch für Fernseher ist diese sogenannte Autostereoskopie, die vor 20 Jahren maßgeblich in Deutschland entwickelt wurde, noch nicht wirklich reif. Und es ist unklar, ob sie es jemals wird oder ob der Forschung noch etwas Neues einfällt. Bis dahin werden sich stationäre Videospiele wohl oder übel auf Polarisationsbrillen verlassen müssen – auch für Nintendo werden sie für die nächste Heimkonsole womöglich doch noch zum Thema.

Mehrere Bilder aus unterschiedlichen Blickwinkeln schnell hintereinander: Ein 3D-Eindruck entsteht.
Für den Nintendo 3DS steht das Display jetzt jedenfalls fest, grundlegende Änderungen an der Technologie, die z.B. den Sweet Spot vergrößern oder ganz abschaffen, sind also nachträglich nicht möglich: Unklar ist allerdings, inwiefern Nintendo noch durch (Software-)Updates am Display drehen kann. Der 3D-Regler am Rand des oberen Bildschirms erlaubt bekanntlich ein Verschieben der Ablenkungsrichtung der Bilder. Ist der Regler ganz heruntergedreht, wird eines der zwei Bilder einfach ausgestellt und es wird automatisch wieder zu 2D, das leichte Zucken dabei ist auch deutlich zu sehen. Nun befindet sich im Inneren des Nintendo 3DS allerdings auch eine Kamera: Wenn man einmal kühn spekulieren möchte, wäre es vielleicht theoretisch möglich, in Zukunft durch Software-Update auch auf dem Nintendo 3DS oben genanntes Head-Tracking zu etablieren, um das 3D-Bild auch bei leichten Bewegungen aufrecht zu erhalten. Voraussetzung dafür wäre, dass die Bilder des Displays auch unabhängig voneinander abgelenkt werden können. Ob das Display dies technisch unterstützt, ist nicht bekannt. Man weiß nur, dass eine symmetrische Veränderung der Ablenkung durch den 3D-Regler möglich ist. Und klar ist auch, dass Headtracking bei Nintendogs+cats bereits Realität ist: Bewegt der Spieler seinen Kopf in Richtung Bildschirm, reagieren die Tierchen.
Bis hierhin also eine grobe Abhandlung hinter der Technologie des Nintendo 3DS, die uns in der kommenden Generation begleiten wird. 3D allein wird Nintendo keine völlig neuen Spielideen ermöglichen, auch weil der Effekt schließlich jederzeit ausgestellt werden kann und weil es viele Leute gibt, die gar kein 3D sehen können. Aber es wird viele Genres noch natürlicher und realistischer über den Bildschirm flimmern lassen. Und damit von der Technologie zurück zum Spiel.
Von Tim Herrmann
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