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Der gamescom-Spiegel - Wie sich die Branche auf der Messe präsentiert
Special von Tim Herrmann (mail) | 23.08.2010

Das Ziel einer Fachmesse ist es sowohl aus Sicht der Veranstalter als auch aus Sicht derjenigen, die sich präsentieren, immer, die momentane Marktsituation einer Branche möglichst allumfassend und gleichzeitig konzentriert widerzuspiegeln. Welche Trends warten in den nächsten Monaten und was herrscht im Moment vor? Die gamescom hat das in diesem Jahr geschafft – doch ein spannendes Spektakel wurde in Köln zumindest auf den aktuellen Konsolen nicht geboten. Lest in unserem Kommentar zur Messe, warum.

Der Nintendo-Faktor
Es gibt eine alte Faustregel auf Nintendos Konsolen: Dritthersteller haben es schwer. Langjährige Fans können sich sicherlich immer noch an GameCube-Zeiten erinnern, als man von Drittherstellern relativ wenig Titel sah und meistens nur von einem großen Nintendo-Blockbuster zum nächsten lechzte. Doch auf Wii schien sich die Situation anders entwickelt zu haben. Die zweiterfolgreichste Nintendo-Konsole aller Zeiten bekam in den letzten Jahren exzellente Spiele von Drittherstellern wie EA, THQ, Ubisoft, SEGA oder Capcom.

Das Lineup reichte von Einsteigertiteln wie Boom Blox über innovative Ideen wie de Blob oder Little King’s Story bis hin zu Hardcore-Spielen wie Dead Space Extraction oder Red Steel 2. Nintendo trug über lange Strecken dazu bei, dass Spiele wie Boom Blox oder de Blob auch ihren Raum bekamen und sich absetzen konnten. Das geschah ganz einfach, indem Nintendo selbst schlicht und ergreifend nichts Eigenes anbot. Das Horrorjahr 2008, in dem Nintendo als große Wintertitel nur Wii Music und Animal Crossing in die Regale stellte, ließ zum Beispiel viel Platz für die Third Partys. Doch das Problem dabei waren stets die Verkaufszahlen: Kaum ein Dritthersteller brachte es auf Wii zu echten Erfolgen oder wurde nach einem Hit mit einem Totalflop wieder enttäuscht.

2010 ist Nintendo nun aber wieder so stark wie selten zuvor – und das spiegelte sich auch auf der gamescom wider: Nintendos Stand war vollgepackt mit tollen Spielen und dementsprechend auch mit Besuchern, die Warteschlangen vor The Legend of Zelda – Skyward Sword und dem schon bald erscheinenden Metroid – Other M nahmen fast E3-ähnliche Zustände an, mit Donkey Kong und Kirby hat man noch mehr große Titel für die langjährigen Spieler, während man mit Wii Party auch etwas für die neue Zielgruppe bietet. Vergessen darf man dabei auch nicht, dass mit Super Mario Galaxy 2 eines der besten Spiele der Wii-Ära in diesem Jahr bereits erschienen ist. Und gleichzeitig geht die Faustregel von oben wieder auf: Ist Nintendo stark, sind die Dritthersteller schwach. Und wie.



Einmal ganz davon abgesehen, dass SEGA der Messe ganz fernblieb und Titel wie Conduit 2 gar nicht zeigen konnte und dass Capcom ebenfalls nicht da war (aber für Wii auch nur Sengoku Basara 3 gehabt hätte), ignorierten auch die anderen großen Publisher Nintendos Konsole fast komplett. THQ präsentierte ausschließlich Shooter für PS3 und XBOX360 und Wrestling-Updates hinter USK-18-Wänden und erwähnte de Blob 2 mit keinem Wort, EA verzichtete auf Wii-Versionen von z.B. FIFA 11 und Need For Speed, während Ubisoft die Rabbids mit nur drei Minispielchen auflaufen ließ und ansonsten voll auf Just Dance in all seinen Facetten und Variationen setzte.

2010 zeigt sich, welche wirtschaftlichen Entscheidungen 2008 und 2009 in den Entwicklerstudios und bei den großen Publishern über zukünftige Projekte getroffen wurden. Diese damals begonnenen Projekte sind jetzt nämlich Teil des aktuellen Lineups. Entscheidungen waren damals stark beeinflusst von Misserfolgen bei den Verkaufszahlen auf Wii, geprägt von einer strengen Wirtschaftskrise und einer damit einhergehenden Mischung aus Mutlosigkeit, Vorsicht und Konservatismus bei den neuesten Projekten. Bei Nintendo unterdessen klingelte zur gleichen Zeit vor zwei Jahren laut der Wecker. Man merkte, dass Titel wie Wii Music keine Selbstläufer sind und dass man das eigene Lineup möglichst schnell stärken muss. Das ist geschehen. Und das respektable Ergebnis präsentiert man stolz auf der gamescom.

Bewegungssteuerung in den Kinderschuhen
Für Wii schien es also fast so, als wäre Nintendo der letzte Publisher, der noch die Fahne für die Konsole hochhält und sie mit einem wirklich breiten Lineup an Spielen unterstützt. Dem Nintendo DS ging es übrigens ähnlich, wenn es hier nicht sogar noch schlimmer war. Doch von der Schwäche von Nintendos Plattformen kann die Konkurrenz im Moment nicht profitieren. Denn sie ist ganz mit sich selbst beschäftigt. Mit sich selbst – und ihren eigenen Visionen der Bewegungssteuerung.

Sonys überproportionierter mehrteiliger Messestand glitzerte nur so vor blinkenden Move-Kügelchen und den dazugehörigen Spielen. Und dabei stellte sich heraus, dass die Technologie des neuen Controllers zwar auf dem neuesten Stand ist, die Entwickler aber wohl noch einmal ganz bei 0 anfangen und nicht etwa dort ansetzen, wo Nintendo derzeit schon steht. Die meisten Spiele sind genau das, was man 2006 zum Wii-Launch gesehen hat und was sich über die Jahre hinweg selbst auf Nintendos Konsole zahllose Male wiederholt hat: Minispielsammlungen, simpelste Schienen-Shooter und Sportspiele. Die traditionelle Klientel sprach man am Rande mit den üblichen „Man spielt einen Mann, der schießt“-Spielen an, die sich hinter dem Sichtschutz verbargen, insgesamt aber weitaus weniger Raum einnahmen als z.B. im letzten Jahr.



Microsoft befand sich mit Kinect genau neben Nintendo und setzte voll auf sein neues Bewegungssystem. In mehreren Boxen hampelten die Leute umher und bewiesen, dass Kinect in vielen Fällen noch nicht richtig funktioniert oder genauso, wie die Wii-Controller zu ihrem Start. In Rares Sportspielsammlung werden die vor dem Bildschirm ausgeführten Bewegungen nicht im Spiel 1:1 umgesetzt, sondern dienen lediglich als Ersatz für einen Knopfdruck. Es interessiert die Software nicht, in welche Richtung euer Arm beim Speerwurf schwingt oder wie schnell eure Beine wirklich auf- und abtippeln. Es geht nur darum, dass sie es tun. Und dieses Kommando wird erkannt und in einer vorgefertigten Animation umgesetzt. Oder es wird weder erkannt noch umgesetzt – wie bei der Demo zu Harry Potter auf der XBOX360…

TANZEN!
Der vielleicht größte momentane Trend in der Branche ist wohl das Tanzspiel. Egal wo man auf der Messe hinsah: Überall wackelten irgendwelche Hostessen oder Freiwillige vor den Bildschirmen oder auf der Bühne vor sich hin und präsentierten die neue Bewegungssteuerung. Dass weder Just Dance auf Wii noch die Tanzspiele für Move und Kinect wirklich alle Bewegungen des Körpers erkennen und auswerten und allein aufgrund der groben Bewegungsmuster willkürlich Punkte verteilen können, interessiert dabei eigentlich niemanden. Es geht lediglich darum, dass man überhaupt tanzt und die Bewegungssensoren der Systeme in irgendeiner Form anspricht. Wer tanzen will, braucht dazu aber eigentlich kein Videospiel, das alibihaft im Hintergrund irgendwelche Bewegungskommandos in Punkte umrechnet, sondern im Prinzip nur sich und ein wenig Musik. Das funktioniert dann genauso gut. Trotzdem verkaufen sich Tanzspiele wie Just Dance mit niedrigstem Budget derzeit millionenfach - wer verdenkt es den Entwicklern also, dass sie auf den Zug schnell aufspringen wollen?



Mein persönliches Fazit der Messe gestaltet sich also eher pessimistisch: Die Branche befindet sich derzeit in einer schwierigen Phase. Das betrifft nicht Nintendo als Entwickler. Nintendo ist wieder dort, wo es hingehört. Doch Nintendo allein kann keine ganze Branche führen. Es betrifft das Gesamtbild der drei aktuellen Heimkonsolen (der PC-Sektor gestaltet sich übrigens anders): Sony und Microsoft werden jetzt alles daran setzen, Nintendo Marktanteile auf dem Gebiet des Casual-Sektors abzuluchsen. Und es wäre keine große Überraschung, wenn bei diesem eifrigen Unterfangen die traditionellen Fans, wie damals auch auf Wii, erst einmal auf der Strecke bleiben. PlayStation- und XBOX-Fans werden schon im Moment nur noch mit dem Nötigsten abgespeist, bekommen zweite, dritte und vierte Nachfolger zu Topserien und vor allen Dingen zu den bekannten Ego-Shootern. Die First Partys sind momentan mehr mit der Bewegungssteuerung beschäftigt und die Dritthersteller fürchten um ihre Gewinne, wenn sie sich an Kreativprojekte wagen. Seit der Wirtschaftskrise, die einige Arbeitsplätze und Studios um die Ecke gebracht hat, setzen sie auf das Altbewährte, das schnelles Geld in die Kassen spült. Auf neue Ideen wartete man fast vergeblich auf der diesjährigen Messe, während Nintendo seinen Fans wieder ein Zuhause bietet.

Von Tim Herrmann



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