Special von Tim Herrmann (mail) | 08.12.2009
Nach dem eher schwachen Jahr 2008, in dem Nintendo höchstens in der ersten Jahreshälfte mit Titeln wie Wii Fit und Mario Kart glänzen konnte, war für 2009 Zwangsoptimismus bei den Fans angesagt. Nintendos Herbstkonferenz im Oktober 2008 hatte die Enttäuschung über das weithin lahme Weihnachtslineup (Stichwort: Wii Music, Animal Crossing) mit Hoffnungen auf ein 2009 überdeckt, das als stärkstes Jahr von Wii in die Geschichte eingehen sollte. Am heutigen 08. Dezember 2009 feiert die Wii-Konsole nun schon ihren dritten Geburtstag und wir setzen unsere Serie "Wii alles begann" mit Episode IV fort, die unter dem augenzwinkernden Subtitel "Eine neue Hoffnung" stehen könnte. Die Konsolengeneration ist jetzt in vollem Gange. Entschuldigungen wie "die Entwickler müssen sich erst noch an die neue Plattform gewöhnen", gibt es nicht mehr. Wir nehmen Stellung zur aktuellen Lage der Nation bzw. der Konsole, werfen einen Blick voraus auf das, was da kommt, und handeln damit auch gleich den Rückblick auf dieses spielerische Jahr 2009 ab.
Wie das Jahr 2008 geendet hatte, begann auch 2009. Ohne große Spiele: Besonders Nintendo wusste anscheinend weder ein noch aus und die Release-Liste für die erste Jahreshälfte 2009 sprach ganze Bände: Die einzigen Titel, die man in den ersten fünf Monaten von Nintendo fand, trugen das Label "NewPlayControl" im Titel. So gut, wie Pikmin, Pikmin 2, Mario Power Tennis und Donkey Kong - Jungle Beat auch sein mochten: Ersatz für neue Software konnten sie für ein halbes Jahr nicht sein. Erst später zeigte Nintendo mit der Metroid Prime Trilogy, wie ein solches Neuauflagenkonzept wirklich zu funktionieren hatte: Drei der besten Spiele aller Zeiten zusammen auf einer Disc zum Preis von nur einem aktuellen Spiel. Genial.
Nintendo hielt in der ersten Jahreshälfte also schweigsam den Mund und veröffentlichte eine Handvoll alter GameCube-Spiele, bis mit PunchOut!! im Mai und Another Code: R im Juni die ersten Exklusiventwicklungen erschienen. Unterdessen bemühten sich die Dritthersteller, die Konsole am Leben zu halten und es gelang ihnen auch nadelstichartig mit einigen sehr guten Titeln: Little King's Story von Marvelous beispielsweise war ein süchtig machendes Spielprinzip voller Kreativität und mit riesigem Umfang. Anno - Erschaffe eine neue Welt von Ubisoft war ein Sinnbild dafür, wie man ein Franchise auf eine neue Konsole bringt: mit einer Exklusiventwicklung. Und Boom Blox - Smash Party hat das Gameplay seines innovativen Vorgängers mit Online-Funktionen und mehr Umfang erweitert, womit es sich eigentlich noch mehr Aufmerksamkeit verdient hätte.
Allerdings waren alle diese exzellenten Spiele nie richtige Verkaufsknüller. Eine ausgewählte Schar an informierten Spielern folgte den Review-Empfehlungen, aber den meisten war das alles "zu bunt". Und damit lässt sich sehr gut auch einer der Kernkonflikte dieser Wii-Generation darstellen: gute Software verkauft sich nicht automatisch gut. Während ein Großteil der Spieler auf den HD-Konsolen immer gut durch Magazine, Tests und sonstige Meinungen informiert ist, besteht das Wii-Publikum auch aus Menschen, die Spiele aufgrund einer schönen Verpackung und nicht wegen des Inhaltes kaufen und sich nicht im Voraus informieren. Viele Publisher konnten oder wollten dies noch nicht realisieren: Man braucht Marketing, um Titel auf Wii zu verkaufen. Marvelous, einer der stärksten Publisher auf Nintendos Konsole, hat mit drei von vier Titeln, die er in diesem Jahr weltweit veröffentlicht hat, einen Verlust eingefahren.

ElectronicArts musste dieses Jahr Mitarbeiter ohne Ende entlassen - auch weil sich teure Exklusiventwicklungen wie Dead Space Extraction nur ein paar tausend Mal an den Mann bringen konnten (und in dem Fall muss der "Mann" wohl wörtlich verstanden werden). Gerade in Zeiten, in denen auch Videospielunternehmen zunehmend mit der Wirtschaftskrise zu kämpfen haben, kommt es äußerst ungelegen, wenn sie sich in ihrem Wii-Engagement durch schlechte Verkaufszahlen und Verluste nicht bestätigt sehen und es dann entweder gleich ganz aufgeben oder auf billige Minispielsammlungen umschichten. Besonders getroffene Publisher wie THQ fallen dadurch wieder zurück in alte Tage - von frischen Ideen wie Deadly Creatures oder de Blob war 2009 nichts mehr zu sehen, stattdessen einige wenige miese Lizenzumsetzungen.
Unterdessen machen viele auch Nintendo für solche Missstände mitverantwortlich: EAs Chief Executing Officer John Riccitiello beispielsweise forderte den Konsolenhersteller dazu auf, besonders seine unerfahrenen Kunden auf andere Software aufmerksam zu machen, die Konsole mit eigenen Titeln interessant zu halten und dadurch auch den Drittherstellern den Rücken zu stärken. Doch was Nintendo stattdessen in der ersten Jahreshälfte gemacht hat, haben wir ja schon geklärt.
Ein Highlight dagegen war die diesjährige E3, die nach zwei Jahren Auszeit endlich wieder in alter Größe zurück kam und sich vom lächerlichen "Business Summit" getrennt hatte. Hier trumpften alle Publisher ordentlich auf (auch wenn traditionell danach erst einmal gemeckert wurde). Nintendo widmete seinen Auftritt zwar nicht nur den alten Zielgruppen, sondern stellte auch Titel wie Style Boutique in den Vordergrund, überraschte und überzeugte alle Zuschauer dann aber doch noch mit einer Reihe an Hochkarätern: Zusammen mit Team Ninja entwickelt Nintendo ein neues Metroid für Wii mit Namen Metroid - Other M. In 2D, 3D und mit viel Action soll dieser Titel eine tiefgreifende Geschichte um Samus Aran erzählen und 2010 erscheinen.
Mario unterdessen war der große Star der E3: Er kam nicht nur Ende des Jahres in New Super Mario Bros. Wii erstmals nach 19 Jahren wieder zurück in 2D auf die Heimkonsole, sondern wird im nächsten Jahr mit Super Mario Galaxy 2 erstmals in seiner Geschichte zum zweiten Mal in die dritte Dimension auf einer Konsole hüpfen. Mit der Präsentation eines Artworks zum neuen The Legend of Zelda für Wii hinter verschlossenen Türen rundete Nintendo seinen Auftritt ab. Mittlerweile wissen wir, dass Link in seinem neuen Abenteuer mit Wii MotionPlus kämpfen wird und dass Miyamoto, Aonouma und Co. die Spielstruktur und den traditionellen Zelda-Ablauf verändert haben. Nach den paar E3-Tagen hatten Nintendo-Fans also wieder das, was ihnen seit Mitte 2008 fehlte: drei Große. Nachdem das konsolenübergreifend heiß erwartete Trio aus Metroid Prime 3 - Corruption, Super Mario Galaxy und Super Smash Bros. Brawl im Juli 2008 abgearbeitet war, blickten Spieler nur noch auf gähnende Leere und ein paar Lückenfüller, die aber keinen wirklichen Hochkaräterstatus innehatten. Jetzt können sie sich wieder auf Metroid - Other M, Super Mario Galaxy 2 und The Legend of Zelda Wii freuen. Zumindest die ersten beiden sollen im nächsten Jahr erscheinen. Zelda könnte mindestens auf der E3 2010 präsentiert werden.
Den Rest des Sommers verbrachte Nintendo mit einer seiner größten Neuerscheinungen dieses Jahres: Wii Sports Resort. Während die neue Minispielsammlung zwar gut, aber spielerisch keine Offenbarung war, sorgte vor allem Wii MotionPlus für Aufsehen, das schon einige Monate zuvor im Bundle mit Drittherstellersoftware erschienen war und erstmals 1:1-Steuerung ermöglichte. Aber dann endet die Geschichte des neuen Sensors auch schon wieder. Denn neben Wii Sports Resort ist derzeit nur ein anderer Exklusivtitel für das Zubehör bekannt, Red Steel 2, das erst im nächsten Jahr erscheinen wird.
Einige kleinere Titel nutzten Wii MotionPlus ebenfalls, allerdings sind es noch viel zu wenige Publisher, die an der nächsten Generation der Bewegungssteuerung teilnehmen wollen. Dass Nintendo es ernst meint und Wii MotionPlus schnellstmöglich zum Standard machen will, zeigt sich an vielen Faktoren: Zunächst der Fakt, dass das Zubehör mit Drittherstellersoftware im Bundle verkauft wurde, dann die Tatsache, dass es seit November auch ein schwarzes Wii-Paket gibt, in dem Wii MotionPlus schon integriert ist und schlussendlich auch noch die langsame Umstellung von Standalone-Controllern auf Pakete mit Wii MotionPlus: Die schwarze Wii-Remote wird nur mit dem Zusatzsensor verkauft.
Fest steht: Entwickler müssen sofort auf den Zug der 1:1-Steuerung aufspringen, sonst läuft Nintendo die Zeit davon. Project Natal von Microsoft, die Sensationsankündigung der E3, schlägt schon jetzt hohe Wellen und verfolgt mit seinen Kameras und Mikrofonen einen ganz neuen Ansatz der Bewegungssteuerung, der Nintendo durchaus gefährlich werden und einige Marktanteile abluchsen könnte, besonders bei den neuen Zielgruppen. Deswegen ist es dem Marktführer ein Anliegen, die Zukunft, die Project Natal und Microsoft für sich beanspruchen, jetzt schon mit Wii MotionPlus anzubieten. Doch ohne Software geht das nicht. Zelda für Wii mit 1:1-Steuerung wird frühestens Ende 2010 erscheinen, Zangeki no Reginleiv, ein Fantasy-Action-Spiel, ist bislang nur für Japan angekündigt. Viele Hoffnungen liegen jetzt also auf Ubisofts Red Steel 2, das im 1. Quartal 2010 auf den Markt kommen soll. Sein Schicksal in den Regalen wird maßgeblich mitbestimmen, wie es mit Wii weitergehen wird.
Das nächste Jahr wird also ein sehr wichtiges für die Videospielindustrie: Nintendo und Wii haben in diesem Jahr über weite Teile in Hinsicht auf die Verkaufszahlen geschwächelt, auch wenn die zweite Jahreshälfte und besonders die E3 im Sommer deutlich besser waren als noch 2008. Nintendo musste den Preis der Hardware erstmals senken, die PlayStation 3 holt in Japan stetig auf. Und obwohl Wii vor der XBOX360 und der PlayStation 3 jeweils noch einen großen Vorsprung hat, sind weltweit immer noch insgesamt mehr HD-Konsolen (also PS3 und XBOX360 zusammen) installiert als Wii-Systeme. Nintendo muss es im nächsten Jahr schaffen, dass mehr Entwickler gute Spiele für Wii und speziell für Wii MotionPlus anbieten, und damit eine Zukunft abseits des wilden Schüttelns in billigen Minispielsammlungen aufbauen. Denn Nintendo darf aus eigener Sicht nicht zulassen, dass Microsoft die überlegene Technik der XBOX360 (oder einem noch stärkeren Update-Modell) zusammen mit Natals Image der futuristischen Interaktion mit Videospielen verbindet und sich damit Nintendos Philosophie selbst auf die Fahnen schreibt.
Aber immerhin hat Nintendo für das nächste Jahr vielleicht mehr auf dem Plan als jemals zuvor: Super Mario Galaxy 2 soll sowohl neue als auch alte Spieler ansprechen, Metroid - Other M besonders die alten Fans zufrieden stellen und Wii Vitality mit dem Vitality Sensor à la Wii Fit ein neues Lifestyle-Erlebnis bieten. Speziell Nintendo hat im nächsten Jahr also viel vor: Große Software für alle Spielergruppen auf den Markt bringen, neue Technologien etablieren, Dritthersteller tatkräftig unterstützen und auf irgendeine Weise neue Konkurrenz reagieren, die sich mit Project Natal langsam erhebt. Wir sind gespannt...
Von Tim Herrmann
|