Special von Andreas Held (mail) | 22.05.2009
Dass sich die Videospieleindustrie und die Art der Spiele, die angeboten werden, immer stärker verändert, ist seit Jahren kein Geheimnis mehr. Nicht nur Nintendo setzt auf Casual-Games; auch Microsoft und Sony setzen mit Titeln wie Scene It und Lips bzw. Buzz und Singstar verstärkt auf Non-Gamer. Ungeachtet dessen befinden sich jedoch auch klassische Videospielkonzepte und angebliche Core-Genres wie Ego-Shooter oder Rennspiele in einem tiefgreifenden Wandel, ohne dass sich jemand darüber beschwert und die Sache wirklich anspricht. Tatsache ist jedoch: Wer alleine vor der Konsole sitzen will und keine Internetanbidung verwendet, hatte es noch vor einer Konsolengeneration wesentlich besser.
Multiplayer und das Internet
Mehrspielermodi sind so alt wie Videospiele selbst, denn schon in Pong konnten zwei Spieler einer der wohl langweiligsten Freizeitaktivitäten nachgehen, die die 70er Jahre herzugeben hatten. Auch die erste Heimkonsole aller Zeiten, der Magnavox Odyssey, war auf zwei Spieler ausgelegt und bot überhaupt keine Möglichkeiten für Solisten. Luigi wurde wahrscheinlich nur für Mehrspieler-Sessions überhaupt erschaffen und entsprechend dazu bekam Sonic seinen Sidekick Tails spendiert. Der wirkliche Startschuss für Multiplayer, wie wir ihn heute kennen, fiel jedoch wahrscheinlich 1995 mit Warcraft II, welches eines der ersten Spiele mit Online-Multiplayer war. Ein Jahr später folgte das ebenfalls von Blizzard entwickelte Diablo, noch ein Jahr später mit Ultima Online eines der ersten MMORPGs. Ein weiterer Grundstein wurde 1999 mit Unreal Tournament und Quake III: Arena gelegt, welche die ersten Ego-Shooter waren, die sich ausschließlich auf Kämpfe zwischen einer überschaubaren Kämpferzahl spezialisierten - für Einzelspieler aber nach wenigen Stunden uninteressant wurden. Kurz nach der Jahrtausendwende wurde dann mit Counter-Strike und Diablo II der Online-Multiplayer offiziell zum Massenphänomen.

Vollversammlung in Ultima Online
Zwei Jahre, nachdem die ersten Koreaner bereits alle Starcraft-Hotkeys auswendig kannten, kamen auch die beiden ersten Online-Titel für Konsolen auf den Markt: Planet Ring und Toy Racer - beides zaghafte Versuche von Sega, auf der mit Online-Kapazitäten ausgestatteten Dreamcast Online-Spiele zu präsentieren, nachdem bereits 1999 in Chu Chu Rocket zumindest Levels hoch- und woanders wieder heruntergeladen werden konnten. Glücklicherweise hatte SEGA ein wesentlich ausgereifteres Konzept in der Hinterhand und veröffentlichte einige Monate später Phantasy Star Online, welches eine kleine, aber treue Fangemeinde um sich sammeln konnte. Trotzdem konnten sich zunächst weder die Dreamcast noch Online-Gaming auf Konsolen durchsetzen, während zeitgleich World of Warcraft auf dem PC das erste Videospiel wurde, nach dem eine Krankheit benannt werden könnte. Auch auf der PS2 und dem Gamecube wurde das Online-Konzept nur angekratzt, während Microsoft mit Xbox Live ernsthaftere Versuche unternahm, die aber an der damals noch zu geringen Hardwarebasis scheiterten.
Erst durch die Xbox 360 konnte sich ein Online-Konzept auch für Konsolen durchsetzen. Wer sich Ende 2005 Project Gotham Racing 3 zulegte, fand immer menschliche Gegner und konnte sich auf Online-Ranglisten schon wenige Monate nach dem Release mit über 100.000 anderen Spielern vergleichen. Heute sind Online-Modi auch aus den meisten Konsolentiteln nicht mehr wegzudenken, wobei die Wii in dieser Entwicklung ganz klar hinterherhinkt. Die Online-Modi in Titeln wie Mario Kart Wii oder Animal Crossing: Let's Go to the City sowie Konzepte wie Wii Speak bieten insgesamt gesehen nichts Neues, sondern stellen eher ein versuchtes Aufholen zur Konkurrenz dar. Dafür ist Nintendo momentan mit Sicherheit die größte Plattform für lokale Multiplayer-Partien: Mario Strikers Charged und Super Smash Bros. Brawl sorgen für gemeinsame Spieleabende von Core-Gamern, während die Eltern im Wohnzimmer Wii Sports oder 42 Spieleklassiker zocken.

Ein typischer Wii-TV-Spot
Den Grundstein für eine ganz andere Form von Multiplayer legte derweil Secret of Mana, welches darauf ausgelegt war, von drei Spielern kooperativ gespielt zu werden. Während kooperative Spielmodi lange Zeit nur Beiwerk waren, erscheinen in letzter Zeit mit Titeln wie Final Fantasy: Crystal Chronicles, Resident Evil 5, Monster Hunter oder Dynasty Warriors: Strikeforce immer mehr Titel, die darauf ausgelegt sind, von zwei bis vier Spielern gemeinsam gegen die KI gespielt zu werden - entweder im Splitscreen, in lokalen Netzwerken oder eben online.
Multiplayer damals und Multiplayer heute
Während es Multiplayer-Modi, wie gesagt, schon seit dem Anbeginn der Videospiele gibt, verändert sich der Stellenwert solcher Modi zusehends. Viele Titel konzentrierten sich bisher auf ihre Geschichte oder Highscore-Jagden und forderten Solisten mit einem hohen Schwierigkeitsgrad heraus, während Mehrspielergefechte oft eher Beiwerk waren und im unpraktischen Splitscreen ausgetragen werden mussten. Obwohl Secret of Mana perfekt zu dritt spielbar war, konnten Einzelgänger problemlos auch auf sich allein gestellt durch die Spielwelt ziehen und bekamen KI-Begleiter an die Seite gestellt, die zwar sehr passiv waren, dafür aber auch Ärger aus dem Weg gingen und jederzeit kommandiert werden konnten. Selbst im ersten Release von World of Warcraft konnte man dutzende Stunden damit verbringen, die Welt zu erforschen und Quests für NPCs zu erledigen, ohne jemals mit einem menschlichen Mitspieler zu sprechen - Dungeons, die große Gruppen erfordern, waren damals noch in der klaren Minderheit. Dank lokaler und internationaler Netzwerke ist der größte Kritikpunkt, der erwähnte Splitscreen, jedoch weitestgehend Geschichte und heute ermöglicht es praktisch jeder Titel irgendwie, auf getrennten Bildschirmen gegeneinander oder miteinander zu spielen. Dank dem Internet können außerdem auch Außenseiter menschliche Mitspieler finden, die sie im realen Leben nicht hätten. Die Hauptgründe für die immer prominenter werdenden Multiplayer-Modi sind aber wahrscheinlich die steigenden Produktionskosten: Grafikblender wie Gears of War oder Call of Duty 4 wären in ihrer Entwicklung viel zu teuer, wenn hier genug Inhalt für eine zwanzigstündige oder noch längere Singleplayer-Kampagne erstellt werden müsste. Multiplayer-Maps sind dagegen viel kompakter und können wiederholt eingesetzt werden, ohne dass gleich die halbe Fachpresse "Backtracking" schreit.
Ist doch toll.... oder?
Auf dem Papier klingt das natürlich alles prima und gerade Leute, die oft mit Freunden ihre Spielzeit verbringen, profitieren von dieser Entwicklung. Besonders das Spielen mit Freunden an getrennten Bildschirmen ist auch definitiv eine Bereicherung, wenn virtuelle Rennfahrer endlich ohne den nervigen Splitscreen gegeneinander zur Ziellinie eilen können oder gemeinsam mit einem Arbeitskollegen riesige Dinosaurier erlegt werden. Menschliche Gegner ersetzen künstliche Intelligenzen, die ihren Namen eigentlich gar nicht verdienen, sondern einer vorgegebenen Linie folgen und keine sinnvollen Entscheidungen treffen können. So weit, so gut.
Ein Problem wird das erst dann, wenn Singleplayer-Modi zu regelrechtem Beiwerk verkommen. Während früher ein Starfox Adventures für "lediglich zwanzig Stunden Spielzeit" kritisiert wurde, ist es heute keine Seltenheit, dass der Abspann bereits nach vier bis sechs Stunden über den Bildschirm flimmert. Wer dann wenigstens etwas für sein Geld haben will, muss online spielen. Bei anderen Titeln wird Solisten die Spielerfahrung regelrecht madig gemacht: In Rock Band ist der zentrale Spielmodus für Einzelspieler gar nicht erst zugänglich, obwohl dies technisch kein Problem gewesen wäre (ein Missstand, der im zweiten Teil zum Glück behoben wurde). Wer Dynasty Warriors: Strikeforce alleine spielt, wird im weiteren Spielverlauf von in Gruppen auftretenden Gegnern zusammengeschlagen, die darauf ausgelegt sind, selbst Verbänden von vier menschlichen Spielern Kopfschmerzen bereiten zu können.

Er hätte menschliche Begleiter gebraucht....
Auch in Monster Hunter freuen sich Gruppen von Raptoren immer wieder über wandelnde Zwischenmahlzeiten, die alleine eine Gildenquest annehmen - löblicherweise stellt Capcom hier jedoch einen Großteil der Quests in abgespeckter Form auch für Solisten zur Verfügung, ein Konzept, welches sich in Monster Hunter 3 hoffentlich fortsetzen wird. Und während Sheeva in Resident Evil 5 zwar nicht gerade unzurechnungsfähig ist, wenn sie von der KI gesteuert wird, steigert sie das Frustpotential immens, wenn sie den Spielverlauf eher behindert und einen Game Over-Screen provoziert, der mit einem menschlichen Partner nicht aufgetreten wäre. Ein weiteres Beispiel ist Little Big Planet: Hier wird auf der Disk nur ein eher kurzes Spielerlebnis bereitgestellt, das im Werkzustand nicht begeistern kann. Stattdessen verlässt man sich darauf, dass Spieler eigene Levels erstellen und diese online bereitstellen. Guitar Hero: World Tour und Super Smash Bros. Brawl bieten auch auf der weniger auf ihre Online-Fähigkeiten fixierten Wii die Möglichkeit, Inhalte von anderen Nutzern herunterzuladen und auszuprobieren, konzentrieren sich jedoch nicht darauf.
Nintendo konzentriert sich derweil schon seit längerem auf lokale Multiplayer-Sessions: Mario Party war für Einzelgänger schon immer völlig uninteressant und Konzepte wie Wii Sports oder 42 Spieleklassiker bieten zwar Solo-Modi an - diese sind jedoch herzlich öde. Auch viele Titel von Drittherstellern setzen auf den Partyspiel-Aspekt: Egal, ob Massenware wie die Kirmesparty von UbiSoft, halbwegs gut umgesetzte Titel wie Samba de Amigo oder durchdachte Konzepte wie Dokapon Kingdom. Auch Titel wie Wii Fit, Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging oder gar Super Mario 64 DS, die auf den ersten Blick für einzelne Personen ausgelegt scheinen, bieten Minigames für mehrere Spieler und die fest integrierte Möglichkeit, seine Ergebnisse mit denen von Familienmitgliedern zu vergleichen.
Vor einem ganz anderen Problem stehen übrigens diejenigen, die im realen Leben keine Videospieler kennen und deshalb online gegen Unbekannte antreten müssen. Das Ganze wäre wahrscheinlich wesentlich angenehmer, wenn die Spieler, die man online trifft, vernünftige Spielpartner wären, was sie aber in 80 Prozent der Fälle eben nicht sind. Nicht selten ist ein Spieler ein gefühlt zehnjähriger Kleingeist, der auf halben Weg seine Konsole ausschaltet, falls eine Niederlage absehbar ist. Eine nicht geringe Zahl an Spielern hat es sich dagegen zur Aufgabe gemacht, anderen das Spiel kaputt zu machen, indem sie beispielsweise auf der Startlinie umdrehen und dann frontal in andere Autos hereinkrachen. Wiederum andere cheaten ganz einfach und machen dadurch das Spielerlebnis zunichte.

Unredlich verdiente Zeiten auf dem Mario Kart Wii-Leaderboard
Prognose
Trotz all dieser Kritikpunkte sind Multiplayer-Titel erfolgreich und werden immer erfolgreicher. Fast alle Titel, die die Verkaufscharts dominieren, bieten für Einzelspieler ein deutlich schlechteres und kürzeres Spielerlebnis als für diejenigen, die es online oder zumindest mit Freunden spielen wollen. Titel wie Persona 4 oder Little King's Story, die darauf ausgelegt sind, alleine vor der Konsole oder dem PC sitzende Spieler dutzende Stunden lang zu beschäftigen, werden immer mehr zu Nischenprodukten - Fallout 3 kämpfte im Weihnachtsgeschäft 2008 quasi alleine auf verlorenem Posten. Selbst etablierte Franchises bewegen sich eine nach der anderen vom Fokus auf Singleplayer-Modi weg: Guitar Hero World Tour, Lost Planet 2, Resident Evil 5 und Dynasty Warriors: Strikeforce stammen aus Serien, die sich bisher an Solisten richteten und nun ihren Fokus klar verlagert haben. Eine Rückentwicklung findet dagegen fast nirgendwo statt. Besonders das Argument der Entwicklungskosten wird dafür sorgen, dass immer mehr Entwickler darauf verzichten werden, KI-Gegnern eher schlecht als recht beizubringen, wie sie mit ihrer komplexen Physik-Engine umzugehen haben. Auch Casual-Titel wie Scene It oder Wii Sports setzen ganz klar auf mehrere menschliche Spieler. Ob man diese Entwicklung nun gut oder schlecht findet, bleibt jedem selbst überlassen. Gute Argumente haben beide Seiten.
Von Andreas Held
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