Special von Tim Herrmann (mail) | 18.04.2009
Wie groß war die Euphorie nach der Tokyo Game Show 2005, als Satoru Iwata den Wii-Controller das allererste Mal präsentierte und stolz schwärmte, was die kleine Fernbedienung alles könne: Er redete von Pointern, von Beschleunigungs- und Neigesensoren, von korrekter Erkennung der Sensoren im Raum - Entwickler aus allen Ecken und Enden der Welt waren hellauf begeistert und schienen zu strotzen vor kreativen Einfällen für Wii. Angelspiele, Point & Click Adventures, Rätsel, Sportspiele und Shooter; all diese Genres sollten auf Wii einen neuen Frühling erleben dürfen oder wenigstens stark vertreten sein. Der damalige Konsolenname „Revolution“ schien Programm zu werden. Und tatsächlich war es wohl für jeden Wii-Spieler ein ganz besonderer Moment, als das erste Mal Wii Sports durchs Laufwerk surrte und man mit dem Arm ausholte, um einen kleinen Ball mit den eigenen Bewegungen über das Tennisfeld zu schlagen. Der weitere Verlauf dieser Euphoriewelle ist ja bekannt.
Das erste Mal Wii Sports, das erste Mal Bewegungssteuerung. Für wohl jeden Wii-Spieler etwas Besonderes.
Heute schreiben wir das Jahr 2009 und die Euphorie hat sich bei den erfahrenen Spielern – natürlich – wieder gelegt. Bewegungssteuerung ist zum Alltag auf Nintendos Konsole geworden und für manche vom Segen zum Fluch herab gestiegen. Es gibt bei weitem nicht nur ein (meist auch ingesamt schlechtes) Spiel und eine einfallslose Minispielsammlung, die auf unermüdliches Controllerschütteln, völlig sinnlose Beanspruchung der Beschleunigungssensoren und atmosphärelose Fuchteleien setzt. Viel schlimmer noch ist die Tatsache, dass es zahlreiche Titel gibt, die viel mit der Bewegungssteuerung versuchen, aber letztendlich doch nur Gefuchtel erreichen. Beispiele sind Wii Music, Star Wars (sowohl The Force Unleashed als auch The Clone Wars), Mario Power Tennis oder auch Schwertkämpfe bei Zelda – Twilight Princess und Red Steel – das Spiel erkennt höchstens Bewegungsrichtungen, setzt die tatsächlichen Bewegungen aber nur „irgendwie“ um. Und bei vielen der aufgezählten Titel kann man das nicht einmal den Entwicklern ankreiden, sondern muss die Schuld der Wii-Remote selbst zuschieben. Denn trotz allen Schwelgens in den schönen ersten Erinnerungen muss man sagen: Was Nintendo damals auf der TGS 2005 versprochen hat, wurde längst nicht ganz eingehalten.
Momentan läuft es mit der Wii-Remote meistens so: eine Bewegung ist ein Knopfdruck. Und ein Knopfdruck war und ist ein Kommando ans Spiel. Wo man auf dem GameCube den A-Knopf gedrückt hat, um zum Beispiel bei Mario Power Tennis einen Ball zu schlagen, schwingt man auf Wii nun den Controller. In welche Richtung man die Fernbedienung schwingt, interessiert für die Schlagrichtung kaum bis gar nicht. Höchstens die Schlagart wird durch die Bewegungsrichtung bestimmt und auch ist es momentan wieder so, dass jeder Bewegung ein Kommando zugeordnet wird, das man dann im Spiel ausgeführt sieht. Ein Knopfdruck und ein Schwung sind also meist exakt das gleiche – ein Kommando an das Spiel. Das erzeugt im besten Falle die Illusion einer Bewegungssteuerung (vorausgesetzt, der Entwickler macht seine Arbeit gut), ist aber im Prinzip nichts anderes als eine abstrahierte Knopfsteuerung, für die man nicht nur den Finger, sondern den ganzen Arm bewegen muss.
Ein gutes Spiel, aber die Wii-Steuerung blieb oberflächlich, unpräzise und in Hinsicht auf die Schlagrichtung fast unkontrollierbar: New Play Control - Mario Power Tennis.
Oder ein weiteres Beispiel, diesmal mit Star Wars – The Clone Wars: Lichtschwert-Duelle. Das Spiel erkennt fünf Bewegungsrichtungen (= fünf Knöpfe, = fünf Kommandos) und hat für jede eine Animation im Spiel parat. Das Ganze wird erweitert durch Schlagkombinationen. Heute heißt es „runter, rauf, rechts“ für den Sith-Schlag, früher hieß das vielleicht „A, B, L“. Das mag ganz gut funktionieren, weil die Kommandos schnell umgesetzt werden und dadurch die oben genannte Illusion erzeugt wird. Es mag auch seinen Zweck erfüllen, wenn man enthusiastisch mitspielt und ein wenig Fantasie walten lässt. Aber es ist nicht das, was man sich vor vier Jahren erhofft hätte.
Dieser Mangel gilt hauptsächlich für die Beschleunigungssensoren. Die horizontalen Neigesensoren haben bei Spielen wie Kororinpa oder Excite Truck voll gehalten, was sie versprachen, und sind extrem sensibel, wodurch solche Titel erst möglich werden und nur auf Wii begeistern können. Und auch Titel wie Boom Blox funktionieren mit ihrem jetzigen Konzept wunderbar. Nichtsdestotrotz sind verschiedene Genres auf Wii schlichtweg momentan mit der Bewegungssteuerung der Wii-Remote nicht möglich: Boxen kann man beispielsweise nicht angemessen realisieren, weil der Sport zu schnell und Armbewegungen zu langsam sind. Tennis ist wegen fehlender Richtungserkennung immer noch nicht wirklich auf Nintendos Konsole angekommen. Tanzen funktioniert einfach nicht, wenn Beschleunigungs- und Neigesensoren nicht gut zusammenarbeiten und Schwertkämpfe werden auch erst dann revolutionär, wenn man sich fühlt, als hätte man tatsächlich ein Schwert in der Hand. Doch es liegt eine Revolution in der Luft – und damit kommen wir langsam zum eigentlichen Sinn dieses Kommentars – denn WiiMotion Plus steht an und wird am 12. Juni 2009 sein Europadebüt feiern.
Ab dem 12. Juni 2009 für 19,99€: WiiMotion Plus ermöglicht in speziell dafür entwickelten Spielen echte 1:1-Steuerung.
Vorgestellt auf der E3 des letzten Jahres, handelt es sich hierbei um einen Sensor des amerikanischen Herstellers InvenSense für Wii, der auch in modernen ESPs in Autos verwendet wird und im Spiel eine echte Bewegungssteuerung mit direkter, fast unverzögerter Übertragung von Hand- und Armbewegungen direkt ins Spiel bietet. Bisher wissen wir von mindestens fünf Spielen, die WiiMotion Plus sicher unterstützen werden: Virtua Tennis 2009, EA Sports Grand Slam Tennis 10, Tiger Woods PGA Tour 10, Wii Sports Resort und Red Steel 2. Dazu kommen etliche, über die man bereits spekuliert hat (Nintendos Schwert schwingendes Rollenspiel Dynamic Slash zum Beispiel, von dem man noch fast nichts gesehen hat).
Anhand dieser kleinen Aufzählung kann man bereits sehen, welchen Genres WiiMotion Plus besonders dient: Vier von fünf der genannten Titel sind Sportspiele und werden mit dem neuen Zubehör auf Wii praktisch neu geboren. In den beiden Tennisspielen von SEGA und EA wird man den Ball nun allein durch seine Bewegungen über den Platz pfeffern und dabei Richtung und Schlagkraft realitätsnah koordinieren können. Natürlich wird das Ganze dadurch insgesamt anspruchsvoller, aber auch wesentlich realitätsnäher. Anspielberichte sprechen von Quantensprüngen im Vergleich zur alten Wii-Steuerung, die im Vergleich zum neuen Spielgefühl grob und oberflächlich wirkte. Der Simulationsaspekt kommt jetzt viel deutlicher hervor und es wird nicht lange dauern, bis auch andere Hersteller dieses Potential erkennen und ihre Sportspiele mit 1:1-Steuerung ausstatten. Auch Titel wie Star Wars oder Red Steel sollten ungemein profitieren können, weil man nun in Echtzeit auf Angriffe der Gegner reagieren und den Controller (bzw. das Schwert) schwingen kann. Man muss sich nicht mehr darüber ärgern, dass es eine Sekunde dauert, bis ein Schlag umgesetzt wird, und dass der Controller nicht erkennt, wenn man die Wii-Remote zur Verteidigung nach rechts neigt, um einen Schlag abzuwehren. Einzig die Frage danach bleibt, wie gut die Kollisionsabfrage funktioniert und wie die Entwickler die Steuerung umsetzen.
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Der erste kompatible Titel: Virtua Tennis 2009 für Wii.
WiiMotion Plus wird sicherlich nicht alle Probleme von Wii lösen können, das ist die Aufgabe der Entwickler, die nun dazu aufgefordert sind, die passenden Spiele zu entwickeln. Aber das neue Zubehör macht viele Dinge viel einfacher und natürlicher und ermöglicht zahlreichen Genres endlich eine Wiederauferstehung. Es wird keinen Ärger über unpräzise Tennisschläge mehr geben und man wird sich nicht mehr die Haare raufen, wenn man in einem Adventure einen Safe knacken soll und die Bewegungssensoren so grob funktionieren, dass man viel zu schnell oder viel zu langsam an dem Zahlenrädchen dreht. Gefuchtel in Spielen, die feine Bewegungen bräuchten, sollte automatisch abgeschafft werden, wenn sich der Spieler darauf verlassen kann, dass seine Bewegung auch wirklich korrekt umgesetzt wird. Nicht jedes Spiel wird WiiMotion Plus brauchen (Boom Blox zum Beispiel), aber auf lange Sicht wird sich das Zubehör etablieren und in weit mehr Spielen sinnvoll genutzt werden können als zum Beispiel das Balance Board, das im Endeffekt nur bei (Winter)sport, Fitness und Tanzen (also alles, was mit den Füßen zu tun hat) sinnvoll ist.
WiiMotion Plus hat das Potential, die Steuerung auf Wii und damit auch die Art zu spielen grundlegend zu reformieren und zu verbessern und vom herkömmlichen, gar nicht so revolutionären Bewegung-Kommando-Aktion-Prinzip mit viel Verzögerung und wenig Realitätstreue abzukehren, das in vielen Genres bisher einfach nicht funktioniert hat. Möglich wären auch Re-Releases von bereits veröffentlichten Spielen, die WiiMotion Plus besonders nötig gehabt hätten (auch wenn Nintendo Patches ausschließt). Und zumindest für mich persönlich liegt mit der Ankündigung des Termins des Zubehörs und der ersten Spiele wieder dieselbe euphorische Atmosphäre in der Luft wie damals, als die Bewegungssteuerung das erste Mal startete. Die zweite Wii-Generation könnte mit WiiMotion Plus eingeläutet werden und auch wenn es natürlich Nintendos Aufgabe gewesen wäre, von Anfang an eine solche Steuerung zu bieten und auch wenn ein kompletter Controller jetzt um die 80€ kostet, wenn man alles auf einmal kauft, gibt es genug Gründe, sich auf diese neue Erfahrung zu freuen.
Von Tim Herrmann
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