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Müllhalde WiiWare
Special von Tim Herrmann (mail) | 28.11.2008

Welche Fehler noch im Konzept des Download-Services stecken

Die Stimmen der Entwickler waren euphorisch, als der Start von WiiWare im Frühling dieses Jahres kurz bevor stand. Entwicklungskosten für neue Spiele: gering. Gestalterische Freiheit: groß. Verfügbares Publikum: riesig. Alle lobten WiiWare und wollten auch sogleich ihre Spiele für den Download-Service veröffentlichen. Und Nintendo selbst freute sich auf „viele innovative Spielkonzepte, die für Disc-Titel viel zu riskant wären“. Besonders kleinen und unabhängigen Entwicklern sollte die Chance gegeben werden, ihre total verrückten Ideen einem breiten Publikum vorzustellen und dabei sogar noch ein bisschen Geld zu verdienen.

Mittlerweile hat der Service schon ein halbes Jahr auf dem Buckel und wir werfen einen Blick zurück. Dabei steht eines schon von Beginn an fest: Ein unbestreitbarer Erfolg ist Nintendos hauseigene Download-Plattform (noch) nicht und es gibt einige Baustellen, die dringend verarztet werden sollten. Welche das sind und warum nicht alles rosig ist in der Download-Welt, lest ihr jetzt.

Konservatismus auf der risikoarmen Plattform
Nintendo wollte mit WiiWare ein Feuerwerk der Innovationen abbrennen, völlig neue und noch nie da gewesene Prinzipien ermöglichen. Die Plattform sollte eine so risikoarme Vermarktung von Spielen ermöglichen, dass sich die Entwickler nicht allzu sehr davor zu fürchten brauchten, mit ihren ungewöhnlichen Konzepten nicht den richtigen Nerv zu treffen.
Auf dem Disc-Markt ist das etwas anderes. Wenn ein Spiel hier nicht funktioniert, stecken schon zum Zeitpunkt des Flops viele verlorene Finanzmittel im Spielegrab, die man auch nicht wieder herausbekommt. Schließlich muss ein finanzstarker Publisher Plastikhüllen und Disc-Rohlinge bezahlen, Gebrausanleitungen drucken, den Einzelhandel beliefern und die Titel mit Werbung unterstützen – wenn das Produkt dann im Regal liegen bleibt, kann man nichts mehr dafür tun.

Aber ist das auf WiiWare wirklich so anders, lassen die Entwickler ihren Ideen hier freien Lauf? Tatsächlich ist auch die Entwicklung von Download-Spielen natürlich nichts für grünschnäbelige Hobby-Entwickler und um von Nintendo erst einmal die Lizenz zu bekommen, sind schon sechsstellige Beträge vonnöten. Dementsprechend kommen Wii-Spieler auch erst dann in den Genuss von wirklich unabhängig entwickelten Ideen (wie zum Beispiel Cave Story), wenn ein kräftiger Publisher darauf aufmerksam wird oder sich der Produzent selbst in die (dann doch wieder sehr risikoreichen) hohen Unkosten stürzt.

Die unabhängige Entwicklung von WiiWare-Spielen ist also erst kleinen Entwickler-Unternehmen möglich, die schon eine gewisse Erfahrung auf dem Videospielmarkt und auch ein gewisses Kapital zur Verfügung haben. Aber verständlicherweise können auch diese nicht wie eine gewisse Millionärsente mit den Scheinchen um sich werfen und jeden ihrer kühnsten Entwicklerträume, egal wie verrückt, in die Realität umsetzen. Auch sie laufen eine gewisses Gefahr, einen Flop zu landen und dadurch Verluste einzufahren. Sicherer fährt man, wenn man auf Altbekanntes und Bewährtes setzt, auch auf WiiWare. Nehmen wir GameLoft als Beispiel, einer der Entwickler mit den bisher meisten WiiWare-Spielen: Midnight Bowling, Block Breaker Deluxe, Midnight Pool oder Gehinrtraining sind nicht unbedingt schlechte Spiele – aber sie sind nichts Besonderes. Grafisch, technisch, umfangsmäßig und spielerisch bewegen sie sich auf einem Niveau von vorgestern – aber allein ihr Name verhilft ihnen zu genügend Käufern. Denn mit dem Begriff „Bowling“ kann jeder etwas anfangen – was aber mit „Potpourrii“ (Puzzlespiel von Abstraction Games) gemeint sein soll, das muss man sich erst umständlich erlesen.

Auch ansonsten ist noch viel zu viel Konservatismus auf WiiWare zu verzeichnen. Die besten Spiele des Download-Services, also beispielsweise Tetris Party oder Final Fantasy, sind und bleiben tolle Titel, aber richtig innovative Spielkonzepte bieten sie nicht. Dasselbe hätte man eventuell auch auf anderen Konsolen in anderer Form bekommen können.
Gute Ansätze liefert beispielsweise LostWinds: das liebevoll gestaltete Spiel für 10,-€ bietet ein Konzept, das nur auf Wii möglich ist – allerdings wirkt es wegen seines mickrigen Umfangs mehr wie eine Demo-Version zu einem richtigen Spiel und lässt somit das gewisse Etwas vermissen. MegaMan 9, der vielleicht beste Titel auf WiiWare, zeigt, wie es geht: der Schritt, den Blue Bomber wieder in den NES-Look zu schicken, ist ein sehr mutiger von Capcom gewesen. Und das Spiel, das dabei heraus gekommen ist, ist trotz der vermissten Exklusivität eine der größten Innovationen der letzten Jahre, auch wenn MegaMan eigentlich vor 20 Jahren schon einmal in einer ähnlichen Form zu sehen war. Mehr von der Sorte für die Download-Services, bitte.

Zum Puzzle-Spiel verdammt
Allerdings stellt sich in dem Zusammenhang nun auch die Frage, was man von einer WiiWare überhaupt erwarten darf? Nintendo selbst möchte, wie gesagt, innovative, neue Spielprinzipien. Was sind jetzt aber „innovative Spielprinzipien“? Leider scheinen zu viele Entwickler diese Forderung als den Aufruf zu neuen Puzzle-Konzepten zu missinterpretieren. Wenn man sich einmal ansieht, wie viele Puzzles und Geschicklichkeitstitel es bereits auf WiiWare gibt, so wird eine Hand nicht mehr zum Auszählen reichen: Actionloop, Potpourrii, Plättchen, MaBoShi, Critter Roundup, Dr. Mario, Mojipittan, The Incredible Maze, oder Tetris Party – nicht, dass diese Spiele schlecht sind: Aber teilweise bekommt man den Eindruck, dass die Kreativität der jeweiligen Entwickler nur den Schluss „Puzzle-Spiel“ zulässt, wenn es um das Erdenken eines „leicht zu erlernenden, kurzweiligen Spiels in lustiger Verkleidung“ geht. Wenigstens gibt es noch verhältnismäßig wenige Minispielsammlungen…

Allerdings muss man auf der anderen Seite erst einmal wissen, was überhaupt noch mehr geht oder ob überhaupt Größeres möglich ist: Lost Winds beispielsweise ist nicht so kurz, weil die Entwickler von Frontier so geldgierig sind und unbedingt noch zehn weitere Ableger auf den Markt bringen wollen. Viel mehr ist die maximale Spielgröße schon nach drei Stunden des grafisch relativ aufwandslosen Spiels erreicht. Mehr lässt Nintendo nicht zu – und verrammelt sich somit den Weg zu größeren und dadurch besseren Spielen mit ähnlich guten Konzepten. 40 bis 50MegaByte, das ist das Maximum für die Größe eines WiiWare-Spiels, wenn man verschiedenen Berichten glauben darf.

Die Obergrenze der Spielgrößen wirkt sich bei jedem Spiel, das den Anspruch auf tief greifendere Unterhaltung hat, in einer bestimmten Form aus: Bei Lost Winds schrumpfte der Umfang erheblich, bei Titeln wie dem frisch angekündigten Rollenspiel Sorcery Blade kann man sich dafür eine N64-Optik ansehen (und zusätzlich wohl auch nur mit vier Stunden Umfang rechnen). Richtige Befriedigung könnte man als Spieler nur dann erlangen, wenn sich ein Entwickler zu einem neuen 2D-Rollen- oder Actionspiel à la Golden Sun oder Contra entscheiden würde. Das könnte durch die einfache 2D-Darstellung dann einen größeren Umfang bekommen und für 1.500 Punkte alle zufrieden stellen, die nach mehr als kurzen Puzzle- und simplen Casual-Spielen suchen. Dass 2D auch heute noch gut funktionieren kann, beweisen der Nintendo DS, Wario Land Shake oder LittleBIGPlanet.

Bisher ist es für Entwickler wie Gameloft oder Digital Leisure allerdings einfach leichter, ein bekanntes Konzept zu nehmen, das Spiel auf eine angemessen kleine Größe zu schrumpfen und dann zum Verkauf freizugeben. Gegen diesen Trend der 5-Minuten-Terinnenspiele kann nur noch Nintendo anwirken, indem es die Obergrenze für die Größe von WiiWare-Spielen anhebt oder ganz entfernt, dafür dann auch Preise von 2000-3000 Wii-Punkten zulässt und endlich eine angemessene Lösung für das Speicherplatzproblem anbietet, damit die Titel auch auf die Konsole passen. Das Ergebnis wären hoffentlich Spiele wie Lost Winds mit acht Stunden Umfang oder Strong Bad in einem großen Spiel.

Am Konzept vorbei entwickelt
Bisher ziehen zu viele Entwickler den WiiWare-Status ihrer Produkte also noch als Entschuldigung dafür heran, dass ihr Spielumfang so gering und das Gesamtpaket eigentlich nicht ausreichend für ein echtes, ausgefeiltes Spiel ist. Diese Mängel und Defizite werden von den Schöpfern der Software (bzw. von Nintendo als WiiWare-Verwalter) dann wieder dadurch wettgemacht, dass die Preise niedriger sind als bei Einzelhandelsspielen.

Aber wird ein Spiel wirklich dadurch besser, dass es nur 10€ kostet? Wohl kaum, denn ein unkomplettes Paket bleibt ein unkomplettes Paket – egal, wie niedrig der Preis ist. Und Lost Winds hätte für 30€ (ob nun auf Disc oder auf WiiWare) zu einem wirklichen Klasse-Titel werden können, mit einem interessanten Konzept und einem akzeptablen Umfang. In seinem jetzigen Status ist es, wie oben erwähnt, eine nette Demo. Aber gerade als die Geschichte Fahrt aufnahm, war das Spiel plötzlich zu Ende. Jetzt steht die Story erst einmal seit einem halben Jahr da, angebrochen und unkomplett, irgendetwas fehlt einfach. Für den nächsten Teil werden noch einmal 10€ fällig und bis die Geschichte komplett ist, landet man wohl gut und gerne bei 50€, wodurch das Spielerlebnis aber ständig durch Wartezeiten unterbrochen ist und man letztendlich fünf Spielfragmente im Kanalverzeichnis liegen hat.

Die WiiWare-Publisher und Nintendo entwickeln derzeit noch am eigentlichen Konzept von WiiWare vorbei. Kein Spielehersteller traut sich wirklich, die 1.500-Punkte-Marke beim Preis zu überschreiten (oder bekommt das von Nintendo selbst verboten) und muss seine Spiele deswegen auf verschiedene Weisen beschneiden, um das Produkt nicht unter Wert zu verkaufen: geringerer Umfang, konservatives, konventionelles Konzept, miese Optik – insgesamt sind WiiWare-Spiele bisher also nur abgespeckte Disc-Titel – teils gute, teils schlechte. Durch die zahlreichen Begrenzungen von Nintendo wird jedes innovative Spielkonzept, das nicht auf kurzweiligen Spaß ausgelegt ist, wegen zwangsweise geringeren Umfangs, schlechterer Technik oder dünnerer Feature-Auswahl abgewürgt. Konzepte wie MegaMan 9 oder World of Goo hingegen nutzen die Chance des Downloads und bieten etwas, was man als richtiges Disc-Spiel heutzutage kaum mehr anbieten kann.

In Anbetracht der Tatsache, dass sich viele der winzigen Spielchen von kleinen Entwicklern fast gar nicht verkaufen (die Rede war vor einigen Wochen von weltweiten Verkäufen im dreistelligen Bereich), sollte sich Nintendo also vielleicht eine Änderung im Konzept einfallen lassen: die Obergrenzen der Downloadgrößen müssen abgeschafft, die Preise freigegeben und das Speicherplatzproblem gelöst werden. Nur so ist eine Abkehr von Halbspielen und unbefriedigenden Splittertiteln möglich, die es momentan zu Hauf auf WiiWare gibt und die nicht einfach dadurch eine höhere Qualität erreichen, dass sie nur acht Euro kosten. Die meisten Spieler werden dann wahrscheinlich dankbar dafür sein, lieber 2.000 als 1.000 Punkte für ein Rennspiel ausgeben zu dürfen, das zwanzig statt fünf Rennstrecken und einen Online-Multiplayer-Modus bietet - sofern das Spielgerüst und das –Konzept stimmen.

Von Tim Herrmann



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