Special von Tim Herrmann (mail) | 08.12.2007
Im September des vergangenen Jahres 2006 haben wir euch eine erste Biografie über Nintendos Wii und die Geschichte der Konsole, die auf der E3 2004 begann, präsentiert und euch alle möglichen Gerüchte, Sensationen, Fakes und sonstigen Schlaglichtern von Nintendos Videospielrevolution zusammengetragen. Hier könnt ihr noch einmal in der Vergangenheit schwelgen (Link zum Special). Heute, im langsam zu Ende gehenden Jahre 2007, ist Wii im Gegensatz zu den Zeiten unseres letzten Rückblicks kein Mysterium mehr. Es ist kein Mysterium mehr, das sich Spieler aus aller Welt noch gar nicht richtig vorstellen können und über das Nintendo professionelle Geheimniskrämerei betreibt, damit ja niemand das geniale Konzept abgucken kann. Wii ist seit genau einem Jahr in Europa auf dem Markt, die Bewegungssteuerung für die Spieler mittlerweile Alltag geworden und wir wollen diesen ersten Geburtstag des kleinen weißen Schmuckstücks einmal dazu nutzen, um einen weiteren Blick in die Vergangenheit zu werfen und euch auch diesmal wieder erzählen, Wii eigentlich alles begann…
Wir starten unseren Rückblick heute vor genau 365 Tagen: Es ist der 8. Dezember und Europa wird als letzte der vier großen Videospielregionen der Welt mit Nintendos neuestem Konsolenstreich versorgt. Australien (und die Schweiz) waren einen Tag früher dran, Japan kam Anfang Dezember in das Vergnügen von Wii Sports und Co. und Amerika leidet bereits seit dem 19. November 2006 am Wii-Fieber, welches sich bis heute durch Lieferengpässe und große Medienpräsenz der Konsole beweist.
In Europa war der Wii-Launch damals vor allen Dingen eines: Stress pur. Und große Ungewissheit verbunden mit Schweiß und Adrenalin. Schuld daran war niemand geringeres als Nintendo selbst. Denn seien es nun geschickte Hype-Politik oder ernsthafte Produktionsschwierigkeiten gewesen: Wii war in Anbetracht der Nachfrage in nur lächerlichen Stückzahlen verfügbar. Online-Händler, die mit 3000 Vorbestellern zu kämpfen hatten, blickten verblüfft auf eine winzige Kiste mit gerade einmal zwanzig Konsolen darin und mussten – fast schon lachend ob dieses Umstandes - vermelden, dass nur die Vorbesteller der ersten zwanzig Minuten beliefert werden können.
Auch in den großen Elektronikketten sah es nicht viel besser aus: Vorbestellen wurde für alle zur Pflicht und trotzdem mussten eigentlich alle um eine Konsolen bangen. So hieß es also Warten und Hoffen und bei X Händlern reservieren, um ja sicher zu sein, am 8. Dezember stolzer Besitzer eines weißen Kastens zu sein, der mit einer bewegungsempfindlichen Fernbedienung geliefert werden würde.
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Letztendlich präsentierte sich die Situation in diversen Internetforen am Abend des Freitags, des 8. Dezembers, wie nach einem Krieg: Die einen waren glücklich und auch ein bisschen schadenfroh darüber, nicht nur lebendig aus der Schlacht zurückgekehrt, sondern dabei sogar auch noch siegreich gewesen zu sein. An allen Ecken und Enden wurde geschwärmt von der tollen neuen Steuerung bei Wii Sports. Die andere Fraktion dagegen konnte man sich unterdessen auf einen ausgeschalteten Fernseher starrend vorstellen, das Objekt der Begierde, auf das sie nun schon seit Jahren warteten, nicht in Händen haltend.
Die Hits des Launches und der Zeit danach waren – für diejenigen, die eine Konsole hatten - „The Legend of Zelda – Twilight Princess“, die Minispielsammlung „Rayman Raving Rabbids“, „Wii Play“, die mittelmäßige Lernsoftware, welche eine Wii-Fernbedienung als einzigen Kaufgrund aufweisen konnte, und Ubisofts Shooter „Red Steel“, das allererste Wii-Spiel, das der Öffentlichkeit damals überhaupt vorgestellt worden ist. Diese vier Titel, die recht gute Startspiele für eine völlig neuartige Konsole waren und teilweise sogar echte Knaller darstellten (jeder weiß, wovon die Rede ist), sollten auch die Zeit danach weiter dominieren. Denn dann kam erst einmal eine lange Stille, die über idyllische Weihnachts- und weniger idyllische Jahreswechseltage andauerte.
Mit Wario Ware – Smooth Moves legte Nintendo im Januar eine weitere abgefahrene Mikrospielsammlung mit Marios unsympathischen und gleichzeitig liebenswürdigen Verwandten nach und im Februar konnte Excite Truck mit einer sehr gelungenen Steuerung und anständigem Spielprinzip überzeugen.
Der März war dann geprägt von der zweiten Welle aus Wii-Spielen wie „Sonic und die Geheimen Ringe“ – eine Art Geheimtipp, der von vielen als Auferstehung des Sonic-Franchises gefeiert wurde. Auch SSX Blur von EA und Prince of Persia – Rival Swords waren gute Titel, die sich in dieser Zeit lohnten.
Wo wir gerade auf Prince of Persia für Wii zu sprechen kommen: Anhand dieses Titels kann gut beschrieben werden, was damals schnell auffiel - die erstaunlich hohe Dichte an entweder sehr schlechten Spielen (zu denen Ubisofts Prinzen-Action sicherlich nicht gehörte) oder die große Anzahl an simplen und einfallslosen Portierungen, mit denen lediglich ein paar schnelle Euros gemacht werden wollten. Die Entwickler hatten zu diesem Zeitpunkt allmählich spitzgekriegt, dass Nintendos Experiment mit dem Wii-Konzept zu gelingen schien und wollten nun - möglichst schnell - auf den rasant rasenden Zug aufspringen. Größtenteils basierte diese glorreiche Strategie auf PlayStation2-Portierungen, etlichen kurzweiligen Minispielsammlungen, Klassiker-Umsetzungen mit Wii-Steuerung oder simpel und einfach grottenschlechten Lizenzspielen. Dieses „Problem“, wenn man es denn so nennen will, dauert bis heute an, symbolisiert allerdings auch, wie lebendig und florierend Wii eigentlich ist: auf einer schlecht laufenden Konsole würden nicht so viele Spiele erscheinen, die Qualität einmal außen vor gelassen.
Trotzdem knirschten einige hörbar mit den Zähnen angesichts des sehr mauen Line-Ups für den Sommer, dem Spätfrühling und der hohen Dichte an Fällen für die Giftmülldeponie.
Auf der E3 im Juli, so hoffte man, würde endlich der Befreiungsschlag kommen, der Wiis Potential richtig entfalten würde. Doch letztendlich spritzte keine mächtige Fontäne an neuen Konsolen-Features, Informationen und Spiele-Neuankündigungen aus dem imaginären Geysir der abgespeckten und halbtoten Medienveranstaltung mit dem frischen Titel „E3 Media & Business Summit 2007“, sondern es tröpfelten nur die sowieso schon lange erwartete Ankündigung von Mario Kart für Wii (Release: Frühling 2008) und Wii Fit (kommt ebenfalls Anfang 2008) heraus. Besonders letzteres brachte die erwartungsgeladenen Fans nur noch zu größerer Verstimmung, denn sie fühlten sich langsam, aber sicher, im Stich gelassen. Auch wenn es objektiv betrachtet nicht stimmt, wie wir euch später noch berichten wollen, hatten viele Spieler damals das Gefühl, als wenn Nintendo grinsend in einem Berg aus Dollarscheinen schwimmen und jeden einzelnen neuen Gelegenheitsspieler umarmen wollen würde, den man mit Titeln wie Wii Sports anlocken und gefangen nehmen konnte. Der geneigte Vielspieler, der verzweifelt in eine Zukunft blickte, in der „Metroid Prime 3 – Corruption“, „Super Mario Galaxy“ und „Super Smash Bros. Brawl“ wegen fehlender Releasedaten verschwommen wie eine Fata Morgana in der Ferne glimmten, begann langsam zu zweifeln, und hatten den Mauszeiger schon fast in Richtung eBay gerichtet, Abteilung PC- und Videospiele / Konsolen...

À Propos Super Smash Bros. Brawl: Auch dieses Spiel prägte das erste Jahr von Wii bedeutsam. Und das, obwohl es nur zu den allerseltensten Gelegenheiten überhaupt anspielbar war und auch erst im Jahr 2008 erscheinen soll. Der Grund für die mehr als große Medienpräsenz heißt Smash Bros. Dojo! Die offizielle Homepage von Nintendos Prestige-Prügler prustet seit Mitte Mai an jedem einzelnen Werktag mindestens (!) ein Update aus, welches einen neuen Kämpfer vorstellt, Attacken präsentiert, Musik darbietet oder von sonstigen alten und neuen Features des Titels berichtet. Der Horror für den Online-Redakteur, der sich Tag für Tag mit den teilweise Doppel- und Dreifachupdates herumärgern muss - ein Segen dagegen für die Fans, die nun jeden Tag mit neuen Infos versorgt wurden, und ein noch größerer Segen für Nintendo, das die Aufmerksamkeit auf den Top-Titel ins unermessliche treibt und sich auf horrende Verkaufszahlen im Frühjahr 2008 freuen darf.
Auf der Games Convention 2007 im August des Jahres war Super Smash Bros. Brawl nicht spielbar und auch sonst in keiner Form präsent. Genauso wenig, wie es viele andere heiß erwartete Top-Titel waren. Sie befanden sich hinter geschlossenen Vorhängen, während sich Nintendo im öffentlichen Bereich im Lichte der Scheinwerfer und Blitzlichter räkelte und ein Fernsehinterview nach dem anderen über seine neuen Lifestyle-Konsolen Wii und Nintendo DS gab, die sich in Europa verkauften wie warme Semmeln. Gezeigt wurden uralte DS-Gehirntrainer und Wii Fit, welches auf der Games Convention seine Europa-Premiere feierte und wie erwartet alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Unter dem Motto „MyNintendo“ präsentierte sich der Videospiel-Riese auf der Messe und versuchte, die langjährigen Fans für Augen-Übungen und jahrealte Mii-Erstellung zu begeistern.
Den Hardcore-Spieler kann man sich an dieser Stelle während des großen Rummels wieder zehn Meter entfernt – mit geballten Fäusten und knirschendem Kauwerk - vorstellen, besonders im Angesicht der Pseudo-Pressekonferenz des japanischen Giganten, die sich fast ausschließlich mit den grandiosen Verkaufszahlen der kurzweiligen Minispiele und den Casual-Games beschäftigte.
Doch stimmte das wirklich? Hatte Nintendo seine Fans zu diesem Zeitpunkt schon vergessen und konzentrierte es sich nur noch auf die zahlungskräftige neue Kundenschicht, die an Videospielen eigentlich weniger interessiert war, diese stylishen, weißen Trendsetter aber trotzdem unbedingt besitzen musste, weil es die teuer produzierte Werbung so propagiert hatte? Nun, in dieser Zeit hätte man das tatsächlich denken können, ja. Aber realistisch gesehen waren Big Brain Academy für Wii und natürlich Wii Play die einzigen echten Casual-Games für Wii bis dato. Wario Ware, Excite Truck und Zelda waren zwar allesamt für die breite Masse leichter zugänglich gemacht worden, weil sie sich leichter steuern ließen und einen vielleicht geringeren Schwierigkeitsgrad boten, konnten aber wegen ihrer Außergewöhnlichkeit wirklich nicht als Titel nur für Gelegenheitsspieler bezeichnet werden wie Dr. Kawashimas nüchternen und seriösen Gehirn-Übungen. Mit Metroid Prime 3 und Super Mario Galaxy hat Nintendo dann bewiesen, dass man die langjährigen Fans nicht vergessen hat und dass man Gelegenheits- und Vielspieler-Titel wunderbar unter einen Hut bekommen kann.
Spätestens zum 10. Oktober normalisierte sich die Stimmung in der Videospielwelt wieder ein wenig. Dieser Tag war das Veranstaltungsdatum der Nintendo Herbstkonferenz in Japan. Die E3 hatte enttäuscht, die Games Convention verärgerte schon fast und auf der dritten wichtigen Messe des Jahres 2007, der Tokyo Game Show, war Nintendo nicht einmal vertreten. Lediglich SEGA, das in Wii im ersten Jahr anscheinend eine neue Liebe gefunden hat, war mit NiGHTS – Journey of Dreams mit von der Partie, welches eine Fortsetzung zu dem hauseigenen Klassiker aus den 1990ern ist. Von diesem Publisher hatte man auch noch so einige andere Titel zu erwarten, die in naher Zukunft zu erwarten waren. Allen voran: Mario & Sonic bei den Olympischen Spielen. Dieser Titel war die Überraschungsankündigung des Jahres, denn erstmalig durften Mario und Sonic, die Maskottchen der einst rivalisierenden japanischen Unternehmen in einem Olympia-Spiel gegeneinander antreten. Letztendlich ist der solide Titel, den viele zuerst allen ernstes für einen Aprilscherz hielten, im November erschienen und konnte besonders im Multiplayer überzeugen.

Doch zurück zur eigentlich angesprochenen Herbstkonferenz: Hier gab es endlich den erhofften Info-Schub mit der Enthüllung einiger neuer Kanäle, frischer Spiele für Wii und Nintendo DS und der lang erwarteten Bestätigung, dass 2008 noch so einiges kommen würde. Die Top-Titel zeigten sich in neuen Videos und letztendlich waren wirklich alle erst einmal mit diesem Event zufrieden gestellt (auch die Online-Redakteure, die am Tag danach Blasen an den Fingerkuppen zu beklagen hatten).
Der Oktober war ebenfalls der Monat, in dem der erste echte Kaufpflicht-Titel nach „The Legend of Zelda – Twilight Princess“ nach Europa gekommen ist. „Metroid Prime 3 – Corruption“ erschien auf dem hungrigen Wii-Markt und überzeugte durchweg mit schöner Grafik, einer gewohnt dichten Atmosphäre und einer Steuerung, die auf allen anderen Konsolen ihresgleichen sucht. Überschattet wurde der Launch des Titels anfänglich aber wieder von unerklärlichen Lieferstörungen, die einige Online-Händler wieder in Verlegenheit brachten und Fans noch einmal zittern ließen. Im Nachhinein war die Situation sicherlich nicht so gravierend wie zum Wii-Launch und der damit verbundenen Konsolen-Knappheit. Aber als „schön“ konnte man es mit Sicherheit nicht bezeichnen, dass Nintendo, dessen Aktienkurse über das Jahr immer weiter stiegen und stiegen und ein Rekordhoch nach dem anderen erreichten, es allen ernstes nicht gebacken bekam, einen heißerwarteten Titel in annehmbarer Stückzahl für den europäischen Markt zu produzieren. Auch bei Super Mario Galaxy hielt das Problem an. Das Spiel, das von den meisten Stimmen als eines der besten aller Zeiten proklamiert wurde und voll und ganz und vor allem auch überall punktete, war ebenfalls zum Launch und auch danach nicht besonders zahlreich vorhanden. Woran das liegt, können wir bis heute nicht erklären.
Was wir uns teilweise auch nicht erklären können, sind die Schicksale einiger Spiele speziell in Deutschland: Über das Jahr hinweg musste nämlich immer wieder festgestellt werden, dass viele Publisher von erwachseneren Titeln schon im Voraus einen großen Bogen um den bösen, deutschen Markt und besonders die strenge Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle gemacht haben. Titel wie EAs „Der Pate“, „Mortal Kombat“, Capcoms „Resident Evil: The Umbrella Chronicles“ oder „Medal of Honor Heroes II“ sind nie in Deutschland erschienen. Die neue Wii-Steuerung und besonders die Unterstützung des Zubehörs „Zapper“, das erst gestern erschienen ist, macht die Spiele realistischer denn je und somit in den Augen einiger Jugendschützer zu reinsten Ausgeburten der Hölle, die in Deutschland niemals erscheinen sollten. Letztendlich kam es aber in den meisten Fällen, wie gesagt, gar nicht erst zur Prüfung, die Hersteller hatten sozusagen schon vorläufige Angst vor einer Indizierung. Wir werden sehen, was die Zukunft für solche Spiele bringen wird. Mit einer Auflockerung der Situation ist eigentlich nicht zu rechnen…
Unser Spaziergang durch die Jahre 2006 und 2007 nähert sich nun langsam seinem Ende, denn nun sind wir schlussendlich wieder angekommen am 8. Dezember. Ein Jahr Wii liegt nun hinter uns und jeder hat sich mittlerweile wohl schon sein eigenes Erstjahresfazit gebildet. Nintendos Experiment ist auf jeden Fall aufgegangen und die innovative Konsole ist nicht gefloppt wie damals der Virtual Boy. Nein, sie verkauft sich zusammen mit dem Nintendo DS sogar sehr prächtig und hat innerhalb eines Jahres nicht nur die XBOX360, sondern auch die PlayStation 3 verkaufszahlentechnisch in die Schranken gewiesen. Trotzdem kann sich der japanische Gigant nun nicht auf den Lorbeeren ausruhen und muss sich auch nach Super Smash Bros. Brawl weiter aktiv zeigen. Die Dritthersteller sind weiterhin dazu aufgerufen, das Potential von Wii zu erkennen und die PlayStation 2 Technik auf der PlayStation 2 zu lassen. Und dann sprechen wir uns in einem Jahr wieder…
Von Tim Herrmann
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