Review von Tim Herrmann () | 10.02.2011
Disney ist der Hüter von einigen der bekanntesten Geschichten der Welt: Der König der Löwen, das Mickey-Maus-Universum, Bambi, Cinderella, Das Dschungelbuch oder Die Schöne und das Biest gehören zu Disney, wie die Kälte zum Winter gehört. Doch tatsächlich hat Disney beim Großteil dieser Auflistung mit der eigentlichen Geschichte nur wenig zu tun und hat sich an Erzählungen und Märchen aus der ganzen Welt bedient. Das Dschungelbuch ist ursprünglich von Rudyard Kipling, Bambi von Felix Salten, Cinderella wurde maßgeblich vom französischen Autor Charles Perrault geprägt und Die Schöne und das Biest ist ebenfalls ein französisches Volksmärchen. Disney hat sich schon immer bekannten Stoff vorgenommen und daraus animierte Welthits geschaffen, die man sich dann auf die eigene Kappe schreiben ließ. Was bei Schneewittchen, Pinocchio oder Alice im Wunderland aber noch zu großen Kunstwerken und Sensationen der jeweiligen Zeit geführt hat, hat in den letzten Jahren immer mehr an Aufmerksamkeit und Bedeutung verloren: Nach ziemlich unbeachteten Animationsfilmen wie Himmel und Huhn oder Bolt – ein Hund für alle Fälle, die neben der hauseigenen Pixar-Konkurrenz völlig untergingen, versuchte man sich im Jahr 2008 wieder am klassischen Stoff und adaptierte mit „Küss‘ den Frosch“ den klassischen Froschkönig. Offenbar war der Film erfolgreich genug, denn mit Rapunzel – Neu verföhnt (detailgetreu übersetzt aus dem Englischen, wo der Film Tangled heißt) kam gleich die nächste Märchenverwurstung in die Kinos – und einher ging natürlich das Videospiel.
Geh‘ mal zum Friseur, Alte!
„Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter“ – muss man eigentlich noch mehr zur Geschichte sagen? Wohl kaum. Dass das Mädel im Turm lange Haare hat und eines Tages von einem mutigen Prinzen gerettet wird, gehört zur Allgemeinbildung. Disney variiert die jahrhundertealte Geschichte, indem man den eigentlichen Fokus zunächst auf den charmanten Dieb Flynn Rider legt und Rapunzel mit ihrer überdimensionierten Mähne, die noch dazu ein Eigenleben zu führen scheint und als Allzweckwaffe eingesetzt werden kann, erst später auftauchen lässt. Gemeinsam erleben die beiden ein Abenteuer, verlieben sich und so weiter; das Übliche. Die Geschichte des Kinofilms präsentierte sich, wenn auch in perfekter 3D-Animation, in zuweilen etwas unkreativer Lovestory-Manier. Und das zugehörige Videospiel ist gar nicht der Rede wert.
Um es ganz kurz zu machen: In Rapunzel – Neu verföhnt für Wii ereilen den Spieler keinerlei Überraschungen. Er erwartet ein Action Jump & Run, in dem Rapunzel ein paar Rätselchen mit ihren Haaren löst, und er bekommt eben jenes Jump & Run. Zusammen wandern Ms. Hair Of The Universe und ihr Ritter durch bilderbuchbunte Märchenlandschaften und sammeln irgendwelche Punkte ein, um schlussendlich am Ende des Levels in der Geschichte fortzufahren, deren erstes Viertel bereits im zweiminütigen Vorspann abgehandelt wird.
Rapunzel kann springen und mit ihren magischen Haaren (denen die Zauberkraft einer magischen Blume innewohnt) Blumen zum Blühen bringen. Außerdem ist es an bestimmten Punkten möglich, Abgründe mit den Haaren zu überwinden, indem man sie als Schaukel verwendet. Wer irgendwann mal beim Party-Smalltalk klugscheißen möchte, der darf sich an dieser Stelle über die Info freuen, dass dieses Motiv aus dem Film auf dem Gemälde „Die Schaukel“ von Jean-Honoré Fragonard basiert. Aber das nur nebenbei. Im Spiel ist jedenfalls wenig Kunst zu erkennen, wenn Rapunzel vor kleinen Abgründen in schriller Mädchenstimme begeistert kreischt: „Wow, ich kann einfach rüberschaukeln!“.
Das liegt auch daran, dass sich die Entwickler mit der brillanten Idee, Rapunzels Haarschweif permanent im Bild zu behalten, selbst ins Bein geschossen haben. Nein, in beide Beine. Doppelt. Denn die Haare flattern so orientierungslos und unnatürlich und völlig ohne physikalische Vernunft als Schleimspur auf dem Boden herum, dass der Spieler permanent damit beschäftigt ist, sich zu fragen, wie es in aller Welt sein kann, dass keinem im Entwicklungsteam dieser grafisch peinliche Missstand aufgefallen ist. Clipping-Fehler, merkwürdiges Zucken und ganz komische Verläufe auf den Texturen lassen den Haarschweif wirken wie ein unnützes und noch dazu schlecht animiertes, breiiges Anhängsel, das die anmutige Prinzessin permanent hinter sich herschleift. Wahrscheinlich haben sich in dem filzigen Knäuel, das durchgängig durch Dreck und Morast gezogen wird, schon allerhand Laub, Erde und Käferfamilien eingenistet - prinzessinnenhaft kann auf jeden Fall nichts mehr daran sein. Ein derart markantes Detail an der Hauptspielfigur dermaßen amateurhaft zu implementieren, erfordert auf jeden Fall schon ein gesteigertes Maß an Dilettantismus.
Springen, B drücken, Punkte sammeln, fertig
Ansonsten gibt es über Rapunzel – Neu verföhnt leider denkbar wenig zu sagen: Man springt durch die Gegend, bringt ab und zu einige Blumen zum Blühen und darf dann Tagebucheinträge einsammeln, die daraus bestehen, dass Rapunzel einen Gegenstand in ihr Tagebuch malt. Zum Malen darf der Spieler ironischerweise die Wii-Remote schütteln. Manchmal trifft man auch auf Steckbriefe, die sich zum Anmalen anbieten. Eine nette Zusatzspielerei, die aber auch wirklich nicht mehr ist.
Ab und zu erscheinen einige Gegner, die man am besten mit Flynn besiegt. Durch Druck auf den Z-Knopf auf dem Nunchuk kann der Spieler nämlich jederzeit zwischen Rapunzel und Flynn wechseln (das Ganze funktioniert auch im simultanen Koop-Modus). Im Kampf muss einfach immer wieder B gedrückt werden, dann ist der Drops gelutscht. An einigen wenigen Stellen ist Kooperationsgameplay in der Form nötig, dass Rapunzel ihre Haare herunterlassen muss, um Flynn einen Weg nach oben zu verschaffen. Außerdem kann Flynn an bestimmten Stellen Schätze ausgraben, die ihm ordentlich viele Punkte verschaffen, die eigentlich nichts bewirken. Und an dieser Stelle erschöpft sich der Gameplay-Vorrat auch schon: Disneys Rapunzel – Neu verföhnt ist ein ganz durchschnittliches, 08/15-Lizenzspiel, das sich an eine sehr junge weibliche Zielgruppe bis acht Jahre richtet.
Grafisch präsentiert sich der Titel wie bereits erwähnt in strahlend bunten Neontönen, die sich allerdings durchweg verwaschen und unsauber ausgestaltet auf die Umgebung legen und damit ein insgesamt labberiges Gesamtbild vermitteln. Über die unübersehbaren Mängel bei der Charakterdarstellung wurde ja bereits ausgiebig referiert. Beim Sound setzt man auf dezentes Disney-Geklimpere, wie es auch im Film vorkommt, und auf eine komplett deutsche Synchronisierung, an der es bis auf das zuweilen übertrieben klischeehafte Mädchen-Gekreische von Rapunzel nicht viel auszusetzen gibt. Auch technisch ist dieses Lizenzspiel also im üblichen unteren Durchschnitt anzusiedeln.
Fazit:
Rapunzel – Neu verföhnt ist das erwartete Lizenzspiel auf Kindergartenniveau. Natürlich ist es spielerisch vollkommen unspektakulär und einfallslos, doch die angepeilte Klientel, Mädchen bis ca. acht Jahre, kann es sicherlich einige Zeit seicht unterhalten. Es ist auf jeder Ebene im unteren Durchschnitt angesiedelt, weswegen natürlich für keinen Spieler außerhalb der Zielgruppe eine Kaufempfehlung ausgesprochen werden kann. Fast schon unterhaltsam ist aber immerhin die geradezu hilflose Verzweiflung, die man den Entwicklern bei der Animation des schleimigen, kriechenden, grauenhaft dilettantisch animierten Haarschweifs nachträglich anmerkt, der Rapunzel während des Spielbetriebs permanent folgt. Zum Glück steht er nicht sinnbildlich für das gesamte Spiel, das nicht grottenschlecht, sondern lediglich einfach inspirationslos ist. Letztendlich sagt der Text auf der Rückseite wirklich alles über das Spiel aus: „Benutze Rapunzels Haar zum Wirbeln, Schwingen und Klettern und spiele als Flynn und finde vergrabene Schätze“.
Von Tim Herrmann
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Wertung für das Spiel Rapunzel - Neu verföhnt |
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5.0 |
Grafik
Bunte Farben, verwaschene Darstellung. Keine optischen Highlights und eine völlig misslungene Umsetzung des Haarschweifes der Hauptfigur. |
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6.8 |
Sound
Durchweg seicht. Unauffällige Musikstücke im Hintergrund und solide, wenn auch manchmal übermotivierte Sprachausgabe sorgen für einen ordentlichen Gesamteindruck. |
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6.8 |
Steuerung
Simpel und größtenteils problemlos. Die Kontrolle der Protagonisten ist aber meist etwas wabbelig, sodass Abstürze vorprogrammiert sind. |
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5.3 |
Gameplay
Hüpfen, Punkte sammeln und ein, zwei simple Rätsel lösen. Mehr bietet dieses durchweg inspirationslose Lizenzspiel nicht, das nur die ausgewiesene Zielgruppe einigermaßen gut unterhalten kann. |
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5.2 |
Gesamt
(Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) |
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