Review von Tim Herrmann () | 05.12.2010
Was wohl macht die Welt, speziell die Unterhaltungsbranche, wenn die Harry-Potter-Serie im nächsten Jahr endgültig beendet ist? Mit der Aufsplittung des siebten Teils in zwei Filme hat man sich schon ein Dreivierteljahr Galgenfrist (und nebenbei auch doppelte Einnahmen) gesichert, doch mit Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 2 wird Schluss sein (es sei denn, die Filmemacher dieser Welt sind tatsächlich dreist genug, sich noch ein Sequel aus den Fingern zu saugen). Das bedeutet den Wegfall eines Franchises, das jahrelang sowohl den Bücherdruckern und Verlagen als auch der Filmindustrie und der Videospielbranche sichere Einnahmen in die Kasse gespült hat. Auf der Spieleseite freute sich ElectronicArts darüber, dass man alle zwei Jahre ein Lizenzspiel auf den Markt bringen konnte, das nicht zwingend besonders gut sein musste, sich aber trotzdem fast sicher in die Riege der Chartspitzenreiter einreihte. Mit Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 1 bietet sich jetzt erneut eine Gelegenheit zum Gelddrucken, diesmal allerdings mit einer kompletten Neuentwicklung, nachdem man Teil 6 größtenteils aus Teil 5 recyceln konnte; Arbeit also für EA. Wir klären, wie sich der Anfang vom Ende in Videospielform macht.
Raus aus Hogwarts, rein in die Action
Wer die Romanvorlage zum siebten Film kennt, wird wissen, dass die serientypische und -prägende Zaubererschule Hogwarts erst zum Finale der Geschichte ihren großen Auftritt hat und zwischendurch höchstens am Rande dargestellt wird. Harry und seine Freunde Ron und Hermine verschlägt es diesmal also in tiefste Wildnis und auf unbekanntes Terrain, wo sie wie das blinde Huhn nach dem sprichwörtlichen Korn bzw. den Horcruxen picken, Teile der Seele des dunklen Lord Voldemort. Was im Buch als bedrückende Einsamkeit für schwermütige Atmosphäre sorgt, wäre in einem Videospiel wohl tödlich langweilig – und deswegen haben sich die Entwickler von EA Bright Light dazu entschieden, die Action aufzuwerten und Zauberduelle mit Voldemorts Todessern oder den Greifern, die Dissidenten oder Gesuchte an das Regime ausliefern, auch an solchen Stellen zu integrieren, an denen sie weder im Buch noch im Film vorkommen. So gibt es beispielsweise merkwürdige Kämpfe in irgendwelchen Ruinen oder Drachenhöhlen, die völlig zusammenhangslos in die Geschichte integriert bzw. nicht integriert werden und aus einem Menü ausgewählt werden müssen.

Hinweis: Aus nachvollziehbaren, wenn auch nicht gutzuheißenden Gründen hat EA keine Screenshots aus der Wii-Version veröffentlicht. Das in diesem Review gezeigte Material entstammt der XBOX360-Version, es spiegelt nicht das Niveau der Wii-Version wider.
Die Geschichte des Videospiels orientiert sich dabei trotzdem grob an dem, was man im Film gesehen hat – und der wiederum orientiert sich künstlerisch frei am Buch. Eine ordentliche Verwässerung der Geschichte ist also fast unumgänglich. Schade, denn gerade das Videospiel hätte ja die Möglichkeit gehabt, noch ausführlicher zu sein als ein Film, der nicht viel länger werden soll als zwei Stunden. Viele Elemente der Verfilmung spart das Spiel allerdings stattdessen ein und sorgt damit für abrupte Übergänge zwischen den Story-Elementen und teilweise schlecht erklärte und unsinnige Umdichtungen.
Die Schlüsselszenen der Geschichte werden allerdings stets in schicken vorgerenderten Videosequenzen dargestellt, in denen die Charaktermodelle optisch überzeugen und wo auch ansonsten Stimmung aufkommt – auch wenn das Spiel oft versucht, weniger gruselig zu sein als der (wohl zu Unrecht) ab 12 Jahren freigegebene Film. In der Einleitungssequenz beispielsweise, in der Voldemort die Hogwarts-Professorin für Muggelkunde tötet, sah man im Film den ganzen schwebenden Körper von Charity Burbage, im Spiel ist sie in einen blickdichten Sack verpackt. Doch das tut dem Gesamtbild kaum Abbruch: Die Zwischensequenzen sind zahlreich gestreut, sehen gut aus und wurden ordentlich vertont, teilweise sogar mit den deutschen Originalstimmen aus dem Film und vor einem Originalsoundtrack. Doch damit ist das einzig Gute an Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 1 auch schon abgehandelt…
Harry Shooter
Die vergangenen Potter-Videospiele waren zum größten Teil geprägt von Erkundung des riesigen Hogwarts-Schlosses und der weitläufigen Ländereien. Die Entwickler modellierten das ganze Schloss nach, spickten es mit allerhand Geheimnissen und Interaktionspunkten und ließen den Zauberschüler dort verschiedene Aufgaben erledigen. In Teil 7, das wurde bereits erwähnt, ist Hogwarts zunächst kein Handlungsort mehr und das ganze Gameplay-Konzept der vergangenen zwei Teile muss umgeworfen werden. Statt Erkundung setzen die Entwickler diesmal allen Ernstes auf das Konzept eines Third Person Shooters. Teilweise wechselt die Ansicht sogar in die First-Person-Perspektive.

Zwar ist Harry noch nicht so weit, dass er mit der Bazooka durch England läuft und gegen die Todesser vorgeht, aber die Grenzen zwischen einem Pistolenschuss und einem Schockzauber wie Stupor oder Impedimenta verschwimmen im Spiel. Immer wieder tauchen im Spielverlauf aus heiterem Himmel irgendwelche Voldemort-Schergen auf und fordern Harry und seine Freunde heraus. Diese Kämpfe sind aber ungefähr so spannend, prickelnd und actiongeladen wie das Überqueren eines Zebrastreifens. Der Spieler zielt mit dem viel zu kleinen, zuckenden Pointer auf die dunklen Gesellen und drückt einfach immer und immer wieder den B-Knopf, woraufhin vordefinierte Flüche den Zauberstab wie aus der Pistole geschossen verlassen. Wo man Zaubersprüche außerdem früher noch über Bewegungen ausgelöst hat, muss jetzt ein reiner Druck auf den B-Knopf ausreichen. Haben sie eine gewisse Anzahl an Flüchen eingesteckt, zerfallen die Todesser zu Staub und die nächste Welle erscheint aus heiterem Himmel.
Als besonderes „Highlight“ kann sich Harry diesmal sogar in Deckung begeben und sich hinter Häuserecken, Strohballen oder anderen Bollwerken in Sicherheit bringen. Leider kann man dann aber kaum mehr zielen, weil Harrys Kopf die gesamte Mitte des Bildschirmes ausfüllt. Dann wird zur Abhilfe eine schnelle Kamerarotation nötig, die wiederum genauso wie das Zielen mit dem Zauberstab über den Pointer funktioniert. Ein ganz klarer Mangel im Spiel- und Steuerungsdesign. Wobei Mangel hier noch sehr freundlich ausgedrückt ist. Das gesamte Kamerasystem ist absolut lebensunfähig – die Rotation der Kamera findet statt, wenn der Pointer an die Bildschirmgrenzen stößt, allerdings in einer so penetranten, fast schon frech langsamen Geschwindigkeit, dass jegliche Spieldynamik im Keim erstickt wird und der Blick des Spielers nur ständig hin und her zuckt, mal irgendwelche Wände zu sehen und mal uninteressante Leere vor die Linse bekommt.
Mit der Zeit steigt Harry wie in einem RPG im Level auf und lernt dadurch neue Sprüche, die ihm im Angriff oder in der Defensive helfen und alle nach dem gleichen Schema ausgesprochen werden. Über ein Magierad wählt der Spieler einen der sechzehn Sprüche aus und muss dann nur noch den B-Knopf drücken, um ihn zu wirken.

Ganz nah am Abgrund – oder schon drin
Das Kampfsystem, das fast das gesamte Spiel ausmacht, ist also langweilig, fehlerhaft, unheimlich schlecht in die Geschichte und das Gesamtgameplay integriert und mehr als redundant, noch dazu funktioniert es nicht und für die Kamera und die Steuerung wäre ungünstig noch eine untertriebene Bewertung. Doch was dem Spiel wirklich den letzten Funken raubt, ist die Ingame-Grafik, die dermaßen unterirdisch ist, dass sie schon fast wieder auf der anderen Seite des Planeten hervorstößt. Ist man in den ersten Minuten noch angetan von den guten Filmsequenzen, wird man dann direkt ins Spiel geworfen und mit der Ingame-Optik konfrontiert - und das Wort "konfrontiert" ist bewusst gewählt, denn was man dort sieht, ist wirklich ein Schock. Hier bekommen die Spieler nicht nur den eindeutigen Serientiefpunkt serviert, sondern auch eines der Lowlights auf Nintendos Konsole allgemein. Die nachfolgende Floskel wird oft und gerne zur Veranschaulichung verwendet - doch in diesem Fall ist das Niveau des mehr als zehn Jahre alten Nintendo 64 wirklich nicht mehr allzu weit entfernt.
Die Charaktermodelle sind eckig und kantig, grauenhaft animiert und voller grafischer Fehler (Rons Zähne sehen beim Reden beispielsweise aus wie riesige Vampirhauer, der Kiefer bewegt sich wie bei einem Nussknacker). Die Texturen bestehen aus ein- bis dreifarbigen Mischmaschs ohne jede Struktur, wirken in der Landschaft völlig deplatziert, Gegenstände, die in der Umgebung herumstehen, sind verpixelt und gruselig schlecht ausmodelliert. Die Gegnermodelle pendeln zwischen zwei oder drei Varianten, die sich immer wieder abwechseln. Und diese grafische Gesamtbeleidigung wagt es dann auch noch, nicht einmal flüssig zu laufen und insgesamt ziemlich ruckelig über den Bildschirm zu flimmern. Die Liste ließe sich hier beliebig fortführen. Fakt ist, dass Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 1 ganz eindeutig meilenweit hinter dem schicken 5. Teil von vor zweieinhalb Jahren hinterherkriecht – und das nicht nur auf der technischen Ebene. Auch designerisch ist Harry Potter 7.1 ein einziges Armutszeugnis. Wo man früher noch durch ein liebevoll ausgestaltetes Hogwarts lief, mit Bildern und Wandteppichen, mit Ritterrüstungen und zahlreichen Zauberschülern ausstaffiert, streift man nun durch kahle, tote Landschaften. Sei es London oder ein verlassener Wald – niemals hat man den Eindruck, dass irgendein ambitionierter Entwickler sich die Mühe gemacht hat, mit möglichst viel Liebe zum Detail eine virtuelle Welt zu kreieren. Da können auch die gelungene Synchronisierung und der gewohnt gute Hollywood-Soundtrack nichts mehr retten. Verdient hätte es das Spiel, dass man auch noch die missratene Steuerung erwähnt, die Harry manchmal in irgendwelche Objekte hineinlaufen lässt, doch das Gesamtbild ist schon mehr als klar geworden.
Fazit:
Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 1 ist ein einziger großer Griff ins Klo, wobei das noch klingt wie ein „Och, Schade“. Nein, tatsächlich müsste man sagen, es ist eine Schande, was EA hier abliefert. Als offensichtlichstes Armutszeugnis muss die völlig missratene Grafik herhalten – miserable Charakter- und Umgebungsmodelle, grauenhafte Landschaftsgrafiken, lieblose und detailarme Ausgestaltung der Spielwelt. Nur die vollanimierten Zwischensequenzen, die Synchronisierung und die Musik können überzeugen. Doch die Grafik ist nicht alles, was Harry Potter 7.1 zum Tiefpunkt der bislang sogar recht soliden Spieleserie macht: Das Spielprinzip ist vom Action-Adventure mit Erkundungsgameplay zu einem stupiden und anspruchslosen Third-Person-Shooter-Versuch verkommen. Die Steuerung ist dabei allerdings kaputt und umständlich, das Kampfgameplay mit den Todessern höhepunktslos und redundant, das gesamte Gameplay quält sich wie in Agonie von einer erdachten Kampfsequenz zur nächsten, um diese einzige große Qual von Lizenzentwicklung irgendwie in die Länge zu ziehen. Ein solches Spiel ist des meistverkauften gedruckten Werkes nach der Bibel unwürdig. Ein solches Spiel ist des zweitgrößten Videospielpublishers der Welt unwürdig. Ein solches Spiel ist eines guten Filmes unwürdig. Und zu guter Letzt ist ein solches Spiel der Millionen Fans unwürdig, die Harry Potter über ein Jahrzehnt lang begleitet haben.
Von Tim Herrmann
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Wertung für das Spiel Harry Potter und die Heiligtümer des Todes - Teil 1 |
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2.6 |
Grafik
Der Eindruck von gut animierten Zwischensequenzen wird neutralisiert durch eine bodenlos schlechte Ingame-Optik, die wirklich nichts richtig macht: Schlechte (Charakter-)Modelle, schlechte Umgebungsgrafiken. |
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8.4 |
Sound
Originalmelodien aus dem Film und Originalstimmen in der gelungenen Synchronisierung überzeugen. |
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4.1 |
Steuerung
Die Steuerung ist hakelig und schlecht durchdacht, besonders die Kamerasteuerung versagt auf ganzer Linie. Wie kann es sein, dass die Kamera durch den Pointer rotiert (und das nur quälend langsam), wenn man mit dem Pointer gleichzeitig zielen muss? |
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3.5 |
Gameplay
Das Spiel ist einfach leer: Der einzige ernstzunehmende Spielinhalt besteht in dem Besiegen immer neuer Todesserscharen in völlig an den Haaren herbeigezogenen Levels, die es im Buch nicht gab. Und das nach dem immer gleichen Prinzip – und dann funktioniert dieses Kampfsystem nicht einmal. |
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3.1 |
Gesamt
(Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) |
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