Review von Burkhart von Klitzing () | 29.03.2007
Die drei grell leuchtenden, aber dennoch scheinbar unsichtbaren, Stirnleuchten sind zurück und mit ihnen Sam Fisher in seinem bereits vierten Einsatz. Ende 2002 hatte der markige Geheimagent im Dienste nicht etwa seiner Majestät sondern der National Security Agency seinen ersten Auftritt im Original-Splinter Cell und seitdem sind fast jährlich Nachfolger erschienen, die die ursprüngliche Schleichformel dezent erweitert haben, ohne sie groß umzumodeln. Der neueste Spross der Serie (Double Agent) erschien nun in der Umbruchzeit zwischen alter Konsolengeneration und Next-Gen-Hardware, könnte also der richtige Anlass sein um etwas Neues zu wagen, zumal neben sechs anderen Systemen auch die Wii mit einer Version bedacht wurde.
Double Agent - so oder so
Tatsächlich gibt sich Ubisofts Schleichspektakel aber fast wie gewohnt, mit kleinen Neuerungen und zumindest einer auf die Besonderheiten der Wii ausgelegten Steuerung. Neulinge werden dabei ordentlich in das Schleich-Action-Adventure eingeführt, wenn auch nicht optimal. Vor allem während der ersten Mission lassen sich an sinnvollen Orten unterschiedliche Lehrvideos aktivieren, die etwa erklären, was es mit Kameras auf sich hat oder wie elektronische Geräte aus der Entfernung gestört werden können. Besonders nett gelungen ist dabei die Idee, die Videos interaktiv zu gestalten: Wenn eine Aktion, die näher beschrieben wird, eines Buttondrucks oder ähnlichem bedarf, dann friert das Video ein, der jeweilige Knopf wird eingeblendet und erst nach erfolgreichem Input wird die Aktion gezeigt. So verinnerlicht man theoretisch das gesamte Spielsystem und die Steuerung nach und nach sobald ein bestimmter Aspekt erstmals gebraucht wird. In der Realität klappt das leider nicht immer. Sicheres Herabfallen lassen und Bomben entschärfen werden nirgends erklärt, einiges etwas zu spät (etwa die Geräuschanzeige) und erst nach unzähligen verzweifelten Versuchen bin ich dahintergestiegen, wie man Objekte wirft. Laut Video reicht ein Druck auf B, doch dann lässt Sam die Dose oder ähnliches einfach fallen. Hier hilft nicht einmal mehr ein Blick in die Gebrauchsanweisung.
Diese Beispiele sind sinnbildlich für das ganze Spiel. Es steckt voller guter Aspekte, die meist durch Kleinigkeiten getrübt, beziehungsweise ausgehebelt werden. Wir haben es also auch im übertragenen Sinne mit einem Doppelagenten zu tun. Tatsächlich trägt das aktuelle Splinter Cell seinen Untertitel aber um seine größte Neuerung zu den Vorgängern hervorzuheben. Ab Mission zwei infiltriert Sam die terroristische Organisation JBA, indem er scheinbar für sie arbeitet, während er nebenbei weiterhin die Interessen der NSA vertreten muss. Dadurch teilen sich die Einsatzziele in drei Kategorien: Primäre, Sekundäre und Konträre Ziele. Ob es nun das Legen falscher Spuren, die Deaktivierung von Bomben oder der Mord an einem wichtigen Zeugen ist; sie alle sind einer der beiden Parteien zugeordnet. Der erfolgreiche Abschluss eines Auftrages steigert einerseits das Vertrauen der jeweiligen Fraktion, erhöht jedoch im gleichen Maße die Skepsis der anderen. Dabei sollte immer ein gesundes Mittelmaß gewahrt werden, denn einem allzu skrupellosen Sam droht beispielsweise plötzlich der Zusatzauftrag binnen zwei Minuten einen Computer zu finden, damit nicht die gesamte Mission abgebrochen wird und das Game Over droht.

Doppelt hält... recht ordentlich
Was nach einer interessanten Idee klingt... ist auch eine interessante Idee. Sehr viel mehr leider nicht. Nur selten warten wirkliche moralische Entscheidungen, wie über das Schicksal tausender Gäste eines Kreuzfahrtschiffes. Ansonsten werden Primärziele ohnehin erfüllt und Sekundär- bzw. Konträrziele bestehen praktisch nur aus einem nichtssagenden Briefing und einer langweiligen Erfüllung. Ob man nun eine Datei aus einem PC zieht oder Daten aus einem Schrank entnimmt: Spannung ist etwas anderes. So führt der Weg durch die meist äußerst linearen Levels oft direkt vorbei an Sekundärzielen und je nachdem, wie es um das Vertrauen aktuell beschaffen ist, erfüllt man eine Mission oder ignoriert sie. Dabei stellt es absolut kein Problem dar, es sich mit keiner Seite zu verscherzen und selbst wenn es doch einmal so weit ist: Nach einem kurzen Nebenauftrag ist alles wieder im Reinen, was dem Ganzen einiges an Spannung nimmt. Ebenfalls schade ist die mangelhafte Implementierung der Idee, Sam unterschiedliche Ausrüstung zukommen zu lassen, je nachdem, wer ihm gerade mehr vertraut. Die Unterschiede sind einfach zu gering, als dass man sich ernsthaft darum kümmern müsste.
Waffen, Waffen - gebt dem Mann eine Waffe!
Immerhin führen die zahlreichen Ereignisse, die durch Primär- und Konträrziele ausgelöst werden, die nicht eben übermäßig kreative, aber spannend erzählte, Geschichte um Waffenhändler, Verräter und Größenwahn fort. Zudem erlaubt das leicht ausnutzbare Vertrauenssystem Double Agent auf unterschiedliche Arten anzugehen: Pazifisten wählen den klassischen Splinter Cell-Weg und schleichen an Gegnern vorbei, beziehungsweise packen sie von hinten und knocken sie nach einem Verhör aus (oder geben sich doch etwas weniger pazifistisch, indem sie ihnen ein Messer in den Rücken rammen). Wer Schattenhocken für feige hält, greift zum Schnellfeuergewehr. Zwar haben Hobby-Rambos auf den höheren Schwierigkeitsgraden keine Chance, doch auch „Schwer“ lässt sich unter Einsatz großer Vorsicht mit hohem Bodycount meistern. Beides ist möglich und kann mit dem gezielten Abschluss von Sekundärobjekten ausgeglichen werden.
Argh, du sollst doch nicht springen!
Dazu trägt auch die Wii-Steuerung bei. Wie man es erwarten sollte, darf per Pointer gezielt und gleichzeitig die Kamera bewegt werden, ähnlich Red Steel. Nach relativ kurzer Eingewöhnungszeit gelingen schnelle und präzise Zielmanöver, die manchmal auch bitter nötig sind, etwa wenn eine Kamera deaktiviert werden muss oder ein Feuergefecht einen schnellen Abzugsfinger erfordert. Generell ist die Steuerung gut gelungen. Die zahlreichen Kommandos wurden sinnvoll auf die Tasten der Wiimote und des Nunchuk gelegt; dazu kommen einige weitere Einsatzmöglichkeiten für die Bewegungserkennung: Schlösser-Knacken erfordert feinfühliges Wiimote-Drehen, ein Ruck des Nunchuk nach oben löst einen Sprung aus (merklich präziser als etwa in Der Tierisch Verrückte Bauernhof) und ein Seitenschwung der Wiimote bewirkt das (ziemlich überflüssige) Anlehnen an Wände. Auch die Steuerung ist wie der Rest des Spiels nicht frei von Mängeln. So lehnt sich der Doppelagent schon mal unbeabsichtigt an eine Wand oder wenn er eigentlich eben jenes tun soll, dann springt er gelegentlich, was dem Schleichen nicht unbedingt besonders zugute kommt. Wirklich störend ist das glücklicherweise nicht, denn die Erkenntnis, dass das Anlehnen eher schmückendes Beiwerk, denn sinnvolles Feature ist, kommt schnell, so dass man es später komplett vernachlässigt und die Steuerung letztlich präzise und gut-designt ist.
Was für Pfeifen...
Die Frage nach dem „Warum“ taucht ohnehin unweigerlich wieder und wieder auf. Sam hat ein beeindruckendes Arsenal an Moves und Gadgets, doch ein Großteil davon ist entweder verhältnismäßig sinnlos oder nur selten einsetzbar. Beispielsweise der Spagatsprung, bei dem sich Sam hoch über dem Boden zwischen zwei nahe Wände stellt, ist beim ersten Einsatz noch ein echter Hingucker, aber dann ergeben sich zum einen wenige Gelegenheiten ihn überhaupt zu benutzen und zum anderen lohnt es sich nicht, nach solchen Orten Ausschau zu halten. Mit der Zeit stellt sich eine starke Routine im Ausschalten der Gegner ein: Entweder schleicht man vorbei, oder man eliminiert Gegner schnell aus dem Dunkeln mit einer Feuerwaffe oder ein kurzer Pfiff lockt einen Feind ins Dunkle, Sam schleicht ein paar Schritte zurück und wartet darauf, dass ihm das nun leichte Opfer nach einem irritierten Blick in den Schatten den Rücken zudreht. Moves wie der Genickbruch während Fisher an einem Rohr hängt, Partner-Moves wie eine Räuberleiter oder insbesondere der ausschließlich einmal im gesamten Spiel (im ersten Level) mögliche Mit-Gegner-im-Schlepptau-ins-Eis-Einbrech-Move vergeben zu viel Potential dadurch, dass sie nur an dermaßen wenigen und extra dafür gedachten Stellen angewendet werden können.

Technik, die begeistert/entgeistert
Gerade in den ersten beiden Levels fällt das noch nicht allzu stark auf. Hier locken noch Teamfeature, die Einführung in das Vertrauensfeature, (noch) interessante Moves und nicht zuletzt eine wirklich ansehnliche Optik. Die Eislandschaften Islands und die lodernden Flammen des Gefängnisses lassen auf mehr hoffen, doch abgesehen vom finalen Level gewinnt die Grafik des neuen Splinter Cell keine (positiven) Preise. Miese Texturen, geringe Auflösung und Baukasten-Architektur werden lediglich durch die gelungenen Animationen und die fantastischen Render-Cutscenes einigermaßen gerettet. Ubisoft dürfte das wohl selber ähnlich gesehen haben oder wie ist es sonst zu erklären, dass die letzte Mission mit wunderbaren Partikeleffekten und deutlich besserer Architektur aufwartet um das Spiel versöhnlich abzuschließen? Zudem wird das Spiel bei hoher Gamma-Einstellung noch ein gutes Stück hässlicher, bei niedriger Gamma-Einstellung dagegen ist das Nachtsichtgerät oft unabdingbar, wodurch die gesamte Umgebung in ein grieseliges Grau-Grün getaucht wird. Akustisch gibt sich Double Agent dagegen keine Blöße. Wenig, aber sehr gute Musikuntermalung, durchweg passende Soundeffekte und erstaunlich viel, sowie sehr gut gelungene Sprachausgabe verwöhnen die Ohren, wie es auf Nintendo-Plattformen eher selten der Fall ist.
Fazit:
Wer sich durch die letzten Absätze durchgeackert hat, der mag eventuell den Eindruck haben, dass Splinter Cell Double Agent im Dienste der Videospielgegner arbeitet; so schlecht könnte es sein. Das ist aber definitiv nicht der Fall. Wie bereits zu Beginn erwähnt, ist es ein grundsolider Titel, der unter einigen Problemen leidet. Sams vierter Auftritt lebt vor allem von seiner großartigen Akustik, seiner zunächst gewöhnungsbedürftigen doch dann äußerst intuitiven Steuerung, der soliden Geschichte gepaart mit dem interessanten Vertrauens-System, der relativ freien Wahl zwischen Waffengebrauch und Schleichen, dem freien Speichersystem und der Atmosphäre, bzw. der Spannung. Wenn sich Sam geduckt an eine Wache heranschleicht oder ein Feind meint, etwas Verdächtiges gesehen zu haben, dann setzt mehr als einmal die eigene Atmung aus, bis die Lage geklärt ist. Dem gegenüber stehen eine halbherzige Umsetzung des Vertrauens-Features und der diversen Moves in Fishers Repertoire, meist zu lineare Levels, Wii-unwürdige Grafik, ein viel zu geringer Umfang (9 Levels, die nach knapp 6-8 Stunden abgeschlossen sind), eine zumeist dümmliche KI (von besiegten Kumpanen hinterlassene Waffen interessieren niemanden und oft reicht eine Flucht über eine Leiter als unüberwindbarem Hindernis) und viele weitere, kleine Fehler. Wer zum Beispiel vor dem Öffnen einer Tür einen Blick auf das Gebiet dahinter per Kamera werfen möchte, der muss dies meist zweimal versuchen, da Sam die Kamera beim ersten Versuch direkt nach dem Anlegen wieder wegpackt. Besonders frustrierend ist auch ein Fehler in der Kongo-Mission: Da ich zu früh an eine Tür klopfte, konnte ich die Mission nicht mehr beenden. Mein Kontaktmann, der direkt hinter der Tür stand, war unerreichbar. Nur ein Neustart des kompletten Levels half. Dazu gesellen sich Gegner, die nicht um Ecken kommen, Objekte, die seltsamerweise nicht überquert werden können, Rechtschreibfehler, halboffene Türen, die sich erst nach Minuten öffnen lassen (so mehrmals bei ein und der selben Tür geschehen), optisch helle Orte, die als dunkel gelten und umgekehrt, Geräusche, die als lautlos angezeigt werden, aber dennoch Gegner anlocken, Bombenexplosionen, die laut Anzeige leiser sind als etwa ein Sprung, übermäßig laute schallgedämpfte Waffen und ein unheimlich übertrieben starker Rumble-Effekt bei Kameras. Das meiste hiervon sind eher kleinere Mängel, doch es addiert sich zu einem nicht zu unterschätzenden Verlust an Authentizität im Spielgefühl und gegebenenfalls auch Frust. Wem die Spielzeit von 6-8 Stunden zu gering ist, der kann sich an drei Schwierigkeitsgraden (bzw. vier nach dem ersten Durchspielen) versuchen und neben verschiedenen Cutscenes auch drei unterschiedliche Enden erspielen. Große Teile der XBox360-Fassung fehlen ebenso wie die beiden Bonusmissionen der PS2-Version. Aus Mangel an Alternativen können Wii-only-Besitzer mit Faible fürs Schleichen praktisch bedenkenlos zugreifen.
Von Burkhart von Klitzing
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Wertung für das Spiel Tom Clancy’s Splinter Cell: Double Agent |
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5.3 |
Grafik
Cutscenes und Animationen täuschen nicht über diese Missachtung der Wii-Fähigkeiten hinweg. |
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8.8 |
Sound
Erstklassige Sprachausgabe, Musik und Soundeffekte. |
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8.3 |
Steuerung
Wer nicht exzessiv mit Wänden kuscheln möchte und nicht allzu zittrig ist, wird sich sehr gut zurecht finden. |
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6.9 |
Gameplay
Mangelbehaftet, aber durchaus nicht schlecht. Routiniert ohne allzu große Bemühungen um Innovation. |
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6.7 |
Gesamt
(Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) |
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