Review von Tim Herrmann () | 24.03.2009
Eine Suchanfrage bei einem großen deutschen Online-Auktionshaus. Suche nach: „Baphomets Fluch“. Man blickt auf eine seitenlange Liste mit sehr preisgünstigen Computer- und Videospielen für alle möglichen Konsolen aus allen möglichen Jahren. Zum Beispiel - Baphomets Fluch 4 – Die Engel des Todes: 2,31€. Baphomets Fluch 3 – der schlafende Drache für XBOX: 4,12€. Baphomets-Fluch-Trilogie im Bundle: 8,42€. Baphomets Fluch (Teil 1, in Originalverpackung, für PC): 1,00€. 0 Gebote. Kaum Verkaufschancen. Ein Sammelsurium an Schnäppchen - gute Spiele zu Spottpreisen für verregnete Spätwintertage.
Aber halt, was ist das, was durchbricht da die freundliche Serie aus einstelligen Eurobeträgen? Baphomets Fluch – The Director’s Cut von Ubisoft für Wii. Festpreis von einem Händler: 47,99€? Ist der Verkäufer einfach bekloppt oder handelt es sich dabei vielleicht um einen ganz neuen Teil der Abenteuerserie, der diesen horrenden Neupreis rechtfertigen würde? Mitnichten, wie informierte Wii-Fans seit dem Jahresanfang wissen: Ubisoft hat den ersten Teil für Wii und den Nintendo DS neu aufgelegt und mit einigen zusätzlichen Schmankerln versehen. Was diese bringen und was den Klassiker eigentlich so lange überleben lässt, das lest ihr nun in unserem Test zu eben dieser neuen Wii-Version.
Die nächste Stufe des Wiimake-Wahns
Wiimakes, Neuauflagen oder Serienrevivals liegen in letzter Zeit voll im Trend: Nintendo legt seine alten GameCube-Klassiker in der NewPlayControl mit neuer Spielsteuerung wieder auf, Spiele vom Nintendo DS (z.B. Trauma Center) werden mit überarbeiteter Grafik auf die neue Konsole portiert, PunchOut!! ist ein NES-Klassiker in neuem Gewand und etliche PC-Spiele (vornehmlich Adventures wie Sam & Max, Geheimakte Tunguska, Agatha Christie & Co.) landen fast unverändert auf Wii. Baphomets Fluch eröffnet noch eine neue Kategorie: den Director’s Cut.
Das Original ist mittlerweile stolze 13 Jahre alt, erlebte seine Premiere 1996 auf dem PC und wurde dann auch auf Heimkonsolen und Handhelds portiert z.B. auf die PlayStation oder den GameBoy Advance. Wii ist die sechste Plattform des Spiels, Publisher Ubisoft musste sich also irgendetwas einfallen lassen, um das Meisterstück aus den 90ern noch einmal attraktiv zu machen. Das Ergebnis dieser Überlegungen heißt Director’s Cut: Es gibt brandneue, exklusive Spielabschnitte mit der französischen Journalistin Nico Collard, wenige frische Rätsel und ein paar Veränderungen in den Bildmodellen.
Die neuen Spielabschnitte haben an sich selbst den Anspruch, sich in das bereits Bestehende so glatt wie möglich einzugliedern und die Geschichte zu ergänzen. Um die Übergänge zwischen 1996 und 2009 möglichst fließend zu gestalten, befanden sich die Revolution Studios wieder an der Arbeit; auch das Original entstand hier. Die Sprecherin von Nico Collard, Franziska Pigulla, konnte man glücklicherweise ebenfalls wieder gewinnen und wo sich der neue und der alte Handlungsstrang in die Quere kamen, hat man recht geschickt alte Sprecher wieder an Bord holen können oder wenigstens versucht, neue Schauspieler so ähnlich wie möglich klingen zu lassen. Meistens gelingt das ganz gut – Kenner des Originals werden aber sofort wissen, was sie schon einmal gehört oder gesehen haben und was nicht. Die Revolution Studios haben sich zwar tunlichst darum bemüht, die beiden Pfade auseinander zu halten, aber wenn ab und zu in den Dialogen ein neuer Teil hinzu kommt, hört man das allein an der anderen Soundqualität.
Auch ein Meisterwerk kommt in die Jahre
Der Rest des Spiels ist absolut identisch geblieben, was sowohl für Plus- als auch für Minuspunkte sorgt. Zunächst muss man auf der positiven Seite klipp und klar sagen, dass Baphomets Fluch seinerzeit eines der besten Point & Click Abenteuer war und auch heute noch begeistern kann. Allerdings ist 1996 doch etwas anderes als 2009 und das merkt man der Neuauflage auch deutlich an.
Die soundtechnische Qualität der Dialoge ist mittlerweile inakzeptabel, denn es hört sich alles irgendwie dumpf an; so, als hätten die Synchronsprecher beim Vertonen ein Stofftuch vor dem Mund gehabt und auf einen Kassettenrekorder eingeredet. Das soll nicht heißen, dass es Verständnisschwierigkeiten gibt – die gab es ja damals auch nicht – aber S-Laute verschwinden schnell einmal und werden vom kassettentypischen Rauschen verschluckt und man hört einen deutlichen Unterschied zu den Passagen mit der 2009er-Nico, wo alles ganz klar und deutlich erklingt. Vielleicht kann man diesen Fakt technisch heute nicht mehr umgehen, aber dann bleibt trotzdem noch die absolut unverständliche Tatsache, dass auch die neuen Interaktionspartner von Nico so dumpf sprechen: Deren Stimmen hätte man wenigstens mit moderner Technik aufnehmen können. Jetzt ist es so, dass man einzig und allein den neuen Nico-Monologen anhört, dass sie neu aufgenommen wurden, der Rest hört sich wirklich an wie aus den tiefsten 90ern.
Diese Kritik darf aber auf keinen Fall auf die künstlerische Qualität der Dialoge umgemünzt werden, denn diese ist nach wie vor erhaben: George Stobbart und Nico Collard haben tolle Sprüche auf den Lippen, sind so schlagfertig, wie es jeder andere gern wäre, und führen intelligente Gespräche mit vielschichtigen Charakteren, deren Sprecher schauspielerisch keine Wünsche offen lassen. Die Autoren von Baphomets Fluch haben vielleicht den größten Anteil daran, dass das Spiel auch noch nach dreizehn Jahren so viele Freunde hat, dass man eine Neuauflage rechtfertigen kann. Während man in anderen Spielen gleichen Typs gerne die Dialogboxen am laufenden Meter wegklickt, hört man den perfekt betonten Sätzen und Stellungnahmen der Charaktere in Baphomets Fluch gespannt zu, erfreut sich an natürlicher Komik und wird durch dunkle, charakteristische Stimmen und perfekte Akzente in gefährlichen Situationen in den Bann des Abenteuers gezogen.
Das gleiche kann man auch auf die Grafik übertragen: Zu seiner Zeit war Baphomets Fluch in der handgezeichneten zweidimensionalen Comic-Optik wunderschön und auch heute noch versprühen die zu untersuchenden Schauplätze ihren Charme. Aber trotzdem ist insgesamt gesehen immer noch deutliches Verbesserungspotential vorhanden. George Stobbart hat kaum Animationen, ist pixeliger als nötig und bewegt sich relativ ruckelig – das Spiel läuft teils mit einer sehr niedrigen Framerate. Das hat keine spielerischen Auswirkungen, weil das Abenteuer insgesamt natürlich sehr langsam ist, aber es ist schon ärgerlich, dass man in keiner Weise an der optischen Seite der alten Abschnitte gefeilt hat.
Den neuen Nico-Passagen sieht man von der Umgebung her nicht unbedingt an, dass sie 1996 noch nicht dabei waren. Allerdings zeigen schöne Standbilder und hübsche Comic-Sequenzen zwischendurch einen Unterschied zu den alten Passagen, die nur selten mit Zwischensequenzen glänzen und auch keine Standbilder zwischendurch einblenden.
Baphomets Fluch – Nico-Edition
Wenn man das Wort „Director’s CUT“ hört, also Regieschnittfassung, kommt man ja eigentlich primär erst einmal nicht auf die Idee, dass die Entwickler zusätzliche Inhalte hinzugefügt haben könnten. So ist es bei dieser Neuauflage aber: Zunächst einmal der wichtigste Teil, die neuen Spielabschnitte, die ihr mit Nico Collard spielt. Mit der Journalistin beginnt dieser Director’s Cut, sie soll ein Interview mit einem populären französischen Staatsmann führen, der allerdings kurze Zeit darauf kaltblütig erschossen wird. Von hier an entwickelt sich für Nico eine Geschichte um ihr persönliches Leben, um ihre Familie und um Verschwörungen um den ermordeten Präsidentschaftsbewerber. Während man anfangs noch keine oder höchstens wenige Parallelen zur eigentlichen Vorlage ausmachen kann, beginnen die beiden Geschichten mit der Zeit, sich ineinander relativ logisch zu verzahnen. Weil man das Original aber unangetastet lassen wollte und sich die neuen Spielabschnitte ausschließlich mit Nico befassen, kann der Titel nie einfach machen, was für den Verlauf der Geschichte eventuell am besten wäre – er ist komplett abhängig von der Vorlage und muss deswegen manchmal Kompromisse eingehen. Deswegen ist es auch immer etwas unlogisch, dass Nico George gegenüber nie etwas von ihren eigenen spannenden Nachforschungen erzählt – aber in der Vorlage gab es das halt noch nicht. Und ein einfaches Einfügen einzelner Dialogzeilen hätte der Fan sofort bemerkt.
In Nicos Spielabschnitten scheint auch vom Gameplay her schnell durch, dass sie an das Original herangehängt worden sind. Denn hier trifft der Wii-Spieler ab und zu auf Rätsel, die es früher nicht gab und die in dieser Form sogar noch Gebrauch von der Wii-Remote und ihren Bewegungssensoren machen. Manchmal findet Nico verschlüsselte Schriften, in denen sie Symbole durch Buchstaben ersetzen muss, ab und zu müssen Bilder zusammen gepuzzelt werden. Dabei fällt dann aber auch ins Auge, wie schlecht die Bewegungssensoren der Wii-Remote implementiert worden sind, wenn man sie wie einen Schlüssel drehen soll. An einer Spielstelle, wo man ein Rad wie bei einem Tresor nach links und rechts drehen soll, erschwert die Bewegungssteuerung den Fortschritt im Spielverlauf extrem. Solche Situationen hätte man anders lösen müssen; alles in allem kann man aber sagen, dass die Rätseleinlagen durchaus frisch daherkommen und den Spielverlauf auflockern können. Während in den klassischen George-Passagen „nur“ konventionell geplaudert und mit Items gearbeitet wird, ist Nico spielerisch ein wenig moderner.
Bei dieser Feststellung fragt man sich dann auch: „Warum nur ein Director’s Cut?“. Die Spielabschnitte mit Nico sind gut, grafisch, spielerisch und atmosphärisch fügen sich diese neuen Teile sehr harmonisch in das dreizehn Jahre alte Konzept ein. Die Synchronisierung ist wieder exzellent, die Musik überzeugt und die oben bereits erwähnten szenischen Mittel wie Zwischensequenzen, Standbilder etc. bereichern das Ganze umso mehr. Revolution Software ist also durchaus noch fähig, diese Art von Spielen zu entwickeln und das Franchise könnte man nach den eher durchwachsenen 3D-Teilen so schön wieder mit einem neuen Teil zurück in die Gegenwart katapultieren – Wario Land oder A Boy and his Blob zeigen, dass hübsche 2D-Grafiken auch heute noch durchaus salonfähig sein können. In diesem Falle war es leider offensichtlich so, dass Ubisoft zu wenig Budget zur Verfügung gestellt hat und gelinde gesagt zu feige war, einen ganz neuen Teil zu wagen. So hat man sich übervorsichtig an das Altbewährte heran geschlichen, es heimlich, still und leise mit einigen neuen Elementen versehen und verkauft es nun zum Vollpreis weiter. Vielleicht setzen die Fans ja die richtigen Impulse und Ubisoft entscheidet sich doch irgendwann zu einem ganz neuen, exklusiven Teil. Bis dahin dürfte man dann aber wohl mindestens noch mit einem Director’s Cut des ebenfalls sehr guten und stilähnlichen zweiten Teils rechnen…
Die weiteren Änderungen in der Neuauflage beschränken sich auf kleine Dialogfenster, die in Gesprächen nun immer rechts und links oben eingeblendet werden. Eigentlich sind sie ziemlich sinnlos, denn man sieht nur die emotionslosen Gesichter der sprechenden Charaktere – flüssige Animationen hätten hier viel Sinn ergeben; allerdings waren wohl auch die wieder zu teuer. In den Gesprächsleisten wurden die Modelle für die gesammelten Gegenstände und die zu besprechenden Themen nun leicht verändert, allerdings kaum nennenswert. Es geht immer noch darum, in den Gesprächen alle Items einmal zur Diskussion zu stellen und jedes mögliche Thema einmal anzuschneiden, um wichtige Informationen zu erhalten. Ein sinnvolles Feature ist sicherlich ein Hilfe-Modus, der bei schwierigen Kopfnüssen weiter hilft oder Anleitungen gibt, was die Protagonisten als nächstes zu tun haben. Brutalerweise zählt das Spiel aber jeden vergebenen Tipp, wodurch Profis das entsprechende Fragezeichen-Symbol so selten wie möglich in Anspruch nehmen werden.
Fazit:
Baphomets Fluch war, ist und bleibt ein gutes Spiel. Auch wenn sich das dreizehn Jahre alte Abenteuer spielerisch auf Plaudern und Entdecken beschränkt und technisch nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand ist, begeistert es nach wie vor durch seine spannende Geschichte, die brillanten Synchronschauspieler und eine gelungene, atmosphärische Inszenierung. Aber heutzutage noch den Vollpreis von 50 Euro dafür zu verlangen, ist alles andere als kundenfreundlich (besonders angesichts der in der Einleitung durchgeführten Recherche). Die Neuerungen sind bis auf die neuen Spielabschnitte absolut nicht nennenswert und beschränken sich auf sinnfreie Bildchenkästen, viel zu wenige neue Rätsel und eine Hilfefunktion, die durch die zahllosen Komplettlösungen im Internet eigentlich auch nutzlos gemacht wird. Die neuen Passagen mit Nico sind gut und knüpfen nahtlos an den Charme des Originals an – aber so gut wie sie sind: Ihr Umfang beträgt nur etwa anderthalb Stunden (bei zehn Stunden Gesamtspieldauer). Und weil das Original unangetastet blieb (oder bleiben musste), muss sich die Parallelgeschichte um Nico Collard in ihre eigenen Schranken weisen, um nicht in Kollision mit der Templerstory zu kommen. Wer Baphomets Fluch noch nicht kennt und aus irgendeinem Grund nicht zur PC-Version greifen kann / will, bekommt mit diesem Titel ein tolles Point & Click Abenteuer für Wii. Und der ganze Rest überlegt, ob er sich für seine 50€ einen anderen Verwendungszweck als neue Bildchen und ein Einstunden-Nebenspiel vorstellen kann.
Von Tim Herrmann
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Wertung für das Spiel Baphomets Fluch – Director’s Cut |
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6.9 |
Grafik
Die Comic-Hintergründe sehen immer noch fantastisch aus. Aber ansonsten hat sich grafisch rein gar nichts getan – keine flüssigeren Animationen, keine zusätzlichen Zwischensequenzen und das Spiel läuft immer noch mit einer niedrigen Framerate und minimalistischen Charaktermodellen. |
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8.7 |
Sound
Die Sprachausgabe mit den perfekten Synchronsprechern sucht auch heutzutage noch ihresgleichen und die Musik kreiert perfekte Stimmungen. Perfekt. Abzüge gibt es nur für die Soundqualität, die sich in heutigen Ohren und besonders im Vergleich zu den 2009er-Aufnahmen mit Nico nicht mehr zeitgemäß, sondern gedämpft und dumpf anhört. |
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7.0 |
Steuerung
Die klassischen Spielpassagen benutzen lediglich den Pointer der Wiimote, der immerhin sehr fix reagiert und keine Wünsche offen lässt. In Nicos Spielabschnitten kommen auch die Bewegungssensoren zum Einsatz, allerdings haben die Entwickler ihr eigenes Spiel scheinbar nicht gespielt. Sonst hätte man merken können, dass sie manchmal einfach wirklich schlecht funktionieren. |
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8.5 |
Gameplay
Spannender interaktiver Krimi-Thriller, der kaum spielerische Innovationen mit sich bringt, dafür aber umso mehr durch seine Inszenierung punktet. |
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7.7 |
Gesamt
(Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) |
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