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Scarface - The World is Yours
Review von Andreas Held (mail) | 24.07.2007

GTA-Klone scheinen in letzter Zeit sehr „in“ zu sein, wenn es um Filmumsetzungen geht. Während sich EA mit The Godfather noch recht nah am Original bedienen konnte, mussten die Entwickler von Spider-Man 3 schon tricksen, um es in dieses Genre zu schaffen. Selbst Kinderspiele wie "Der total verrückte Bauernhof" kopieren mittlerweile das Design dieser Sandbox-Spiele und somit bekommen Wii-Besitzer nun mittlerweile schon das vierte Spiel aus der Schnittmenge der Filmumsetzungen und GTA-Klone. Der Erfolg gibt ihnen jedoch recht: Jedes der oben genannten Spiele konnten bei uns Wertungen über 6.5 Punkten einfahren, was für Lizenzspiele schon fast den Videospiele-Olymp bedeutet. Außerdem wird Scarface: The World is Yours von Sierra vertrieben, die schon mit Ice Age 2 zeigten, dass auch Filmumsetzungen durchaus sehr gute Spiele sein können. Das engagierte Entwicklerstudio in diesem Fall ist Radical Entertainment, die mit "Simpsons: Hit and Run" sogar schon Erfahrungen auf diesem Gebiet haben. Die Vorbedingungen stimmen also - Zeit, Scarface an die Nieren zu gehen.

Geld, Macht und Frauen
Anders als in den meisten Filmumsetzungen, spielt ihr in Scarface nicht die Handlung des Films nach. Stattdessen setzt die Story am Ende der Originalvorlage an: Tony Montana, Boss eines riesigen Drogenimperiums, wird in seiner eigenen Villa von Sosa, einem ehemaligen Partner, angegriffen. Tony kann dabei nur sich selbst retten, der komplette Rest seines Imperiums wird zerstört. Das Ziel des Spiels ist also offensichtlich: Rache. Rache an allen, die Tony verraten und ihn gestürzt haben. Die Handlung, die zu Beginn des Spiels noch sehr gut präsentiert wird, nimmt dabei sehr schnell eine untergeordnete Rolle ein. Stattdessen entwickelt sich Scarface zu einem größtenteils nonlinearen GTA-Klon, der vieles aus älteren Spielen wie The Godfather oder GTA San Andreas klaut, jedoch auch einige eigene Features einbringt.

Um Montanas Imperium wieder aufzubauen, müsst ihr vier Stadtteile Miamis der Reihe nach abarbeiten und aufmischen. Zunächst braucht ihr dazu sogenannte Tarnfirmen, die auf der Karte markiert sind. Sprecht ihr mit dem Manager der einzelnen Geschäfte, gibt euch dieser einen Auftrag, der erfüllt werden muss - danach steht das Geschäft für eine ordentliche Summe zum Verkauf. Habt ihr alle Läden übernommen und somit die Oberhand im jeweiligen Viertel wiedererlangt, geht es den Anführern der dortigen Gangs an den Kragen, und der nächste Stadtteil öffnet sich. Um an die nötigen Geldmittel zu gelangen, müsst ihr in erster Linie Drogen verticken - anfangs erledigt ihr dazu kleine zufallsgenerierte Missionen und vertickt eure als Belohnung erhaltene Ware an Straßenhändler oder später an eure Tarnfirmen, was weniger aufwendig ist, dafür jedoch auch weniger Umsatz bringt. Im weiteren Spielverlauf ergeben sich dabei viele neue Möglichkeiten, an Geld zu gelangen. Insgesamt ist das Missionsdesign von Scarface aber nicht wirklich abwechslungsreich. Die Entwickler bieten zwar genug Variation, insgesamt hat man alle Missionsarten jedoch schon irgendwo gesehen: Mit dem Auto möglichst schnell Waren ausliefern, ein Gebäude stürmen und dabei alle Gegner ausschalten, Fahrzeuge beschützen die nicht zerstört werden dürfen - Scarface beschränkt sich auf das Wesentliche: Fahren und Schießen. Und auch wenn es das nicht schlecht macht, fehlen wirkliche Überraschungen.



Tony Montana ist dabei eine echte Kampfmaschine. Wenn es in einer Mission menschlichen Gegnern an die Wäsche geht, sind es meistens mehr als 30 davon. Jeder Treffer lädt dabei Tony's Mumm-Anzeige auf - ist diese vollständig gefüllt, kann der "Blinde Wut"-Modus aufgerufen werden. Für etwa zehn Sekunden läuft das Spielgeschehen dann in sehr starker Zeitlupe ab, der Bildschirm färbt sich rot und Tony kann Dauerfeuer geben, ohne Nachladen zu müssen. Obwohl in diesem Zustand jeder getötete Gegner die Lebensenergie regeneriert, muss die Blinde Wut in den meisten Missionen für bestimmte Stellen aufbewahrt werden, die ohne Bullet-Time und unbegrenzte Munition schlichtweg nicht zu schaffen sind. Aber auch in seinem normalen Zustand ist es für Tony kein Problem, in wenigen Sekunden ein Dutzend Gegner auszuschalten - solange die Steuerung funktioniert. Hier kämen wir dann auch gleich zum Hauptkritikpunkt des Spiels.
An sich bietet Scarface die gleiche Steuerung, die sich mittlerweile für Shooter auf der Wii-Konsole etabliert hat. Mit der Pointer-Funktion der Remote könnt ihr frei zielen, bewegt ihr die Wii-Remote weiter nach außen, dreht sich die Kamera. Irgendjemand von Radical Entertainment war jedoch offensichtlich der Meinung, dass nicht der komplette Bildschirm als Zielbereich dienen sollte. Als Ergebnis verwandelt sich euer Fadenkreuz ab einem gewissen Punkt in ein Verbotsschild - dies ist der Punkt, an dem die Kamera ihre maximale Drehgeschwindigkeit erreicht hat. Das größere Problem ist dabei jedoch, dass somit der Bereich zwischen der Mitte des Bildschirms und dieser unsichtbaren Grenze die Kamera bereits dreht. Steht ein Gegner, auf den ihr zielen wollt, also links im Bild, dreht sich die Kamera nach links weg, ohne den Pointer zu bewegen - ihr müsst also die Bewegung der Kamera entsprechend ausgleichen, indem ihr wieder weiter nach rechts zielt, um den Gegner wieder ins Visier zu bekommen. Alternativ können auch alle Ziele mit der Z-Taste anvisiert werden, dies dient jedoch nur als grobe Hilfe und schränkt den Bereich des Pointers auf ein kleines Feld um die Gegner herum ein - gezielt werden muss immer noch selbst. Da sich der Pointer hier aufgrund der kleineren Fläche wesentlich langsamer bewegt und bei schnellen Zielwechseln der Pointer auf dem Bildschirm hin und her springt, spielt es sich damit jedoch mehr als unintuitiv.
Die Steuerung ist nun zugegeben nicht ganz so schlecht, wie es hier vielleicht herüber kommt - das Spiel bietet vier verschiedene Einstellungsmöglichkeiten, die Empfindlichkeit der Kamera zu regulieren, und nach einer Eingewöhnungszeit sollte hier jeder eine Einstellung finden, mit der er zurecht kommt - letztendlich muss man sich jedoch fragen, warum die Entwickler es nicht geschafft haben, einfach den kompletten Fernseher als Zielbereich zu wählen und die Kamera erst dann zu drehen, wenn der Spieler neben den Bildschirm zeigt. Es macht das Spiel nicht kaputt, ist jedoch ein ziemlicher Patzer, der ihm letztendlich den Aufstieg in höhere Wertungsregionen verwehrt, zumal es auch schon genug Spiele gibt, die zeigen, wie es richtig gemacht wird.

Viele nette Features
Und diese Wertungsregionen hätte Scarface durchaus erreichen können, denn insgesamt hat es doch einiges zu bieten, was man gerade von einer Filmumsetzung nicht erwartet hätte. Ganz oben auf der Liste steht hier das stark überarbeitete Polizeisystem, bei dem ihr nun nicht mehr auf offener Straße erschossen werdet, weil ihr bei rot über die Ampel gefahren seid. Stattdessen füllt jede Straftat zunächst einen weißen Rand auf, der nach und nach die Minikarte in der linken Bildschirmecke umschließt. Während sich dieser Balken aufbaut, gehen die Cops mit gesenkter Waffe auf euch zu, und ihr könnt mit ihnen reden, damit es bei einer mündlichen Verwarnung bleibt. Ist ein friedliches Verhalten missionsbedingt nicht möglich, wird der weiße Rand die Karte irgendwann jedoch komplett umschließen - dann wird es ernst. Ab diesem Punkt riegeln die Cops den Bereich großräumig ab und der Balken färbt sich nach und nach rot. Dann solltet ihr zusehen, schleunigst mit eurer Aufgabe fertig zu werden, aus dem abgeriegelten Bereich zu fliehen und alle Cops, die euch darüber hinaus verfolgen, entweder abzuhängen oder unschädlich zu machen. Färbt sich der Rand komplett rot, verlieren die Cops die Geduld, und Montana hat nur noch wenige Sekunden zu leben. In diesem Fall wird euch euer komplettes Bargeld, das ihr nicht auf das Bankkonto eingezahlt hab, sowie Drogen, die ihr bei euch tragt, abgenommen.

Auch sonst hält Scarface im weiteren Spielverlauf immer wieder kleine, nette Überraschungen bereit. Die Steuerung der Fahrzeuge ist komplett unproblematisch und es kommt nicht selten zu Verfolgungsjagden, in denen ihr mit dem Nunchuck euer Fahrzeug lenkt und mit der Wii-Remote auf das Gefährt des Gegners zielt. Hier ist dann seltsamerweise auch komplett freies Zielen möglich, da die Kamera immer streng in Fahrtrichtung zeigt und ihr somit auch Ziele anvisieren könnt, die sich nicht in der Bildschirmmitte befinden, ohne dass sich die Kamera wegdreht. Außerdem erhaltet ihr ziemlich schnell Zugriff auf einen Warenkatalog, über den ihr neben Möbelstücken, die sich frei in Montanas Villa platzieren lassen, auch Mitarbeiter anheuern könnt, die euch tatkräftig unterstützen. So könnt ihr später beispielsweise euren Waffenhändler anrufen, eine voll geladene AK-47 bei ihm klar machen und danach mit eurem Fahrer telefonieren, der euch einen gepanzerten Geländewagen an Ort und Stelle bringt, in dessen Kofferraum sich dann euer komplettes frisch eingekauftes Waffenarsenal befindet. Drei dieser Mitarbeiter sind sogar selbst spielbar, können jederzeit im Menü angewählt werden und verfügen über ihr eigenes Repertoire an generierten Missionen, mit denen sich zusätzliches Taschengeld verdienen lässt. Außerdem könnt ihr Damen, deren Kleidung insgesamt weniger zu wiegen scheint als ihr Make-Up, dazu überreden, in eure Villa einzuziehen, an Rennen teilzunehmen, feindliche Gangs zu beseitigen und so weiter. Wie gesagt, Scarface bietet sehr viele spielerische Möglichkeiten, und wer sich damit befasst, kann gut und gerne 20 bis 30 Stunden Spielzeit aus dem Titel herausschlagen, ohne dabei sinnlos in der Gegend herumzufahren.

Außerdem sollte hier noch gesagt werden, dass Scarface wirklich schwer ist. Geübte Zocker können circa fünf Versuche für jede Mission einplanen, Anfänger sollten gänzlich die Finger von dem Titel lassen. Auf der einen Seite ist das sehr erfrischend, da die meisten der an neue Zielgruppen gerichteten Gelegenheitsspiele, die ja leider den Großteil der Spielebibliothek für Wii ausmachen, geübte Veteranen ziemlich langweiligen. Diese werden den höheren Schwierigkeitsgrad mit offenen Armen begrüßen. Auf der anderen Seite fragt man sich jedoch auch oft, warum man gerade gestorben ist - liegt es wirklich nur an der Anzahl und Stärke der Gegner oder doch eher an den oben erwähnten Kameraproblemen? Sicher ist jedenfalls, dass sich Scarface mit Übung meistern lässt, ungeduldige Spieler jedoch sehr schnell frustriert die Wii-Remote in die Ecke schmeißen werden.



Solide Technik
Auch wenn man Scarface deutlich ansieht, dass es ebenfalls auf der PS2 erschienen ist, kann die Grafik für Wii-Verhältnisse durchaus überzeugen. Die Außenareale sehen schon ziemlich gut aus, auch wenn in einigen Bereichen langweilige, matschige Texturen überwiegen und der Spieler nach dem Besteigen eines Bootes mit grottenschlechten Wassertexturen unter N64-Niveau geschockt wird. Dafür wird die Innenstadt mit vielen Palmen und anderen Objekten geschmückt, auch die Häuser selbst sehen sehr nett aus. Das Innere von Gebäuden kann hingegen voll überzeugen - hier haben sich die Entwickler wirklich Mühe gegeben und detaillierte Innenräume gestaltet, die für einige nette Wow-Effekte sorgen.

Soundtechnisch hingegen gibt sich das Spiel absolut keine Blöße. Der Soundtrack deckt mit über 80 Titeln alle Genres über Pop, Reggae und Rock bis hin zu Hip Hop perfekt ab und vertritt diese sogar mit prominenten Namen wie Motorhead, Run DMC oder Shaggy. Auch die Soundeffekte, über die Motorengeräusche bis hin zu den Schussgeräuschen der einzelnen Waffen, liegen in perfekter Form vor. Abgerundet wird der Eindruck von einer extrem guten Sprachausgabe - Tony Montana wird zwar nicht von Al Pacino, dem Originalsprecher des Films, vertont, sein Ersatzmann leistet jedoch ebenfalls erstklassige Arbeit und bringt Tonys draufgängerischen Charakter sehr gut rüber. Auch alle anderen Figuren, selbst Nebencharaktere, die nur in einer Mission auftauchen, wurden professionell und größtenteils auch von den Originalstimmen des Films nachgesprochen und machen das Spiel zu einer würdigen Filmumsetzung.

Fazit:
"Scarface - The World is Yours". Die Welt könnte tatsächlich den Entwicklern gehören, denn passend zum Sommerloch veröffentlichen sie auf einer Konsole, die ohnehin nicht gerade viele qualitativ hochwertige Spiele bietet, einen GTA-Klon, der alle Spieler, die sich erwachsene und anspruchsvolle Titel wünschen, zufriedenstellen sollte. Denn auch wenn die deutsche Version geschnitten ist, hat sich Scarface seine 18er-Freigabe wirklich verdient. Das Spiel ist nicht unblutig, Leichen bleiben liegen und die englische Synchronisation liegt in unzensierter Form vor. Wer darüber hinaus die Gliedmaßen von Gegnern abtrennen will, sollte sich die UK-Version zulegen. Aber auch sonst ist Scarface ein umfangreicher Titel, der überraschend nonlinear ist, an die Story des Films anknüpft, bekannte Orte und Charaktere in eine neue Handlung integriert und dem Spieler viele Möglichkeiten bietet, Montanas Imperium wieder aufzubauen. Wäre da nicht die Steuerung, mit der sich die Entwickler keine Mühe gegeben haben und die deshalb sehr gewöhnungsbedürftig ausfällt, würde Scarface locker zu den bisher besten Wii-Spielen zählen. So bleibt unterm Strich ein guter Titel, der für Genrefans trotz der Kritikpunkte auf jeden Fall mehr als einen Blick wert ist.

Von Andreas Held
Wertung für das Spiel Scarface - The World is Yours
Wertungen Beschreibung
8.5Grafik
Für Wii-Verhältnisse auf hohem Niveau, gerade die Gebäude sehen klasse aus.
9.2Sound
Gigantischer Soundtrack, perfekte Soundeffekte und professionelle Sprachausgabe.
7.0Steuerung
Nutzt die Wii-Remote, funktioniert aber erst nach einer langen Eingewöhnungszeit.
8.7Gameplay
Abwechslungsreich, umfangreich und extrem fordernd, aber wirkliche Innovationen fehlen.
8.3Gesamt
(Kein Durchschnitt der Einzelwertungen)



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