Review von Tim Herrmann (mail) | 16.04.2012
Mit dem europäischen Launch-Termin von Pandora’s Tower hat Nintendo alles richtig gemacht, am Freitag, dem 13. April, erschien das Action-Adventure. Die Furcht vor diesem Datum sitzt tief – es gibt sogar Paraskavetriadekaphobiker, die sich am Freitag-den-Dreizehnten gar nicht vor die Tür trauen. Der Mythos geht natürlich wieder auf Jesus zurück, der an einem Freitag ans Kreuz genagelt wurde. Die 13 ist als „Dutzend des Teufels“ in unseren Kulturkreisen ohnehin verschrien. Das perfekte Datum also für ein obskures japanisches Action-Spiel, in dem ein hilfloses Mädchen verflucht wird und auf einen mutigen Helden hoffen muss, der 13 Türme durchkämmt, um sie zu retten. Hält Pandora’s Tower als drittes großes Action-Rollenspiel aus Japan, was es verspricht - oder hatten die Fans an diesem Freitag dem 13. wirklich Pech?
In guten wie in schlechten Zeiten – vor allem in schlechten
Eine junge Frau, gezeichnet von einem obskuren Fluchmal auf dem Rücken, zierte die ersten Artworks von Pandora’s Tower und Fans erschauerten im Angesicht der düsteren Mystik dieser Neuankündigung. Helena, eine graziöse Damengestalt, wird auf einer festlichen Zeremonie mit einem Fluch belegt und muss fortan das rohe Fleisch fauliger Monster aus verbotenen Türmen zu sich nehmen, um nicht selbst zu einem geifernden Biest zu verkommen. Ihr geliebter Held zieht los und entreißt verrottenden Kreaturen die Fleischbrocken mit einer magischen Kette vom lebendigen Leib. Steht da wirklich Nintendo auf der Verpackung?
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Tatsächlich ist die Geschichte von Pandora’s Tower eine der düstereren, die es in den letzten Jahren auf Wii gab, und damit das Markenzeichen des Spiels. Die Erzählweise ist aber gewöhnungsbedürftig: In zerhackten Bröckchen skizziert die Einführungssequenz die grobe Vorgeschichte und wirft den Spieler unvermittelt ins Gameplay. Erst nach und nach wird alles etwas klarer: Wer ist Aeron, woher kennt er Helena? Wie haben die beiden die zwielichtige Mawda-Gestalt getroffen, die ihnen beim Brechen des Fluchs hilft? Es ist befremdlich, dass man über solche grundlegenden Infos die ersten Stunden im Dunkel gelassen wird. Früh erfahren Spieler immerhin, wo sich die drei befinden: im Observatorium an „der Narbe“, einer bodenlosen Schlucht, die die Welt entzwei risse, würde sie nicht von elf Ketten zusammengehalten. In der Mitte dieses Abgrunds erhebt sich bedrohlich die Festung mit den 13 Türmen der Pandora - ein wunderschön-düsteres Szenario, das immer wieder sichtbar wird, wenn Aeron von seinen Feldzügen an die Basis zurückkehrt.
Zwischen den Gameplay-Sequenzen sieht der Spieler herrlich animierte und bedrückend inszenierte Filmsequenzen: Wenn Helena das erste Mal in ein triefendes, fauliges Stück Fleisch beißt und sich dabei fast übergibt, ist das einer der eindrucksvollsten Videospielmomente der letzten Jahre. Wenn sie sich mit brüchigem Wimmern und unter Qualen in ein Tentakel-Monster verwandelt, übertragen sich Ekel und Abscheu, Mitleid und Qualen direkt auf den Spieler. Ganz klar: die Geschichte ist die große Stärke von Pandora’s Tower.
Das hohe Niveau der Geschichte kann Pandora’s Tower aber nicht dauerhaft halten, denn dazwischen mischt sich ein Störfaktor: das eigentliche Spiel.
Ein Action-Adventure-Liebessimulations-Rollenspiel mit offenem Ausgang
Im Kern ist Pandora’s Tower ein kampflastiges Action-Adventure, in dem ihr den Helden, Aeron, nach und nach durch dreizehn Türme (Wasser, Feuer, Pflanze etc.) steuert. Er muss das Meisterfleisch einsammeln, das seine verhexte Orakloskette den Endgegnern entreißt. Zu lange darf er dafür aber nicht brauchen: Während sich Aeron durch die Türme schlägt, schreitet der Fluch bei Helena fort. Ist die Zeit abgelaufen, wird sie unwiederbringlich zum Monster. Wird es ganz knapp, muss Aeron zurücklaufen und ihr das Fleisch kleinerer Biester bringen, um Zeit zu gewinnen.
Auf dem Weg durch die Türme merkt man schnell, was sich das Spiel vorgenommen hat: „Wenn ich einmal groß bin, will ich The Legend of Zelda sein. Oder Castlevania“. Jeder Turm ist ein zusammenhängender Komplex, den ihr nach und nach immer weiter erschließt. Ziel ist es, die große Tür zum Endgegner zu öffnen, die durch schwere Ketten versperrt wird. Sie muss der Spieler bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgen und zerstören.
Das erfordert einiges Erkunden – und in dem Zusammenhang auch Rätsel, die sich um die Orakloskette ranken. Schalter wollen betätigt, Plattformen bewegt und Vorsprünge als Ankerpunkte benutzt werden, an denen die Kette wie ein Enterhaken benutzt werden kann. Dabei bleibt es dann aber auch: In einem Zelda-Abenteuer hätte die Idee der Kette einen Dungeon gefüllt, in Pandora’s Tower muss sie das ganze Spiel über als einziges Rätsel-Instrument herhalten – trotz verschiedener Moves.
Zwischendurch finden sich Schätze en masse, allerdings ist das Inventar schon nach etwa fünf Minuten in einem Turm voll. Dann beginnt das fürchterlich lästige Wegwerfen, Ersetzen oder Einlagern - einfach unnötig. Ihr findet auf eurem Weg unter anderem Materialien, mit denen ihr in der Basis die Waffen aufleveln könnt. Hier kommen nun ein paar Rollenspiel-Elemente zum Tragen, die sich dem ansonsten actiondominierten Spielprinzip aber klar unterordnen.
Wenn er Fleisch oder gefundene Geschenke zu seiner Holden bringt oder einfach nur zwischendurch mit ihr plaudert, füllt sich eine Leiste am linken Bildschirmrand: Sie symbolisiert die Innigkeit der Beziehung zwischen den beiden und macht damit den manchmal etwas schnulzigen Love-Simulation-Teil dieses Action-RPGs aus. Diese Leiste entscheidet mit darüber, wie das Ende des Spiels aussieht. Abhängig von den Geschehnissen gibt es nämlich sechs alternative Finalszenen.
Ohne Monster kein Monsterfleisch: Die dämonischen Kreaturen tummeln sich überall im Turm und stellen sich dem Kampf mit dem bewaffneten Protagonisten. Auch hier steht die Kette im Mittelpunkt. Gegner lassen sich mit ihr fesseln, auf andere Kontrahenten schleudern oder einfach nur kurz angreifen. Für besonders starke Angriffe könnt ihr die Kette durch langen Druck auf den C-Knopf des Nunchuks „aufladen“. Der A-Knopf lässt Schwertkombos auf die Gegner prasseln. Mit Z weicht man aus, was sich allerdings etwas abgehackt anfühlt.
Schwammig, lästig - schade
In dieses Konstrukt aus Erkundung und Kampf haben die Entwickler von Ganbarion nun aber leider allerhand spielerische und handwerkliche Ärgerlichkeiten verwoben. Die Kamera blickt stets fixiert und unveränderlich auf die Szenerie. Dabei folgt sie dem Protagonisten zwar aufmerksam, stellt ihn aber verhältnismäßig klein dar.
Als Minifigur flimmert er über den Bildschirm, wodurch der Spieler im Kampf mit vielen Gegnern schnell den Überblick darüber verliert, in welche Richtung sein Schützling schlägt, wo er gerade ist und vor wem er sich verteidigt. In Kombination mit der etwas umständlich geratenen Steuerung (über Standard- oder Classic-Controller) entstehen so unnötige Treffer, lästige Nachjustierungen werden nötig und das Spielgefühl leidet. Die Moves werden im Kampfsystem routiniert heruntergespult: fesseln, angreifen, wieder fesseln, angreifen, fesseln, schleudern, fesseln, Fleisch entreißen. Das verliert recht schnell seinen Reiz.
Der ebenfalls klein geratene Pointer steuert die Kette, daher müsst ihr stets auch diese Ebene im Blick behalten. Fesselt ihr einen Gegner, seid ihr zunächst an ihn gebunden und offen für andere Angriffe. Ausweichen ist beim Aufladen nämlich kaum noch möglich. Treffer mit dem Schwert gehen oft daneben, es fühlt sich alles etwas unrund an. Man wünscht sich nicht nur im Kampf mehr Feinschliff, sondern auch beim Erkunden. Aeron hängt durch seine schnelle Laufgeschwindigkeit und die ruckartig rotierende Kamera oft plötzlich an einem Abhang, läuft in die falsche Richtung oder verheddert sich in der Landschaft. Das nervt.
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Beim Dungeon-Design von Pandora’s Tower fällt auf, wie unauffällig brillant die Zelda-Tempel eigentlich wirklich sind. Denn in Pandora’s Tower ist es nie so ganz klar, welcher Weg nun der richtige ist. Mal steht ihr viel zu früh vor der verketteten Endtür und müsst den ganzen Dungeon noch einmal durchkämmen, um die Ketten zu lösen. Dann läuft die Zeit ab und ihr müsst zunächst wieder Fleisch abliefern. Wenn man vorher versäumt hat, Abkürzungen zu öffnen, beginnt der Turm wieder von vorn. Und steckt Aeron nach 15 Minuten aus Versehen einen Treffer zu viel ein, dürft ihr bisweilen alles noch einmal machen, wenn der Checkpoint noch nicht überschritten wurde.
Die Gameplay-Sequenzen in Pandora’s Tower sind insgesamt mehr Leid als Freud‘ und neben der schönen Hintergrundgeschichte eher lästig. Lediglich die opulenten Bosskämpfe sorgen für Wow-Momente, die dem Drumherum gerecht werden. Die Entwickler hätten dringend mehr Zeit fürs Feintuning aufwenden müssen, um das Kampfsystem zu optimieren, die Steuerung knackiger zu gestalten und das teils verworrene und nicht ganz klare Dungeon-Design aufzumotzen.
Orgeln und Matsch
Auch grafisch hinkt Pandora’s Tower weit hinter Xenoblade Chronicles und The Last Story zurück, mit denen es sich oft vergleichen lassen muss. Einzig die Zwischensequenzen sehen wirklich brillant aus. Im Gameplay-Betrieb in den Türmen bekommt es der Spieler allerdings mit viel Farbmischmasch, unsauber definierten und gestalteten Flächen und vor allem mit endlosem Flimmern zu tun, mit dem die Wii-Konsole seit jeher zu kämpfen hat. Die Gegnermodelle lassen sich nur in der Nahansicht gut voneinander unterscheiden, sehen ansonsten aber alle ähnlich aus.
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Bei der Vertonung sind Kritikpunkte kaum auszumachen. Mit obskuren Orgelklängen und dramatischer Weltuntergangsmusik samt Chören und einem gesungenen japanischen Titellied untermalen die Komponisten gut die düstere Atmosphäre der verfluchten Szenerie. Die englische Synchronisierung ist wie bei Xenoblade Chronicles und The Last Story exzellent geworden. Besonders die knirschende, staubtrockene Stimme von Mawda klingt schaurig-schön. Fazit: Ein tolles Szenario kann kein ganzes Spiel auf seinen Schultern tragen. Die beklemmende, obskure Liebesgeschichte der verfluchten Art und die vielen genialen Story-Momente machen Pandora’s Tower zu einem eindrucksvollen Spiel, an dessen Schlüsselmomente man sich lange erinnert. Sorgfältig werden Filmsequenzen oder Ausschnitte in Spielgrafik inszeniert und mit toller Musik und Sprachausgabe unterstützt. Das lässt auch fast vergessen, dass die Erzählweise ungewöhnlich ist und viele essentielle Fragen erst nachträglich beantwortet. Pandora’s Tower hätte ein so schöner Abschluss der Wii-Ära werden können – wenn da nicht die Spielsequenzen zwischen der Geschichte wären. Sie sind spielerisch nur lauwarmer Action-Durchschnitt und gestalten sich durch mangelnden Feinschliff in Steuerung, Leveldesign und Rätselgestaltung sowie durch verbesserungswürdige Grafik oft sehr zäh. Nicht immer schaffen sie es, zum Weitermachen zu motivieren, und fühlen sich unbefriedigend an. Feinschliff ist bei Pandora’s Tower das Stichwort. Das letzte der drei großen Action-RPGs aus Japan ist ein Rohdiamant, der an zu vielen Stellen noch ungeschliffen ist und sich so hinter Xenoblade Chronicles und The Last Story einordnen muss, die eben diesen letzten Schliff besser hinbekommen haben.
Von Tim Herrmann
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| Wertung für das Spiel Pandora's Tower | |
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| 7.0 | Grafik Stimmungsvolle, toll animierte Zwischen- und Filmsequenzen, im Gameplay aber nur Matschniveau, das nur noch der schöne Artstyle leicht heben kann. | |
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| 8.8 | Sound Dramatische Chöre und raumfüllende Orgeln mit Weltuntergangsstimmung treffen auf eine erneut sehr gelungene englische Synchronisation. | |
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| 6.5 | Steuerung Es fehlt der Steuerung und der Kamera am nötigen Feintuning. Zu oft kassiert der Protagonist unnötige Treffer, haut daneben oder sieht die Gegner nicht. Das nervt. | |
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| 7.0 | Gameplay Leider nur ein ganz durchschnittliches Action-Adventure, das mit Ausnahme seiner Bosskämpfe keine spielerischen Highlights bietet. Da helfen auch die Love-Sim- oder RPG-Aspekte wenig. | |
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| 7.7 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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