Review von Tim Herrmann (mail) | 04.12.2011
Rayman ist um seine letzten fünf Jahre in der Videospielbranche wirklich nicht zu beneiden: Nachdem er in Rayman Raving Rabbids immerhin noch als Hauptperson in den Minispielen mitwirken durfte, wurde er in den zwei darauffolgenden Sammlungen zum Nebendarsteller degradiert und in den späteren Titeln völlig ausgespart. Zwischendurch durfte er zum Launch des Nintendo 3DS mit einem der zahllosen Remakes von Rayman 2 mitmischen und fristete sein Dasein ansonsten in tiefster Versenkung. Doch einer wollte das ehemalige Ubisoft-Maskottchen nicht den Rabbids zum Fraß vorwerfen und einfach aufgeben: Michel Ancel, Vater von Rayman, den Rabbids oder auch Beyond Good & Evil, machte sich Mitte 2009 an die Arbeit, um Rayman Origins zu entwickeln. Zweieinhalb Jahre später steht das Spiel jetzt im Regal. Ob Rayman noch ganz blass und geschwächt ist von seinem Aufenthalt im dunklen Keller oder ob er sich auch ohne Arme wieder in die Mitte der Videospielbranche boxt, klären wir in unserem Test.
Zurück zu den Wurzeln, aber nicht zu den eigenen
Ein Blick ins Videospielregal zeigt: 2D ist auf Heimkonsolen mittlerweile wieder voll salonfähig. Während zweidimensionale Action-Titel sich auf den HD-Konsolen bislang hauptsächlich auf die Download-Plattformen trauten, machen sie sich bei Nintendo längst auch auf Discs breit. New Super Mario Bros. Wii ist eines der bestverkauften Spiele dieser Generation und Nintendo bestückt große Teile seines Lineups systematisch mit 2D-Spielen.

Das war das Glück für Michel Ancel und sein kleines Entwicklerteam in Montpellier. Ursprünglich wollte der Publisher kein Risiko eingehen und nur ein paar Download-Episoden mit dem neuen, alten 2D-Rayman online anbieten – immerhin ist das letzte echte Rayman-Spiel acht Jahre alt und Kunden vergessen Maskottchen schnell. Doch Ancel setzte sich mit seinen Ideen und seinem Konzept durch, konnte eine Förderung durch einen staatlichen französischen Kulturfonds an Land ziehen und machte sich an die Arbeit. Ziel war ein Spiel, das nicht nur die Ursprungsgeschichte von Rayman erzählt, sondern ihn auch spielerisch zu den Wurzeln zurückführt.
Letztendlich ist das Einzige, was Rayman Origins von seinem Ursprung übernimmt, aber zum Glück die zweite Dimension und ein paar Design-Ideen. Ansonsten ist es komplett neu: Und damit sind nicht nur die Levels gemeint, sondern vor allem das gesamte Spieldesign. Rayman Origins ist ein wilder, spektakulärer 2D Platformer, der in keiner Facette mehr an das langsame Jump-&-Walk-Gameplay von der PlayStation oder die 3D Action-Adventure-Ausflüge von Rayman 3 erinnert.
Rayman muss eine idyllische, aber von obligatorischen bösen Monstern überfallene Welt retten, indem er die magischen Electoons aus ihren Käfigen befreit. Zwei dieser Käfige sind in jedem Level versteckt (und das ziemlich geschickt), ein weiterer findet sich am Ende jedes Levels. Diese Electoons öffnen den Weg zu neuen Levels innerhalb einer Welt oder zu ganz neuen Welten mit neuen Levels. Und dann gibt es da noch die Lums. Was in anderen Spielen einfache Punktekugeln wären, sind hier kleine schwebende Leuchtwesen. Am Ende eines Levels werden sie zusammengezählt und auch noch einmal zu bis zu zwei Electoons umgewandelt. Insgesamt sind in den meisten Levels also fünf Electoons auf regulärem Wege zu holen (und dann gibt es da noch optionale Zeit-Challenges). Jede der fünf Welten (Wald, Eis, Unterwasser etc.) bietet dabei zweimal sechs Levels. Damit ist das Grundkonzept schnell abgehandelt und wir können uns ins Chaos stürzen.

Ein Spiel wie ein Speedrun
Ein Jump & Run ist gut, wenn es sich theoretisch und praktisch für Speedruns eignet, also für besonders schnelle Leveldurchläufe, die nur Profis durch kontinuierliches Auswendiglernen jeder Falle und jedes Levelelements zustande bringen. Wenn das möglich ist, bedeutet das nämlich, dass jede Plattform, jedes Seil, jede Wand, oder kurz: jeder einzige Bestandteil eines Levels optimal auf Sprungweite, -Höhe oder Fähigkeiten des Spielcharakters abgestimmt ist. Wenn Spieler mit ein bisschen Übung so schnell durch einen Level flitzen können, dass Zuschauer jahrelanges Training zu erkennen glauben, wenn sie während dieses Durchlaufs auch noch alle Extras einsammeln und Geheimnisse aufdecken können, dann ist das die Heiligsprechung für ein gutes 2D Jump & Run.
Die Levelarchitektur von Rayman Origins macht solche Speedruns nicht nur möglich - Rayman Origins ist ein einziger großer Speedrun. An diversen Stellen im Spielverlauf ist der Spieler geradezu gezwungen, zu sprinten und seine Moves optimal auf die Umgebung abzustimmen. Nur so kann er alle Lums in einem Rutsch einsammeln, zwischendurch auch noch einen Abstecher in ein geheimes Electoons- oder Münzversteck machen oder fünf Gegner in einer Bewegung niederstrecken. Das Einzige, was Rayman Origins vielleicht fehlt, ist ein knackig-motivierendes Combo-System, das Extrapunkte für besonders gelungene Moves verleiht.
Rayman Origins ist unheimlich schnell – und das fällt besonders deshalb auf, weil der Spieler ständig mit neuen Spielideen und –Mechaniken konfrontiert wird, die schneller an einem vorbeiziehen, als man sich daran gewöhnen könnte: Am Anfang jeder Welt trefft ihr auf eine eingesperrt Nymphe (eine Fee), die Rayman eine neue Fähigkeit verleiht. Mit der muss er sich dann durch den Level schlagen – dabei aber stets auch im Blick haben, was er bereits gelernt hat. So wird der Spielablauf mit Schlag-, Tauch-, Schwebe- oder Schrumpf-Mechanik immer wieder erweitert und gefüttert – das sorgt für eine erfrischende Abwechslung, die jede Langeweile im Keim erstickt.

Die Geschwindigkeit des Gameplays wird auch durch einen weiteren geschickten Kniff unterstützt: Jedes Level ist in verschiedene Kammern eingeteilt, die durch kleine Tore voneinander getrennt sind. Jedes Tor fungiert dabei als Check- und Rücksetzpunkt. Sollte Rayman sterben (und dazu reicht oft schon ein Feindkontakt), wird er innerhalb von nur ca. zwei Sekunden direkt dorthin zurückversetzt. Einen Game-Over-Bildschirm wird man aber nie sehen, denn Leben gibt es nicht zu verlieren. Auch das ist nicht unangenehm und fördert eher den Spielfluss. Manchmal kann der Spielfreitod sogar ein adäquates Mittel sein, um eine schnelle Chance zum Neubeginn eines Abschnittes zu bekommen – zum Beispiel, wenn man eine goldene Münze verpasst, beim Einsammeln der Lums patzt oder unnötig ein Herz verliert. Das ist deutlich angenehmer als die Checkpunkte anderer Spiele, wo man teilweise nach jedem Patzer wieder lange Strecken vor sich hatte, die es zu überwinden galt.
Es gibt drei Möglichkeiten zu steuern: Die eine funktioniert mit Wiimote und Nunchuk und lässt Rayman mit dem Z-Knopf sprinten. Die andere setzt auf quer gehaltene Wii-Fernbedienung, allerdings liegt der Sprint hier auf dem B-Knopf, der dann recht schwer zu erreichen ist. Der Classic-Controller ist für diesen Titel wohl neben Nunchuk und Wiimote die beste Wahl.
Wap-Schiwappp A-Whuuuu-Huuuu
Rayman Origins ist wahnsinnig schnell – und diese Einzigartigkeit unterstreichen die Ubisoft-Designer kompromisslos auch auf der akustischen und optischen Seite des Titels. Grafisch setzt man auf einen wunderschönen 2D-Comic-Look, wie man ihn beispielsweise aus Wario Land – The Shake Dimension kennt. Allerdings schneidet Rayman Origins im direkten Vergleich mit dem genannten Titel deutlich besser ab: Die Welten strotzen nur so vor Details, das Gegnerdesign ist exzellent (und lehnt sich stellenweise an Originalgegner aus dem ersten Teil an) und die technische Ausarbeitung perfekt gelungen. Zwar kann die Wii-Version keine HD-Auflösung bieten, das fällt allerdings selbst im direkten Vergleich mit den anderen Versionen kaum auf. Kaum zu glauben, dass es die technische Seite war, die den Titel zunächst von der Wii-Konsole ferngehalten hat. Denn dieser Titel passt nicht nur spielerisch perfekt auf die Konsole, er ist auch technisch ausgezeichnet umgesetzt.

Dabei ist die rein technische Seite die eine Betrachtungsweise. Die weitaus wichtigere ist aber die künstlerische. Auf die Strahlkraft der wild-wahnsinnigen Grafik wurde ja bereits eingegangen, doch was Rayman Origins wirklich in Fahrt bringt, ist seine geniale tonale Untermalung. Die wilden Kompositionen treffen wunderbar den Sprintcharakter des Spiels, ungewöhnliche Instrumente, Töne und Melodien untermalen die schräge Welt, durch die Rayman wirbelt. Eines der Highlights sind die Gesangeinlagen, die die Lums im Hintergrund einlegen. In einer Fantasiesprache schmettern sie manchmal herzergreifende Melodien vor sich her und verleihen damit entweder der bedrückenden Dunkelheit eines Unterwasserlevels Nachdruck oder spornen den Spieler an, besonders schnell viele Lums einzusammeln, wenn man einen Spezial-Lum eingesammelt hat, der für kurze Zeit dafür sorgt, dass jeder weitere doppelt zählt.
Rayman Origins ist ein Videospielprojekt, das man durchaus als Kunstwerk bezeichnen darf. Und an solchen Spielen merkt man wunderbar, wessen kreative Handschrift hinter dem Titel steckt. Mit seinem fast anarchischen, durchgedrehten und unkonventionellen Stil hat Michel Ancel schließlich damals auch schon die Rabbids miterschaffen. Die neue UbiArt-Engine, die in Montpellier entwickelt wurde und die Implementierung kreativer Gedanken technisch einfacher macht, sorgt hoffentlich in der Zukunft für viele weitere Kreativprojekte dieser Machart.
New Super Rayman Kong Returns
Dass Nintendo auch seinen Anteil daran hatte, dass Rayman Origins in dieser Form existieren darf, ist wohl unbestritten. New Super Mario Bros. Wii und Co. haben dem Spiel den Weg in den Einzelhandel mitgeebnet und noch dazu einige Gameplay-Ideen geliefert. So erinnert Rayman Origins in Teilen nicht unwesentlich an Donkey Kong Country Returns, den bisherigen Genreprimus auf Wii. Nicht nur, dass sich die Gegner erst einmal aufblähen, wenn sie einmal getroffen wurden. Auch die knappen Anzahl von zwei Herzen und der damit einhergehende knackige Schwierigkeitsgrad (besonders ab der zweiten Hälfte) erinnern an Donkey Kongs superbe Rückkehr, in der es sogar Spaß machte, ab und an zu versagen und von vorne beginnen zu müssen.

Auch einen Multiplayer-Modus bietet der Titel an, von dem ebenfalls fraglich ist, ob es ihn ohne New Super Mario Bros. Wii gegeben hätte. Zwar ist es in keiner Spielsituation wirklich nötig, mit zwei oder mehr Spielern durch die Levels zu sausen, doch der Rasanz des Gameplays tut es keinen Abbruch, wenn man gemeinsam das Ziel im Auge hat. Erst in späteren Levels treten die gleichen Effekte wie bei Donkey Kong und Mario auf: Die Levels werden dann etwas kniffliger und zwei Spieler gleichzeitig können sich gegenseitig behindern. Immerhin: Stirbt einer, können sich die Spieler gegenseitig retten. Und an besonders engen Passagen können sie sich auch in Blasen versetzen und erst einmal nur mitschweben. Fazit: Was für ein Comeback! Rayman Origins stellt alles weit in den Schatten, was die Rabbids nach der Verdrängung des Ex-Maskottchens in den vergangenen Jahren ohne Rayman zustande gebracht haben. Das wilde Jump & Run Gameplay ist ein einziger großer Speedrun mit perfekter Level-Architektur und unübertroffen flüssiger Spielbarkeit. Eine frische, innovative Gameplay-Idee trifft auf die nächste, eine Spielmechanik löst die andere ab, sodass in keinem der mehr als 60 Levels Langeweile aufkommt. Die motivierenden Checkpoint- und Gesundheitssysteme sorgen dafür, dass Frust eine absolute Seltenheit bleibt, und die versteckten Electoons regen zum Sammeln und Suchen abseits der Trampelpfade an. Als ebenso große Stärke stehen am Ende Grafik und Sound in der Bilanz: Der brillant kreative Artstyle präsentiert sich in technisch makelloser, anarchischer Wildheit, während die Musik und die Soundeffekte einfach zum Grinsen verführen und das gesamte Spielkonzept optimal unterstützen. Rayman Origins ist eines der grandiosesten Jump & Runs dieser Konsolengeneration und bekommt nur wegen des etwas geringeren Umfangs und der etwas geringeren Langzeitmotivation durch fehlende Extras oder Freizuschaltendes einen mickrigen Prozentpunkt weniger als der Genreprimus Donkey Kong Country Returns.
Von Tim Herrmann
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| Wertung für das Spiel Rayman Origins | |
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| 9.5 | Grafik Der tolle künstlerische Stil wird unterstützt von einwandfreier technischer Umsetzung mit optimaler Flüssigkeit. Dass HD fehlt, fällt kaum auf. | |
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| 9.6 | Sound Brillant. Das Spiel findet die optimale Balance zwischen ruhigeren und stillen Passagen und völlig abgedrehten Klangkulissen mit trällernden Quietschestimmen und außergewöhnlichen Instrumenten. | |
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| 8.5 | Steuerung Die Steuerung mit Wiimote und Nunchuk funktioniert gut, die Wiimote allein ist wegen des B-Knopfs in der Querlage etwas unhandlich. Classic-Controller-Unterstützung ist vorhanden. | |
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| 9.5 | Gameplay Ein optimal abgestimmtes Level-Design, das gespickt ist mit hunderten Gameplay-Ideen und immer wieder neuen Überraschungen, unterhält die Spieler vom ersten bis zum letzten Schritt auf höchstem Niveau. | |
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| 9.2 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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