Review von Tim Herrmann (mail) | 01.11.2011
Spider-Man: (Shattered) Dimensions war gewissermaßen ein Erfolg. Zwar nicht kommerziell (das Spiel hat sich welt- und plattformübergreifend nicht einmal eine Million Mal verkauft), aber immerhin: Entwickler Beenox hat es geschafft, das Franchise wieder einigermaßen salonfähig zu machen und ihm zu seinem Release einen kleinen Teil des Aufmerksamkeitskuchens der schnelllebigen Videospielbranche zu kredenzen. Activision will mit der Lizenz nun langfristig wieder profitabel werden und hat sie dem US-Studio Beenox deswegen gleich auf mehrere Jahre hinweg überlassen. Das zweite Produkt dieser Strategie bekommen Spieler schon ein Jahr nach dem ersten Beenox-Spidey zu sehen. Spider-Man: Edge of Time weist erstaunlich viele Parallelen zu seinem indirekten Vorgänger auf und geht ähnliche Wege. Ob auch Edge of Time zu einem guten Titel geworden ist, klären wir in unserem Test.
Oh, Zeitreisen…
Zeitreisen sind ein uralter Traum der Menschheit und haben sich schon in verschiedensten Werken der unterschiedlichsten Zweige der Unterhaltungsindustrie manifestiert. Filme und Bücher erzählten Geschichten von Menschen, die vergangene Fehler korrigierten oder in der Zukunft wandelten – und auch Videospiele haben den Drops schon zur Genüge gelutscht. Trotzdem erliegt auch Beenox dem Reiz des Paranormalen und strickt seine Geschichte um das Thema Zeitreise, den Konflikt zwischen Gegenwart und Zukunft und das Zeitparadoxon.
Hauptakteure des Titels sind die berühmteste Form von Spider-Man, The Amazing Spider-Man, und sein Kollege aus der Zukunft, Spider-Man 2099. Wie schon im Vorgänger bekommt es der Spieler also nicht nur mit dem allgemein bekannten Spider-Man, sondern auch mit einem anderen Universum zu tun. Im Jahr 2099 muss der futuristische Spinnenmann mit ansehen, wie seine Gegenwart sich plötzlich rabiat verändert, weil ein skrupelloser Unternehmer mit der Vergangenheit Schindluder treibt. Nur einer hätte ihn dort aufhalten können – klar, Spider-Man. In einer Vision sieht der Zukunfts-Spidey aber blöderweise, wie die Ur-Spinne von Venom in dessen Zukunft, aber 2099s Vergangenheit getötet wird und deswegen als Retter in der Not ausscheidet.
Spider-Man 2099s Aufgabe ist es also, Spider-Man vor dessen Schicksal aus der Zukunft heraus zu retten. Der Gerettete kann in seiner Gegenwart dann wiederum 2099s Feind ausschalten und das Raum-Zeit-Kontinuum wieder in Ordnung bringen. Das klingt nicht nur absurd, sondern ist es irgendwie auch. Bisher hat noch niemand es geschafft, Zeitreisen einigermaßen nachvollziehbar darzustellen – natürlich nicht. Sie sind auch einfach nicht logisch. Und auch Spider-Man: Edge of Time ist da – natürlich – keine Ausnahme. Das Vier-Dimensionen-Konzept im Vorgänger war in seiner Logik zwar auch keine Dissertation mit summa cum laude, aber in dem Falle auch nur Mittel zum Zweck, um die Gameplay-Idee der vier verschiedenen Spider-Men zu unterstützen. Die Zeitreisenstory in Edge of Time ist dagegen durchweg ernstgemeint.
Gameplay über die Jahrhunderte
Die Geschichte steuert gleichzeitig das Gameplay des Titels. Im unteren rechten Bildschirmrand seht ihr ab und zu Einblendungen der Geschicke des jeweils anderen Spider-Man. Gegenseitig versuchen sie, sich über ein Jahrhundert hinweg zu helfen. Zum Glück können die beiden miteinander kommunizieren, weil… ja, weil die Entwickler das halt so wollten. Eine wirre Erklärung über Genmanipulationen, die Telepathie ermöglichen, setzt den Haken hinter diese Thematik. Das Rätsel, wie sich irgendetwas in der Zukunft auf die Vergangenheit auswirken kann, wischen die Entwickler mit der fadenscheinigen Erklärung eines Wurmloches weg, das die beiden Epochen in Zusammenhang setzt. Spätestens hier hätte man langsam merken sollen, dass man sich in seinen wirren Ideen völlig verheddert hat.
Trotzdem klingt das ungeachtet aller Logik-Fragezeichen zunächst einmal nach einem recht spannenden Ursache-und-Wirkungsprinzip, in dem man zwischen den beiden Spielcharakteren wechselt, um live zu sehen, wie sich die eigenen Aktionen auf die andere Epoche auswirken.
Doch letztendlich bleibt Spider-Man: Edge of Time ein ganz normales, strikt lineares Action-Adventure, das von den Gameplay-Möglichkeiten des Wurmlochprinzips keinen Gebrauch macht. Wie schon immer habt ihr eine ganz klar umgrenzte Aufgabe zu erledigen, an deren Ende es nur einen einzigen Unterschied zu anderen linearen Abenteuern in der Serie gibt: Das Ergebnis treibt die Geschichte auch in der Zukunft voran und nicht nur in der Gegenwart. Spielerische Effekte abseits der Story oder unterschiedliche Wege durch das Spiel werden aber nicht erlaubt, sodass die ganze Zeitreisenthematik im Gameplay wegen der Linearität ziemlich schnell untergeht.
Künstlerisch und spielerisch ein Rückschritt
Spider-Man: Dimensions schaffte eines ziemlich gut: Es ließ die von Fans so geliebte Open-World-Thematik der bisher besten Einträge (die Lizenzspiele zu Spider-Man 1 und 2) zwar fallen und konstruierte stattdessen eine Adventure-Mechanik. Gleichzeitig erlaubte man aber stets auch absurd hohe Sprünge durch Netzschwünge und flugartige Stunt-Einlagen mit den Spinnenfäden. Das alte Spider-Man-Feeling war durch diese Mechanik auch im ganz neuen Genre gewährleistet.
In Edge of Time sind davon noch Reste übriggeblieben, insgesamt wird aber weniger Freiraum zum Schwingen und Fliegen gelassen und die Mechaniken beschränken sich hauptsächlich auf die Bewältigung von Platformer-Abschnitten. Stattdessen wird mehr gekämpft, und leider ist den Entwicklern das Kampfsystem herzlich misslungen. Sie setzen allen Ernstes auf das schlecht erreichbare Steuerkreuz der Wii-Fernbedienung, um verschiedene Angriffe zu lancieren. So drückt ihr wild auf das Steuerkreuz, um den Gegnern Saures zu geben, und hofft darauf, dass sie möglichst bald umfallen mögen. Das Kampfsystem ist einfach langweilig und stört den Spielverlauf.
Auch ansonsten ist von den vielen innovativen Ideen des Vorgängers nichts mehr zu sehen: Keine Stealth-Abschnitte, keine aberwitzigen Badass-Kämpfe aus der Ego-Perspektive, keine wilden Reisen rund um die Welt mehr. Spider-Man: Edge of Time ist spielerisch wieder in genau dem Sumpf, aus dem Beenox die Serie mit Dimensions halbwegs erfolgreich herausgezogen hat. Es ist ein austauschbares, highlightarmes, recht langweiliges Action-Adventure, das sich nur durch den verbliebenen Spidey-Charme beim Herumschwingen ein wenig profilieren kann.
Dass der Titel auch grafisch jeden Reiz verloren hat, muss man in dem Zusammenhang kaum noch näher ausführen: Wo der Vorgänger mit einer kontrastreichen Mischung aus Cel-Shading, Comic und sogar Schwarzweiß gepunktet hat, präsentiert sich nun wieder alles in einem stillosen Einheitsbrei-Comic-Look. Da können auch die sehr schicken gerenderten Filmsequenzen nicht viel helfen. Immerhin: Sound, Musik und die englische Sprachausgabe bleiben auf hohem Niveau und müssen nicht unter dem Downgrade leiden, das der restliche Titel erfahren hat.
Fazit: Willkommen zurück in der Mittelmäßigkeit, Spidey. Nach einem grafisch und spielerisch interessanten Spider-Man: Dimensions wirtschaftet sich die Spinne in Edge of Time selbst wieder herunter. Spielerisch bekommt man es mit einem stur linearen Action-Adventure zu tun, das sich an eine absurde und nicht besonders geschickt konstruierte Geschichte rund um das ausgelutschte Thema Zeitreisen klammert. Das Gameplay ist wieder austauschbar und uninspiriert und macht die guten Ansätze seines Vorgängers zunichte, die Grafik lässt technisches oder künstlerisches Handwerk weitestgehend vermissen. Der Grund dafür ist klar: In nur einem Jahr können nicht einmal die begabten Entwickler von Beenox einen guten Titel entwickeln. Activision wollte aber schnelle Ergebnisse mit Spider-Man sehen und hat dabei einmal mehr den nötigen Feinschliff vergessen, für den Studios nunmal eine gewisse Zeit brauchen. Wenn man das Franchise wirklich langfristig aufbauen will, sollten solche Schnellschüsse zukünftig lieber unterlassen werden. Wollen wir hoffen, dass Beenox für die Lizenzumsetzung des kommenden Kinofilms mehr Zeit bekommen hat.
Von Tim Herrmann
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| Wertung für das Spiel Spider-Man: Edge of Time | |
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| 6.0 | Grafik Technisch schwache Grafik, die mit laschen Charaktermodellen und uninspiriertem Level-Design aufwartet und noch dazu nicht einmal mehr optisch interessant ist wie die Stile aus dem Vorgänger. | |
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| 8.2 | Sound Die Synchronisierung ist und bleibt klasse und die Hintergrundmusik erfüllt ihren Zweck wunderbar. Daher: nichts zu meckern. | |
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| 6.2 | Steuerung Ganz ehrlich: Kämpfen über das Steuerkreuz bei normal gehaltener Wii-Remote? Dass das nicht funktioniert, merkt man doch schon in der Theorie. Ansonsten hat die Steuerung wie im Vorgänger manchmal mit einer Wildheit beim Herumschwingen zu kämpfen. | |
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| 6.0 | Gameplay Mit der Geschichte will man nicht so wirklich warm werden – leider ist sie das einzige Element, das die strikt linearen und ziemlich einfallslosen Gameplay-Fetzen miteinander verbindet. | |
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| 6.1 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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