Review von Tim Herrmann (mail) | 26.11.2010
Ubisoft hat den kanadischen Snowboarder Shaun White in den letzten zwei Jahren auf die vordersten Ränge in der Riege der virtuellen Spitzensportler gehievt. Dabei hat der mehrfache Olympiasieger den größten Teil seiner Zweitkarriere in der Videospielbranche Nintendos Wii-Konsole zu verdanken. Denn hätte Ubisoft mit Shaun White Snowboarding auf Wii nicht einen derart großen Erfolg gefeiert und hätte man sich nur auf die (sehr mauen) Verkaufszahlen auf den HD-Konsolen verlassen, so wäre es womöglich nie zu einem zweiten Teil oder irgendeiner anderen Art von Fortsetzung gekommen. Das Balance Board übernahm bei der Erfolgsgeschichte auf Wii die Hauptrolle, denn es ermöglichte in optimaler und innovativer Art und Weise eine Ganzkörpersteuerung, die bislang kein anderes Spiel so gut hinbekommen hat. Die Steuerung verhalf Shaun White Snowboarding, einem eigentlich nicht sonderlich spektakulären Fahr-den-Hang-runter-Titel, zu sehr guten Wertungen in den WiiX-Tests. Nach den Ausflügen auf die verschneiten Gipfel geht es für Shaun White nun auf neues Terrain, auf dem er sich in der Praxis aber ebenso sicher fühlt wie auf dem Snowboard: In Shaun White Skateboarding geht es auf die Straße und Shaun düst durch eine unterdrückte Stadt, die er mit seinem rollenden Brett unter den Füßen geradezu durchpflügt.

Hinweis: Die hier gezeigten Screenshots stellen keine Ingame-Grafik dar!
Regimesturz auf dem Skateboard
Der Übergang zwischen Shaun White Snow- und Shaun White Skateboarding verläuft sehr fließend: In der Einführungssequenz sieht man die schneebedeckten Berge noch im Hintergrund und bekommt noch einmal den Elch aus Road Trip zu Gesicht, bevor die Kamera auf eine urbane Landschaft schwenkt, die sich vor dem Tourbus der bereits aus den ersten Teilen bekannten Profi-Boarder auftut.
Die Stadt befindet sich unter der Kontrolle eines strengen Bürgermeisters, der mit sinnentleerten Regularien und harter Führung alles verboten hat, was in irgendeiner Form Spaß verheißt. Folglich sind alle Gebäude grau, nichts blüht, kein Leben ist in der Stadt zu verzeichnen. Shaun und seine Freunde machen es sich zur Aufgabe, der Stadt zu neuem Leben zu verhelfen und das böse Regime am Ende zu stürzen. Und wie führt man solche Revolutionen normalerweise durch? Richtig, mit dem Skateboard.
Auch mit Farbe leblos
Grundsätzlich dient euch die Stadt als großer Spielplatz, der wie gemacht ist für euch und euer Skateboard. Lange Geländer zum Grinden, zufällig in der Landschaft platzierte Rampen und Halfpipes und andere Hindernisse (Hindernis heißt dabei übersetzt: Herausforderung) warten darauf, euch als Punktelieferanten zur Verfügung zu stehen. Kern des Konzepts ist allerdings die Transformation der tristen Umwelt.
Ab und zu trefft ihr auf orangefarbene Linien oder Punkte, die beim Überfahren für eine Transformation der Umgebung sorgen. Das beginnt bei einer einfachen farblichen Neugestaltung mit mehr Neonfarben an allen Wänden und auf dem Boden und gipfelt in der Neuentstehung von Strecken, die sich vor dem Skater wie von Geisterhand auftun. Ziel ist es, in einer Umgebung alle angebotenen Herausforderungen zu bestehen. Auf seinem Weg über die großen Gelände trifft der Spieler auf kleine Pokale, die diese Challenges auslösen.
Wie schon in den Snowboarding-Teilen gibt es dann kurze Aufgaben zu erfüllen, bei denen eine Pflicht zum Weiterkommen ist und eine als nettes Extra fungiert, das zusätzliche Objekte freischaltet, mit denen man seine Skater personalisieren darf. Meistens geht es darum, in einer vorgegebenen Zeit eine bestimmte Anzahl an Punkten einzufahren, gewisse Tore zu passieren oder Gegenstände einzusammeln.
Das große Manko wird aber bei alldem recht schnell offensichtlich: Auch wenn das Einheitsgrau der Gebäude nach und nach einer farbigeren Präsentation weicht, bleibt die Welt trotzdem tot. Als krasses Gegenbeispiel im Positiven sei einmal de Blob genannt, an dem sich Shaun White Skateboarding stilistisch möglicherweise orientiert hat: In de Blob muss man eine graue Stadt ebenfalls neu einfärben, allerdings wird hier auch tatsächlich in jeder Facette deutlich, dass eine Wiederbelebung und nicht einfach eine Einfärbung stattfindet. Der Sound wird fröhlicher und lauter, kleine Kreaturen hüpfen ausgelassen umher, der Spieler ist fast wie berauscht von seinem Werk. In Shaun White Skateboarding: nichts. Die einzige Veränderung besteht in neuer Färbung. Die Musik bleibt gleich, kein einziger Mensch lässt sich irgendwo blicken. Nichts erinnert daran, dass man eigentlich durch eine Stadt fährt, in der trotz autoritärem Regime immer noch Menschen leben.
Sind alle verstreuten Aufgaben in einem Level abgefrühstückt, kann es in den nächsten Bereich gehen. Mit einem Bereich und allen darin enthaltenen Aufgaben ist man stets ungefähr eine halbe Stunde beschäftigt, weswegen man den Titel mit seinen acht Levels potentiell auch in ca. vier bis fünf Stunden durchspielen kann.

Balance Board rettet den Tag
Das große Plus von Shaun White Snowboarding war die Steuerung mit dem Balance Board. Ohne die Ganzkörpersteuerung hätte man lediglich den Controller geneigt und die wenig aufwändig gestalteten Pisten passiert. Doch die neuartige Steuerung brachte einen ganz neuen Grad an Interaktivität mit sich und brachte die Spieler vor dem Fernseher richtig ins Schwitzen.
Ubisoft selbst weiß natürlich auch darum, dass man den großen Erfolg (immerhin bisher 1,6 Millionen Verkäufe) ohne die besondere Steuerung nicht zustande gebracht hätte, und deswegen setzt man auch im Nachfolger wieder auf das Balance Board, auch wenn man seine Funktionen ein wenig degradiert hat.
Der Spieler steuert seinen Charakter diesmal über den Control-Stick des Nunchuks und nicht über Gewichtsverlagerung auf dem Board. Was sich zunächst unverständlich anhört, ist letztendlich wahrscheinlich die richtige Entscheidung gewesen, denn in Shaun White Skateboarding kommt es anders als in den Vorgängern auf Präzision und nicht unbedingt auf Geschwindigkeit an. Das Balance Board kommt immer dann zum Tragen, wenn der Protagonist in die Luft steigen soll oder in der Luft ist.
Durch leichtes Abstoßen vom Brett wird ein Sprung ausgeführt, an Rampen führt das dann zu extremen Höhen, die viel Luft und Zeit für Tricks lassen. Diese Tricks werden dann wie schon im Vorgänger durch Gewichtsverlagerung kombiniert mit Tastendrücken ausgelöst. So kann man in der Luft eine beachtliche Variation von Tricks ausführen, die miteinander kombiniert für immer höhere Multiplikatoren sorgen und damit zu einem echten Punkteregen führen. Auch am Boden kann man Tricks ausführen, indem man im richtigen Moment an den richtigen Stellen Druck aufs Board ausübt und parallel einen Knopf drückt.
Kurzum: Auch in Shaun White Skateboarding sorgt das Board für einen spielerischen Mehrwert. Die Bewegungssteuerung passt auf die Situationen und Stunts, ist aber nicht so weit gezwungen worden, dass sie das Spielprinzip behindert. Wer allein mit Wii-Remote und Nunchuk spielen will, sollte zweimal über den Kauf nachdenken, denn wieder einmal zieht der Titel seinen Hauptreiz aus der Balance-Board-Steuerung. Mit den Standardcontrollern wird lediglich ein langweiliges Aneinanderreihen von Tricks geboten.
Grafisch unter die Räder gekommen
Grafisch haben die Entwickler in Montreal leider ziemlich versagt. Waren die Wii-Versionen von Shaun White Snowboarding (zumindest Teil 1) noch durch beeindruckende Schneeeffekte, saubere Darstellung und ansehnlichen Cel-Shading-Look aufgefallen, bekommt man in Shaun White Skateboarding lediglich Flimmern und Unschärfe in rauen Mengen serviert. Außerdem ist man offenbar überhaupt nicht mit dem Wechsel von Schneelandschaft zu Stadtbild klargekommen: Die Häuser flimmern nicht nur ohne Ende, sondern sind auch simpel und einfach nur graue Blöcke ohne jegliche Details. Dabei zieht dann auch die Ausrede nicht mehr, dass man ja eine tote Stadt darstellen wolle.

Beim Sound macht man dagegen mit vielen lizenzierten Stücken nichts falsch: Von Hiphop über Rock zum Pop ist alles dabei, teilweise sogar von namhaften Gruppen wie Green Day. Auch die Sprachausgabe und die deutsche Übersetzung können sich sehen bzw. hören lassen. Während des Spielgeschehens werden immer wieder kurze Passagen aus einem städtischen Radiosender eingespielt, den ihr zusammen mit dem Rest der Stadt wiederbelebt. Fazit: Shaun White Skateboarding macht wieder einiges richtig. Und dieses Richtige fällt erneut hauptsächlich in die Kategorie der Steuerung. Doch beim Spielprinzip haben sich die Entwickler ein wenig vergriffen: Im Kern könnte das Konzept nicht überzeugen, wenn es nicht durch die gute Steuerung unterstützt würde. Der Spieler fährt durch eine tote Landschaft nach der nächsten, kommt nicht in den Genuss eines Geschwindigkeitsrausches und bekommt außer sich wiederholenden Aufgaben und Herausforderungen nichts zu tun. Die Idee der Wiederbelebung der Stadt ist im Kern keine schlechte, doch die Umsetzung ist mehr als halbherzig. Die Entwickler haben nicht verstanden, dass eine simple Einfärbung der Landschaft nicht gleichbedeutend ist mit einer lebendigen Spielwelt, die dem Spieler Feedback für seine Arbeit gibt und ihn zum Weitermachen motiviert. Shaun White Skateboarding kann für kurze Zeit durch seine gelungene Steuerung unterhalten, baut dann aber wegen der eintönigen Gameplay-Ausgestaltung langsam wieder ab. So fährt es nicht ganz auf dem Niveau der Snowboard-Teile mit, ist aber auch kein schlechtes Spiel.
Von Tim Herrmann
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| Wertung für das Spiel Shaun White Skateboarding | |
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| 5.4 | Grafik Der Cel-Shading-Look hat in Shaun White Snowboarding gut funktioniert, doch hier wurde er wenig sorgsam umgesetzt: Alles flimmert und ist unscharf und die Detailgestaltung ist mehr als verbesserungswürdig. | |
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| 8.5 | Sound Lizenzierte Songs und gute deutsche Sprachausgabe lassen nicht viel Raum für Kritik. | |
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| 8.5 | Steuerung Immer noch der große Pluspunkt: Zwar wird der Körper weniger beansprucht, kann aber immer noch eine spaßige Rolle beim Ausführen der Tricks spielen und gibt dem ganzen Spiel eine Interaktivität, die es allein durchs Gameplay nicht hervorrufen kann. Deswegen kann für Nicht-Balance-Board-Besitzer auch keine klare Empfehlung ausgesprochen werden. | |
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| 6.5 | Gameplay Die Aufgaben wiederholen sich, das Spielprinzip der Transformation wurde nicht ganz zu Ende gedacht oder einfach nicht besonders euphorisch umgesetzt. | |
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| 7.1 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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