Review von Tim Herrmann (mail) | 26.10.2010
Spider-Man hat sich schon etliche Male neu erfunden. Seien es charakterliche Entwicklungen aus den Kult-Comics von Marvel, die Ereignisse in den großen Realfilmen oder die vielen kleinen Nebengeschichten, die parallel zu den großen Mainstream-Reihen im Fernsehen oder sonstwo liefen. Doch auch in der Videospielindustrie hat sich Spider-Man schon so einige Male gezeigt und auch hier bewiesen, wie dehnbar das Franchise mit der Spinne geworden ist: Mal ist Spider-Man für die immer wieder wechselnden Entwickler ein reines Mittel zum Zweck, um den Spielern das unbeschreibliche Gefühl vermitteln zu können, virtuell durch Häuserschluchten in New York City zu schwingen, mal wird er zu einem austauschbaren Fausthelden degradiert und ab und zu durfte sich Peter Parker seinen zahllosen Feinden auch schon in richtig guten Action-Adventures stellen. Mit Spider-Man: (Shattered) Dimensions erscheint jetzt ein weiteres Spinnenspiel, das möglichst nicht an vergangene Misserfolge wie „Web of Shadows“ oder „Friend or Foe“ anknüpfen soll. Wir testen, wie gut Entwickler Beenox dies hinbekommt.
Spider-Man in 4D
Gleich zu Beginn dieses Tests wird eine kurze Klarstellung fällig. Bei Spider-Man: Dimensions handelt es sich nicht um ein Abenteuer im Stile der Filmumsetzungen zu Spider-Man 1 und 2, in denen Spidey sich durch ein frei begehbares New York schwingen und Aufträge erledigen durfte. Es geht eher in die Richtung von Spider-Man: Freund oder Feind, das sich auf die Action konzentrierte und wenig Wert auf Erkundung oder spezielles Spinnen-Gameplay legte.
Spider-Man: Freund oder Feind war nun allerdings eines dieser in der Einleitung angesprochenen Spiele, die Spider-Man das „Spider“ im Namen raubten, ihm lediglich ein paar austauschbare Superkräfte zuwiesen und ihn dann gegen einen Gegner nach dem anderen antreten ließen. Zur Beruhigung kann man jedoch schon gleich eines festhalten: Diesen Fehler macht Spider-Man: Dimensions nicht noch einmal.

Das Kernfeature des neuen Spiels ist gleichzeitig sein einziges Feature: Ihr dürft im Spielverlauf nicht mit einem Spider-Man, auch nicht mit zweien und genauso wenig mit drei Spider-Men spielen. Tatsächlich stehen vier verschiedene Variationen des weltbekannten Superhelden zur Verfügung, die sich auf vier unterschiedliche Dimensionen verteilen. Die Geschichte dahinter ist sehr schnell abgehandelt und steht dann auch nicht mehr im Vordergrund: Einer der zahlreichen Bösewichte aus dem Marvel-Universum, Mysterio, will die Tafel des Chaos und der Ordnung stehlen. Doch Spider-Man streut ihm sozusagen Spinnenfäden in die Suppe, zerstört dabei allerdings die magische Tafel, deren Fragmente sich auf vier Dimensionen verteilen. In diesen Dimensionen, die glücklicherweise von je einem Spider-Man beschützt werden, darf der Spieler dann suchen.
Vier in einem – oder: Eines in Vieren?
Zum einen gibt es da die ganz gewohnte Spider-Man-Form. Der rotblaue Amazing Spider-Man wartet mit allem auf, was man von ihm so kennt: Netzschwingfähigkeiten, schnelle Reflexe, wuchtige Schlagkraft und eine unvergleichliche Agilität. Der Schwarze Spider-Man (den man z.B. aus dem dritten Film kennt) kopiert all das und versieht es mit noch mehr Kraft und Schnelligkeit. Spider-Man 2099 ist eine Version der freundlichen Spinne aus der Nachbarschaft, die sich in ferner Zukunft angesiedelt hat und dort immer noch allerhand Kriminellen das Handwerk legt. Auch Noir kramten die Entwickler wieder aus der riesigen Mottenkiste, in der die verschiedenen alternativen Ansätze rund um das Franchise lagern. In den 1930er-Jahren angesiedelt, präsentieren sich diese Abschnitte fast ganz in beklemmendem Schwarzweiß und auch ansonsten in einem unverkennbar düsteren Gesamtambiente.
In den Sequenzen vom Amazing Spider-Man läuft alles ganz so wie gewohnt ab: In schickem Cel-Shading-Look schwingt Spidey sich durch die Levels und verkloppt einen Gegner nach dem anderen mit Netzattacken und blitzschnellen Fausthieben. Sein Netz verleiht ihm praktisch die Fähigkeit zu fliegen, denn kompliziertes Suchen nach rar gesähten Verankerungspunkten gibt es nicht. Wenn Spider-Man schwingen will, schwingt er. Wenn er sich im Sprung an Spinnenfäden weiter nach oben ziehen will, tut er das einfach - auch mehrmals, wodurch Platforming im Prinzip wegfällt. Der Spieler kann praktisch jedes Hindernis durch seinen Netzflug überwinden. Das entmachtet das gesamte Leveldesign zwar ein wenig, gibt dem Spieler aber dieses Gefühl von Freiheit, für das man das Spider-Man-Franchise kennt.

Das Gleiche kann man so im Prinzip noch einmal wiederholen für den Schwarzen Spider-Man und Spider-Man 2099. Zwar präsentieren sie sich in anderem Grafikstil und in einer anderen Umgebung, ihre Gegner sehen anders aus und sind auf die grafischen Rahmenbedingungen angepasst. Das Gameplay, das nach dem Prinzip „Schwingen, Kämpfen, Laufen“ funktioniert, bleibt aber zum größten Teil bestehen, auch wenn Nuancen besonders beim Kampf offensichtlich werden.
Einzig Noir bringt spielerisch neue Ideen ins Gesamtkonzept: Hier merkt man relativ schnell, dass die Entwickler vom Überraschungshit Batman – Arkham Asylum abgekupfert haben. Noir muss sich die Schatten in der dunklen Welt vergangener Jahrzehnte zunutze machen, um dann still und leise einen Gegner nach dem anderen aus dem Dunkel zu überraschen und außer Gefecht zu setzen.
Dabei muss man hier (wie in allen anderen Dimensionen auch) immer einen bestimmten populären Erzfeind verfolgen, unter dessen Motto der gesamte Level steht, und schlussendlich der Gerechtigkeit zuführen. Zwischendurch wollen Zivilisten gerettet und kleine Schalterrätsel gelöst werden.
Nun stellt sich eine zentrale Frage: Liefern die Entwickler hier vier unterschiedliche Spiele ab, die sie auf eine Disc gepresst und durch eine Story miteinander verwoben haben? Oder kopieren sie ein- und dieselbe Spielidee einfach in die unterschiedlichen Grafikstile, um spielerische Abwechslung vorzutäuschen?
Ganz so schwarzweiß, wie die Frage gestellt wurde, kann man sie leider nicht beantworten, denn tatsächlich ist beides richtig. Zwar kann man nicht abstreiten, dass die grafischen Aufmachungen allesamt künstlerisch ihren ganz eigenen Charme und ihre ganz eigenen Akzente bieten und sich somit voneinander und von der grauen Masse der lizenzierten Action-Spiele abheben. Allerdings ist das Gameplay, das darin geboten wird, meist relativ flau.
Mit Ausnahme der stealth-artigen Noir-Passagen geht es immer darum, mithilfe von Netzschwüngen und Sprüngen einen Level zu durchqueren, Gegner auszuschalten, Zivilisten zu retten und schlussendlich einem Erzbösewicht das Tafelfragment abzunehmen. Besonders geschickt miteinander verwoben sind die vier Teile dabei nicht, sodass der Eindruck entsteht, eine nicht besonders kohärente Spielesammlung zu spielen. Lediglich das sich wiederholende Gameplay und die Grafik-Engine verknüpfen die Teile untereinander.

Flimmernde Schönheit
Grafisch waren die Befürchtungen groß: Schließlich waren Wii-Umsetzungen großer HD-Titel bislang meistens eine kleine Katastrophe. Entwickler Beenox aber hat es geschickt gemacht und die Wii-Version in einem externen Team anpassen lassen. Dadurch bekommt der Spieler die hochwertigen Grafik-Stile in ansehnlicher Form auch auf Nintendos Konsole geliefert und muss sich lediglich damit abfinden, dass er Filmsequenzen und Spielgeschehen nicht in High Definition sehen darf.
Ein größeres Problem wird manchmal ein teils stärkeres, teils weniger auffälliges Kantenflimmern. Besonders in den größtenteils schwarzweißen Noir-Passagen fällt auf, wie sehr die Charaktere an ihren weißen Konturen vor dem Hintergrund flimmern. Und auch die anderen Spielteile, die sich in Cel-Shading oder in realistischerer Comic-Grafik präsentieren, haben mit diesem Problem zu kämpfen.
Beim Sound müssen unterdessen keine Abstriche gemacht werden: Die englische Sprachausgabe ist qualitativ sehr hochwertig und wartet mit den für das Franchise üblichen flotten Sprüchen auf, die Spidey in jeder erdenklichen Situation nicht für sich behalten kann. Übersetzt ist auch alles in deutscher Sprache. Die Musik ist optimal auf die jeweilige Dimension abgestimmt und reicht von herrlich unpassend beschwingten Jazz-Stücken und dunklem Grollen in den Noir Passagen hin zu futuristischen Klängen in der Welt von 2099.
Fazit: Spider-Man: Dimensions findet den richtigen Weg zwischen reinrassigem Action-Spiel und der Seele des Spider-Man-Franchises. Mit zackigem Hin- und Herschwingen, Netzattacken und dynamischen Spinnenfädensprüngen in luftige Höhen bleibt man Spider-Man treu, obwohl er keine New Yorker Häuserschluchten erkunden darf. Die vier verschiedenen Grafikstile des Spiels sind allesamt hochwertig designt und für Marvel-Fans natürlich ein besonderer Leckerbissen. Schließlich geben sie tiefe Einblicke in die Universen, die die meisten Spider-Man-Freunde noch gar nicht kennen. Leider bleibt das Gameplay relativ einfarbig: Kämpfen, Menschen retten, Bosse besiegen und Extras einsammeln reicht nicht, um die tollen Grafikstile mit perfektem Inhalt zu füllen. So ist Spider-Man: Dimensions ein unterhaltsames Spider-Man-Spiel der höheren Güteklasse, das aber noch Verbesserungspotential hätte.
Von Tim Herrmann
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| Wertung für das Spiel Spider-Man: Dimensions | |
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| 7.5 | Grafik Tolle Grafikstile und gelungene künstlerische Präsentation, die leider mit vermehrtem Flimmern und kleinen Ungereimtheiten zu kämpfen haben. | |
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| 8.2 | Sound Stimmige und gut abgestimmte Musik mit flotter Sprachausgabe und passenden Sound-Effekten. | |
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| 7.0 | Steuerung Zackiges Netzschwingen ist möglich, aber die Kameraperspektive ist oft schlecht und die Bewegungen zu schwammig, wodurch der normale Spielbetrieb unnötig verkompliziert wird. | |
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| 7.8 | Gameplay Das Vier-Dimensionen-Konzept geht zumindest aus optischer Sicht voll auf, lässt spielerisch aber ab und zu Wünsche offen und krankt an mangelnder Abwechslung. Die vier Spielteile könnten auch geschickter miteinander verknüpft sein. | |
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| 7.9 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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