Review von Tim Herrmann (mail) | 19.07.2010
Das vergangene Jahr war für Golfprofi Tiger Woods wenig angenehm. Statt mit fabulösen „Hole in the Ones“ war er in Zusammenhang mit peinlichen Affären auf den Titelseiten der Klatschblätter zu sehen, musste sich öffentlich demütig zeigen und dann seine Karriere erst einmal unterbrechen. Doch zum Glück zeigt sich bekanntlich erst in den schwierigsten Zeiten, wer die besten Freunde sind – und im Falle von Tiger Woods ist das wohl EA Sports, denn alle Verträge wurden einfach unbehelligt aufrecht erhalten und der Publisher machte klar, dass man nach wie vor zum Golfer-Star stehe. Am Rande dieser großen moralischen Geste ist das Tiger-Woods-Franchise natürlich auch eine kleine Einnahmequelle für EA Sports, die sich jetzt in diesem Jahr mit dem üblichen Jahresupdate wieder in die Regale stellt. Welche Neuerungen es gibt, erfahrt ihr bei uns im Test.
Die genaueste Bewegungssteuerung aller Zeiten
Tiger Woods PGA Tour 10 galt bisher als das unumstrittene Highlight der Golfserie von EA Sports – aber nur auf Wii. Denn im letzten Jahr wurde erstmals Nintendos Wii MotionPlus, damals gerade frisch erschienen, unterstützt. Der Spieler konnte den Golfschläger in Echtzeit rotieren lassen und den Schwung damit genau abstimmen. Das Spiel fuhr reihenweise Lobeshymnen für sich ein und auch beim 2011er-Ableger kann wieder bestätigt werden: Tiger Woods PGA Tour 11 bietet mit Unterstützung von Wii MotionPlus die genaueste Golf-Bewegungssteuerung aller Zeiten. Das, was im letzten Jahr brillant war, wird dieses Mal sogar noch erweitert.
Mit „Advanced Plus“ und „Tour Pro“ wird jetzt sogar erkannt, wie stark sich das Handgelenk während des Schwungs dreht, wo man den Ball getroffen hat und in welche Ebene er daraufhin durch die Luft saust. Erfahrene Golfer bekommen damit realitätsechtes Feedback und können gezielt an Schwächen und Fehlern arbeiten. Die Beschreibung auf der Verpackung lügt ausnahmsweise nicht, wenn sie Tiger Woods PGA Tour 11 „den realistischsten Golfschwung aller Zeiten“ attestiert.

Natürlich sind Advanced Plus und Tour Pro nur etwas für echte Profis, die Tiger Woods PGA Tour 11 als reinrassige Simulation verwenden und ihre Schläge optimieren wollen. Einsteiger, die keine besonderen Erfahrungen mit dem Golfsport haben, werden zum einen die Technik gar nicht richtig beherrschen und daraus resultierend auch gar nicht wissen, was sie jetzt beim nächsten Mal anders oder besser machen sollen.
Doch auch für unerfahrene Neulinge im Golfsport bringt die „normale“ Steuerung mit Wii MotionPlus ihre Vorteile: Der Neigungswinkel des Controllers bzw. des Golfschlägers wird stets fließend und ohne Verzögerungen in Echtzeit angezeigt und die Schwungstärke noch während des Ausholens vorberechnet. Wii MotionPlus funktioniert dabei nicht nur in den professionellen Modi, sondern auch in den Party-Modi, wo man Minigolf oder Frisbee-Golf mithilfe des 1:1-Sensors spielen darf.
Tiger Woods PGA Tour 11 übertrumpft seinen Vorgänger in den Profi-Modi also noch einmal an Genauigkeit und bietet ansonsten die ganze Präzision, die man bereits aus dem Vorgänger kennt. Für Golfprofis ist der 2011er-Ableger deswegen die bessere Wahl, ganz normalen Spielern wird kaum ein Mehrwert im Vergleich zum letztjährigen Update geboten.
Alles und noch mehr
Neben der Glamour-Glitzer-Steuerung bleibt Tiger Woods PGA Tour 11 aber eines dieser recht faden Updates, die man von EA Sports kennt. Wie immer ist der Titel vollgepackt mit den wichtigsten Lizenzen aus der Golfwelt und der Spieler kann ganze Turniere bestreiten, sich einen eigenen Charakter erstellen und eine Karriere starten und erstmals auch beim Ryder-Cup antreten. Dieses unheimlich prestigeträchtige Turnier fand im letzten Jahr auf dem Celtic Manor Resort statt und kann jetzt auch virtuell nachgespielt werden, womit das Spiel den Sprung nach Europa vollzieht.

Kurzum: Tiger Woods PGA Tour 11 bietet das ganze Paket, das sein Vorgänger auch schon im Angebot hatte, und legt noch ein paar kleinere oder größere Detailveränderungen darauf. Für Golfprofis wird der Ryder-Cup und das neue Fähigkeitensystem im Karrieremodus interessant sein, bei dem man vor jedem Turnier den Fokus auf eine seiner Fähigkeiten legen kann, für weniger enthusiastische Golfer sind auch Minigolf und Disc-Golf sowie die Minispiele und der einsteigerfreundliche All-Play-Modus vorhanden. Außerdem gibt es für sie nun die Möglichkeit, zu Beginn einen Schwierigkeitsgrad auszuwählen.
Neu ist auch der sogenannte True-View-Modus, bei dem ihr in die Ego-Perspektive wechselt und dem Golfer auf die Füße guckt, während der sich auf den Ball fokussiert. Das ist praktisch, weil ihr so jedes Zittern des Schlägers erkennt (vorausgesetzt, Wii MotionPlus ist angeschlossen), den Schlagwinkel in Echtzeit betrachten könnt und auch seht, ob ihr richtig steht. Besonders mit den ganz professionellen Steuerungseinstellungen ist dies nützlich, denn hier ist es auch möglich, am Ball vorbeizuschlagen.
Auch im Online-Modus, der wieder über EAs kostenlos benutzbare Server abläuft und in gewohntem Komfort die Freundescodes spart, gibt es ein wenig Neues. Disc-Golf kann jetzt erstmals auch übers Internet gespielt werden, außerdem gibt es neue Spielmodi, die mit zwei oder vier Spielern als Foursome oder Fourball ablaufen.
Die Spielsprache bleibt übrigens Englisch. Obwohl die Gebrauchsanleitung komplett auf Deutsch vorgefunden wird, haben es alle Bildschirmtexte unübersetzt in die deutsche Version geschafft und der Spieler darf sich durch englischsprachige Menüs klicken. Wer der angelsächsichen Sprache also nicht mächtig ist, sollte dezent gewarnt sein, obwohl die Navigation durch die Menüs nicht besonders schwierig ist und keine wichtigen Informationen durch Sprachbarrieren verloren gehen.

Das letzte Quäntchen
Tiger Woods wird also jedes Jahr ein bisschen besser – das darf man auch erwarten, schließlich wird jedes Mal wieder der Vollpreis verlangt. Die Steuerung wird noch raffinierter, die Modi noch ausgefeilter. Doch woran EA Sports anscheinend einfach nicht arbeiten kann oder will ist die Wii-Grafik, die heute wie auch schon vor Jahren immer noch unterdurchschnittlich ist und nur mit kleinen Verbesserungen im Vergleich zu den katastrophalen Ablegern aus 2007 und 2008 aufwartet. In Wii Sports Resort hat man doch gesehen, dass ein Rasen nicht aus einer Pampe aus drei Grüntönen bestehen muss und dass Bäume mit ihren Blättern nicht bei jedem Kameraschwenk zu flimmern anfangen müssen. Die Charaktermodelle der Golfer sind immer noch nicht besonders scharf dargestellt und damit leider noch das Highlight der optischen Präsentation. Es gibt zu viel Einfarbigkeit, zu viel optische Tristesse, zu wenig Helligkeit, zu wenig Lichteffekte. Tiger Woods PGA Tour 11 sieht immer noch aus wie von vorgestern. Und das passt leider überhaupt nicht mit der fortschrittlichen Steuerung und dem wachsenden Gameplay-Angebot zusammen, das EA Sports abliefert.
Wer eine echte Simulation entwickeln will und mit einer nahezu perfekten Steuerung schon die besten Voraussetzungen dafür schafft, darf einfach nicht zulassen, dass der Realitätseindruck durch verschwommene Grafik aus dem letzten Jahrzehnt wieder zunichte gemacht wird und der Spieler permanent vor Augen geführt bekommt, dass er sich nur in einem Videospiel auf einer technisch leistungsschwächeren Konsole befindet, die aber trotzdem wesentlich mehr schaffen würde. Spätestens wenn Tiger Woods auch auf der PS3 die Bewegungssteuerung über Move bekommt (vorausgesetzt, diese funktioniert ähnlich gut), wird EA nachlegen oder das Tiger-Woods-Franchise auf Wii aufgeben müssen, sonst sind schnell alle Verkaufsargumente für die Wii-Version weg. Fazit: Tiger Woods PGA Tour 11 erweitert sich auf der Ebene der Steuerung noch einmal erheblich in Richtung professionelle Simulation. Die Steuerung über Wii MotionPlus sucht tatsächlich ihresgleichen und ermöglicht die wohl realistischste Bewegungssteuerung, die es jemals in einem Videospiel gegeben hat. Das übliche Gameplay-Paket wurde mit einigen Zusätzen wie dem Ryder-Cup erweitert, der allerdings nur beinharte Profis interessieren dürfte. Die Grafik bleibt auch im 2011er-Ableger unterdurchschnittlich und bietet zu viel Angriffsfläche für Kritik, denn so fehlt schlussendlich das letzte Quäntchen zu einer perfekten Simulation, die Tiger Woods PGA Tour 11 mit dieser Steuerung über Wii MotionPlus sein könnte. Keine Frage übrigens, dass man sich das Spiel nicht zu kaufen braucht, wenn man noch nicht im Besitz des 1:1-Sensors ist.
Von Tim Herrmann
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| Wertung für das Spiel Tiger Woods PGA Tour 11 | |
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| 5.0 | Grafik Der Rasen besteht aus Pixeln in drei Grüntönen, Details und Lichteffekte gibt es kaum, die Farben sehen alle irgendwie matschig und matt aus, während die Golfermodelle zwar auch nicht perfekt, aber immer noch das Highlight sind. | |
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| 6.5 | Sound Kaum Soundeffekte und Kommentatoren, die sich nur sporadisch ab und zu mal zu Wort melden. | |
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| 9.6 | Steuerung Nahezu perfekt. Wii MotionPlus ermöglicht ein nie gekanntes Maß an Präzision, was EA nicht nur in den normalen Spielmodi unter Beweis stellt, sondern in Profi-Steuerungsvarianten noch auf fast wissenschaftliches Niveau erweitert. | |
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| 8.4 | Gameplay Das Modipaket ist über die Jahre hinweg auf ein beachtliches Maß angewachsen, wird diesmal aber nur noch durch ein paar mehr Details und nichts Weltbewegendes erweitert. Das Gameplay lebt von der MotionPlus-Steuerung, ohne den Sensor funktioniert es nicht gut. | |
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| 8.5 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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