Was früher oft versprochen wurde, wird nun endlich Wirklichkeit: Mit Sin & Punishment - Successor of the Skies veröffentlicht Nintendo, nach Monster Hunter 3, schon das zweite Spiel im ersten Halbjahr 2010, das ausschließlich an Core-Gamer gerichtet ist. Wie Monster Hunter 3 ist auch Sin & Punishment kein First-Party-Titel, sondern wurde von Treasure entwickelt, die zumindest früher hauptsächlich für Spielhallen und Sega-Konsolen entwickelten und durch Titel wie Gunstar Heroes oder Radiant Silvergun bekannt wurden - auf dem Gamecube dann durch Ikaruga oder auch das manchmal umstrittene Wario World. Sin & Punishment, der wahrscheinlich beste N64-Titel der talentierten Schmiede, erschien vor einiger Zeit im Rahmen des Hanabi-Festivals zum ersten Mal in Europa und ebnete somit den Weg für den Nachfolger, der nun als Vollpreis-Spiel für Wii erscheint.
Schon wieder ein Rail-Shooter?
Der Begriff "Rail-Shooter" hat sich in Wii-Spieler-Kreisen fast schon zum Schimpfwort gemausert, was daran liegt, dass viele Hersteller gerne Spin-Offs ihrer bekannten Franchises als verkappte Lightgun-Shooter veröffentlichen. Sin & Punishment ist ein Rail-Shooter im eigentlichen Sinne - das heißt, dass sich eure Spielfigur auf einer vorgegebenen 3D-Bahn bewegt, auf einer zweidimensionalen Ebene aber frei bewegt werden kann, um Angriffen auszuweichen. Vergleichbar ist das in etwa mit Lylat Wars oder Panzer Dragoon. Völlig unabhängig von eurer Spielfigur könnt ihr außerdem noch eine Zielmarkierung auf dem Bildschirm bewegen. Damit ist das Spiel wie gemacht für eine Steuerung mit Wii-Remote (zielen) und Nunchuk (Steuern der Spielfigur), das Spiel unterstützt optional aber auch Classic-Controller, Gamecube-Controller und sogar den Wii Zapper. Mit einem zweiten Analogstick klappt das Zielen aber natürlich nicht annähernd so gut wie mit dem Pointer, sodass die Retro-Steuerung zwar einen schönen Nostalgie-Effekt hervorruft, aber eher zum Hindernis wird. Die Zapper-Steuerung ist bestenfalls als Gimmick anzusehen.
Zusätzlich zur Grundsteuerung verfügt euer Charakter über ein fast schon unüberschaubares Repertoire an offensiven und defensiven Manövern. Die Tastenbelegung ist in den Optionen frei wählbar, die Standard-Steuerung mit Wii-Remote und Nunchuk funktioniert aber sehr gut. Zu Beginn wählt ihr aus einem von zwei spielbaren Charakteren (Isa und Kachi), die teilweise über unterschiedliche Angriffe verfügen. Der Standardschuss (Gedrückthalten der B-Taste) feuert sehr viele einzelne Schüsse in Richtung der Zielmarkierung ab. Spielt ihr mit Kachi, visiert dieser Angriff einen Gegner, wenn ihr einmal mit dem Fadenkreuz auf ihn gezielt habt, so lange automatisch an, bis der B-Knopf losgelassen wird oder der Gegner tot ist. Nahkampfangriffe (Antippen der B-Taste) sind wesentlich wirkungsvoller, können aber nur dann ausgeführt werden, wenn auch ein Gegner in Reichweite ist. Zuguterletzt gibt es aufgeladene Schüsse (Gedrückthalten des A-Knopfs), mit dem Kachi viele Gegner gleichzeitig markieren kann und der dann Suchraketen abfeuert, die etwas stärker sind als der Standardschuss. Isa feuert dagegen einen einzelnen Schuss, der bei Feindkontakt explodiert. Aufgeladene Schüsse können nur nach einer bestimmten Zeit wieder eingesetzt werden. In der Defensive könnt ihr mit dem C-Knopf springen, falls ihr euch auf dem Boden befindet, und mit dem Z-Knopf ein Ausweichmanöver initiieren, und auch den Nahkampfangriff defensiv einsetzen, da mit diesem manche Schüsse reflektiert werden können.
Arcade-Feeling
Sin & Punishment gibt sich eher als Arcade-Shooter, weshalb in Sachen Spielmodi nicht viel geboten wird. Entweder alleine oder zu zweit schießt ihr euch im Story-Modus durch sieben Levels und ein Tutorial, die (mit Ausnahme des kurzen Tutorials) 20-30 Minuten lang sind. Die Levels sind dabei sinnvoll durch Checkpoints unterteilt, an denen ihr nach einem Ableben mit einem vollen Health-Balken, allerdings mit null Punkten, erneut startet. Auch wenn ihr das Spiel beendet und später fortsetzt, geht es mit null Punkten vom letzten Checkpoint aus weiter. Die Story erinnert insgesamt an einen schlechten Action-Film aus den 60ern mit vielen abgedroschenen Phrasen (Endboss: "I will show you the true meaning of pain!"). Da in einem Spiel wie Sin & Punishment die Story aber klassischerweise eher drittrangig ist und alle Zwischensequenzen übersprungen werden können, fällt das kaum ins Gewicht.
Nach dem Durchspielen der wenige Stunden langen Kampagne wartet also der Score-Attack-Modus, in dem ihr jedes der acht Levels einzeln auf Highscores spielen könnt. Das Punktesystem ist dabei wenig komplex und belohnt vorrangig gutes Spielen: Punkte erhaltet ihr durch das Besiegen von Gegnern oder das Einsammeln von Münzen. Diese werden mit einem Multiplikator verrechnet, der steigt, wenn ihr Gegner besiegt, und fällt, wenn ihr getroffen werdet. Außerdem läuft bei einigen Szenen oben ein Timer mit, der einen Zeitbonus herunterzählt, der am Ende ebenfalls auf eure Punktzahl addiert wird. Die Tatsache, dass bei einem Ableben die Punktzahl auf Null zurückgesetzt wird, ist im Score-Attack-Modus natürlich erst recht bedrohlich. Rekorde werden in einer lokalen Highscore-Liste gespeichert und können optional auch auf Online-Ranglisten hochgeladen werden.
Grafik und Sound erfüllen ihre Jobs, ohne wirklich zu beeindrucken. Insbesondere die Charaktermodelle von Isa und Kachi erinnern etwas arg an zurückliegende Konsolengenerationen, während des effektgeladenen Gameplays macht das aber nur wenig aus. Dafür überzeugt das kreative Leveldesign mit Unterwassertunnel, fliegenden Schlössern oder dichten Wäldern. Die Musik ist schnell und antreibend, weckt aber eher nicht den Wunsch, sich die Tracks auch außerhalb des Spiels anzuhören.
Achterbahnfahrt mit Hindernissen
Wer Treasure kennt, wird wissen, was er von Sin & Punishment zu erwarten hat. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase wird das Spiel selbst auf dem normalen Schwierigkeitsgrad sehr schnell sehr schwer und fordert dabei mit vielen verschiedenen Ideen. Sin & Punishment unterhält mit originellen Angriffsmustern, spielt mit den Dimensionen und wird manchmal sogar zu einem reinen 2D-Shooter. Bosskämpfe sind extrem zahlreich und tauchen auch innerhalb der Levels immer wieder auf. Das wichtigste daran: Während des Spielverlaufs werden kaum Ideen wiederholt und selten wirkt ein Boss wie ein Klon eines Gegners, gegen den ihr schon früher gekämpft habt.
Dabei ist aber nicht alles perfekt. Kleine Probleme gibt es überall: Bei der langen Spielzeit pro Level wirken einige Passagen etwas gestreckt, da zum Beispiel eine bestimmte Anzahl Gegner einfach respawned oder eher langweilige Angriffsmuster zu lange durchgezogen werden, während denen der Boss unverwundbar ist. Dass man überhaupt noch auf dem Boden laufen kann, statt zu fliegen, wirkt eher wie ein Pflichtbekenntnis zum Vorgänger, denn nicht zu fliegen, bringt kaum Vorteile - dafür wird es eher ärgerlich, wenn die Spielfigur in Bodennähe automatisch landet und erst nach einer kurzen Verzögerung wieder losfliegen kann. Außerdem wird das Spiel oft arg unübersichtlich, da man es häufig mit zahlreichen, verschiedenartigen Angriffen von allen Seiten zu tun bekommt und manche Angriffe nicht sehen kann, da sie von anderen Schüssen, Gegnern oder den eigenen Schüssen überdeckt werden. Außerdem ist es oft problematisch, abzuschätzen, wann genau ein aus der Tiefe kommender Angriff auf einer Ebene mit der Spielfigur sein wird. Das alles sind aber nur Kleinigkeiten; der einzige wirkliche Fauxpas, den sich Treasure erlaubt hat, sind die in der Theorie viel zu mächtigen Ausweichmanöver. Während eines Ausweichmanövers wird euer Charakter unverwundbar und kann direkt im Anschluss das nächste Manöver beginnen. Generell ist es störend effektiv, in einer problematischen Passage einfach auf den Z-Knopf zu hämmern und zu hoffen, dass man aufgrund der Unverwundbarkeit lebend zum nächsten Checkpoint durchkommt. Schwieriger wird es erst, wenn man im Score-Attack-Modus Passagen ohne Schaden spielen will, um den Multiplikator zu halten, denn unkontrollierte Ausweichmanöver enden unausweichlich irgendwann genau in einer gegnerischen Attacke, sodass man ein paar mal getroffen wird und somit zumindest einen guten Highscore vergessen kann.
Wer wirklich gut werden will, muss sich also weitestgehend von den in der Praxis schwammigen Ausweichmanövern verabschieden und erkennt dann das Talent von Treasure, die es nach wie vor verstehen, Spiele zu entwickeln, die zwar sehr schwer, aber nicht unfair sind. Sin & Punishment ist ein schnelles und intensives Action-Spiel, das andere Fertigkeiten verlangt als ein Ikaruga, letztendlich aber auch darauf hinausläuft, dass es leicht zu erlernen und schwer zu meistern ist. Das einfache Beenden des Spiels ist eine Sache; wer unangetastet durch die Levels kommen will, damit der Multiplikator immer weiter in die Höhe schnellt, steht aber vor einer wesentlich fordernderen Aufgabe. Highscorejäger bekommen mit Sin & Punishment also wirklich sehr gutes Futter.