Review von Marian Wehmeier (mail) | 09.04.2007
Als die Zeichner Peter Laird und Kevin Eastman im Jahre 1984 einen Underground-Comic namens Teenage Mutant Ninja Turtles veröffentlichten, ahnte keiner der beiden, welcher Erfolg sich kurze Zeit später einstellen würde. Der Erstausgabe folgte eine komplette Comicserie, deren Popularität die Weichen für die Zeichentrickserie stellte, die zwischen 1987 und 1995 produziert wurde. Hinzu kamen drei Comicverfilmungen, die in den Kinos Einlass erhielten und knackige Gewinne ausschütteten.
Mitte April läuft nun der vierte Streifen der vier mutierten Riesenschildkröten um Meister Splinter an. Passend dazu rollt die Merchandise-Maschinerie an. Für die Fans der pizzaverfallenden Schildkröten gibt es Popcornkino, für alle Wii-Besitzer zusätzlich auch noch eine Videospielportierung.
Renaissance
Die Umsetzung von Comic-Format auf Zeichentricktypus überstand die Serie nicht ohne erhebliche Einschnitte. Die Macher mussten eine Handvoll Kompromisse eingehen, um die Serie kindgerecht aufzubereiten. So fiel die düstere Atmosphäre, samt ihrer vorherrschenden Brutalität und vulgären Dialoge, der Schere zum Opfer. Mit dem neuen Film „TMNT“ geht Regisseur Kevin Monroe nun zurück zu den Wurzeln der Serie, zu ihrer düsteren Vergangenheit.
Die vier Turtles haben sich in alle Himmelsrichtungen verstreut. Meister Splinter, der rattige Ersatzvater der vier Schildkröten, hat Leonardo nach Südamerika geschickt, um ein mythisches Medaillon zu suchen und seine Kampftechnik zu perfektionieren, um später seinem Ruf als Anführer der vier Brüder gerecht zu werden. Donatello erweist sich als Computerexperte, um die Familienfinanzen im Gleichgewicht zu halten, während Michelangelo sich als Schildkröte verkleidet und sich sein Geld als Attraktion auf Kindergeburtstagen verdient. Der letzte im Bunde, Rafael, zieht hingegen als „Nightwatcher“ um die Häuser, um auf eigene Faust das organisierte Verbrechen zu bekämpfen.
So verstreicht die Zeit, bis eines Tages seltsame Kreaturen auftauchen und beginnen, in der Stadt ihr Unwesen zu treiben. Leonardo kehrt aus dem Dschungel zurück, um als Anführer der Turtles dem Schrecken Einhalt zu gebieten. Diese Angelegenheit erweist sich für die vier Schildkröten allerdings als ein nicht gerade leichtes Unterfangen. Es muss nicht nur der Kampf gegen die Monster angetreten werden, es gibt auch Fehden innerhalb der Familie, die es zu überwinden gilt.
Die Prinzen der Kanalisation
Der Storymodus in TMNT setzt sich aus 16 Missionen zusammen, die durch Filmschnipsel des Kinofilms und Standbilder verpackt als Comic-Illustrationen zusammengeschustert sind. Rückblickend erzählen die vier Turtles und Meister Splinter eine relativ wirre Geschichte und wie es erst dazu gekommen ist. Dieser Erzählstil wird das ganze Spiel über aufrecht gehalten, sei es durch Zwischensequenzen oder Anmerkungen und Erläuterungen, die die Turtle während des eigentlichen Spiels preisgeben.
Der Aufbau der Level kombiniert zwei Gameplay-Aspekte. Das Fundament bilden diverse Sprung- und Kletterpassagen, die dann durch Kampfeinlagen ergänzt werden. Diese zwei Stützen sind klar voneinander getrennt: Der jeweilige Turtle springt und klettert durch die verwinkelten Gassen und Hochhausschluchten, bis er eine Zone betritt, in der zahllose Gegner wie aus dem Nichts auftauchen. Eine unsichtbare Wand baut sich auf, die das Weiterkommen verhindert und erst dann den Weg wieder freigibt, wenn alle Gegner in der Region besiegt wurden. Es folgen Sprungabschnitte und Kletterpassagen, bis wieder die Waffe gezückt werden muss.
Die Level, die durch zahlreiche Checkpoints unterteilt sind, entführen den Spieler anfangs in den Dschungel, später auf die Dächer der Wohnhäuser und Wolkenkratzer, in die entlegendsten Ecken der Slums und in den prunkvollen Tower des vermeintlichen Bösewichts Max Winters.
Im Stile der Prince of Persia-Reihe haben auch die vier Brüder eine ganze Palette an Fähigkeiten, um sich im düsteren Untergrund zu beweisen. So können sie Wände entlang klettern, Mauern besteigen, sich an Vorsprüngen entlang hangeln und von Mast zu Mast schwingen. Hinzu kommen charakterspezifische Besonderheiten, die es z.B. ermöglichen, sich durch Wände zu teleportieren (Leonardo) oder größere Distanzen mittels Bo-Stab zu überwinden (Donatello).
Für die Kampfsequenzen werden all diese Fertigkeiten nicht benötigt. Ist eine der vielen Kampfareale erst einmal betreten, wird die entsprechende Waffe gezückt, bevor man auch schon von mindestens vier Feinden gleichzeitig umgeben ist.
Durch das Schütteln der Wii-Remote wird ein Angriff mit der Waffe vollführt, während das Schütteln des Nunchucks eine Art Drehkick auslöst. Hinzu kommt das Ausweichen, das mit dem Z-Knopf ausgelöst wird und fast unentbehrlich ist. Denn am oberen Bildschirmrand prangert eine Stern-Anzeige, die sich mit jedem besiegten Gegner auffüllt, aber mit jedem eingesteckten Hieb wieder ganz entleert – ist die Anzeige komplett gefüllt, lässt sich ein sogenannter Mega-Angriff ausüben.
Zur Verstärkung kann im späteren Verlauf des Spiels dann auch noch ein weiterer Turtle hinzugerufen werden, der dabei hilft, eine von vier Spezialattacke auszuführen. Allerdings ist es nicht möglich, parallel mit mehreren Turtles gleichzeitig zu kämpfen.
Am Ende jeder Mission zeigt eine Statistik auf, wie gut man sich geschlagen hat. Es wird die Kampftechnik und die Schnelligkeit gewertet, ebenso wie die Anzahl der eingesammelten Münzen, die überall in der Umgebung verstreut sind. Im späteren Verlauf kommt auch die Teamwork-Komponente hinzu. An diesen Werten gemessen, werden Ränge und Münzen vergeben. Besonderes Augenmerk ist hierbei auf die Ränge zu legen, da diese Qualifizierungen später unter dem Menüpunkt „Herausforderungen“ diverse (Wii-exklusive) Minispiele freischalten. Die Münzen hingegen können später gegen eine Handvoll Gimmicks (Riesenköpfe für die Turtles, Halloween-Scherzartikel) und diverse Grafiken und Videos (u.a. auch Trailer zum aktuellen Kinofilm) eingetauscht werden.
Kindgerecht
Wie auch bei anderen Spielen, bei denen ein Kinofilm als Vorlage diente, ist TMNT offenkundig auf die jüngere Klientel zugeschnitten. Ein Aspekt, der zu denken gibt, da alle Fans der Serie, die mit ihren grünen Helden Mitte der Neunziger aufgewachsen sind, heute längst aus dem pubertären Alter heraus sind. Und die armen Kids, die heute vor dem Fernseher ihrer Eltern aufwachsen (und denken, Pokémon und Dragon Ball seien anspruchsvolle Kinderserien), die vier mutierten Pizzafresser wohl nur vom Hörensagen kennen.
Nichtsdestotrotz entschied man sich bei Ubisoft Montreal dafür, das Spiel so leicht wie möglich zu gestalten. Die Simplizität fängt beim Leveldesign an: In bester 2D-Jump & Run-Manier gibt es weder die Möglichkeit, das zu durchlaufende Umfeld zu erkunden, noch die Gelegenheit, verschiedene Routen einzuschlagen. Die Kamerafahrt diktiert, in welche Richtung es geht, und kommt man mal auf die Idee, z.B. auf das Dach des Nachbarhauses zu springen, so landet man unweigerlich im Jenseits. Ist dieser Fall eingetreten, wird man zu einem der zig Checkpoints, die auf alle Hundert Fußtritte das Spiel zwischenspeichern, zurückgesetzt. Eine Lebensanzahl gibt es nicht, man kann so oft in den Abgrund springen, wie man will.
Diese Einfachheit wird bei den Kämpfen weitergeführt. Zwar kommen durchschnittlich drei bis fünf Gegner auf den gewählten Turtle gleichzeitig zu, allerdings gleicht die fehlende künstliche Intelligenz der Opponenten ihre zahlenmäßige Überlegenheit wieder aus. Dem ungeachtet sind die Endgegner zwar nicht ganz so leicht zu besiegen, mehr als ihren Attacken auszuweichen, um sie dann windelweich zu prügeln, muss man allerdings auch nicht tun.
Kanadische Kurpfuscher
TMNT als kindgerechtes Spiel zu konzipieren, ist bei weitem kein Vergehen. Schlimm wiegen hingegen die ganzen Programmierfehler und Schludereien, die das Gesamtwerk fast unerträglich machen. Angefangen bei dem zutiefst simplen Spielkonzept, das sich aufs Biederste wiederholt, über eine unüberlegte Steuerung, die das Spiel fast unspielbar macht, bis hin zu diversen Programmierfehlern, die es in dieser Art einfach nicht geben darf, ist alles vertreten, was ein Programmierer tunlichst vermeiden sollte.
Das Spielkonzept erstickt an seiner Linearität und seiner streng gegliederten Aufmachung. Auf der einen Seite die vielen Sprung- und Kletterpassagen, die zwar im Grunde keine Langeweile aufkommen lassen, aber auch keine Herausforderung darstellen. Hinzu kommt die schwammige Steuerung, die recht frustrierend sein kann. Auf der anderen Seite die zermürbend langweiligen und langatmigen Kampfabschnitte, in denen Dutzende hirnloser Punks, Ninjas oder Fußsoldaten um ihren Tod betteln. Das ist schon amateurhaftes Spieldesign par excellence und die missratende Steuerungskonfiguration setzt dem Ganzen die Krone auf: So ist ein Angriff, egal ob ein Waffen- oder Drehangriff, nur durchs Schütteln der Wii-Remote möglich. Die vielen Kampforgien enden dann damit, dass der erschöpfte Spieler minutenlang mit dem Controller herumfuchtelt – so lange, bis ihm der Arm weh tut.
Abgerundet wird der Gesamteindruck durch Programmierfehler. Es bleibt unerklärlich, warum die Turtles plötzlich keine Lust mehr haben, sich zu bewegen. Wie sture Kühe bewegen sie sich dann nicht mehr, während der Wii-Remote ohne Ende vibriert. Durch mehrmaliges Schütteln des Nunchucks wird dieser Zustand erst wieder aufgehoben, was gerade in Sequenzen mit vielen Gegnern sehr, sehr frustrierend sein kann. Nachdem Michelangelo aufgrund dieses Fehlers einmal wieder das Zeitliche segnete und bemerkte „Das muss ein Systemfehler sein“, stellt sich ernsthaft die Frage, ob die Programmierer diesen subtilen Humor ganz bewusst eingebaut haben.
Statistiken
Es entsteht der Eindruck, dass dieses unfertige und vor allem lieblos gestaltete Produkt nur dazu dient, ein paar Scheinchen nebenbei einzukassieren. Die eigentliche Idee, die Turtles in eine düstere Welt zu schicken, sie über Häuser und durch Gassen zu jagen und sogar innerhalb der Brüderschaft eigene Konflikte zu inszenieren, hätte viel Platz geboten, um phantasievolle und packende Spielpassagen zu konstruieren. Seien es atemberaubende Kämpfe auf verregneten Hochhäuser oder waghalsige Sprungpassagen auf Dächern, während im Hintergrund ein glühender Sonnenuntergang zu bewundern ist – alle Ideen wurden verschwenderisch ignoriert.
Die Statistiken, die über die gesamte Spieldauer erfasst werden, sprechen dabei Bände: Nachdem der Storymodus einmal durchgespielt wurde, ist das Spiel zu circa 65 Prozent geschafft. Die fehlenden Prozente sind Extras, die man beim zweiten Durchspielen aufsammeln kann, aber nicht wird, da der Arm weh tut. Weitere Erhebungen:
Sehr genaue Steuerung: 243 Mal landete der Turtle nicht auf dem nächsten Dach, Masten oder an der gegenüberliegenden Häuserwand, sondern in irgendeiner Schlucht. Überaus herausfordernde Massenschlägereien: 13 Mal wurde man von Feinden und Endgegnern erledigt. Unglaublich viel Abwechselung: 1251 Gegner mussten durch sinnloses Herumgefuchtel mit der Wii-Remote eliminiert werden. Monatelanger Spielspaß: Die gesamte Spieldauer beträgt fünfeinhalb Stunden. Fazit: TMNT hat durchaus seine kleinen Highlights. In einer Szene klettert man mit einem Turtle eine lange Hochhauswand empor, während die Kamera elegant zur Seite schwenkt und der Spieler so die schöne New Yorker Skyline zu Gesicht bekommt, die sich im Hintergrund erstreckt. Auch ein paar kesse Kommentare, die die Turtles während der gesamten Spielzeit von sich geben, sind erwähnenswert: So bemerkt Rafael während einer Verfolgungsjagd trocken, er hätte mit dem vorgelegten Tempo niemals mithalten können, hätten die Gejagten nicht glücklicherweise McDonalds einen Besuch abgestattet. Oder: Ein riesiger Endgegner meint, er würde die kleinen Turtles platt treten, während nur Donatello altklug entgegnet, dass die vier Turtles für ihre Spezies eigentlich relativ groß seien.
Retten können diese Hightlights das Spiel nicht mehr. Im Grunde wurde in allen Bereichen geschlampt. Über große Strecken liebloses Leveldesign, ruckelnde Filmausschnitte, nervtötende Soundsamples, schlampige Steuerung und deren unüberlegte Einstellung. Hinzu kommt der geringe Spielinhalt, der viel zu leicht und viel zu monoton ausgefallen ist. Die Minispiele und Extras sind nicht mehr als eine nette Beigabe.
TMNT ist allerhöchstens für kleine Kinder empfehlenswert, die im Notfall allerdings besser mit „Ice Age 2“ oder „Jagdfieber“ bedient sind. Geisteskranke Hardcore-Gamer und unerschrockene Fans der Serie, die es nicht lassen können, sollten zuvor lieber Probespielen. „Sieht’s für dich mal finster aus, die Turtle-Jungs holen dich da raus“. Echt? Sehr kanalisationskompatibel.
Von Marian Wehmeier
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| Wertung für das Spiel TMNT: Teenage Mutant Ninja Turtles | |
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| 5.7 | Grafik Größtenteils einfältiges Design trifft auf diverse Clipping-Fehler. Die qualitativ sehr durchschnittlichen Zwischensequenzen ruckeln, während die Gesamtaufmachung an gute alte PS2-Zeiten erinnert. | |
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| 7.1 | Sound Relativ durchschnittliche Musikleistung, Kommentare witzig und keck, Soundsamples der Turtles und ihrer Gegner nervtötend. | |
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| 3.4 | Steuerung Schwammige Steuerung in den Sprungpassagen, keine Konfiguration möglich. Generelle Anpassung an das Spiel sehr mangelhaft. | |
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| 3.9 | Gameplay Amateurhaftes Spieldesign, zermürbend langweilige Kampfsequenzen, viel zu kurze Spieldauer. Programmierfehler. | |
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| 5.1 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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