Review von Tim Herrmann (mail) | 31.10.2009
Stolze 855 Tage hat es diesmal für Harvest Moon gedauert, bis es seinen Weg nach Europa gefunden hat. Am 07. Juni 2007 in Japan erschienen, kam der Titel erst am 09. Oktober 2009 nach Europa, als alle ihn schon längst vergessen hatten. Es handelt sich um den ersten exklusiven Ableger für Nintendos Konsole – in Japan sind in der Zwischenzeit mit Harvest Moon – Animal March, einer Umsetzung für WiiWare und natürlich Rune Factory auch schon neue Titel erschienen, die wir dann wohl im Jahr 2011 erwarten dürfen (immerhin: Rune Factory Frontier ist für Anfang 2010 geplant). Wie sich das zweieinhalb Jahre alte Spiel aus der mittlerweile elf bzw. dreizehn Jahre alten Serie mit aktueller Konkurrenz schlägt, das erfahrt ihr bei uns im Testbericht.
Ein Blick in die Vergangenheit
Harvest Moon – Baum der Stille ist gewissermaßen ein Blick in die Vergangenheit, eine Aufzeichnung einer anderen Wii-Generation. Weil das Spiel mit zweieinhalb Jahren Verspätung hier erscheint, sehen die Spieler von 2009 ein Spiel aus 2007 in den Regalen stehen. Und dieser Fakt äußert sich leider auch dann noch, wenn man den Titel zu Hause in die Konsole legt und anfangen möchte zu spielen.
Harvest Moon erwartet seinen Käufer mit einer Einleitungssequenz, die man schlechter kaum gestalten könnte. Verwaschenes Wasser um ein dunkelgraues Boot mischt sich mit matschigen Wolken und einem verschwommenen Blick auf irgendein grün anmutendes Eiland in der Ferne, während sich der von euch gewählte männliche oder weibliche Held mit einem niedlichen Knubbelkapitän unterhält. Einige nichtige Einführungssekunden später („Ach, du bist also der neue Rancher auf der Waffelinsel? Wie heißt du eigentlich? Dir wird es bestimmt gefallen“) findet sich der Spieler dann auch schon in Waffelstadt wieder, dem metropolischen Zentrum der ganzen Insel, in dem ca. sechs Gebäude stehen. Vom Bürgermeister werdet ihr genötigt, die Stadt zu erkunden und mit allen Einwohnern zu sprechen, bevor es weitergehen kann.
Schon hier zeigt sich, wie man Harvest Moon – Baum der Stille am besten beschreiben könnte: zäh. Die Dialoge zwischen den Charakteren ziehen sich unnötig lang hin und man ist praktisch permanent dabei, den A-Knopf zu drücken, um die abgehackt dargestellten Dialogboxen fließen zu lassen. Der Bürgermeister redet irgendetwas vor sich hin und gibt euch ab und zu mehrere Antwortmöglichkeiten, die das Verhältnis zwischen den beiden Charakteren aufbessern oder verschlechtern. Lästig ist es vor allen Dingen, dass die Dialoge so statisch ablaufen. Euer Spielcharakter hat keine Stimme und keinerlei Dialoganteile. Seine Antworten auf Fragen bestehen aus immer gleichen Animationen und vorprogrammierten Bewegungen.

Wird irgendetwas erklärt, stellt der Bauer das durch ein stummes Fuchteln mit den Armen dar. Wird jemand begrüßt oder verabschiedet, folgt ein blödes Winken ins Gesicht der Person, die zwanzig Zentimeter von einem entfernt steht. Soll sich der Protagonist bedanken, verbeugt er sich. Bekommt er ein Buch oder etwas Ähnliches überreicht, muss das in einer verhältnismäßig langatmigen Zeremonie vollzogen werden, in der das Geschenk von den ersten zwei Händen in die zweiten zwei Hände wandert und dann euphorisch in die Luft gehalten wird (untermalt von einem merkwürdigen „GREAT!“). Auch Zwischensequenzen laufen so statisch ab. Es gibt immer nur vorgefertigte Animationen (90°-Drehung zum Tresen, Winken, Fragezeichen über dem Kopf etc.), die dann der Reihe nach abgespult werden und wirklich nur zum Gähnen beim Zusehen animieren.
Von Grund auf hässlich
Im vorangegangenen Paragraph wurde es bereits angesprochen: Harvest Moon ist ein Blick in die Vergangenheit. Und das natürlich auch auf technischer Ebene. Die oft gedroschene Phrase „Das Spiel sieht aus wie auf dem Nintendo 64!“ anzubringen, wäre wie fast immer übertrieben, aber von PS2-Grafik der allerersten Generation zu reden, wäre schon gut gemeint. Die meisten GameCube-Launch-Titel sahen besser aus. Harvest Moon – Baum der Stille ignoriert die technische Seite so eindeutig, dass man sich fast schon fragt, ob die Entwickler irgendeine Intention dahinter hatten. Letztendlich fällt aber kein Gedanke in den Kopf, der die vermeintliche künstlerische Inspiration hinter einfarbigen Wiesen, matschblauem Wasser, SNES-Sprites als Tischdekoration und linear, langweilig oder – um das Wort noch einmal hervorzukramen – statisch angeordneten Bäumen, Pflanzen und Blumen erklären könnte. Harvest Moon – Baum der Stille ist einfach von Grund auf hässlich. Man würde fast schon gerne mit Stil und Cartoon-Präsentation argumentieren, aber es kann einfach nicht ignoriert werden, dass bis auf die einigermaßen niedlichen, kleinen Charaktermodelle alles irgendwie verwaschen, undetailliert, hingeklatscht und dadurch schrecklich trist und lieblos aussieht.
Nun können natürlich gleich wieder Stimmen laut werden, die die Phrase „Gameplay ist wichtiger als Grafik“ aus der Mottenkiste kramen – und prinzipiell haben sie natürlich recht. Aber wenn man eine Simulation, die es sich zum Ziel setzt, Spieler in eine „andere Welt“ und in ein anderes Leben zu entführen, optisch derartig schlecht präsentiert, müssen sich die Entwickler auch nicht wundern, wenn gleichzeitig mit der Grafik auch das ganze Gameplay den Bach runter geht. Ganz davon abgesehen, dass die technische Seite meistens der beste Indikator dafür ist, wie viel Mühe sich die Entwickler mit einem Spiel insgesamt gegeben haben (nicht einmal 60Hz und 480p werden unterstützt), so ist die Grafik in einem Konzept wie Harvest Moon auch immer das Mittel, um Realität zu simulieren. In einer Realität, die so aussieht, möchte allerdings wohl niemand leben.
Und damit verwirkt Harvest Moon – Baum der Stille seine gesamte Daseinsberechtigung als Eintrag in das Traditionsfranchise. Denn sobald der Spieler denkt: „Ich will hier weg“, hat das Spiel sein Ziel nicht erreicht, dem Rezipienten ein neues Zuhause zu erschaffen, in das er als Farmer immer wieder gerne zurückkommt. Dieses „Ich will hier weg“ stellt sich schon sehr früh im Spielverlauf ein, nachdem man durch die hässlichen Straßen gelaufen und mit verschiedensten Charakteren belanglos geplaudert hat. Und da das das einzige Ziel von Harvest Moon die Kreation einer zweiten Realität ist, schwebt das Spiel mit einer solchen Nullnummerpräsentation einfach orientierungslos im Raum herum, ohne zu wissen, was es als Videospiel eigentlich kann, will oder soll.
Übrigens: 2007, das war das Jahr, in dem auch wunderschöne Titel wie Super Mario Galaxy, Metroid Prime 3 oder Zack & Wiki erschienen sind. Der Stand der Technik auf Wii war also sicherlich nicht Schuld an dem visuellen Dilemma von Marvelous’ Produktion. Die Entwickler waren einfach entweder faul, nicht fähig oder unterfinanziert.
Ui, Bewegungssteuerung
„Ein Harvest Moon auf Wii. Uiii. Da kann man dann realitätsecht seine Hacke schwingen, mit einem leichten Handgelenksschlenker seine Blumen gießen oder durch schnelles Zupfen die Karotten vom Boden trennen“, war der allgemeine Tenor, als das Spiel angekündigt wurde. Das war 2006, als Wii und selbst unausgereifte Steuerungen tatsächlich noch neu und frisch waren. Jetzt haben wir 2009 und es interessiert niemanden mehr, ob man bei Harvest Moon den Controller schüttelt, um Gemüse zu pflücken, ob man den Controller schüttelt, um die Gießkanne zu verwenden, oder ob man den Controller schüttelt, um die Spitzhacke zu verwenden. Zumal diese schwachen und schlampig umgesetzten Bewegungskommandos auch nur optional neben der normalen Knopfsteuerung zur Verfügung stehen.
Auch ansonsten ist die Steuerung ziemlich schwach gelungen: Euer Spielcharakter wird mit dem Nunchuk gelenkt und verheddert sich besonders in Gebäuden regelmäßig in herumstehenden Möbeln. Trifft er auf ein Objekt, bleibt er nicht stehen, sondern läuft einfach weiter dagegen. Schlimm wird es aber erst bei der echten Farmarbeit, denn Pflanzen auf dem Boden sind keine wirklichen Objekte, sondern oft lediglich Bodentexturen, über die man problemlos hinüber laufen kann. Dadurch wird es auch zum Präzisionsakt, den Spielcharakter so zu platzieren, das die Benutzung von z.B. der Gießkanne zum Erfolg und zur Bewässerung der gewünschten Pflanzen führt. Jetzt bedenke man einmal, dass man das bei fünfzehn verschiedenen Pflanzen machen soll (unter dem Zeitdruck des Spiels), während man schon einen Puls von 180 durch die hässliche Umgebung und ein komisches Wutgefühl durch die langatmigen Dialogsequenzen hat.

Harvest Moon – Baum der Stille macht also schlichtweg kaum Spaß, sondern lässt den Spieler sich durch das zähe Gameplay kämpfen, das mit unnützen Sequenzen unterbrochen wird und dank schwammiger und belangloser Steuerung unnötig kompliziert wird.
Alte Ideen in Schlecht
Ansonsten ist das Spiel einfach eine Neuauflage der uralten Ideen aus den Vorgängern, die damals sehr gefallen konnten, in diesem Fall aber die eben genannten Aspekte nicht überstrahlen können. Ihr seid immer noch ein rundum freier Farmer, der sein eigenes Heim gestalten darf und mit viel harter, ehrlicher Arbeit für sichtbares Wachstum auf den Feldern sorgt. Gut ist, dass es jetzt eine Reihe neuer Tiere zum Versorgen gibt und dass im späteren Spielverlauf auch wirklich etwas wie Farmidylle eintritt, wenn man allein auf seinem eigenen Bauernhof arbeitet und sein Geld verdient. Doch der Weg dahin und jeder zusätzliche Weg außerhalb des Bewährten scheitert an der schlechten Präsentation - in grafischer, akustischer, gestalterischer und spielerischer Hinsicht.
Im Hintergrund läuft eine Geschichte um den geheimnisvollen kranken Mutterbaum und die Göttin der Waffelinsel ab, die aber herzlich wenig interessant ist. Dann gibt es natürlich auch wieder die Möglichkeit zu heiraten, was allerdings disziplinierte Kommunikation mit Inselmitbewohnern voraussetzt. Und das geht wieder an die Nerven. Zu all diesen guten, traditionsreichen und süchtig machenden Aspekten des Bauern-Gameplays kommt man in den allermeisten Fällen gar nicht, weil es schlicht keinen Spaß macht, durch das Spiel, seine schlechte Präsentation und den gummiartig zähen Spielaufbau zu schreiten. Verhältnismäßig lange Ladezeiten für verhältnismäßig kleine Aufgaben und Bereiche und die angesprochenen Punkte machen viele immer wieder auftauchenden Selbstverständlichkeiten im Spielverlauf zur Last. Damit können die guten Aspekte des klassischen Gameplays gar nicht mehr greifen und übrig bleibt nur das, was nicht gelungen ist. Dementsprechend gestaltet sich auch der Gesamteindruck.Fazit: Diesmal geht das Konzept nicht auf: Es reicht nicht (mehr), einfach das altbekannte und -bewährte Gameplay der Harvest-Moon-Reihe 1:1 zu kopieren, ein paar neue Elemente hinzuzufügen und eine neue Geschichte, schlechte Wii-Steuerung und noch schlechtere Technik darum zu spinnen. Harvest Moon – Baum der Stille bekommt kaum die Gelegenheit, sein Gameplay zu entfalten, weil alles darum so schlampig gestaltet und umgesetzt wurde, dass man gar keine Lust mehr hat, sich auf das Gameplay einzulassen. Die Grafik befindet sich auf unterstem PS2-Niveau und sieht bis auf Charaktermodelle lieblos aus, was für eine Simulation, die in eine idyllische andere Welt entführen will, tödlich ist. Die Steuerung ist miserabel, die Farmarbeit geht nicht ohne lästige Justierungen der Position des Spielcharakters von der Hand und die Dialoge zwischen den Charakteren werden von lästigen und immer gleichen, sich ständig wiederholenden Animationen unnötig in die Länge gezogen. All das nervt und strapaziert die Geduld des Spielers, der schon bald keine Lust mehr auf die Waffelinsel hat. Das Franchise hat in seiner jetzigen Form eindeutig ausgedient und braucht eine komplette, mutige Neuinterpretation, wie mit Rune Factory geschehen. Andernfalls muss Marvelous sich nicht wundern, warum sich der große Name trotz gleich gebliebenen Gameplays nicht mehr verkauft. Der große Name ist ohnehin fast alles, was das Spiel noch hat – und so bleibt es fast schon eine Unverschämtheit, dass Rising Star Games dieses schlechte Spiel nach zweieinhalb Jahren noch einmal auf den Markt bringt, während Fans vergebens auf Besseres wie Rune Factory Frontier warten.
Von Tim Herrmann
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| Wertung für das Spiel Harvest Moon - Baum der Stille | |
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| 4.0 | Grafik Unverschämtheit: Bis auf die Charaktermodelle ist fast alles verwaschen oder unstrukturiert und Objekte wie Bäume oder Blumen sind einfach lieblos in die Gegend gesetzt. | |
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| 4.4 | Sound Harvest Moon hört sich am besten an mit Kopfhörern… Wenn sie nicht an den Fernseher angestöpselt sind und man das uninspirierte, langweilige Gedudel dadurch nicht hören muss. | |
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| 5.2 | Steuerung Langweilige, ideenlose, schlecht umgesetzte Schüttelsteuerung trifft auf ungenaue Charakternavigation, die sich beim eigentlichen Spiel nicht selten zum Problem entwickelt. | |
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| 6.5 | Gameplay Der Kern des süchtig machenden, liebevollen Simulationskonzeptes ist noch da. Die schlechte Technik und die miserable spielerische Umsetzung hindern ihn aber an seiner Entfaltung. | |
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| 5.5 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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