Review von Tim Herrmann (mail) | 12.06.2009
Der Mai 2008 brachte im Hinblick auf die Wii-Neuerscheinungen eine echte Überraschung in mehrerlei Hinsicht hervor. Überraschung 1: Steven Spielbergs exklusives Wii-Projekt war kein episches Abenteuerspiel, sondern ein Titel für Gelegenheitszocker mit putzigen Blocktierchen und einem ebenso simplen wie bunten Spielprinzip. Überraschung 2: Das Spiel namens Boom Blox war qualitativ gesehen ein echter Hit, ein „Block“buster sozusagen, mit fesselndem und innovativem Spielprinzip, das erfrischend aus der Masse hervorstach. Und Überraschung 3: Das Ganze verkaufte sich auch noch (über einen längeren Zeitraum gesehen) ziemlich gut.
Besonders der letzte Aspekt führte nun dazu, dass ElectronicArts nur ein Jahr später einen neuen Teil mit dem Boom-Blox-Siegel für Wii auf den Markt wirft. Kann das Ganze noch einmal überzeugen oder ist die Idee ausgelutscht und der zweite Teil nicht mehr als ein weiteres Glas Milch aus der leer gemolkenen Kuh?
Was geschah in einem Jahr?
Ein Jahr ist für die Entwicklung eines Videospiels eine sehr kurze Zeit. Besonders wenn man bedenkt, dass das eine Jahr zwischen dem Release des Erstlings und seines Nachfolgers mitnichten zu 100% aus Entwicklungszeit bestanden haben kann. Auch wenn die Entwickler immer sagen, dass sie nach der Fertigstellung von Boom Blox schon etliche Ideen für Teil 2 gehabt hätten und gleich im Anschluss an Teil 1 zu entwickeln begannen, wird der Publisher die Entwicklung nicht ohne einen sorgfältigen Blick auf den Verlauf der Verkaufszahlen angeordnet haben. Und diese sahen zuerst sehr düster aus, das innovative und damit ungewöhnliche Prinzip verkaufte sich in seinen ersten paar Wochen ohne einen Fuß in den höheren Chart-Positionen. Doch ein bestimmtes Wii-Phänomen griff auch bei Boom Blox. Während einige große Titel sich nur in ihren ersten drei Wochen an die beinharten Fans absetzen können und danach im Nirvana verschwinden, machte Boom Blox auch in seiner 24. Woche noch fast so gut weiter wie in seiner fünften und konnte den Stapel an verkauften Exemplaren so immer weiter erhöhen. Mittlerweile hat das Spiel die Millionengrenze durchbrochen.
Was geschah also in dieser Zeit von weniger als einem Jahr? Haben die Entwickler es geschafft ein echtes, vollwertiges, neues Spiel zu entwickeln oder konnte man unter dem enormen Zeitdruck lediglich ein seichtes Update aus den Rechnern pressen? So suspekt es klingen mag, aber beides ist der Fall.
Sowohl Update als auch Neuentwicklung
Boom Blox zeichnete sich damals besonders durch seine perfekte Physik-Engine aus, die im Hintergrund berechnete, wie die Blöcke realitätsecht fallen müssten, wie die Steinchen nach einer Explosion zu fliegen haben und wie stark der Impuls eines Balles auf ein solides Bauwerk sein muss. Diese Engine hat man für den zweiten Teil 1:1 übernommen – es ging hier also keine zusätzliche Entwicklungszeit verloren und man hat sich einfach auf das Altbewährte verlassen, woran es ja im Falle des perfekt funktionierenden Erstlings auch nicht viel zu bemängeln gibt. Auch am Spielprinzip wurde nicht gerüttelt: In Boom Blox ist es mitnichten euer Ziel, schöne Konstruktionen aus Blöcken zu bauen, sondern sie möglichst destruktiv in ihre Einzelteile zu zerlegen und dabei sowohl ein vorausschauendes Auge als auch ruhige Hände zu beweisen.
Doch eine einfache, solide Ladung Levelnachschub ist Boom Blox – Smash Party trotz der vielen Parallelen zum Erstling dennoch nicht. Die Entwickler um Produzent Amir Rahimi haben sich Gedanken gemacht, welche Ideen man für das Konzept noch verwenden könnte, und haben eine beachtliche Portion Kreativität in Pixelform umgewandelt und in Boom Blox 2 verstrickt. Tatsächlich wirkt der erste Teil im Vergleich zu Smash Party fast wie ein Tutorial, das einem das gesamte Spielkonzept anhand eher bodenständiger Beispiele näher vorstellt. Denn die simplen Aufgaben, in denen man Türme umwerfen soll, sind bei Boom Blox – Smash Party sehr schnell vom Tisch und werden von Verrücktheiten aller Art ersetzt.
So gibt es neuerdings auch Levels mit variierenden Gravitationszuständen. Im Wasser geht es zum Beispiel nicht mehr darum, Punkteblöcke auf den Boden zu befördern, sondern sie von selbigem fernzuhalten und an die Oberfläche zu transportieren. Der Weltraum kennt gar keine Schwerkraft mehr, sodass die Steinchen dank des Vakuums und der daraus resultierenden Reibungsfreiheit ungehindert ewig weiter in alle Richtungen durch die unendlichen Weiten segeln und erst dann Punkte bringen, wenn sie eine bestimmte Linie im 3D-Raum überschritten haben. Hierbei muss man natürlich darauf achten, mit einem Ball so viel Druck wie möglich zu erzeugen, der möglichst viele Objekte in Bewegung versetzt, die ihre kinetische Energie dann mit Kumpanen teilen und sie ebenfalls ins Jenseits befördern.
Von Viren, Lasern, Kanonen und Farb-Tetris
Nicht nur bei den gravitationsabhängigen Levels bewiesen die Entwickler Mut zu neuen Ideen, auch die Werkzeuge, mit denen man spielt, wurden um einige Tools erweitert. Neuerdings gibt es nämlich Virenblöcke, die miteinander reagieren wenn sie aufeinander treffen, und umliegende Quader anstecken, die sich dann wiederum bei gegebenen Umständen auch auflösen können. Dadurch werden viele schöne Kettenreaktionen möglich. Weiterhin dabei sind natürlich die Verschwinde-Blöcke, die sich bei Ballberührung schlichtweg auflösen, Bombenblöcke, Chemikalienblöcke, die explodieren, wenn sie zusammengeführt werden, und einige Randspielereien wie Feuerwerk-, Klingel-, Kristall- oder Punkte-Blox.
Bei den Spielzeugen hat man jetzt auch eine Kanone im Repertoire, die man zunächst anzünden und dann mithilfe des Pointers ins Ziel lenken muss. Außerdem gibt es eine Art Schleuder, mit der man jeden beliebigen Stein eines Aufbaus greifen und durch die Gegend katapultieren kann. Laser pulverisieren alles, was sie berühren und der Virenball hilft dabei, normale Blöcke zu infizieren. Eine wichtige Rolle spielen auch Farbbälle, mit denen puzzleartige Levels realisiert werden. Wirft der Spieler einen Farbball, so nimmt der getroffene Block dessen Farbe an. Liegen zufällig gerade mindestens zwei Blöcke gleicher Farbe daneben, lösen sich alle auf, wodurch das, was oben liegt, auch wieder zu Boden sinkt und dort für neue Punkte mit doppeltem und dreifachem Kettenreaktionswert sorgt. Das Ganze kann man schon fast mit dem Schachspiel vergleichen. Gute Spieler müssen mit den Gedanken immer schon zwei Schritte weiter sein, um herauszufinden, welche Konsequenzen der Zug haben wird. Das verleiht auch Boom Blox 2 die taktische und strategische spielerische Substanz, die man von einem Spiel mit Namen „Smash Party“ eigentlich nicht auf Anhieb erwartet hätte.
Die herkömmlichen Werkzeuge wie Baseball, Bowlingkugel, Bombenball und Greifwerkzeug fehlen auch nicht und ermöglichen eher klassische Levels. Im Kooperationsmodus werden die verschiedenen Werkzeuge sogar geschickt miteinander kombiniert.
Einer, zwei oder viele
Um noch einmal auf die Frage vom Anfang dieses Tests zurückzukommen: In dem einen Jahr Entwicklungszeit sind neue Levels entstanden. Was so banal klingt, ist eigentlich nur die Fassade, hinter der sich hunderte neuer Ideen, neue Features, neue Multiplayer-Modi und sogar Online-Features verstecken. Zunächst einmal das, was die bezahlten Euros standardmäßig ins Laufwerk spülen: Es gibt über 400 neue Levels, die aufgeteilt sind in den Multiplayer- und den Singleplayer-Modus. Werden Freunde zu einer Smash-Party eingeladen, bietet der Titel eine deutlich breitere Palette an Spielmöglichkeiten, als es noch sein Vorgänger getan hat. Zwar ist auch hier zu bemängeln, dass dieser Vorrat irgendwann erschöpft ist – irgendwann hat man einfach alles gesehen – aber es macht immer wieder Spaß, eine Serie aus Challenges zu spielen, für die es der Reihe nach Punkte gibt. Das Besondere: Auch völlig unerfahrene Spieler können Profis hier ab und zu besiegen.
Der Modus, in dem gegeneinander gespielt wird, ist aber nicht alles, was Boom Blox – Smash Party für eine illustre Spielerrunde bietet. Es gibt neuerdings auch einen sehr empfehlenswerten Kooperationsmodus. Hier gehen zwei Spieler an ein und denselben Level heran und bekommen verschiedene Werkzeuge in die Hand gedrückt. Nun wird Kommunikation nötig, denn manchmal wird zunächst eine Bombe zum leichten Ansprengen gebraucht, damit hinterher der Virusball wirken kann. Eine tolle Idee, die sehr gut funktioniert und die Levels dabei nicht leichter macht.
Im Singleplayer-Modus des zweiten Teils versteckt sich Steven Spielberg neuerdings leider noch besser. Hat man beim ersten Teil gesagt, dass die Geschichten der kleinen Block-Tierchen „nicht der Rede wert sind“, muss man bei Teil 2 nun sagen, dass diese völlig belanglos daherkommen und wirklich keinen interessieren dürften. Wo früher noch niedliche, kurze Gedichte standen, findet man jetzt einen knappen und unpoetischen Satz mit einer Aneinanderreihung gezeichneter Standbilder. Spielberg ist hier absolut nicht mehr zu erkennen – er dient dem Konzept offenbar nur noch als Gütesiegel, nicht mehr aber als künstlerische Unterstützung.
Dieser kleine Wehrmutstropfen tut dem Spielspaß an sich aber keinen großen Abbruch, schließlich geht es ums Gameplay und nicht darum, was irgendwelche Blocktierchen zwischen den einzelnen Stages machen. Immerhin wurde der „Story“-Modus diesmal etwas geschickter aufgebaut als in Teil 1: Früher mussten diszipliniert alle Herausforderungen einer Abteilung absolviert werden, bevor eine neue freigeschaltet wurde. Dadurch war man gezwungen, stur hintereinander Levels desselben Aufgabentyps zu absolvieren und die spielerische Abwechslung wurde etwas ausgesperrt. In Smash Party kann der Spieler jederzeit wählen, ob er sich in den Ozean begeben, im Weltraum spielen oder sich ganz traditionell in der Manege mit der irdischen Schwerkraft bewegen will. Dort gibt es dann jeweils drei Aufgabentypen (einmal in Leicht und einmal in Schwer), die nach Belieben miteinander kombiniert werden können.
Potentiell unendlich
Im Story-Modus (der auch den aus Teil 1 bekannten Entdeckungsmodus mit Spezialaufgaben für die einzelnen Werkzeuge umfasst) bekommt man für gute Ergebnisse und Goldmedaillen nicht nur so genannte Blox-Taler (im Englischen viel treffender: Boom Bucks), mit denen Extras aus dem Shop in euer Inventar wandern und mit denen ihr scheinbar nicht zu bewältigende Levels überspringen könnt, sondern auch Geschenke für den Level-Editor. Das Herz und eine der drei tragenden Säulen von Teil 1 neben Multi- und Singleplayer ist also auch in Teil 2 zurück – und zwar stärker denn je.
Der Level-Editor bietet den Spielern alle Features, die auch die Entwickler beim Entwurf der über 400 neuen Stages benutzt haben. Zwar ist es eine sehr mühselige Arbeit, wirklich alle Bauteile freizuschalten, aber dafür gibt es auch immer eine Motivation dafür, sich durch Story- und Entdeckungsmodus zu kämpfen und überall nach der obligatorischen Goldmedaille zu streben.
Schon in Boom Blox 1 gab es die Möglichkeit, selbst erschaffene Levels mit Freunden zu tauschen. Doch im Vergleich zu dem, was Smash Party in dieser Hinsicht bietet, wirkt auch dieses Feature stiefmütterlich: EA stellt eigene Server bereit, auf die man seine Kreationen – ohne jegliche Freundescodes – laden und mit dem Rest der Welt teilen kann. Hat man das unheimliche Standardrepertoire an 400 Boom-Blox-Herausforderungen komplett ausgeschöpft, kann man sich auch nach Belieben von Usern oder von EA erschaffene Zusatzlevels völlig kostenlos herunterladen, nach Beliebtheit oder User-Bewertungen filtern. Dadurch wird Boom Blox – Smash Party – so suspekt es klingt – noch unendlicher als sein Vorgänger, wo man selbst für den unendlichen Level-Nachschub verantwortlich war. Ein tolles Feature, das vor allem wegen der sehr einfachen Zugänglichkeit und der kompletten Kostenfreiheit zu spontanem Beifall für EA einlädt.
Optisch keine Perle
Was man an Boom Blox 2 nach wie vor etwas bemängeln darf, ist die optische Seite, die in dem einen Jahr Entwicklungszeit etwas zu kurz gekommen ist. Von versprochenen Verbesserungen ist keine Spur, dafür sieht der Titel teilweise sogar noch etwas unschöner aus als sein Vorgänger und bewegt sich nicht über mittlerem GameCube-Niveau. Der Sound unterdessen ist immer noch sehr unaufdringlich und dadurch nie nervtötend.
Auch an der Steuerung von Boom Blox wurde im zweiten Teil nichts geändert: Sie ist ein Paradebeispiel dafür, dass einige Spielprinzipe keine 1:1-Steuerung brauchen. Boom Blox arbeitet mit Präzision, die man mit realitätsnaher Steuerung nicht erreichen könnte. Der Controller erkennt dafür aber trotzdem sehr gut, wie stark man einen Gegenstand wirft, und setzt dies auch ohne Beanstandungen ins Spiel um.
Fazit: Boom Blox – Smash Party ist noch einmal einen Tick besser als sein ohnehin schon brillanter Vorgänger. Teil 2 wartet mit kreativ gestalteten Levels und Spielideen, einer Reihe an gameplaytechnischen Neuerungen und einem für Wii-Verhältnisse beispiellos guten Online-Angebot auf. Dass die Geschichte nur noch schlecht schmückendes Beiwerk ist und einige Levelaufbauten etwas chaotisch und zusammengewürfelt aussehen, verzeiht man dem umfangsmäßig riesigen und qualitativ noch genauso hochwertigen Casual-Prinzip gerne. Es begeistert Jung und Alt, Erfahren und Einsteiger und ist damit nach wie vor Vorreiter bei der Frage, was ein Gelegenheitsspiel alles leisten muss, um jedem zu gefallen. Weil es insgesamt gesehen durch seine vielen Veränderungen bei gleichzeitigem Beibehalten der Kerngenialität etwas besser ist als sein Vorgänger, vergeben wir 0.1 symbolische Punkte mehr als beim ersten Test und verweisen nur noch darauf, dass jeder Fan des Erstlings hiermit noch mal eine gehörige Portion Spaß haben wird – genau wie alle anderen, die ihren Spielgeschmack nicht kategorisch und zwanghaft auf epische 20-Stunden-Rollenspiele beschränken wollen.
Von Tim Herrmann
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| Wertung für das Spiel Boom Blox - Smash Party | |
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| 6.9 | Grafik Nicht das Glanzstück von Boom Blox – Smash Party. Die zahlreichen Blocktierchen zeichnen sich nicht durch besondere grafische Raffinesse aus und haben nur wenige Animationen zu bieten, während der Rest der Umgebung ziemlich unspektakulär gestaltet ist und nur mit gelungenen Effekten überzeugen kann. | |
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| 7.5 | Sound Konventionelles, unspektakuläres Klingeln mit lustigen Sound-Effekten, das nie auf die Nerven geht und sich dementsprechend ganz gut in das Gesamtkonzept integriert. | |
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| 9.0 | Steuerung Ein Paradebeispiel dafür, wann die normale Wii-Steuerung Wii MotionPlus vorzuziehen ist. An der Präzision gibt es nie etwas auszusetzen und die Beschleunigungssensoren erkennen ohne Mängel, wie stark etwas geworfen wird, was manchmal ziemlich wichtig sein kann. | |
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| 9.1 | Gameplay Simpel und einfach, komplex und herausfordernd. Zusätzlich zu den bereits bekannten Pluspunkten von Boom Blox fügt Smash Party einen herausragenden Online-Modus und viele frische Spielideen zu dem kaum besser machbaren Casual-Prinzip hinzu. | |
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| 8.7 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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