Review von Tim Herrmann (mail) | 11.06.2009
Wie viele Wii-Sportspiele haben schon authentische 1:1-Umsetzung der Bewegungen des Spielers auf die Figur und das Spiel versprochen? Genauso viele, leider, wie es Spiele gab, die dies nicht geschafft haben. Die Wii-Remote erfüllte ihren Zweck, wenn es darum ging, Beschleunigungen zu messen oder grobe Bewegungsrichtungen zu erkennen – doch wenn es um die Richtung z.B. eines Tennisschlags ging, mussten die standardmäßig eingebauten Sensoren passen und die Entwickler sich auf das Timing eines Schlags als Ersatzparameter für die Richtung verlassen. Das war nicht besonders authentisch und funktionierte in der Praxis auch nicht immer. Doch Wii MotionPlus will das bekanntlich alles ändern. Vor einem Jahr vorgestellt, ist das 1:1-Zubehör jetzt endlich erhältlich – ohne Software von Nintendo, dafür aber im Bundle mit EA Sports Grand Slam Tennis, einem zunächst exklusiven Sporttitel für Wii.
Die spannende und omnipräsente Frage ist natürlich: Können die Versprechen diesmal gehalten werden oder müssen einige Kinderkrankheiten der neuen 1:1-Steuerung noch ausgemerzt werden, bevor die neue Spielgeneration beginnen kann? In unserem ausführlichen Test zu Grand Slam Tennis erklären wir euch, wie die Steuerung mit und ohne Wii MotionPlus funktioniert und ob das Spiel auch abseits der Controllerfrage mit seiner grundlegenden Spielqualität überzeugen kann.
Das gesunde Plus
Um zu verstehen, was Wii MotionPlus eigentlich macht, sollten wir vielleicht noch einmal zum Paradebeispiel für bisherige Wii-Bewegungssteuerung zurückgehen: Wii Sports Tennis. Die Beschleunigungsmesser im Inneren des Controllers bestimmen, wie stark ein Ball geschlagen wird. Gleichzeitig wirken im Hintergrund Sensoren, die Bewegungen nach oben, unten, rechts und links erkennen. Die Unterscheidung zwischen Rechts und Links kann man in einer Sportsimulation aber noch nicht wirklich angemessen und authentisch verwenden. Deswegen entschlossen sich die ratlosen Entwickler beim Entwurf des Spiels, nur die Schlagart von der Bewegungsrichtung des Controllers abhängig zu machen. Schwingt man ihn von oben nach unten, wird das als Slice gewertet, von unten nach oben ergibt nach Interpretation des Kommandos von der Software einen Top-Spin. Die Richtung wird entweder zufällig ausgewählt oder anhand des Moments bestimmt, in dem der gelbe Filz auf den Schläger trifft.

Wii MotionPlus hat das nicht mehr nötig. Das Extra-Zubehör erkennt Bewegungen von links unten nach rechts oben problemlos und kann diese Information genau wie die über Schnelligkeit und Härte der Bewegung an die Software übermitteln, die es dann für Aktionen im Spiel verwurstet. Damit kann man jetzt den virtuellen Tennisschläger praktisch in der Hand halten – oder?
1:1 im Nachhinein
So ist es in EA Sports Grand Slam Tennis nicht gekommen. Um euch große Vorreden und rhetorische Fragen im Voraus zu ersparen: Es gibt keine 1:1-Steuerung. Unter 1:1-Steuerung müsste man verstehen, dass eine Spielerbewegung in dem Moment im Spiel zu sehen ist, in dem sie ausgeführt wird und dass sie auch in eben diesem Moment ihre Wirkung erzielt. Mit Wii MotionPlus wäre das zunächst auf der Ebene des Controllers ohne Probleme möglich gewesen, denn diese Fähigkeit hat das Add-On. Das Problem bei dieser Sache: Das Spiel wäre wahrscheinlich nur von Tennisprofis zu beherrschen gewesen und alle Laien hätten den Ball hoffnungslos im Nirvana versenkt. Es wurde also ein Kompromiss fällig und den könnte man „verspätete 1:1-Interpretation“ nennen.
Tatsächlich ist es im fertigen Spiel so, dass ihr einen Ball kommen seht, euch ihm entsprechend vor dem Fernseher platziert und den Schlag rechtzeitig ausführt, bevor der Filz an eurem Gesicht vorbeizischt. Im Bruchteil einer Sekunde berechnet die Software dann, wie eure Eingaben lauteten und wie diese mit der jeweiligen Spielsituation zusammen passen. Erst wenn diese Informationen verarbeitet sind, sieht man den Schlag auf dem Bildschirm ausgeführt und den Ball darauf reagieren. Das hört sich jetzt so an, als würden zwischen Schlag und Spielreaktion zweieinhalb Minuten liegen, tatsächlich ist es aber höchstens eine Viertelsekunde, die man aber trotzdem im Vergleich zu echtem 1:1 deutlich spürt.
Doch alle diese Feststellungen sind sinn- und nutzlos ohne die simple Frage „funktioniert das?“. Die Antwort darauf kann man wahrscheinlich wohlwollend mit „meistens“ geben. Die Informationen, die ihr der Software mit eurem Schlag übermittelt, werden (wenn auch den besagten Sekundenbruchteil später) genau so (oder zumindest in den entsprechenden Animationen der Spielfigur verpackt) ins Spiel umgesetzt und die Bälle reagieren tatsächlich darauf, wie sie von euch und eurer Wiimote-MotionPlus-Kombi durch die Gegend gepfeffert werden.
Ein deutlicher Fortschritt zu Wii Sports oder NewPlayControl: Mario Power Tennis ist also erkennbar, wo man ärgerlicherweise überhaupt keinen Einfluss auf die Schlagrichtung hatte, was besonders in dem auf Präzision ausgelegten Mario Tennis erkennbar war. In Grand Slam Tennis kann man seine Gegner erstmals aktiv mit plötzlichen Richtungswechseln und fiesen Stops und Lobs (auch wenn letztere „nur“ über Knöpfe aktiviert werden) ärgern und sich darüber freuen, dass man meistens wirklich dorthin trifft, wo man treffen möchte. Meistens. Wii MotionPlus mag auf dem Gebiet der Bewegungserkennung viele neue Fähigkeiten mit sich bringen und in vielerlei Hinsicht nichts zu wünschen übrig lassen – aber nicht jeder Spieler ist auch ein Tennis-Ass. Viele Bälle werden besonders am Anfang im Aus landen, nur wegen eines Controller-Add-Ons wird der Tennisschläger nicht zum Zauberstab, der jeden in einen Federer verzaubert, und auch in diesem Falle fällt kein Meister vom Himmel direkt in den Sessel des Spielers. A Propos Sessel: Vergesst den Sessel. Mit Wii MotionPlus sind die Zeiten wirklich vorbei, in denen man Wii-Sports-typisch (trotz euphorischer Promo-Trailer mit aktiven Familien und Freundesrunden) im Sessel hängt und nur unmotiviert den Controller schüttelt. Jetzt wird aufgestanden, Grand Slam Tennis verlangt Schlagkraft und Schnelligkeit.

Dass die Schüttelmentalität sich in den letzten zweieinhalb Jahren doch deutlich in den Gewohnheitskatalog des Wii-Spielers eingeschlichen hat, merkt man auch in Grand Slam Tennis teilweise recht frappierend. Denn wenn ein Ball mal überhaupt nicht an der gewünschten Stelle gelandet ist, sollte man sich einmal selbst fragen, ob man gerade bei diesem Schlag vollste Konzentration auf die Akkuratesse gelegt hat – und meistens wird man den Schlendrian bei sich selbst erspähen. Eine kurze Zusammenfassung der Erkenntnisse über die 1:1-Steuerung: Der Schläger wird nicht in Echtzeit im Spiel bewegt, dafür werden die Informationen eures Schlags ins Spiel übertragen und dann auch so gnädig umgesetzt, dass nicht jeder Ball nach dem Schlag links von euch im Publikum landet. Obwohl man von echtem 1:1 nicht reden kann, erkennt man deutliche Fortschritte und sieht auch, wie der Schläger in der Hand zittert, wenn man die Wii-Remote zittern lässt. Vorhand und Rückhand werden erkannt, Slices und Spins korrekt ausgeführt. Die Steuerung funktioniert gut, erfindet das Rad aber noch nicht ganz neu.
Der „Rest“ der Steuerung
Verpflichtend ist Wii MotionPlus für Grand Slam Tennis 10 nicht – anders als Red Steel 2 oder Wii Sports Resort ist das Spiel kein Exklusivtitel und unterstützt auch die normale Wii-Remote weiter. Hier greift dann allerdings wieder das oben beschriebene Prinzip und es kommt lediglich auf grobe Richtung für die Schlagart und Timing für Schlagrichtung an. Wenigstens machen Grand Slam Tennis und sein Konkurrent Virtua Tennis 2009 keinen Hehl mehr daraus, dass es bei der Normalo-Steuerung aufs Timing ankommt, sondern stellen dies in der Anleitung deutlich dar.
Für Laien bietet es sich bei EA Sports zeitexklusivem Tennistitel erst einmal an, das Nunchuk wegzulassen und dem Computer das Laufen zu überlassen. Kleine Aussetzer schleichen sich bei dieser Automatik immer mal wieder ein, sodass euer Spielcharakter sich gar nicht bewegt oder plötzlich falsch zum Ball steht. Hechtsprünge sind in der simplen Steuerungsvariante leider nicht manuell ausführbar, sodass man auf die Automatik angewiesen ist, die den Spielcharakter aber manchmal nur langsam hinter einem noch „heißen“ Ball hinterher schlendern lässt, anstatt ihn wirklich hechten zu lassen. Das Spiel ist sich teilweise selbst zu schnell, sodass sowohl der Spieler als auch die Software manchmal nicht mehr hinterherkommen. Aber all das sind glücklicherweise Einzelfälle, meistens funktioniert alles. Und wenn man sich erst einmal eingearbeitet hat, kann man mit dem Nunchuk auch selbst die Kontrolle übernehmen.
Und ansonsten?
Grand Slam Tennis ist das erste Spiel, das Wii MotionPlus unterstützt und EA Sports hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass man diesen Fakt für sich ausnutzen möchte. Das Spiel erscheint sogar im Bundle mit dem Zubehör. Doch auch die beste Steuerung hilft nichts, wenn das Spiel dahinter wenig empfehlenswert ist: Wie sieht es also bei Grand Slam Tennis aus?
Auch hier verdient sich das Spiel die Bezeichnung „Bestes Tennisspiel auf Wii“ – es hat ja eigentlich auch keine Konkurrenz: Mario Power Tennis ist die Neuauflage eines Funsport-Spiels, Wii Sports hat mit Tennis recht wenig zu tun und Top Spin funktionierte nicht. Grand Slam Tennis profitiert aber nicht nur von mangelnder Konkurrenz – denn auch für sich ist das Spiel ein sehr ordentliches Paket mit vielen großen Features und dem gewohnt guten Lizenzumfang von EA Sports.

Für einfache Matches bietet sich das „schnelle Spiel“ an, wo man sich schnell ein Match zwischen zwei bis vier Tennislegenden einrichten kann. So erlebt Boris Becker hier zum Beispiel wieder die guten Zeiten, wo er für seinen Sport berühmt war und nicht dafür, welche Frau er heiratete bzw. nicht heiratete. John McEnroe wird auch wieder entgraut und bekommt seine wilde Mähne sowie sein ebenso wildes Temperament zurück. Auch ansonsten hat man sich bei der Spielerwahl nicht lumpen lassen und alles mit Rang und Namen in Grand Slam Tennis integriert, sodass hier jeder seinen Lieblingsspieler finden wird.
Herzstück des Ganzen ist der Karrieremodus. Hier stellt ihr euch einen eigenen Charakter im Comic-Look von Grand Slam Tennis zusammen, gebt ihm einen Namen und versucht dann, euch durch alle wichtigen Turniere zu kämpfen, um Grand-Slam-Sieger (= Sieger von French, US und Australian Open sowie Wimbledon) zu werden. Neben den eigentlichen Turnieren mischen sich auch abwechslungsreiche Showkämpfe, Partyspiel-Versionen des Tennis (die es in einem separaten Modus auch noch einmal zur Auswahl gibt) und spezielle „Fähigkeiten“ ins Spielgeschehen, die fast schon für RPG-Charakter sorgen: Besiegt man bestimmte prominente Gegner, kann man ihre besonderen Fähigkeiten erben und damit sein Tempo, seine Fitness oder seine Schlagstärke verbessern, bis man schlussendlich zum Weltranglistenersten aufsteigt und von oben auf alle herabblickt. Der Karrieremodus ist wirklich abwechslungsreich, ziemlich groß und macht Spaß – auch wenn natürlich aller Anfang schwer ist und man einen McEnroe zu Beginn noch nicht mühelos vom Platz fegen können wird.
In einem Party-Modus lässt sich EA mit dreizehn Variationen des Tennissports ebenfalls nicht lumpen. Hier begibt man sich mit bis zu drei Freunden (mit oder ohne Wii MotionPlus, das ist egal) auf den Platz und spielt mit abgewandelten Regeln, die den Arcade-Stil ein wenig stärker betonen. Auch ein eigenes Fitnessprogramm bietet das Spiel, es zählt nämlich nach jedem Match die Kalorien, die ihr verbrannt habt – ein witziges Extra.
Ein weiterer großer Pluspunkt, über den man allerdings nicht allzu viel sagen kann, ist der Online-Modus. EA stellt wieder einmal eigene Server ohne lästige Freundecodes zur Verfügung und lässt Freunde und Fremde im „schnellen Spiel“ gegeneinander antreten. Es gibt auch weltweite Ranglisten mit den erfolgreichsten Tennisnationen und man kann sich sein eigenes Profil anlegen. EA beweist hier wieder einmal seine führende Position bei Online-Modi auf Wii.
Zwischen süß, schön und hässlich
Was Grand Slam Tennis zusätzlich von der Masse abhebt, ist die Spielgrafik, die nicht auf Realismus, sondern auf Comic-Look und Karikaturen der großen aktiven und vergangenen Legenden setzt. Wer sich allerdings Sorgen macht, dass das Ganze in einen Kinderlook entartet, sollte tief durchatmen, denn der Stil passt sehr gut zum gesamten Konzept des Spiels. Die Animationen der Karikaturen erinnern wirklich an die Tennisprofis und während des Spiels läuft alles extrem flüssig und sieht klasse aus. In den kurzen Sequenzen nach Punktgewinn oder –Verlust allerdings enttäuscht das Spiel: Das altbekannte Publikumsproblem hat sich hier in keiner Weise verbessert und die Zuschauer bestehen immer noch aus Zwei-Farben-Modellen mit einer andauernden, unveränderlichen Handbewegung. Manche Balljungen und Schiedsrichter sehen aus wie aufgemalte Texturen und in der Ferne wird der Comic-Stil leider als Alibi dafür verwendet, völlig konturlose Farbblöcke als Gebäude zu verkaufen. Aber noch einmal: Die Grafik im Spiel selbst lässt keine Wünsche offen und auch das Interface gliedert sich perfekt in alles ein.
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Auf der musikalischen Ebene erlebt man diesmal keinen harten amerikanischen Hip-Hop wie bei Madden, NBA oder anderen EA-Sports-Lizenzversoftungen, sondern leicht verdauliche Dudel-Kost, die sich dem Spieler weder aufdringt noch ihn langweilt. Die Soundeffekte sind durchweg gelungen. Auch wenn sich die Schläge teils etwas übertrieben laut anhören, passen sie zum actionreichen und schnellen Gameplay und das Publikum johlt laut, wenn es Spektakuläres auf dem Platz zu sehen gibt.
Fazit: EA Sports Grand Slam Tennis ist ein rundum gelungenes Exklusivpaket geworden. Zwar kann es mit seiner Steuerung noch nicht wirklich für offene Münder sorgen und ist wegen des Konzepts der verzogenen 1:1-Steuerung nicht die ultimative Offenbarung, stellt aber immerhin einen deutlichen Fortschritt zu anderen Wii-Tennisspielen dar, wenn man Wii MotionPlus angeschlossen hat. Das schnelle Gameplay, die zahlreichen Lizenzen, der gelungene Karriere- und Party-Modus überzeugen darüber hinaus und machen EA Sports Grand Slam Tennis mit Leichtigkeit auch abseits seiner neuen Steuerung zum besten Tennisspiel – vielleicht sogar zum besten Sportspiel – auf Wii. Wer nicht noch auf Tiger Woods oder Wii Sports Resort warten will, bekommt hier den momentan bestmöglichen Einstieg in Wii MotionPlus.
Von Tim Herrmann
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| Wertung für das Spiel EA Sports Grand Slam Tennis | |
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| 7.5 | Grafik Während des Spiels exzellent, in den Sequenzen gibt es aber viele grundhässliche Stellen, wenn man die Augen mal vom Fokus abschweifen und ins Publikum blicken lässt. | |
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| 7.9 | Sound Seichte, meist textlose Rhythmen im Hintergrund, die besser zu Tennis passen als der sonst übliche Hip Hop aus EA Sports’ Spielen. Gute und atmosphärische Sound-Effekte auf dem Court. | |
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| 8.2 | Steuerung Wii MotionPlus bereichert das Spiel ohne Frage und ermöglicht endlich mehr Gameplay dadurch, dass man Richtungen ziemlich genau bestimmen kann. Wegen der leichten Verzögerung und der „unechten“ 1:1-Steuerung kann man aber noch nicht von einer neuen Ära sprechen. | |
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| 8.5 | Gameplay Umfangreiche Tennissimulation mit einzigartigem Stil, vielen unterschiedlichen Modi, viel Abwechslung und einigen Möglichkeiten für Multiplayer – inklusive sehr gutem Online-Modus. | |
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| 8.3 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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