Review von Andreas Held (mail) | 08.12.2009
Liebes Tagebuch! Heute bin ich endlich zwölf Jahre alt geworden und habe von meiner Mama das Spiel zu Germany's Next Topmodel bekommen. Wenn ich groß bin, will ich auch mal Topmodel werden. Deshalb esse ich auch jeden Tag nur 100 Gramm Salat, weil ich sonst dick werde. Mit dem Spiel will ich jetzt schon mal üben. Die Politiker sagen ja immer, dass man mit Spielen für das echte Leben üben kann. Also wenn man jemanden erschießen will, kann man das vorher mit einem Ego-Shooter üben. Aber das mache ich natürlich erst, wenn die Heidi mich rauswirft, weil sie nicht kapiert, dass ich die Beste bin." Eigentlich wollte ich das komplette Review in diesem Stil schreiben, noch bevor ich Germany's Next Topmodel überhaupt gespielt habe, habe die Idee jedoch aus offensichtlichen Gründen wieder verworfen.
Die Welt eines Topmodels
Nachdem ihr euch im Hauptmenü für eine von zwölf vorgefertigten Figuren entschieden habt, die danach noch modifiziert und benannt werden kann, findet ihr euch im "Model-Loft" wieder, was praktisch eine hermetisch abgeriegelte Etage eines Gebäudes ist. Verlassen werden kann es nur über den Notausgang, und selbst der ist über eine elektronische Schiebetür verschlossen, die grundsätzlich abgeschaltet ist. Im Zentrum dieses Gebäudes findet ihr einen virtuellen begehbaren Kleiderschrank, einen Frisör und einen Stylisten. Der Rest ist frei begehbar, wird jedoch nur durch zufällig auftauchende Konkurrentinnen ausgefüllt, mit denen ihr kurz reden könnt. Außerdem finden sich hier noch Türen zu einem Foto-Studio, wo für Shootings geübt werden kann, sowie der Aufzug zur Showbühne, auf der ihr jederzeit proben könnt.

Germany's Next Topmodel spielt in einem Paralleluniversum, in dem jeder Monat genau 20 Tage hat und auf einen Samstag endet. Innerhalb dieser zwanzig Tage habt ihr die Aufgabe, die drei Statuswerte "Styling", "Selbstbewusstsein" und "Beliebtheit" möglichst hoch zu treiben und dann in der abschließenden Show zu überzeugen, um eine Runde weiter zu kommen. Das Styling setzt sich dabei wiederum zusammen aus Kleidung, Frisur und Make-Up und wird stur von einem Script bewertet. Das heißt im Klartext, dass ihr euch zunächst aus den zur Verfügung gestellten Kleidungsstücken (jeden Monat nur etwa 25 bis 30, die in zwölf Kategorien eingeteilt sind) zufällig welche Aussucht und dann das Script nach seiner Meinung fragt. Dann nennt es euch ein falsches Kleidungsstück, welches ihr austauscht, woraufhin das Script über das nächste Kleidungsstück meckert - und so weiter. Irgendwann habt ihr die sterilen Vorgaben voll erfüllt und das Script sagt euch, dass euer Outfit perfekt sei. Weiter geht es mit der Frisur, was nach einem ähnlichen Muster verläuft, jedoch wesentlich simpler ist und auch einfacher, da ihr immer nachlesen könnt, welche Frisuren zu dem in diesem Monat festgelegten Modestil passen. Anders verhält es sich mit dem Make-Up: Zwar gibt euch der Titel hier eine Vorlage, die ihr jederzeit ansehen könnt, aber die farblichen Unterschiede sind so minimal, dass das Nachahmen der Vorlage zum munteren Rätselraten verkommt. Auch hier wird das Make-Up also nach dem Trial & Error-Prinzip der Vorlage immer weiter angenähert, bis das Script sein Okay gibt.
Das Selbstbewusstsein lässt sich etwas leichter steigern: Einen kleinen Vorteil verschafft euch hier ein Test, der aus vier lächerlichen Theoriefragen zum aktuellen Modestil besteht ("Woraus entstand der Begriff Flower Power? a) Blumen und Frieden b) Atomkraft und Umweltverschmutzung"), deren Antworten außerdem jederzeit in einem kurzen Text nachgelesen werden können. Außerdem wird euch ein erfolgreiches Fotoshooting bzw. eine erfolgreiche Probe den nötigen Mut geben, um in der Entscheidungsshow zu bestehen. Ein Fotoshooting findet automatisch am 15. jedes Monats statt, weshalb das Üben von Shootings recht sinnlos ist, die Show kann jedoch nur auf Wunsch geprobt werden. Der Haken an der ganze Sache ist, dass bei jedem Stylingversuch und bei jeder Probe ein virtueller Tag vergeht, weshalb ihr die erste Hälfte jedes Monats damit beschäftigt seid, Outfits, Frisuren und Make-Ups durchzuprobieren.
Punkt drei, die Beliebtheit, steigert ihr durch Gespräche mit anderen Kandidatinnen. Hier wartet das Spiel mit circa zehn Sätzen auf, die ständig wiederholt werden, sowie drei Antwortmöglichkeiten, von denen zwei sehr unhöflich sind und die dritte sehr höflich. Wählt ihr die dritte, steigert das eure Beliebtheit. Etwas schwieriger wird das bei zusammenhängenden Dialogen, die jeden Monat anders sind und kleine Mini-Geschichten erzählen, die diese Bezeichnung aber eigentlich gar nicht verdienen. Mal geht es um eine Kandidatin, deren Katze (!) ins Krankenhaus muss und deshalb von ihr beweint wird, mal werden Gerüchte in die Welt gesetzt und es geht drunter und drüber, wobei ihr mit Vornamen erschlagen werdet und schnell den Überblick verliert, sofern das Verfolgen derartiger Handlungsstränge nicht mit dem Konsum von Seifenopern intensiv geübt wurde.
Minispiele und unfreiwillige Komik
Sowohl Fotoshootings als auch Auftritte laufen dabei über Minispiele ab, die sich sehr ähnlich steuern lassen: In beiden Fällen sollt ihr Wii-Remote und Nunchuk aufrecht vor euch halten und dann nach links oder rechts drehen, um Einblendungen auf dem Bildschirm nachzuahmen. In Fotoshootings müsst ihr dabei mit einer Vorlage mithalten, die sich regelmäßig verdreht, und bei Auftritten fallen von oben Anweisungen herab, die ausgeführt sein müssen, sobald sie eine bestimmte Linie erreichen. Gerade weil die Alarmglocken eines Testers beim Auftauchen der Anweisung "Bewege Wii-Remote und Nunchuk wie abgebildet" mit voller Lautstärke anfangen zu läuten, ist Germany's Next Topmodel in diesem Bereich ein echtes Schockerlebnis. Auf dem Bildschirm werden zwei Repräsentationen eingeblendet, die immer die Position der beiden Controller angeben und, man mag es kaum glauben, von der ersten Sekunde an intuitiv bewegt werden können. Auch das Abgleichen der Position mit den vom Spiel gegebenen Anweisungen klappt prima. Es ist wirklich kaum zu glauben.

Ansonsten hat Germany's Next Topmodel aber auch genug Macken, die das wieder ausgleichen. Neben dem bereits angesprochenen, sehr beschränkten Gameplay ist das eine immer präsente unfreiwillige Komik, die wir euch nicht vorenthalten wollen. So lautet zum Beispiel eine Antwortmöglichkeit in einem Dialog: "Du blöde Kuh hältst mal besser dein Maul, bevor es dir jemand stopft!" - wow, wegen sowas bekommen manche Spiele in Amerika ein M-Rating. Ebenfalls sehr pädagogisch wertvoll ist eine Mail von Marie-Louise, einer Freundin der virtuellen Spielfigur, die da schreibt: "Studieren ist wie Schule, nur dass man sich keine Entschuldigung schreiben muss, wenn man fehlt." Außerdem erhaltet ihr öfters mal eine Mail von euren Eltern, über die ihr erfahrt, dass euer Model aus Wanne-Eickel kommt und eingefleischter Dortmund-Fan ist. Die Sendung verfolgen sie jedoch im Partykeller des Opas der Spielfigur, der angeblich über Leinwand und Beamer verfügt und das Fernsehprogramm darüber streamen kann. Für kleine Auflockerungen beim Spaziergang durch das abgeschottete Model-Loft sorgen immer gleiche Audiokommentare der Spielfigur. Highlight hier ist der Ausruf "Lecker! Obst!" mit übertriebener gespielter Begeisterung, der immer genau dann aus den Lautsprechern kommt, wenn euer virtuelles Model einen bestimmten Obstteller erblickt. Der ganz klare Gewinner ist jedoch die Jury bei den Fernsehauftritten. Während man Armin Morbach und Peyman Amin mit sehr viel Phantasie und Wohlwollen noch irgendwie erkennen kann, haben die Entwickler wohl nicht die Lizenz für eine Nachbildung von Heidi Klum bekommen - weshalb ihr Platz zu Beginn der Show einfach leer ist. Später sitzt dort eine weibliche Figur, die Heidi Klum so ähnlich sieht wie eine Pizza einem Turnschuh. Ebenfalls leer sind übrigens die Zuschauerränge, so dass jede Show vor einer Hundertschaft leerer Stühle stattfindet. Tosenden Applaus gibt es trotzdem, um zumindest akustisch eine glaubhafte Kulisse zu erzeugen.
Fazit: "Heute habe ich zum ersten Mal Pizza gegessen. Das war so lecker! Ab heute esse ich jeden Tag Pizza. Dann werde ich zwar dick und kann kein Model mehr werden. Aber das will ich nach diesem Spiel ohnehin nicht mehr." So oder so ähnlich könnte ein Tagebucheintrag aussehen, den die in der Einleitung erschaffene imaginäre Zwölfjährige einige Tage nach ihrem Geburtstag verfasst. Und in diesem Sinne muss man SevenOne Intermedia fast dankbar sein, dass sie mit dieser gähnend langweiligen Versoftung dem Schlankheitswahn sowie dem Wir-Kleistern-Unser-Gesicht-Mit-Make-Up-Zu-Bis-Man-Unsere-Hautfarbe-Nicht-Mehr- Erkennt-Wahn etwas entgegenwirken. Aber mal im Ernst: Acht- bis Zwölfjährige Möchtegern-Models und Grundschulpädagogik-Studentinnen, die die Serie toll finden, werden sicherlich auch mit dem Spiel geringfügig auf ihre Kosten kommen. Denn es ist weder außergewöhnlich häßlich, noch in irgendeiner Weise kaputt. Die Bewegungssteuerung funktioniert sogar um ein Vielfaches besser als in den meisten Titeln, die uns von wesentlich größeren Drittherstellern zugemutet werden. Trotzdem bewegt sich Germany's Next Topmodel spielerisch an der Grenze zu einem Totalausfall: Das komplette Gameplay besteht aus zwei sehr ähnlichen Minispielen und der Aufgabe, aus einer Reihe von Menüpunkten die richtigen zu wählen, bis ein Script mit der Auswahl einverstanden ist. Ganz abgesehen davon liegt die Nettospielzeit bei etwa zwei bis drei Stunden. Deshalb sei trotz der ohnehin schon sehr niedrigen Gesamtwertung angemerkt, dass hier ein dicker Bonus für die Zielgruppe des Titels draufaddiert wurde. Männliche, erwachsene Spieler mit einem "normalen" Spielegeschmack können sich getrost an der Gameplay-Wertung orientieren. Wer jedoch eine kleine Schwester hat, die auf die Serie abfährt, tut ihr mit diesem Spiel vielleicht sogar noch einen Gefallen.
Von Andreas Held
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| Wertung für das Spiel Germany's Next Topmodel | |
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| 3.5 | Grafik Absolut unterdurchschnittlich, langweilig und vor allem die Animation sind extrem schlecht. Das Vorhandensein von 60Hz- und 480p-Modi macht alle Spiele lächerlich, die diese Features nicht bieten. | |
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| 4.5 | Sound Unaufdringliche Musik, die man mit dem Ausschalten des Spiels schon wieder vergessen hat. Fürchterliche, extrem künstlich und unnatürlich wirkende Sprachsamples. | |
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| 7.0 | Steuerung Warum funktioniert die Bewegungssteuerung? Das passt nicht in mein Weltbild! | |
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| 1.9 | Gameplay Zwei Minigames, die sich ständig wiederholen sowie das Treffen von Menüauswahlen nach dem Trial & Error-Prinzip machen fast das komplette Gameplay aus. Dazu kommt die lächerliche Spielzeit von etwa zwei bis drei Stunden exkl. Ladezeiten. | |
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| 4.0 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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