Review von Andreas Held (mail) | 15.12.2009
Wenn eine Konsole marktführend ist, erscheinen auch die meisten Spiele auf dieser Konsole. Nintendo-Fans, die seit dem Mainstream-Erfolg der Wii unter minderwertigen Partyspielen begraben werden, wissen das am besten. Der klare Vorteil dieser Stellung ist jedoch, dass auch absolute Nischentitel auf diesen Konsolen erscheinen, die es mittlerweile manchmal sogar bis nach Europa schaffen. Dadurch gelangen einige Perlen wie Muramasa: The Demon Blade oder Kizuna zumindest in Reichweite. Der bekannteste Publisher, der Wii-spielende Europäer regelmäßig mit solchen Titeln beglückt, heißt Rising Star Games und hat mit No More Heroes oder Little King's Story schon einige Nischentitel bei uns eingeführt, die den eigentlichen Publishern zu riskant waren. Bereits im Spätsommer 2008 ist Baroque vom gleichen Publisher zwar nicht in ganz Europa, aber zumindest in England vertrieben worden, was dank der EU kein großes Hindernis für Importeure darstellt. Baroque ist prinzipiell ein Remake eines 1998 in Japan erschienenen RPGs, welches dank Atlus in den Westen und dank Rising Star sogar nach Europa durch kam. Ist der Titel trotz seines stolzen Alters auch heute noch interessant?
Wo bin ich?
Wer aufgrund des Covers glaubt, dass es sich bei Baroque um ein ungewöhnliches Spiel handelt, der hat völlig recht. Wie in vielen anderen RPGs hat der Hauptcharakter sein Gedächtnis verloren, doch Baroque ist so ziemlich das einzige Spiel, welches diese Erfahrung auch auf den Spieler überträgt. Nach einer extrem kurzen Cutscene, die lediglich dazu da ist, ein paar Fragen aufzuwerfen, findet sich der Spieler in einer postapokalyptischen Welt wieder und das einzige verständliche Element ist eine mit "Vitality Points" beschriftete Leiste, die von der ersten Sekunde an von 99 auf null tickt. Mit einer Mischung aus Verwirrung und Panik ob der schwindenden Vitalität, begibt man sich also durch die Oberwelt und findet irgendwann den ersten Dungeon, in der Hoffnung, etwas zu erfahren, sobald man ihn beendet. Zwei Stunden später, lange nach dem Beenden des Dungeons, werden aber noch viele weitere Fragen aufgewirbelt und keine wirklich beantwortet.
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Wem das zu viel ist, der wird nach einem kurzen Blick in die Spielanleitung zumindest einige Eckdaten über die Spielwelt aufnehmen und die gröbsten Fragen aus dem Weg schaffen. Danach ist der Titel jedoch auch schon ein ganzes Stück weniger mysteriös, weshalb hartgesottene Spieler diesen Infos gänzlich aus dem Weg gehen sollten. Die Erzählweise von Baroque folgt dem selben Muster, und statt die Story in ausführlichen Dialogen vor dem Charakter auszubreiten, streut sie hier und da ein paar kryptische Hinweise, die zu einem Ganzen zusammengepuzzelt werden können. Da selbst grundlegende Informationszipfel im Fall von Baroque ein Spoiler wären, soll hier jedoch nicht weiter darauf eingegangen werden.
Monsterkloppen wie eh und je
So abgedreht und ungewöhnlich sich Baroque in seiner Präsentation gibt, so abgedroschen und unoriginell ist sein Gameplay, welches schon 1998 zum alten Eisen des Gamings gehörte. In einem Dungeon-Crawler der simpelsten Sorte begibt man sich durch zufallsgenerierte Ebenen und sammelt Items, die dem Hauptcharakter Vorteile im Kampf veschaffen oder seine Health Points bzw. Vitality Points wiederherstellen. Solange der Hauptcharakter noch über VP verfügt, regenerieren sich seine HP stetig - sinken die VP auf null, nehmen danach die HP stetig ab. Ansonsten kann der Hauptcharakter nicht viel mehr tun als die Ebenen abzugrasen und dabei mit dem B-Knopf alle Gegner zu erschlagen, in der Hoffnung, dabei über bessere Ausrüstung zu stolpern - die übrigens nur aus einem Schwert, einem Mantel und einem Paar falscher Engelsflügel besteht, die ihm gewisse Boni wie Resistenzen gegenüber gewissen Statusveränderungen verleihen. Dem Schwert, der Rüstung und dem Hauptcharakter selbst können außerdem mit bestimmten Items noch weitere Boni zugeteilt werden. Dazu kommen dann noch die obligatorischen Erfahrungspunkte - bei einem Levelaufstieg werden die HP sowie die Angriffs- und Verteidigungsstärke des Hauptcharakters angehoben. Hier hört es aber schon auf und insgesamt erreicht das Spielsystem nicht mal einen Bruchteil der Spieltiefe von Diablo, welches ebenfalls 1998 erschienen ist.

Eine weitere Motivationsbremse für das Grinding ist die Tatsache, dass der Hauptcharakter jedes Mal, wenn er im Dungeon stirbt oder ihn beendet, auf Level 1 zurückgestuft wird und alle seine Items verliert. Der Unterschied zwischen Tod und Erfolg ist in Baroque sehr klein; manchmal ist es sogar nötig, im Dungeon zu sterben, um die Story voranzutreiben. Umgekehrt geht es meist auch dann, wenn man die letzte Ebene erreicht, nicht im Spiel weiter. Stattdessen müssen auf bestimmten Ebenen des Dungeons und in der Außenwelt gewisse Aktionen durchgeführt werden, die manchmal so abwegig sind, dass selbst die Entwickler von Castlevania II sich schockiert fragen würden: "Wer soll denn darauf bitte kommen?" Um eine realistische Chance auf ein Beenden des Titels zu haben, muss also eine Komplettlösung benutzt werden - was nicht nur von schlechtem Spieldesign zeugt, sondern auch die "Ich weiß nicht mal, wer ich bin"-Atmosphäre, auf die die Entwickler so stark gesetzt haben, sehr stark untergräbt. Wer wirklich ohne Komplettlösung an den Titel herangeht, wird, wenn überhaupt, nur durch Glück die richtigen Lösungen finden. Ein weiteres spielerisches Defizit ist der unausgewogene Schwierigkeitsgrad: Während der Titel auf "Easy" noch einem Parkspaziergang gleicht, geht auf "Normal" ab der achten Ebene ein knallharter Überlebenskampf los.
Grafisch aufpoliert, technisch veraltet
Wenn Baroque ein reiner Port der Sega Saturn-Version wäre, sähe der Titel wahrscheinlich desaströs aus. Zum Glück hat St!ng dem Titel eine ordentliche Frischzellenkur verpasst, die dem Titel eine zeitgemäße Optik verpasst. Die Ebenen des Dungeons sind dafür, dass es sich um zufallsgenerierte Umgebungen handelt, ungewöhnlich detailliert. Außerdem hat jedes Schwert, jede Rüstung und jedes paar Flügel direkten Einfluss auf das Aussehen des Hauptcharakters. Die Detailverliebtheit überträgt sich auch auf die Gegner, die sehr verschieden aussehen und gut animiert sind. Alles in allem merkt man Baroque zwar an, dass das Remake auch für die PS2 entwickelt wurde, die Optik ist aber trotzdem ansprechend. Ebenfalls positiv überraschen kann der Soundtrack, der oft extrem atmosphärisch ist und wirklich gute, abwechslungsreiche Kompositionen beinhaltet. Die wenigen Dialoge sind durch gute Sprachausgabe unterlegt.
Leider zieht das Alter des Titels den spielerischen Teil stark herunter. Das Kampfsystem spielt sich wirklich okay und es ist weitestgehend möglich, den Attacken der Gegner auszuweichen, aber trotzdem sind die Kämpfe relativ langsam und machen nicht allzu viel Spaß. Dazu kommen Kameraprobleme, durch die man selten, aber immer wieder mal völlig blind auf seine Gegner einschlagen muss und ein unkomfortables Interface, das eine Option, nutzlose Items schnell und effizient zu zerstören, sehr stark vermissen lässt.

Der wirkliche Genickbrecher ist aber die extreme Monotonie, die entsteht, wenn man den selben Dungeon immer wieder von vorne beginnen muss. Obwohl die Ebenen zufallsgeneriert sind, kämpft man in den selben Umgebungen gegen die selben Gegner und wird sich wohl irgendwann denken: "Oh nein, nicht schon wieder", wenn es heißt, mit Level 1 die schwächsten Gegner des Spiels zu verprügeln. Einziger Unterschied zur Urfassung sind bestimmte, eher unauffällig aussehende sphärische Objekte, über die eine sehr geringe Anzahl Items in die Außenwelt geschickt werden kann, wo sie dann für einen weiteren Anlauf zur Verfügung stehen. Die sind aber auch nicht wirklich neu, sondern waren bereits in der PSX-Fassung enthalten, die ein Jahr nach der Saturn-Version erschienen ist. Fazit: Baroque hätte als Remake extremes Potential gehabt. Die Story, die Präsentation und vor allem die Erzählweise sind bis heute einzigartig und machen Lust auf mehr. Doch obwohl der Titel grafisch gut aufpoliert wurde, ist er spielerisch in den Neunzigern hängen geblieben, und das monotone Gameplay in Verbindung mit der regelmäßigen Zurückstufung auf Level 1 wird den Titel für fast alle Spieler sehr schnell madig machen. Baroque ist trotzdem alles andere als ein schlechtes Spiel: Es spielt sich eigentlich ganz gut und hat ein paar technische Probleme, die verziehen werden können. Wer aufgrund der unkonventionellen Ansätze Interesse für den Titel entwickelt hat, kann also gerne mal einen Risikokauf tätigen, zumal der Titel in England sehr günstig zu haben ist. Wer fest von einem RPG erwartet, dass sich ein roter Faden durch die Story oder die Charakterentwicklung zieht, sollte jedoch einen großen Bogen um den Baroque machen.
Von Andreas Held
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| Wertung für das Spiel Baroque | |
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| 7.0 | Grafik Detailverliebte PS2-Optik, die trotz technischer Defizite ansprechend aussieht und oft Pluspunkte durch den guten Grafikstil sammelt. | |
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| 8.0 | Sound Guter, atmosphärischer Soundtrack und ebenso gute Sprachausgabe. | |
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| 7.5 | Steuerung Simples, doch funktionierendes Kampfsystem, das aber auch etwas langsamer abläuft als in anderen Dungeon Crawlern und durch die Kamera und das etwas ungünstige Interface weiter ausgebremst wird. | |
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| 6.5 | Gameplay Das monotone Gameplay und die Tatsache, dass der Spieler selbst beim Beenden des Dungeons seine Items und seine Erfahrungspunkte verliert, wird viele Spieler abschrecken. Schade, denn eigentlich hätte Baroque sehr viel Potential gehabt. | |
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| 6.9 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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