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Geheimakte 2 - Puritas Cordis
Review von Tim Herrmann (mail) | 30.04.2009

Mit Geheimakte Tunguska lieferten Deep Silver und Keen Games einen der besten Titel des vergangenen Jahres ab. Das Spiel war zwar bei weitem keine Exklusiventwicklung für Nintendos Wii, sondern nur eine 1:1-Portierung - allein aber die Vorlage bot schon Adventurequalität erster Güteklasse: Die Geschichte war spannend, die Rätsel logisch, einleuchtend und fesselnd, die Synchronisation der Protagonisten durchweg perfekt. Ein rundum glänzendes Gesamtpaket also. Im August letzten Jahres erschien dann auch ein zweiter Teil, zunächst für den PC. Mit den gleichen Hauptdarstellern, aber einer völlig neuen Geschichte konnte auch dieser Teil die Kritiker überzeugen. Und auch auf Wii bekommen wir Geheimakte 2 – Puritas Cordis, so der Name des Nachfolgers, zu Gesicht. Wie gut das Spiel die Fußstapfen seines Vorgängers auszufüllen vermag und ob es sich wieder um eine direkte und unveränderte Portierung handelt, das erfahrt ihr nun in unserem Review.

Keine Schrauben an den falschen Stellen
Geheimakte 2 beginnt wenig beschaulich und startet gleich opulent und rasant: Ein perfekt animierter Intro-Film zeigt einen mysteriösen Mord in dunkler und verregneter Nacht - und schwingt dann sofort über zu einem Mann, der hiermit direkt in Verbindung steht, gerade einen Brief des mittlerweile Verstorbenen liest und ebenfalls keine besonders lange Rolle spielen wird. Es geht um ein mysteriöses Pergament, auf das skrupellose Männer scheinbar unheimlich scharf sind. Und wie es der Zufall will, findet sich der Koffer des damit verwickelten William Patterson plötzlich am Hamburger Hafen. Und wie es der Zufall will, befindet sich auch Nina Kalenkow, die Hauptdarstellerin von Geheimakte Tunguska, gerade am Hamburger Hafen. Und wie es der Zufall will, steht der mysteriöse und heiß umworbene Koffer plötzlich in der Kabine des Problemmagneten Nummer Eins. Und wie es der Zufall will, steckt hinter dieser Verkettung unglücklicher Ereignisse noch etwas viel Größeres – und eine weitere Geheimakte wird geöffnet.



Am Gameplay haben Deep Silver und Keen Games beim zweiten Teil nicht herumgeschraubt. Es handelt sich weiterhin um ein Point & Click-Abenteuer der alten Schule, in dem man Items einsammelt, miteinander kombiniert oder in Rätseln verwendet und in Gesprächen mit Personen die Handlung vorantreibt. Das Genre fühlt sich in Geheimakte 2 – Puritas Cordis aber so frisch an, als hätte es nie etwas anderes auf dem Videospielmarkt gegeben. Nicht zuletzt liegt das daran, dass die Entwickler aus der langen Historie des Genres gelernt und bekannte Fehler bewusst zu umgehen versucht haben. So nervte schon der erste Teil seine Spieler kaum mit dämlichen Kommentaren wie „Das geht so nicht“ oder „Irgendetwas passt nicht“ beim Lösen der Rätsel und bot die Möglichkeit zum Kombinieren von verschiedenen Alltagsgegenständen nur dann an, wenn sie auch wirklich zu einem Ergebnis oder wenigstens zu einem Hinweis auf weiteres Vorgehen führt. Das Ganze wird dann immer schön mit akustischen Kling-Tönen unterlegt und Interaktionsmöglichkeiten optisch durch aufleuchtende Gegenstände oder Personen kenntlich gemacht.

Mehr Dramatik, mehr Kino, mehr Spieler
Obwohl man diese Pluspunkte beiden Ablegern zuschreiben kann, ist die Geschichte um die mysteriöse Weltuntergangssekte Puritas Cordis im zweiten Teil des erfolgreichen Abenteuers aus deutschen Entwicklerhäusern kein einfacher Abklatsch mit erneuerter Geschichte. Die Entwickler haben sich Gedanken gemacht, wie man das Prinzip noch interessanter gestalten und den Erstling um die Ereignisse des Tunguska-Vorfalls übertreffen kann. Das Ergebnis dieser Überlegungen springt dem aufmerksamen Spieler recht schnell ins Gesicht: Die Geschichte beginnt deutlich rasanter, deutlich opulenter und viel dramatischer als noch in Geheimakte Tunguska, wo sich erst relativ spät herausstellte, welche Verschwörungen tatsächlich hinter dem Verschwinden des Vaters von Nina Kalenkow steckt. Es geht für alle Protagonisten von Anfang an um nicht weniger als das nackte Überleben und für die Allgemeinheit um den Untergang der Welt selbst. Wie und ob die Protagonisten die Probleme mit der skrupellosen Sekte und den zahlreichen Naturkatastrophen lösen können, klärt sich im Laufe der Geschichte. Diese soll hier größtenteils unangetastet bleiben - schließlich ist auch Geheimakte 2 eine Art interaktiver Roman, der hauptsächlich mit seinen vielen Drehungen und Wendungen in der Geschichte punkten kann.

Die dramatische Handlung unterstreicht der Titel mit so vielen zusätzlichen Zwischensequenzen und animierten Filmen mitten im Spielgeschehen, dass der reine Zahlenvergleich zum Vorgänger schon unfair ist. Während in Geheimakte Tunguska nur ab und zu einige wenige kurze Clips zu sehen waren, sieht man sie im Nachfolger fast regelmäßig. Sie sind cineastisch inszeniert, mit toller Musik unterlegt und sehr schön animiert, sodass keine grafischen Ausfälle auszumachen sind.



Ein weiteres „mehr“ findet man in der Anzahl der spielbaren Charaktere: Haben in Geheimakte Tunguska noch nur Nina und Max zusammen oder getrennt voneinander operiert, spielt man im zweiten Teil nun mit insgesamt vier Protagonisten und darf ab und zu auch wieder kooperativ agieren wie an einer Stelle im ersten Teil. Wer hier ein paar Wehmutstropfen finden will, weil er so gerne mit Nina Kalenkow gespielt hat, kann beruhigt werden. Denn erstens sind auch die restlichen drei Charaktere angenehme Zeitgenossen, bei denen das Begleiten Spaß macht, und zweitens nimmt Nina, die sympathische und schlagfertige Berlinerin, weiterhin insgesamt gesehen die Hauptrolle ein. In den kooperativen Abschnitten kann sich auch ein Freund einklinken und selbst die Steuerung über einen der beiden übernehmen.

Speziell hinsichtlich der Wii-Version hat sich im Vergleich zum Original wenig getan. Zunächst einmal gibt es natürlich wieder eine neue Steuerung via Pointer, die exakt der des Erstlings entspricht und weiterhin anstandslos und einfach funktioniert. Zum anderen finden sich im Spielverlauf auch einige Wii-spezifische Aufgaben, die kleinen Minispielen ähneln. Leider kommen Aufgaben wie das Putzen eines Fensters so selten vor, dass man sie in diesem Rahmen eigentlich kaum erwähnen muss. Hier hätte man konsequenter kleine Aufgaben für die Wiimote einbauen können – aber vielleicht wussten die Entwickler bei Keen Games auch um die zahlreichen Probleme mit Bewegungssensoren, an denen verschiedene Spiele schon gekrankt haben, und wo Bewegungssteuerung eher wie eine Verschlimmbesserungen gewirkt hat.

Geschliffen bis zum Gehtnichtmehr
Eigentlich kann man hier nur noch einmal das ganze Lob austeilen, das schon Geheimakte Tunguska bekommen hat. Doch trotzdem hat auch dessen Nachfolger einige Klopfer auf die Schulter für das hervorragende Spieldesign verdient. Oben wurde bereits angesprochen, dass den Spielern Nerven abschlachtende Probierversuche mit verschiedenen Items erspart werden, was sehr angenehm auffällt. Und auch ansonsten ist das Spiel durchweg einfach angenehm und wird selten unlösbar schwer. Das gilt allerdings nur für wirklich aufmerksame Spieler, denn eigentlich haben die Entwickler die Lösung zu jedem Rätsel irgendwo im Spiel selbst bereits versteckt. Ein Beispiel: Auf einem Kreuzfahrtschiff relativ früh im Spiel hängt in Ninas Kabine ein Bild von dem Kapitän vor dem Atomium in Brüssel. Einige Zeit später wird es im Spielverlauf nötig, aus den Items, die man irgendwo gefunden hat, ein großes, europäisches Wahrzeichen nachzubauen. Allerdings hat man nichts im Inventar, woraus man den Big Ben, den Eiffelturm oder das Brandenburger Tor nachbauen könnte. Wer sich nun an das Bild erinnert, das er irgendwann einmal gesehen hat, könnte auf das Atomium kommen und wird mit Alufolie, Mozartkugeln und ein paar Zahnstochern ein tolles Modell bauen. Deswegen gilt auch: Immer alle Items aufsammeln und immer alle Objekte in einem Raum genau anschauen.

Dabei kommt ein sehr intelligentes System zum Einsatz, das es ebenfalls bereits seit dem Vorgänger gibt. Mit dem +-Knopf kann sich der Spieler alle Objekte anzeigen lassen, mit denen man irgendwie interagieren kann. So bleibt kein kleiner Schlüsselbund verborgen, der irgendwo liegt, und so entgeht einem kein Detail. Dieses System ist dem des stupiden Vorsagens weit überlegen, denn auch nach kleinen Hilfen muss der Spieler noch selbst nachdenken und kreativ sein. Ein Hilfe-System mit den finalen Lösungen wie in Baphomets Fluch – The Director’s Cut ist schön und gut – aber letztendlich macht es doch mehr Spaß, wenn man selbst auf die Lösung kommt und nicht nach jedem Tipp ein schlechtes Gewissen haben muss, weil jedes Nachschauen mitgezählt wird. Dieses System alleine beweist, wie viele Gedanken in den beiden Geheimakten stecken und wie sorgfältig man nachgedacht hat, sein Spiel nicht zu schwer und nicht zu leicht zu machen und immer sinnvolle Lösungen mit Aha-Effekt anzubieten (nicht wie in anderen Adventures wie Agatha Christie, wo ein normal denkender Mensch einfach nicht auf die richtige Lösung kommt).



Von tickenden Lupen und stimmlicher Perfektion
Auch grafisch setzt Geheimakte 2 – Puritas Cordis seinem Vorgänger noch einmal einen drauf. Das Spiel glänzt mit herrlichen vorgerenderten Hintergründen, den bereits angesprochenen perfekten Zwischensequenzen und ansehnlichen Charaktermodellen. Trotzdem muss an dieser Stelle auch einmal Kritik angebracht werden. Zunächst einmal sind das die etwas eckigen Ingame-Animationen, über die man aber wohl wollend hinwegsehen kann. Gravierender fällt auf, dass in Geheimakte 2 viel zu lange nicht die Spielumgebung zu sehen ist, sondern eine Lupe, in der eine Uhr tickt – der Ladebildschirm. Die schöne Grafik hat nämlich ihren Preis und dieser Preis nimmt nach jedem Raumwechsel eine bis fünf Sekunden der wertvollen Lebenszeit der Spieler in Anspruch. Es wird tatsächlich jedes Bild jedes Mal neu geladen. Da man in einer durchschnittlichen Spielminute ungefähr drei bis fünf Raumwechsel durchmacht (allein schon für Laufwege zum Ziel und zurück), sieht der Spieler jedes Mal drei Sekunden lang nur den Ladebildschirm. Das ist ein nicht unbeträchtlicher Teil der gesamten Spielminute. Und nur in Gesprächen oder wenn man sich permanent in einem größeren Raum aufhält, bleibt einem der Ladebildschirm erspart. Das hätte man anders lösen müssen – vielleicht mit einem System, das einen bestimmte Räume überspringen lässt, damit man schneller zum eigentlichen Ziel gelangt (auch wenn man nur auf dem Durchmarsch ist, werden Zwischenräume nämlich immer extra geladen).

Ohne Wenn und Aber loben muss man nach wie vor die Synchronisation. Nicht nur die Sprecher selbst machen ihre Aufgabe sehr gut (einige Stimmen kennt man sogar aus Fernsehen und Kino), sondern auch den Dialogschreibern dürfen ein paar lobende Worte für bissige Seitenhiebe auf die Videospielkonkurrenz und auf die Unterhaltungsindustrie generell und für eine sympathische Portion Selbstironie zugesprochen werden. Nina und ihre Kollegen sind so schlagfertig, dass es Spaß macht, ihnen zuzuhören und die Dialoge wirken nie künstlich oder gestellt. Sie sind natürlich, lustig, unterhaltsam und vermitteln immer genau die richtigen Eindrücke. Die Musik im Hintergrund hält sich meist dezent zurück, kann ansonsten aber genauso überzeugen wie dei Sound-Effekte.

Fazit:
Geheimakte 2 – Puritas Cordis steht seinem Vorgänger in nichts nach und übertrifft ihn in einigen Aspekten sogar noch: Während das Adventure-Prinzip gleich geblieben ist, überzeugt die Präsentation mit einem Mehr an tollen Zwischensequenzen und schicker Grafik sowie weiterhin superber Sprachausgabe. Die Rätsel sind immer noch fair und lösbar (es sei denn, man sprintet unaufmerksam durch den Spielverlauf und übersieht Items und Infos), das Hilfesystem ist motivierend und nicht zu aufdringlich. Man muss auf der technischen Ebene höchstens die ständigen Ladezeiten anprangern, die des Spielers Nerven ein wenig strapazieren. Ansonsten ist Geheimakte 2 – Puritas Cordis für alle Adventure-Fans auf Wii ein Pflichtkauf. Action-Spieler können mit diesem Ableger des Genres wahrscheinlich genauso wenig anfangen wie mit allen anderen Point & Clickern, weswegen man hier über einen Kauf eventuell genauer nachdenken sollte. Wer aber grundsätzlich offen ist für lange Spiele mit toller Geschichte, klasse Präsentation und einigen Aufgaben fürs Hirn, der wird mit diesem Titel viel Freude haben.

Von Tim Herrmann
Wertung für das Spiel Geheimakte 2 - Puritas Cordis
Wertungen Beschreibung
8.0Grafik
Sehr schicke Hintergründe und klasse anzusehende Zwischensequenzen, dafür allerdings teils etwas eckige Animationen und häufig aufkommende Ladezeiten.
8.7Sound
Keine Beanstandungen: Unaufdringliche Hintergrundmusik, die sich der jeweiligen Situation chamäleongleich anpasst und stets passt. Dazu kommt eine perfekte Synchronisation.
8.2Steuerung
Der Pointer zieht nicht nach und flitzt ohne Verzögerung über den Bildschirm. Die Steuerung ist simpel und setzt lediglich auf den Pointer, funktioniert aber problemlos.
8.5Gameplay
Lösbare Rätsel mit motivierendem Hinweissystem, unterhaltsamen Dialogen und spaßigem Spieldesign.
8.5Gesamt
(Kein Durchschnitt der Einzelwertungen)



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