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Trauma Center - New Blood
Review von Burkhart von Klitzing (mail) | 03.12.2009

Schwere Operationen ziehen in der Regel Nachfolge-Untersuchungen mit sich, manchmal gar Nachfolge-Eingriffe, oft auch erst merklich später als die vorige OP. An ebenso schweren wie schwierigen Operationen mangelte es Atlus' Chirurgenabenteuer Trauma Center: Under the Knife beleibe nicht, als es Mitte 2006 knapp ein halbes Jahr nach amerikanischen Hobby-Ärzten auch hiesigen Spielern die Haare büschelweise ausfallen ließ. So war es nur eine Frage der Zeit – diesmal für Europäer eine gar neun Monate länger andauernde Frage als bei den US-Kollegen – bis der japanische Konzern erneut das Skalpell verteilte. Trauma Center: Second Opinion war, wie der Titel andeutet, kein Sequel, sondern ein Remake, das dank cleverer Verbesserungen und wählbarem Schwierigkeitsgrad zu gefallen wusste. Mit dem Untertitel New Blood steht nun auch endlich ein Jahr nach dem US-Release die PAL-Version des ersten echten Nachfolgers in den deutschen Regalen und buhlt gleichermaßen um Privat-, wie Kassenpatienten. Zu klären wäre somit nur noch die Frage nach dem Erfolg (bzw. das Erfolgspotential), denn in Zeiten der Wirtschaftskrise überlegt sich jeder mehr als einmal, ob er zum Arzt geht oder nicht besser zur Arbeit humpelt.

Plethora Vera an Charakteren
Die beiden Wortspielereien Derek Stiles (D.S. und Stylus) und Nozomi Weaver (Wii-ver) haben als Protagonisten ausgedient, an ihre Stelle rückt knappe zehn Jahre nach den Vorfällen um die mysteriösen GUILT-Viren ein dynamisches Duo bestehend aus Valerie Blaylock und Markus Vaughn, begleitet von der Krankenschwester Elena Salazar und einer Fülle an weiteren, neuen Charakteren. Abgesehen von kurzen Gastauftritten rekrutiert sich das Personenaufgebot nur aus Neuankömmlingen. Zu Beginn operiert der renommierte Chirurg Dr. Vaughn in einer behelfsmäßigen Klinik in der Kälte Alaskas, unterstützt von seiner aufstrebenden Kollegin Dr. Blaylock, der Schwester Marcy Bloom und dem Leiter des Krankenhauses, Dr. Hoover. Während sich das Rätsel um die Arbeit eines scheinbar dermaßen anerkannten Arztes in einem kleinen Örtchen weitab des großen Geldes im Laufe der Geschichte aufklärt, gehen Bloom und Hoover bereits nach kurzer Spielzeit den Lauf alles Irdischen. Nein, sie sterben zwar nicht, geraten aber in Vergessenheit – ein Schicksal, das sie mit anderen Charakteren teilen, die hinzukommen, sobald sich das Spielgeschehen nach Maryland verlagert, bevor es noch weitere Teile der Welt erreicht, die ähnlich exotisch gerieten wie Afrika im Vorgänger.

Der Story vorzuwerfen, unmotiviert dahinzudümpeln, wäre sicherlich falsch, schließlich bedient sie sich allerlei interessanter Elemente wie Gedankenkontrolle, Ethik, Bioterrorismus, Verrat und eben einer Fülle an Handlungsträgern. Jedoch scheinen manche Ideen überreizt, während andere zu kurz kommen. So fällt es fast schon lächerlich aus, wenn binnen 15 Minuten drei Personen als fremdkontrolliert enttarnt werden, zumal sie von drei unterschiedlichen Quellen kontrolliert werden. Zudem bleiben einige der Ärzte merklich blasser als ihre Kollegen im Vorgänger, einige Wendungen sind zu vorhersehbar und das Ende kommt fast schon aus dem heiteren Nichts, anstatt sich dramatisch anzukündigen. Hier hat Second Opinion mit seiner mysteriösen Zweitheldin, die nur gelegentlich zum Einsatz kommt, dem spannenden Showdown gegen Savato und den facettenreichen Nebencharakteren die zurechtoperierte Nase vorn. Schlecht ist Geschichte von New Blood dennoch nicht; dafür sorgen eine Spielshow, eine starke Persönlichkeit in Form von Dr. Vaughn und eine endlich fast durchgängige, hochwertige (englische) Sprachausgabe, die die deutschen Texteinblendungen und wie gewohnt hübsch gezeichneten aber stillstehenden Mangaprofile begleitet.

Resitutio ad integrum vs. Restsymptome
Spielerisch hat sich auf den ersten Blick kaum etwas geändert. Wie gehabt besteht der spielerische Anspruch aus fünf- bis zehnminütigen Operationen, die linear durch Storysequenzen miteinander verbunden sind. Wer aufgrund der Aufmachung oder Atlus als Entwickler auf ein RPG oder wenigstens RPG-ähnliche Elemente hofft, ist in der Hochglanzklinik von Caduceus ebenso falsch aufgehoben wie angehende Chirurgen auf der Suche nach einer Simulation. Denn die Fälle des Trauma Centers sind weitestgehend abstrakte Geschicklichkeitstests, die sich mal mehr und mal weniger nah an tatsächlichen medizinischen Vorgängen orientieren, aber fast immer optimal auf die Pointerfunktion der Wiimote zugeschnitten sind. Die Vernähung eines Schnittes per Nadel und Faden - gefolgt von einer Desinfektion und Verbandanlage - mögen noch realistisch sein, die Tumorentnahme dagegen ist bereits deutlich simplifiziert und massierende Membranen sind ein Resultat des Settings, das in der Zukunft liegt und sich so einige Freiheiten erlaubt. Die acht Werkzeuge aus Second Opinion blieben intakt, behielten ihre Funktionen bei und lassen sich erneut bequem per Analogstick auswählen. Absaugpumpen entziehen Tumoren ihre Flüssigkeit und leeren starke Blutungen, Desinfektionsgel bereitet einen Einschnitt vor, schließt kleine Wunden, erhöht die Vitalwerte leicht und stoppt kurzzeitig kleine Blutungen, der Laser verbrennt kleine Tumore, die Pinzette bewegt Knochensplitter, Tumore und Membranen und schließt große Wunden. Die Auswahl der Instrumente mag schon umfangreich sein, doch die Vielzahl der Einsatzmöglichkeiten bringt das Spiel erst auf den Weg der Komplexität, der sich durch zusätzliche Elemente noch weiter steigert. So darf auf Knopfdruck ein Drudenfuß nachgezeichnet werden, das die Heilende Hand (eine Art letzte Rettung) aktiviert, bei Herzanfällen wird der – immer noch etwas hakelige – Defibrillator aufgeladen und die Herzmassage aus Under the Knife feiert ihre Rückkehr.



Daneben fanden einige gänzlich neue Utensilien ihren Weg in das neue medizinische Abenteuer, die sich jedoch erst in späteren Eingriffen offenbaren, da sie eben nicht Teil des regulären Operationsbestecks sind und so den Spielablauf auflockern. Beispielsweise ersetzen statische Streichhölzer die mobile Taschenlampe des Vorgängers in einem dunklen Einsatz, Gummischnüre sollen an der korrekten Stelle eines Blinddarms zugezogen werden und in einem Level gilt es, ein Herz mithilfe spezieller Membranen zu revitalisieren. Während des letztgenannten Vorgangs pulsiert das Herz wie verrückt und die Membranen müssen im richtigen Augenblick platziert werden, wobei die Erkennung eben dieses Moments recht lästig ausfiel. Auch eine Art T-Stück, das der Verbindung von Adern dient, sorgt für so manchen unglücklichen Vitalwerteverlust, da das symmetrische Werkzeug stets so wie von Atlus vorgesehen zu drehen ist. Dreht man es beispielsweise einige Grad links herum, anstatt nach rechts und positioniert es an und für sich perfekt passend, so zählt es als Fehler. Unsinnig. Noch nerviger ist da nur die Herzschrittmacher-OP, die den Spieler stellenweise komplett im Dunkeln über das weitere Vorgehen lässt. All diese kleinen Mäkeleien dienen nur der Einleitung für den nun folgenden Lobreigen, denn, so viel sei vorweggenommen, spielerisch haben die Entwickler an der positiven Entwicklung von Under the Knife zu Second Opinion angesetzt und sie fortgeführt. An der zumeist tadellosen – und nicht zuletzt auch weiterhin schüttelfreien – Steuerung war eine Änderung ebenso wenig nötig wie an der jederzeit freien Schwierigkeitsgradwahl. Erweitert ist hingegen die motivierende Punktehatz, die jede abgeschlossene OP mit einem Rang bewertet und nun auch mit Online-Ranglisten aufwartet.

Stressbedingte Narkolepsie
Wer lieber direkt mit einem menschlichen Wesen interagiert, versucht sich an der regulären Kampagne einfach mit einem Mitspieler im Koop. Anstatt wie normalerweise zwischen Vaughn und Blaylock und somit zwei unterschiedlichen Heilenden Händen zu wählen, kommen dann beide zum Zug, was insbesondere in Operationen nützlich sein kann, in denen mehrere Brände schwelen. Während sich einer um Ablagerungen in der Blutbahn kümmert, bevor diese das Herz erreichen, versorgt der andere die Quelle. Oder das eine Set flinker Hände transplantiert eine Leber und das andere bekämpft STIGMA, doch dazu später mehr. Eine Kritik, die man oft vorfindet, besagt, dass New Blood für Einzelgänger zu schwierig sei, weil die Operationen auf zwei Spieler ausgelegt seien. Dem kann ich nur widersprechen, denn bis auf wenige Ausnahmen sind sämtliche Stages im mittleren Schwierigkeitsgrad auch ohne Mitstreiter gut zu bewältigen und der höhere Schwierigkeitsgrad war ohnehin immer Skalpellvirtuosen vorbehalten. Insgesamt macht New Blood sogar einen etwas einfacheren Eindruck als Second Opinion, bietet aber dessen ungeachtet vom Dr. House-Fan hin zum Medizin-Nobelpreisträger für jeden etwas. Ein weiterer Vorzug gegenüber Derek Stiles' Abenteuer ist die Spiellänge. Wo die GUILT-Viren (aus dem Vorgänger) noch in acht Stunden zu bekämpfen waren, verschlingt STIGMA nun deren vierzehn, die wieder neben einer Vielzahl von menschlichen Torsos auch das eine oder andere exotische Untersuchungsobjekt auffahren. Der Einfallsreichtum der Entwickler hat sich in der Hinsicht sogar noch weiter gesteigert, wie die Behandlung eines Hundes zeigt.



Die vielleicht größte Verbesserung stellt die optimierte Zusammenarbeit zwischen „normalen“ Einsätzen und denen gegen STIGMA dar. Die scheinbar einem Sci-Fi-Film entsprungenen GUILT-Viren, die zehn Jahre zuvor die Erde mit ihren spinnenartigen Erregern, versteinernden Membranen und blitzschnell verschmelzenden Kreaturen in Atem hielten, sind Geschichte, doch - wenig überraschend - folgt ihnen eine neue Gefahr, die auf den Namen STIGMA hört. Im ersten Trauma Center verschwanden gebrochene Arme, reguläre Tumore, Embolien und sonstige realistische Wehwehchen mit dem Aufkommen der Superviren fast gänzlich, so dass sich bald dieselben sieben Krankheiten ein ums andere Mal wiederholten. Vaughn und Blaylock wiederum begegnen der neuen Seuche, gemessen an der gesamten Spielzeit, wesentlich früher und den Rest des Spiels hindurch immer wieder, statt permanent. So warten auch kurz vor dem Ende noch Gasvergiftungen, Schussverletzungen und Konsorten auf Heilung, was der Abwechslung mehr als gut zu Gesicht steht, obwohl STIGMA sich nur in sechs verschiedenen Formen manifestiert, also in einer weniger als noch GUILT. Die erste dieser Formen erinnert noch stark an Kyriaki aus dem Vorgänger: Kleine fischförmige Erreger flitzen über das befallene Organ und reagieren empfindlich auf Laserbeschuss, doch seine fünf Kameraden zeugen von deutlich mehr Kreativität. Schade, dass manche von ihnen nur selten vorkommen und einer mit seinen regenerativen Fähigkeiten und seinen fummelig-kleinen Komponenten eine hohe Frustschwelle voraussetzt.

Fazit:
New Blood ist im Prinzip wie eine Bluttransfusion: Der Körper bleibt derselbe, erhält aber neue Impulse und gewinnt dadurch an Kraft. Viele Storyelemente kennt man bereits aus Second Opinion, ebenso wie den Großteil der Instrumente und Prozeduren. Das hindert New Blood allerdings nicht daran, auch für Veteranen und erstmals Veterinäre den Kauf wert zu sein, da genug Neues und genügend neue Anwendungen von Altbekanntem in dem Paket stecken, um diese Nachuntersuchung voller Zuversicht anzugehen. Einzig die schwächere Story schmerzt, bedenk man, dass die Schönheitsoperation sonst ein Erfolg auf ganzer Linie sein könnte. Rechnet man nun die Linie der Trauma Center-Serie durch, so dürfte Under the Knife 2 im Oktober den Weg über den großen Teich schaffen. Genug Zeit, um bis dahin nicht nur mit dem erneut knackigen Schwierigkeitsgrad von New Blood zurecht zu kommen, sondern darüber hinaus die Online-Ranglisten zu erklimmen.

Von Burkhart von Klitzing
Wertung für das Spiel Trauma Center - New Blood
Wertungen Beschreibung
5.8Grafik
Kein nennenswerter Unterschied zum Vorgänger und somit ein leichtes Opfer für den berüchtigten Zahn der Zeit.
8.6Sound
Sehr gute, fast durchgängige Sprachausgabe und oft sehr treffliche Musik, die allerdings gerne dazu tendiert, unterzugehen.
9.0Steuerung
Defibrillator und Herz-Membranen zicken, bilden damit allerdings die Ausnahme.
9.0Gameplay
Noch besserer Spielfluss als bereits in Second Opinion.
8.6Gesamt
(Kein Durchschnitt der Einzelwertungen)



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