Review von Tim Herrmann (mail) | 19.03.2009
Der stereotype Cheerleader, in weiblicher Ausführung: ein blondes, siebzehnjähriges Mädchen in kurzem Rock steht mit ihrem Cheer-Squad am Rande des Basketballfeldes einer Schule, in der Hand glitzernde Pompoms in den amerikanischen Landesfarben, schreiend, kreischend, singend, tanzend, lasziv mit der Hüfte wackelnd und wild ihre Mannschaft anfeuernd, deren Spieler sie während der Pausen anhimmeln. Ihr männliches Pendant: Grundsätzlich schwul. Immer. Wie gesagt, es handelt sich dabei um Stereotype. Tatsächlich ist Cheerleading auch in Deutschland mittlerweile ein Sport wie jeder andere für jedes Geschlecht mit offiziellen Meisterschaften (auch ohne anzufeuernde Sportler), der hauptsächlich auf halsbrecherischer Akrobatik, Hebefiguren und einer Menge Körperspannung basiert.
Doch trotz dieser aufmunternden und sich einstellenden Normalität des Sports, ist der Test eines Spiels wie All Star Cheerleader für einen jungen, männlichen Tester natürlich noch grauenhafter als jedes düstere Horror-Spiel. Wie THQ die Umsetzung des glitzernden Coole-Mädels-Sports auf Nintendos Konsole gelungen ist, lest ihr in unserem Test.
Zickenalarm!
Das Herzstück von All-Star Cheerleader ist der Karrieremodus, in dem die Geschichte eines neuen Cheerleaders in einer eingeschworenen Gruppe, dem so genannten Squad, erzählt wird. In diesem Modus werdet ihr nach und nach alle verfügbaren vorprogrammierten Events sehen und alle Choreografien tanzen, die danach im Trainingsmodus beliebig oft wiederholt werden können.
Schon zu Beginn erfüllt das Spiel jedes Klischee: Der Cheer Squad besteht aus hochnäsigen Zicken, die zuerst nicht glauben wollen, dass der minderwertige Cheerleaderersatz ihren ehrgeizigen Plänen irgendetwas nutzen könnte. Es folgen Lästereien, die ersten seichten Lektionen, die ersten Bewertungen und die Geschichte schreitet langsam voran. Vorhersehbarerweise integriert ihr euch mit der Zeit immer fester in die Equipe und werdet gemeinsam immer erfolgreicher – wobei allerdings auch die nachzutanzenden Choreografien immer schwieriger und komplexer werden.
Das Tanzen ist das einzige Gameplay in All-Star Cheerleader – es handelt sich also im Prinzip um ein Tanzspiel à la Dancing Stage im Cheerleader-Ambiente. Ihr hüpft von Lektion zu Lektion, lernt immer neue Moves mit Wii-Remote und Nunchuk kennen und müsst diese akribisch trainieren, woraufhin irgendwann eine zusammenhängende Performance vorgeführt werden soll. Schon nach den ersten paar Minuten sticht ins Auge, wo das Spiel entwickelt wurde und für welchen Markt All Star Cheerleader ursprünglich entstanden ist – Amerika. Die Dichte an amerikanischen Fachbegriffen ist überwältigend und wird auf kleine Mädchen abschreckend wirken – „left inverted L“ und Co. gehören nicht unbedingt zum Sprachschatz einer Zehnjährigen, die sich diesen Titel kaufen soll.
Doch glücklicherweise wird zusätzlich noch alles mit kleinen Bildchen und Animationen dargestellt und auch ansonsten ist das Spiel komplett in deutscher Sprache synchronisiert worden. An der Sprachausgabe gibt es nicht viel zu bemängeln – Meisterleistungen der Filmkunst werden hier sicherlich nicht geboten, aber die Geschichte und die Anleitungen zu den Tanzschritten erfüllen ihren Zweck.
Hoch, runter, drehen, nach unten, nach oben, V
Das Kernelement des Spiels ist das Tanzen. Und der Grund, warum das Spiel exklusiv für Wii entsteht, liegt natürlich in den Bewegungscontrollern begraben. Erstmals kann man die Spieler(innen) auch ohne lästige Tanzmatten oder andere teure Peripherien zur Bewegung zwingen und auf authentizitätsloses Knopfgedrücke im Takt verzichten. Was aber auch ein Fakt ist: Die Wii-Remote ist in ihrer ursprünglichen Ausführung bekanntlich nicht perfekt und krankt besonders beim Zusammenspiel von Neigungs- und Beschleunigungssensoren gern einmal, wenn die Entwickler nicht akribisch alles aufeinander abstimmen. An diesem Mangel leidet auch All-Star Cheerleader nicht unerheblich.
Das Konzept funktioniert so: Am unteren Bildschirmrand befindet sich die für dieses Genre typische Leiste, auf der verschiedene Symbole abhängig von der Musikgeschwindigkeit schnell oder langsam von rechts nach links wandern. Diese Symbole bestehen meistens aus blauen und rosafarbenen Pfeilen in verschiedene Richtungen. Sie präsentieren die Positionen von Wii-Fernbedienung und Nunchuk, wie das Spiel sie gerne hätte, um Punkte vergeben zu können. Ganz links ist ein kleines Punktfenster, in dem es nur noch aufs Timing der „Moves“ ankommt.
Das erste Problem: Nicht selten handelt es sich bei den geforderten Bewegungen und Kunststückchen um Verrenkungen, die sich in der Theorie einfach anhören, in der Praxis mit zwei Controllern in der Hand aber zu Schwierigkeiten führen können – besonders wenn die beiden auch noch mit einem Kabel verbunden sind. Ein Beispiel: Versucht doch mal, Wii-Remote und Nunchuk senkrecht in die Hand zu nehmen und den linken Arm dann so zu drehen, dass das Nunchuk nach unten und die Wii-Remote nach rechts zeigt. Geht im Prinzip, fühlt sich aber komisch und nicht nach ästhetischem Tanzen an. Solche Bewegungen gibt es in All-Star Cheerleader zuhauf. Man wirbelt die Controller durch die Luft, um möglichst schnell die gewünschten Positionen zu erreichen, steht gleichzeitig aber wie ein Sack Kartoffeln auf dem Boden und wedelt nur mit den Armen.
Die zweite Schwierigkeit ist die Wii-Steuerungseinheit selbst: Wenn Bewegungen überhaupt erkannt werden, dauert es ca. eine halbe Sekunde, bis das Spiel sie auf dem Bildschirm umsetzt. Dass sie überhaupt erkannt werden, ist aber fast schon Glückssache, denn manchmal wird die Bewegung (bzw. der Weg der Controller) zur eigentlich gewünschten Position schon als „falsch“ oder „Erfolg“ gewertet, bevor man es eigentlich so haben wollte. Im anderen Fall befindet man sich bereits in der richtigen Position, aber es passiert einfach nichts, weil keine besondere Neigung oder Bewegung registriert wird. Durch diese Mängel wird All Star Cheerleader besonders dann extrem ungenau, wenn es in die schwierigeren und schnelleren Choreografien geht, und frustet zunehmend.
Das Balance Board für Beinarbeit(?)
Die Armbewegungen fühlen sich also nicht nur ziemlich unecht an, sondern funktionieren auch nicht richtig. Doch schon auf der Verpackung von All Star Cheerleader preist sich der Titel damit an, dass er ja auch das Balance Board unterstützt und somit Bewegungen des ganzen Körpers ins Spiel übertragen kann.
Das ist natürlich auch keine freche Lüge, das Balance Board kann hier wirklich mit der Konsole verbunden werden (es sei denn, es wollen vier Spieler gemeinsam spielen). Allerdings hätte die Umsetzung von Nintendos Zubehör doch deutlich umfangreicher ausfallen können. Das Balance messende Zubehör hat nämlich lediglich die Aufgabe zu ermitteln, ob beide Füße auf dem Untergrund stehen oder ob eines angehoben ist. Balance-Akte gibt es manchmal in späteren Herausforderungen, allerdings sind auch die keine Raffinessen.
Zudem fällt bei näherer Betrachtung fauf, dass das Cheerleading vielleicht wirklich nicht der richtige Sport für eine Umsetzung auf Wii ist. Denn Beinarbeit, Sprünge und Hebefiguren gehören eigentlich zum Alltag eines jeden Cheerleaders – all das kann man aber nicht realisieren, wenn man nur ein paar Bewegungssensoren in den Händen und Sensoren unter den Füßen hat, auf denen man nicht springen und auf die man sich (den Schienbeinen zuliebe) auch nicht auf die Knie fallen lassen sollte. Man musste bei der Entwicklung erhebliche Abstriche machen, um das Konzept überhaupt umsetzen zu können.
PINK!
Es sollte klar sein, dass All Star Cheerleaders ein Spiel für Mädchen ist – auch wenn es in der Realität auch (heterosexuelle) Männer in dem Sport gibt, ist und bleibt er eine weibliche Domäne und deswegen ist auch das Spiel voll auf junge Mädchen ausgelegt. Das äußert sich zunächst ganz offensichtlich im pink-lilafarbenen Farbton, in dem sich das Spiel praktisch durchgehend präsentiert. Abwandlungen des Rots sind überall zu finden und bestimmen Menüs, Outfits der Cheerleader und Umgebungsgrafiken.
Während man der Gestaltung der Menüs eine gewisse Professionalität zusprechen darf, muss man in der Ingame-Grafik dagegen an den Charaktermodellen meckern. Denn diese wirken steif und haben irgendwie eine permanent treudoof grinsende Mimik aufgemalt, die sich unter keinen Umständen verändert. So sehen die Charaktere irgendwie aus wie tanzende Roboter und wären technisch schon auf dem DreamCast möglich gewesen.
Der Sound unterdessen ist typisch für die Cheerleader – quietschige Stimmchen kreischen in den Menüs ab und zu bestimmte Catchphrases in den "poppig-hip-hoppigen" musikalischen Hintergrund, während man sich im eigentlichen Spiel mit rhythmischen Beats allein abfinden muss. Auch wenn der Soundtrack keine Größen der Branche bietet, erfüllt er seinen Zweck. Von einem Tanzspiel, das ja grundsätzlich auf Musik aufbaut, hätte man trotzdem etwas mehr erwarten dürfen.
Multiplayer und Extra-Features
Auch wenn man jetzt schon einige Kritik hinsichtlich der Steuerung und der Umsetzung gehört hat, muss trotzdem auch erwähnt werden, dass All-Star Cheer Squad im Kern solide entwickelt ist. Es wartet mit verschiedenen Spielmodi, einer Geschichte und (für die entsprechenden Zielgruppen) ansprechendem Design auf. Darüber hinaus gibt es auch noch die Möglichkeit, selbst Choreografien in einem bestimmten Editor zu entwerfen und zu speichern.
Auch der Charaktereditor tut der Personalisierung des Spiels gut: Hier entwirft man seinen eigenen Cheerleader, kleidet ihn ein, verpasst ihm bestimmte Haarfarben, Frisuren und Accessoires und gibt ihm einen Namen. Im eigentlichen Spiel macht das nicht wirklich viel aus, weil fast alle gleich aussehen und immer grinsen – aber dem versessenen Cheerleader-Narr wird es sicherlich gut schmecken, sich selbst auf der großen Bühne tanzen zu sehen.
Der Multiplayer-Modus ermöglicht es bis zu vier Freundinnen (Na gut… Auch Freunden), gemeinsam in der Gruppe zu tanzen und möglichst viele Punkte zu holen. Das Balance Board kann hier nur zum Einsatz kommen, wenn höchstens drei Spieler tanzen. Fazit: Grundsätzlich ist All Star Cheerleader kein Spiel, das zu schnell und ohne Mühe für unwissende Mädchen auf den Markt geworfen wurde, um das fixe Geld zu kassieren: Die Menüs sind ansprechend gestaltet, der Spielumfang geht in Ordnung und auch die technische Seite ist nicht katastrophal wie in anderen Beispielen. Nichtsdestotrotz kann man All-Star Cheerleader nur bedingungslosen Fans des Sports und der Cheerleader-Kultur empfehlen, denn die Steuerung hat ihre Eigenarten und erfordert große Motivation seitens des Spielers, damit wirkliche Cheerleader-Atmosphäre vor dem Bildschirm entstehen kann. Wer wirklich nur stur die Armbewegungen im Takt ausführt und dabei nicht (unnötigerweise) für die Stimmung mit der Hüfte wackelt oder euphorische Schreie rauslässt, wird sich automatisch selbst demotivieren und sich fühlen wie ein Profi-Fußballer, der Ballet tanzen soll – dann fühlt sich das Spiel nämlich irgendwie falsch und aufgesetzt an. Mit optimierter Bewegungssteuerung wären bessere Ergebnisse und weniger Frustmomente möglich gewesen, doch so bleibt letztendlich ein sehr spezieller Titel mit leider teils gravierenden Macken.
Von Tim Herrmann
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| Wertung für das Spiel All-Star Cheerleader | |
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| 6.3 | Grafik Während die Menüs gut gestaltet sind und auch Hintergründe und Grunddesign einen guten Eindruck machen, wirken die tanzenden Charaktermodelle leblos, steif und unwirklich. Noch dazu kommt ihre starre Mimik, die nicht an diese Konsolengeneration erinnert. | |
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| 7.0 | Sound Hip-Hop, typische Cheerleader-Musik, Rhythmisch-Tanzbares und komplett deutsche Sprachausgabe lassen eine gute Wertung zu, auch wenn der Mangel an wirklich hochwertigen Lizenzen Potential verschenkt. | |
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| 4.8 | Steuerung Funktioniert nicht so, wie sie es in einem Tanzspiel tun sollte. Die Verrenkungen mit den Controllern wirken unecht, die Wii-Remote reagiert nicht schnell genug oder falsch und das Balance Board wurde nur halbherzig eingebunden. Das führt zu Frustmomenten in der Steuerung und vermittelt kein optimales Tanzgefühl. | |
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| 6.9 | Gameplay Ein Tanz folgt auf den nächsten, mit neuen Moves, aber immer dem gleichen Grundprinzip. Die Zwischengeschichte ist natürlich unspektakulär und vorhersehbar; dafür gibt es aber eine Menge Modi und viele Features. | |
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| 6.5 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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