Review von Tim Herrmann (mail) | 05.01.2009
Es gibt Ideen, die funktionieren einfach nicht. Bei guten Entwicklern gibt es ganze Abteilungen, die immer wieder neue Ideen haben, dann aber merken, dass sie einfach nicht in einem Videospiel umgesetzt werden können, und sie dann wieder in den Papierkorb werfen. Bei der Ultimativen Brettspielesammlung im Sommer des letzten Jahres hat das In-den-Papierkorb-Werfen offenbar nicht so gut geklappt und die Software hat eindrucksvoll bewiesen, wie man Brettspiele nicht auf Konsolen umsetzen sollte.
Hasbro müsste es doch eigentlich besser können, schließlich macht man schon seit Jahrzehnten Brettspiele für die ganze Familie und hat mit ElectronicArts auch einen potentiell sehr starken Partner an der Hand. Kann Hasbro Familienspieleabend ein ähnlich gutes Gesamtpaket abliefern wie 42 Spieleklassiker auf dem Nintendo DS oder versinkt auch dieses Spiel in nicht funktionierenden Einfällen?
6? Sechs?!
Der erste Eindruck beginnt mit einem Blick auf die Verpackung, welche die unwissenden Gelegenheitskäufer auf ihren Inhalt aufmerksam machen soll. Stolz preist sich der Titel mit dicken Lettern damit an, dass er sechs Brettspiele enthalte. „Sechs?“, fragen sich Kenner der 42 Spieleklassiker auf dem Nintendo DS nun. Ja, sechs. Es handelt sich dabei nicht um einen Abriss der bekanntesten Spielinhalte, sondern um ein komplettes Inhaltsverzeichnis. Der Hasbro Spieleabend beinhaltet sechs Brettspielumsetzungen, von denen man vielleicht drei allgemein kennt: "Vier gewinnt", "Flottenmanöver" alias "Schiffe versenken" und "Yahtzee". Was „Boggle“, „Sorry!“ und dessen Abwandlung „Sorry! Sliders“ sind, muss man sich erst erlesen. Erste Notiz: Hasbros Familienspieleabend bietet die Hälfte des Umfangs der Ultimativen Brettspiele-Sammlung (WiiX-Wertung damals: 1.4) und ein Siebtel vom preisgleichen 42 Spieleklassiker auf dem Handheld. Was das mal wird…
Ein virtuelles Spielzimmer
Hat man eine virtuelle Brettspielesammlung vor den Augen, fragt man sich ja zuerst eines: „Wozu?!“. Jeder einigermaßen gut sortierte Schrank beinhaltet doch eine Ausgabe von "Mensch, Ärgere Dich Nicht" und anderen Brettspielen, wozu sollte man sich also a.) die dreißig Euro teure Sammlung kaufen, b.) vier Controller an den Start kriegen und c.) den Strom für Betrieb von Konsole und Controllern verbrauchen? Die Ultimative Brettspiele Sammlung damals hatte gar keine Antwort auf diese Frage und ließ den Spieler die miserabel umgesetzten Spielchen aus einem simpel-hässlichen Menü auswählen.

Hasbro macht das etwas geschickter: Der Titel spielt sich nämlich permanent in einer Art Spielzimmer ab, das nach eigenem Geschmack gestaltet und eingerichtet werden kann, verschiedene Themen annimmt (Dschungel, Meer, Strand etc.) und permanent mit neuen Features erweiterbar ist. Diese Extras werden mit fortschreitendem Spielfortschritt frei geschaltet und können dann verbaut werden. Einzige Funktion dieses Spielzimmers: Es ist gute Dekoration und besser als ein einfaches, steriles Auswahlmenü. Sinn und Nutzen hat das Ganze aber überhaupt nicht, denn gespielt wird nur in einer bestimmten Ecke, wo Mr. Potatoe, Hasbros Maskottchen, euch immer über die Schulter lugt. Die Brettspiele werden an einer bestimmten Menü-Wand des Spielzimmers ausgewählt und dann in Windeseile mit netten Animationen aufgebaut.
Dem Spieler obliegt dann die Einrichtung des kommenden Spiels gegen Freund(e) oder gegen den Computer. Er definiert bestimmte Spielregeln, legt die Intelligenz seines Computergegners fest und wählt unterschiedliche Spielvarianten aus. Dann geht es los und am Ende steht irgendein Gewinner fest.
Die Brettspiele
Bisher könnte man erwarten, dass Hasbros Familienspieleabend ein ähnliches Desaster ist wie der letzte Brettspieltotalausfall. Aber auch wenn die Anzahl von Spielen mit sechs lächerlichen Spielchen definitiv zu mager ausfällt, muss man ihnen immerhin zugestehen, dass sie komplexer sind als die grundlegenden Klassiker wie „Mensch, ärgere dich nicht“ oder „Dame“. Beim "Flottenmanöver" beispielsweise geht es nicht nur darum, blind irgendwohin zu feuern, um die gegnerische Marine aufzuspüren. Es stehen verschiedene Geschütze zur Verfügung und gewisse Extras geben dem Ganzen fast einen taktischen Charakter. Dasselbe bei "Vier gewinnt". Auch hier gibt es in bestimmten Spielmodi Spezialchips, mit denen ihr die Gegner in die Falle locken könnt oder einen besonders raffinierten Aufbau wählt, um letztendlich vier eurer Chips in einer diagonalen, vertikalen oder horizontalen Linie aufzubauen.
„Sorry!“ ist eine Abwandlung des hier schon mehrmals genannten „Mensch, ärgere dich nicht“. Das Konzept basiert darauf, dass man seine eigenen vier Figuren in einen vorbestimmten Zielhafen bringen muss. Anders als beim Klassiker wird hier nicht gewürfelt, man zieht stattdessen Karten, die gesammelt und dann taktisch geschickt eingesetzt werden. Grundsätzlich gilt, dass man seine Spielfigur immer so viele Felder bewegen darf, wie die Zahl auf der Karte vorgibt. Bestimmten Werten sind aber auch zusätzliche Funktionen zugeordnet und mit der wertvollen "Sorry!-Karte" schmeißt man genüsslich einen Kontrahenten aus dem Spiel.
„Sorry! Sliders“ ist eine minispielartige Abwandlung des "Sorry!"-Konzepts, bei dem sogar die Features der Wiimote zum Tragen kommen und Spielfiguren über das Brett schliddern, um sich auf die besten Positionen zu setzen, wo es dann Punktwerte abzugreifen gibt.
„Boggle“ erinnert allein schon von der Phonologie her zunächst ein wenig an Scrabble – und es handelt sich tatsächlich um ein Buchstaben- und Wortspiel, in dem man durch Finden von verschiedenen Begriffen und Wörtern in einem Buchstabendschungel Punkte erzielt. Ein wenig bekloppt: Man ist auf die Intelligenz des Spielprogramms angewiesen, das einige Wörter schlicht gar nicht kennt, dafür allerdings auch für allein stehende und zusammenhangslose konjugierte Verbformen, deklinierte Nomina und andere Bruchstücke dicke Punkte vergibt.
Bei "Yahtzee" ist währenddessen alles gleich geblieben: Ihr würfelt. Und würfelt. Und würfelt. Und dafür gibt es Punkte. Praktisch bei der virtuellen Version: Es muss nicht akribisch Buch darüber geführt werden, wer wann wie viele Punkte, Punktkombinationen und Würfe hingelegt hat - das erledigt der Rechner automatisch und erspart somit Notizzettel und Rechnereien. Blöd nur, dass die Schalltflächen am Rand so klein sind, dass man sie eigentlich nur mit einem direkten Eingabesystem treffen kann (Hallo, PlayStation 2). Mit dem Pointer der Wii-FB kann das manchmal ziemlich lästig werden.

Alle diese Spiele haben noch Extra-Spielmodi zu bieten, in denen die Regeln abgewandelt sind und das Spielprinzip sich meistens mehr auf die schnelle Action fokussiert. Bei "Vier gewinnt" beispielsweise kann das Konzept optional zu einer Art Tetris-Klon abgewandelt werden, bei dem Reihen aus vier Steinen verschwinden und so für Kettenreaktionen mit vielen Punkten sorgen können.
Diese Extra-Modi, die man wegen ihrer drastischen Regelabwandlungen schon fast als eigene Spiele bezeichnen könnte, kommen am stärksten im Party-Modus des Titels zum Tragen. Hier versammeln sich bis zu vier Spieler um den Bildschirm (warum gibt es eigentlich keine Weiterreichen-Funktion für noch mehr Teilnehmer?) und spielen dann eine vordefinierte Anzahl an Brettspielen in ihren Extra-Modi. Das wirkt immer sehr minispielartig, weil das Ganze mit Brettspielen nur noch wenig zu tun hat. Es wird sehr viel weniger Wert auf Akkuratesse beim Einhalten der klassischen Regeln gelegt.
Hieraus bezieht Hasbros Familienspieleabend auch seine Daseinsberechtigung, denn in einem herkömmlichen Brettspiel wäre es sehr viel umständlicher, so zu spielen, eigentlich sogar unmöglich. Man müsste ständig neue Bretter aufbauen, sich die entsprechenden Regeln anschauen und immer aufmerksam aufpassen, dass auch ja niemand schummelt. Trotzdem bleibt der Fakt, dass diese Spielmodi im Prinzip nicht mehr viel mehr tun, als dem Titel Elemente einer Minispielsammlung einzuverleiben – eine Minispielsammlung mit Brettspielmutationen. Und von solchen Partyspielen gibt es haufenweise. Und leider auch haufenweise bessere, mit mehr Spielwitz und mehr Originalität.
Von lahmen Pointern und Weltraum-Tunes
Auf der technischen Seite erkennt man dem Hasbro Familien-Spieleabend durch und durch seine Herkunft an - die PlayStation 2, natürlich. Bei einem solchen Spiel ist das nicht weiter dramatisch und verzeihlich, zumindest was die Optik angeht. Wenn man sich dann allerdings nicht einmal mit der Pointersteuerung Mühe bei der Umsetzung gegeben hat, ist man als Spieler schnell genervt. Die Schaltflächen (besonders bei "Yahtzee") sind winzig, mit dem Pointer manchmal kaum anzuvisieren und auch ansonsten ist es unverständlich, warum die zeigende Hand so langsam über den Bildschirm trödelt. Verschiedene Shooter haben bereits gezeigt, dass das definitiv kein Problem der Wiimote, sondern einfach eines mit der Entwicklung des Spiels ist. Das macht das Zeigen auf Karten, Chips oder Spielfiguren umständlicher, als es sein müsste, und beweist, dass man sich keine besonders große Mühe mit der Umsetzung auf Wii gegeben hat.
Dieser Trödelpointer wird noch durch die zähen Animationen während des Spiels unterstützt, die das Tempo aus dem Brettspiel nehmen und dadurch für unnötige Wartezeiten zwischen den Zügen sorgen. Bei "Sorry" zum Beispiel wird nach jedem Zug erst einmal das Brett gedreht, für zwei Sekunden der Spielername eingeblendet, der Kartoffelkopf im Hintergrund macht irgendwelche Faxen und rennt immer um das Brett herum, dann wird ein Zug gemacht und es muss erst einmal eine Karte eingeblendet werde - und, und, und. Bei einem echten Brettspiel geht das alles Schlag auf Schlag ohne Animationen oder unnütze Einblendungen - das hätte man einfach flotter gestalten können, denn es gibt bei einem Brettspiel nichts Schlimmeres als zuzugucken.
Soundtechnisch ist der Familienspieleabend absolut belanglos. Im Hintergrund dudelt meistens irgendein Techno-Gedudel, das teilweise mehr in ein Spiel passen würde, das sich in Unendlichen Weiten abspielt. Aber nicht in eine Brettspielesammlung. Fazit: Hasbros Familien-Spieleabend ist keine annähernde Konkurrenz für 42 Spieleklassiker. Trotz der schicken, aber im Prinzip völlig nutzlosen Aufmachung krankt der Titel an seinem mickrigen Umfang aus gerade einmal sechs Brettspielen. Sicherlich würde es wesentlich teurer als 30,-€ zu Buche schlagen, sich jeden einzelnen der enthaltenen Titel im Originalbrettspiel von Hasbro zu kaufen, aber wenigstens originelle Werke hätte man integrieren sollen: "Vier Gewinnt", "Schiffe versenken" und "Yahtzee" hauen heutzutage niemanden mehr um und "Sorry!" und "Boggle" sind im Kern lediglich Abwandlungen von Traditionskonzepten, die ebenfalls wenig zu überraschen vermögen.
Die zahlreichen Spielmodi, die sehr viel professionellere Entwicklung (die man allerdings auch erwarten muss, immerhin steht EA dahinter), die komplexeren Spiele und viele Einstellungsmöglichkeiten beim Spielen verhelfen Hasbro aber, nicht an der Katastrophenwertung der Ultimativen Brettspielesammlung zu knabbern. Trotz des Lobes dafür, dass Hasbro und EA wenigstens versuchen, dem Spiel durch Minispiele und Party-Modi eine Existenzberechtigung zu verschaffen, bleibt nur eine Sammlung aus sechs technisch und spielerisch völlig langweiligen Brettspielen, die sowieso nur in der Gruppe Ansätze von Sinn ergeben; Hasbros Familienspieleabend ist gleichzeitig eine zu klein geratene Brettspielesammlung und eine zu uninspirierte Minispielsammlung - und damit weder Fisch noch noch Fleisch.
Von Tim Herrmann
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| Wertung für das Spiel Hasbro Familien-Spieleabend | |
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| 6.0 | Grafik Keine grafischen Fehler, aber auch keinerlei Highlights. Durchschnittliches, zweckmäßiges PlayStation-2-Niveau. | |
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| 4.8 | Sound Zu keinem Zeitpunkt nennenswertes Gedudele, das wegen seines leichten Elektro-Charakters nicht einmal in die Brettspielesammlung passt. | |
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| 6.0 | Steuerung Im Prinzip funktioniert die Steuerung meistens und auch Bewegungsfeatures wurden manchmal sinnvoll eingebunden. Unstimmigkeiten gibt es aber bei der Anpassung der Schaltflächen in der Wii-Version. Die sind manchmal nämlich nur sehr knifflig anzuvisieren und machen alles umständlicher, als es sein müsste. | |
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| 4.6 | Gameplay Lediglich sechs größere Minispiele, die zur Hälfte alt und ausgelutscht sind, vermischen sich mit eher schlechten als rechten Abwandlungen von Klassikern. Es wird wenig spielerische Substanz geboten und die einzige Daseinsberechtigung zieht man aus dem minispielartigen Party-Modus, der allerdings genug bessere Konkurrenz auf dem Minispielmarkt hat. Lahme Animationen nerven manchmal und unterbrechen die Spielgeschwindigkeit. | |
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| 4.7 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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