Review von Tim Herrmann (mail) | 16.12.2008
Der E3 Media & Business Summit 2008 wird aus Sicht der Nintendo-Fans wohl als einer der schlechtesten Events aller Zeiten in die Annalen eingehen. Bis auf die interessante Vorstellung von WiiMotion Plus und wenigen anderen Lichtblicken, war die Pressekonferenz von Nintendo schlichtweg peinlich – hauptsächlich wegen der Präsentation von Wii Music am Ende. Nintendos Mastermind Shigeru Miyamoto stürmte auf die Bühne und präsentierte die Vollversion der Tech-Demo aus 2006 als DAS Highlight für 2008. Ehe man sich versah, stand eine ganze Gruppe fröhlicher Mehrgenerationenspieler auf der Bühne und hampelte munter herum, als hätten sie nicht die Wii-Controller, sondern echte Instrumente in den Händen.
Das sah nicht nur peinlich aus, sondern wirkte auch spielerisch auf den ersten Blick recht seltsam und machte die zuschauenden Spieler skeptisch. Mittlerweile wissen wir, dass Wii Music in der Tat ein merkwürdiges Spiel ist. Doch was macht es so besonders? Ist es überhaupt ein Spiel? Ist es überhaupt irgendetwas? Wir klären es in unserem Test.
Vom Schütteln und vom Knöpfedrücken
Beim ersten Einschalten wird der angehende virtuelle Musiker von einem lockig-barockigen Musiklehrer begrüßt, der in einem witzigen, brabbeligen Italienischverschnitt mit vielen rollenden „r“s zu euch spricht und zunächst erklärt, auf welche Weise man die verschiedenen Instrumente in Wii Music spielen kann. Die erste Einführung dauert nicht allzu lange, denn im Prinzip gibt es lediglich vier Varianten, die mehr als 60 Instrumente zu spielen.

Die erste behandelt Instrumente wie die Gitarre und ihre zahlreichen Abwandlungen wie die E-Gitarre, das Banjo, die Ukulele und so weiter. Nintendo möchte sehen, wie der Spieler im Stehen an einer virtuellen Luftgitarren-WM teilnimmt und die beiden Controller so hält, als hätte er wirklich einen Klangkörper in den Armen. Die Töne werden simpel und einfach durch Bewegungen der Wii-Remote ausgelöst. Nun liegt es natürlich im Ermessen des Spielers, ob er sich mit ausgespreizten Armen wie auf der Bühne hinstellen möchte oder ob er sich einfach gelangweilt im Sessel fläzt und die Wii-Remote im Takt in eine beliebige Richtung schüttelt. Das Ergebnis wird tatsächlich am Ende das gleiche sein, das Spielgefühl aber sicherlich nicht.
Ähnlich funktioniert das Ganze bei Streichinstrumenten wie der Violine: Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Töne nun nicht nur durch beanspruchte Beschleunigungssensoren, sondern durch ein Zusammenspiel aus Knopfdruck und Bewegungen ausgelöst werden. Bei Blechbläsern wie dem Saxophon oder der Trompete sind Bewegungen sogar fast gar nicht vonnöten, sie regulieren höchstens die Lautstärke, während Töne einzig und allein durch den 1- und 2-Knopf hervorgerufen werden.
Zu guter letzt gibt es noch die guten, alten Tasteninstrumente. Hier kommt das altbewährte Taktschlagen nach oben und unten mit Wii-Remote und Nunchuk zum Tragen, das wir spätestens seit den Rhythmusspielchen in Rayman Raving Rabbids für Wii kennen. Jeder Schlag gilt (optimalerweise) als ein Tastenanschlag, wobei es den Controller kein Stück interessiert, ob nun eher links im tieferen oder rechts im höheren Bereich angeschlagen wird.
Und darin findet sich auch die größte Schwäche von Wii Music: Der Spieler hat keinerlei Einfluss auf die Töne, die beim Musizieren entstehen. Fairerweise muss man zwar sagen, dass ein Titel wie Wii Music auch nicht funktionieren würde, wenn man zwischen zig Oktaven von Tönen wählen könnte und immer sorgsam überlegen müsste, für welchen Ton man sich nun entscheidet. Aber beim Spielen kommt selten irgendein Gefühl beim Spieler an. Er haut nur seelenlos die Controller nach oben oder unten, nach links oder rechts oder drückt dabei gelangweilt die Knöpfe in Erwartung dessen, was da kommt. Aber ist Nintendo wirklich so töricht zu glauben, dass dem Casual-Publikum ein bisschen Controllerschütteln als Instrumentsimulation reicht?
Keine Noten, keine Punkte, kein Spiel
Natürlich nicht, schließlich haben Shigeru Miyamoto und Tetsuya Eguchi (Produzent von z.B. Animal Crossing) schon ein wenig Ahnung von Videospielen und wissen, dass sie mit dem Schüttelkonzept alleine kein volles Musikspiel aufziehen können. Sie ziehen sich anders aus der Affäre.
Bei Wii Music geht es nicht darum, Musik zu machen. Es geht nicht einmal darum, Musik nachzuspielen wie bei den zahlreichen Guitar Heros und den Rock Bands der Generation. Nintendos Hauptintention mit Wii Music kann man vielleicht schon mit einem Wort wiedergeben: Arrangieren. Die Software stellt dem Spieler im Prinzip nur einen Baukasten zur Verfügung, einen Baukasten mit sechzig Instrumenten und ca. 50 Musikstücken aus der Popmusik, der Klassik oder der Videospielwelt. Was er damit macht, ist dann ganz und gar seine Sache. Er wird nicht mit Punkten überprüft, am Ende nicht bewertet und dementsprechend auch nicht mit Highscores herausgefordert. „Aber was soll man denn dann im Spiel machen?“, fragt sich der Videospielveteran jetzt natürlich – und das fragt er völlig berechtigt.
Denn das, was Wii Music abliefert, hat bisher noch kein Spiel so gemacht und deswegen passte es auch sehr gut, als Miyamoto Wii Music damals bei einer Pressekonferenz als Spielzeug beschrieben hat. Mit einem Spielzeug kann man machen, was man will, und es hängt allein von der eigenen Fantasie ab, wozu z.B. die bunten Bauklötzchen als nächstes werden. Ein Videospiel gibt normalerweise Ziele vor – und seien es nur ein möglichst hoher Punktwert bei z.B. Wii Fit oder das Ende eines Levelabschnitts wie bei den Mario Jump & Runs.
Wii Music funktioniert in seinem Kern, dem „Musizieren“-Modus, so: Zuerst wird ein Song ausgewählt und dann eine Kulisse, vor der ihr spielen wollt. Danach wird der erste Schritt zur Inszenierung gemacht, indem die Entscheidung über die verwendeten Instrumente getroffen wird: Soll der Evergreen sich eher rockig anhören (E-Gitarren), eher klassisch rüberkommen (Piano) oder mit Jazz-Klängen gefüttert sein (Saxophon)? Bis zu sechs Bandmitglieder können an der Jam-Session teilnehmen: Entweder zu viert vor der Konsole oder alleine mit bis zu fünf Tutoris, Software gesteuerte, routinierte Computer-Musiker. Und dann geht es los. Ein Ticken in der Wii-Remote und kleine Noten am unteren Bildschirmrand geben den Takt an und je nachdem, ob ihr euch fürs Spielen der Hauptmelodie oder für die rhythmische Begleitung entschieden habt, spielt ihr eure Töne. Optional lässt sich einblenden, wann genau der Ton in der Originalversion kommt, aber das dient nur als Hilfe, nicht als Kontrolle. Denn letztendlich kann der Spieler immer völlig ungestraft alles machen, was er möchte. Das Original ist wieder nur eine Baustelle, auf der dann irgendetwas aufgebaut wird, entweder mit dazu gedichteten Noten, eingesparten Tönen, anderem Takt, anderer Notenverteilung oder mit sonstigen künstlerischen Ergüssen.

Meistens agiert Wii Music dabei sehr geschickt. Wie bereits erwähnt, hat der Spieler nur direkten Einfluss darauf, WANN irgendein Ton kommt, nicht aber, WELCHER Ton das wird. Dafür ist die Software zuständig und sie organisiert es bei dazu gedichteten Passagen in den Stücken so, dass immer Töne aufeinander folgen, an die das menschliche Ohr aus dem täglichen Radio- und Musikkonsum gewöhnt ist. Die Töne kommen nicht einfach per Zufallsprinzip aus den Boxen, sondern werden so berechnet, dass sie sich harmonisch anhören und das sind, was der Spieler unterbewusst erwartet. Wenn man allerdings völlig aus dem Takt gerät und nur noch irgendetwas spielt, kann das Spiel auch nicht mehr helfen und dann hört sich alles absolut grauenhaft an.
Die Computer gesteuerten Hintergrundmusiker sind dabei flexibel genug, um annehmbar auf euer Spiel zu reagieren und leiser, lauter, schneller oder langsamer zu werden.
Letztendlich kommt also irgendeine besondere oder nachgespielte Version des bekannten Stücks zustande. Um neue Inhalte freizuspielen, muss das „Kunstwerk“ nun gespeichert werden. Es wird dazu schnell ein Cover mit verschiedenen Mii-Figuren vor einem bunten Hintergrund entworfen und dann geht der Clip in die Bibliothek, wo man ihn immer wieder ansehen oder auch per Nintendo Wi-Fi-Connection an Freunde versenden kann.
Mehrgenerationen-Multiplayer-Konzert-Partys
Das Ganze geht alleine recht gut, wenn der Computer mithilft. Kein Vergleich ist das einsame Controllerwackeln im Sessel aber zu Mehrspieler-Konzerten, an denen bis zu vier Spieler teilnehmen können. Ist das sehr einfache Spielprinzip erläutert und die Gesellschaft darauf eingestellt, dass sie eigentlich mit dem Song machen kann, wie sie will, geht es los. Wenn jeder für sich spielt, kann natürlich nichts Anständiges dabei herauskommen. Deswegen ist schon eine gewisse Absprache nötig, wann alle plötzlich aufhören zu spielen und nur einer ein Solo zum Besten gibt, wann ein akzentuierter Paukenschlag kommt und wann bestimmte Töne verdoppelt werden. Bekommt die Spielgruppe das alles gut und in Harmonie hin (was keine Selbstverständlichkeit ist), kann tatsächlich etwas Ansehnliches bzw. Anhörliches dabei entstehen und man wird die eigene Interpretation des Stückes gerne speichern und sich vielleicht noch einmal anhören.
Es gibt allerdings immer – sei es nun im Multiplayer- oder im Singleplayer-Modus - eine wichtige Voraussetzung dafür, dass man mit Wii Music Spaß haben kann: Man darf kein Gameplay erwarten. Wii Music ist nicht mehr als ein Sound-Editor, in dem man mit eigener Interaktion durch Bewegungen Stücke modifizieren und verändern kann. Wer genug Geduld hat, einen Song fünf Mal hintereinander mit verschiedenen Instrumenten zu spielen, um letztendlich alles zusammen zu setzen und dann abzuspeichern, kann mit Wii Music durchaus seine Freude haben und letztendlich stolz auf „sein“ Werk blicken. Alle anderen erkennen aber, dass Wii Music nur und ausschließlich aus Controllerschütteln besteht. Immer. Und dadurch kann es nicht durch sein Gameplay überzeugen wie Wii Sports und auch nicht durch seine neuartige Steuerung wie Wii Fit, es ist keine Simulation und es ist auch kein Rhythmus- oder Musikspiel. Wer über den Kauf von Wii Music nachdenkt, muss sich darüber bewusst sein.
Selbst für Casuals zu Casual?
Im Vergleich zu Wii Music sind Wii Sports und Wii Fit also beinharte Hardcore-Games – nach den Fitnessübungen werden Punkte verteilt und bei Wii Sports gibt es sogar so etwas wie Konkurrenzkampf! In Wii Music völlig undenkbar.
Einen Hauch von herkömmlichem Spiel findet man aber trotzdem. In einer Spielsektion gibt es Musik-Minispiele. Hier werden zum Beispiel in verschiedenen Levels und Schwierigkeitsgraden Höraufgaben gestellt wie „Finde das Mii mit dem höchsten Ton“ und am Ende gibt es sogar – man glaubt es kaum – eine Punktzahl. In dem entsprechenden Minispielbereich findet sich auch das von der E3 2006 bekannte Dirigentenspiel (gähn, das besteht wirklich nur aus Controllerwackeln, das nicht einmal optimal erkannt wird) und eine Art Rhythmusspiel, bei dem im Takt die Glocken geklingelt lassen werden.

Das war es allerdings auch schon und ansonsten gibt es nur noch den Schlagzeugsimulator von der E3 mit dem Balance Board. Wie allerdings schon im Juli in unserem Preview geschrieben, ist er einfach nutzlos, weil die Töne nicht durch Bewegungsrichtungen bestimmt werden, sondern durch unkoordinierte Knopfdrücke und letztendlich alles in einem ewigen Gehampele endet.
Die Songs in Wii Music sind durchweg auf Casual und Familie getrimmt. Nintendo hat großen Wert darauf gelegt, dass wirklich jedermann die bekannten Melodien von O Tannenbaum oder Morgen kommt der Weihnachtsmann kennt – dadurch wird aber auch in Kauf genommen, dass das Ganze völlig altbacken wirkt und sich dadurch fast peinlich beschämt in die Ecke stellen muss im Vergleich zu dem, was andere Musikspiele heutzutage an Lizenzpracht und Klangqualität bieten können. Ganz ehrlich: Hat irgendjemand, der nicht gerade noch sehr jung ist, heutzutage Lust dazu, eine ganz besondere, ganz eigene und ganz künstlerisch wertvolle Neuinterpretation von O Tannenbaum zu erschaffen…? Und das alles dann auch noch in Midi-Qualität…
Letztendlich bleibt eine Software, die von großen musikalischen Freiheiten spricht, letztendlich aber doch mehr Beschränkungen gibt, als sie selbst vielleicht weiß. Die einzige Spielmotivation liegt in dem Freischalten von neuen, teils verrückten Instrumenten und im Sammeln von neuen Stücken. Irgendwann wird sich aber selbst der unerfahrenste, casualigste Videospieler fragen: „Warum sollte ich mich denn jetzt zum x-ten Mal vor den Fernseher stellen und mit den Armen wackeln, um mir den Flohwalzer anzuhören?“. Wii Music bietet wegen des fehlenden Gameplays nur geringen Anreiz zum Weiterspielen und bleibt somit hinter Wii Sports und Wii Fit weit zurück.
Fazit: Wii Music wurde von vielen heftig verurteilt: vielleicht zu Recht. Es ist kein herkömmliches Videospiel, es bietet kein wirkliches Gameplay und es ist nicht mehr als ein Kasten aus Bauklötzchen, die ordentlich aufzubauen erst einmal einige Disziplin erfordert. Sich als Tester des Spiels aber dadurch aus der Affäre zu ziehen, dass man schlicht gar keine Wertung gibt, wäre zu einfach: Denn Wii Music hat bestimmte Ziele, die es erreichen will. Und eine Endwertung muss bestimmen, ob und wie gut diese Ziele erreicht wurden.
Nintendos Pläne mit Wii Music hören sich in der Theorie tatsächlich interessant und ehrbar an: Stücke arrangieren, inszenieren und eigenständig mit persönlicher Note interpretieren. Musik soll hier nicht einfach nachgestellt werden wie bei Guitar Hero & Co, sondern sich frei nach dem eigenen Geschmack auf den Bildschirm ergießen. Doch wenn man sich anschaut, wie das funktioniert, findet man im Kern nur emotionsloses, rhythmisches Controllerschütteln vor und leidet an völliger Machtlosigkeit beim Spielen von Noten. Der Spieler hat einzig die Macht darüber, wann irgendein Ton gespielt wird, den Rest nimmt ihm das Spiel ab. Damit ist der Titel eher für die musikalische Früherziehung von Kindern geeignet als für das Videospielregal, weil es einfach keinen Anreiz vom Spielprinzip oder vom Gameplay her bietet wie die Vorgänger von Nintendo. Wii Music ist nur für diejenigen empfehlenswert, die sich schon im Voraus darüber bewusst sind, was sie bei diesem sehr unkonventionellen Titel erwartet und die damit auch vollends einverstanden sind – sie bekommen kein vorgegebenes Spielprogramm, sondern einen Baukasten, mit dem sie sich dann selbst beschäftigen müssen.
Von Tim Herrmann
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| Wertung für das Spiel Wii Music | |
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| 7.0 | Grafik Mit gewohnten Riesen-Schaltflächen für die Neulinge, angenehm bunter Präsentation mit ein paar netten Effekten und ausgefeilter Mii-Darstellung erfüllt Nintendo seinen Sold und bietet sicherlich keine Grafik-Bombe, schmeißt den Kunden aber auch keinen Pixelklumpen vor die Füße. | |
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| 7.2 | Sound Die Songauswahl ist sehr altbacken und schon fast zu allgemein, um überhaupt irgendjemandem wirklich zu gefallen. Dass Nintendo sich technisch mit Midi immer noch im Gestern aufhält, hilft ebenfalls wenig. Dafür bieten die Songs für jeden Geschmack irgendetwas und die große Anzahl an Instrumenten motiviert zum Ausprobieren. | |
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| 5.8 | Steuerung Null Innovation wie von Nintendo eigentlich von früheren Casual-Titeln gewohnt, dafür nur nutzloses Rauf- und Runterschlagen und Controllerschütteln, das sich nach WiiMotion Plus sehnt, um etwas mehr Substanz zu bekommen. Manchmal funktioniert die Bewegungserkennung nicht einmal richtig. | |
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| 4.5 | Gameplay Praktisch nicht vorhanden. Die einzige Spielmotivation kommt vom Freischalten neuer Inhalte, alles andere überlässt Wii Music dem Spieler. Die Steuerung ist auf Dauer langweilig und das Konzept beschränkter, als es selbst denkt. Es erlaubt kein Musizieren, sondern lediglich ein Arrangieren der Songs. Dafür gefallen die Möglichkeiten des Anlegens eines Archivs und die teils potentiell witzigen Multiplayer-Modi. | |
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| 6.5 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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