Review von Andreas Held (mail) | 27.10.2008
Spieletester oder hartgesonnete Sammler haben des Öfteren das Vergnügen, ein Spiel kennen zu lernen, das sie sonst niemals besessen hätten. Umso schöner ist es, wenn sich der völlig unbekannte Titel dann auch noch als gutes Spiel entpuppt und man danach zu einer kleinen Randgruppe von Spielern gehört, die zum Beispiel wissen, dass 102 Dalmatiner auf der Sega Dreamcast ein sehr brauchbares 3D-Jump'n'Run ist oder man das NES-Spiel Ufouria wärmstens empfehlen kann. Genauso ergeht es wohl denjenigen, die aus irgendeinem Grund das - etwas konfus betitelte - G1 Jockey Wii 2008 in den Händen halten. In Japan erfreut sich die seit acht Jahren existierende G1 Jockey-Serie nämlich durchaus einiger Beliebtheit, was bei einem minderwertigen Stück Software wohl eher nicht der Fall wäre. Die Rennpferdsimulation bietet einiges an Spieltiefe, die man dem Titel nicht unbedingt zutrauen würde. Nachdem Pferdespiele vor allem durch Ubisofts "Abenteuer auf dem Reiterhof" auch in Europa populär wurden, versucht KOEI mit der in Japan etablierten Serie nun im Westen daran anzuschließen. Dass sie hierzulande wohl niemals auch nur annähernd an den Erfolg von Zelda oder Super Smash Bros. heranreichen können, dürfte klar sein, aber umso privilegierter dürfen sich die fühlen, die dem Titel tatsächlich eine Chance geben.
Übung macht den Meister
Beim Start von G1 Jockey Wii 2008 hat man im Prinzip keine andere Wahl, als direkt in den Storymodus zu springen - als Alternative gibt es nur einen simplen Rennmodus, der eher für Multiplayer-Duelle gedacht ist. Im Story-Mode angekommen, wird man erstmal erschlagen von einem riesigen Tutorial, das aus sehr viel Text, Trainingsaufgaben sowie ein paar Demovideos besteht. Viel sinnvoller als das Durchwühlen der Texte ist jedoch einfaches Herumprobieren.
Die Story beginnt damit, dass ein vom Spieler selbst erstellter Charakter einen Monat vor seinem Abschluss an einer Reitakademie steht, die speziell Führer von Rennpferden ausbildet. Der letzte Monat besteht dabei aus vier Wochenenden, an denen jeweils ein Rennen stattfindet, das völlig ohne Konsequenzen bleibt. Wer sich kurz die Tastenbelegung ansieht, kann also einfach kopfüber in das erste dieser Rennen reinspringen und sein Glück versuchen. Nachdem man dann wahrscheinlich als letzter ins Ziel kommt, gibt es ein paar Tipps von den Reitlehrern und bei Bedarf können gewisse Abläufe in den Tutorials geübt werden. G1 Jockey ist definitiv eine recht knackige Simulation, aber der Spieleinstieg wurde hier wirklich sehr gut gelöst: Statt Ewigkeiten in obligatorischen Tutorials verbringen zu müssen, kann man sofort loslegen und sich die Finessen der Spielmechanik erst nach und nach aneignen.

Auch nach dem Abschluss der Akademie geht es langsam weiter. Nach dem letzten Proberennen wird der Spieler mit dem Besitzer eines (im wahrsten Sinne des Wortes) Rennstalls vertraut gemacht. An jedem weiteren Wochenende finden nun auf drei Rennstrecken jeweils sieben Rennen pro Tag statt, also insgesamt stattliche 42 Rennen, und zu Beginn ist es die Aufgabe des Spielers, mit den Besitzern der Ställe zu verhandeln, um ein Pferd gestellt zu bekommen und auf diese Weise am Geschehen teilnehmen zu können. Auch hier folgt weiterhin nach jedem Rennen eine kurze Beurteilung, bei der die Besitzer der Pferde kritisch, aber auch realistisch sind. Wenn man also mit dem schwächsten Pferd im Feld einen Platz unter den ersten Zehn herausholen konnte, kann es durchaus vorkommen, dass sich euer Mentor noch erfreut darüber zeigt, wie viel ihr aus dem Pferd herausholen konntet. Auf der anderen Seite dürfen aber keine Fehler auf starken Pferden passieren, da ein fünfter Platz mit einem Pferd, das fast sicher unter die ersten drei gekommen wäre, eine herbe Enttäuschung darstellt. Je nach der Leistung des Spielers verbessern sich die Beziehungen zu den Leitern der Ställe und nach entsprechenden Erfolgen kann man damit rechnen, dass andere Personen auf die Spielfigur zukommen, weil sie auf der Suche nach fähigen Reitern sind. Auf diese Weise arbeitet man sich dann immer weiter die Karriereleiter hoch, bis man schließlich an den legendären G1-Rennen teilnehmen darf und um den Award zum besten Jockey des Jahres kämpft.
Das einzige echte Problem von G1 Jockey 2008 ist der absolut unausgewogene Schwierigkeitsgrad. Das Spiel bietet drei Einstellungsmöglichkeiten, die mit "Normal", "Schwer" und "Experte" benannt sind, eigentlich jedoch "Spaziergang", "Sehr Schwer" und "Noch Schwerer" heißen müssten. Auf dem normalen Setting wird man sehr schnell selbst mit schwachen Pferden das Feld konstant hinter sich lassen und mutige Zocker auf den Zuschauerrängen mit dem Hundertfachen ihres Wetteinsatzes beglücken - doch bereits auf der nächsten Schwierigkeitsstufe muss man schon alle Finessen kennen, um überhaupt eine Chance auf den Sieg zu haben, und auf "Experte" erscheint alles außer einem letzten Platz völlig unmöglich.
Wer gemächlich auf Normal spielt, wird spätestens nach dem Erhalt eines eigenen Pferdes ebenfalls sein blaues Wunder erleben. Recht früh erhält man nämlich vom Stallbesitzer ein Jungpferd, das dann einige Monate trainiert werden darf, bevor es auf die Rennstrecke gelassen wird, wo seine Fähigkeiten weiter verbessert werden. Eigentlich sollte es der motivierendste Aspekt des Spiels sein, die Entwicklung eines eigenen Pferdes mitzuerleben, doch die Anforderungen in den Trainingseinheiten sind so mörderisch schwer, dass sich wohl nur die wenigsten Spieler auch nur einen einzigen Erfahrungspunkt für ihr Pferd erarbeiten können werden. In den Trainingseinheiten geht es z.B. darum, eine vorgegebene Rundenzeit auf wenige Zehntelsekunden genau zu treffen oder über einen längeren Zeitraum hinweg exakt parallel zu einem anderen Pferd zu reiten, was sich als schier unmöglich herausstellt. Das frustrierende Ergebnis ist, dass man am Ende mit einem völlig untrainierten Gaul dasteht, der auf der Rennbahn keine Chance hat, und deshalb gezwungen ist, weiter bei Leihpferden zu bleiben.
Wie man richtig reitet
Während eines Rennens gilt es, auf insgesamt vier Faktoren zu achten: Geschwindigkeit, Motivation, Ausdauer und Potential des Pferdes. Die beiden ersteren sind dabei die einzigen Werte, auf die man direkten Einfluss nehmen kann: Je nach Steuerungsschema gibt man seinem Pferd bestimmte Kommandos, die es zum Beschleunigen oder Abbremsen bewegen, und das wirkt sich auch auf dessen Motivation aus. Gerade zum Ende eines Rennens hin ist es außerdem ratsam, das Pferd mit Peitschenhieben zu "motivieren", um einen Endspurt hinlegen zu können. Die Ausdauer ist derweil recht selbsterklärend und nimmt proportional zur angepeilten Geschwindigkeit ab. Das Potential des Pferdes ist dagegen sicherlich der interessanteste Faktor und auch der, aus dem G1 Jockey seine Spieltiefe schöpft.

Jedes Pferd hat seine Eigenheiten, was den Rennstil angeht. Den einen ist es lieber, sich von Beginn an auf die erste Position zu setzen, um den Vorsprung trotz eines etwas schwächeren Schlusspurts nicht einbüßen zu müssen. Andere befinden sich lieber im vorderen oder hinteren Mittelfeld, während sich eine letzte Gruppe die Ausdauer aufsparen muss, um dann auf der Zielgeraden das Feld von hinten aufzuräumen. Je näher man sich während des Rennens an der idealen Position befindet, desto mehr Potential sammelt sich während der ersten Phase des Wettbewerbs. Zum Einsatz kommt dieses dann beim Schlusspurt: Ist die Ausdauer eines Pferdes ausgeschöpft, wird danach noch das Potential aufgebraucht, und erst wenn auch dieses erschöpft ist, wird das Tier langsamer. Es liegt also am Spieler, sich möglichst früh eine gute, zum Pferd passende Position zu suchen, um dann auf der Zielgeraden länger durchhalten zu können. Wer dabei völlig daneben liegt, hat auch auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad keine Chance, sich durchzusetzen. Angereichert wird das Spiel noch mit einigen Finessen - z.B. kann während des Rennens jederzeit bestimmt werden, welches Vorderbein des Pferdes stärker belastet werden soll. Durch geschickte Wechsel können damit noch ein paar Sekundenbruchteile herausgeholt werden, die auf den höheren Schwierigkeitsgraden auch tatsächlich entscheidend sind.
Halb gelungene Wii-Anpassung
Was die Steuerungsmöglichkeiten angeht, hat G1 Jockey auf Wii fast schon Vorbildcharakter, denn hier ist wirklich für jeden was dabei: Wer es ganz innovativ haben will, kann das Wii Balance Board anschließen und sein Pferd über Gewichtsverlagerungen steuern - was in der Umsetzung viel sinnvoller ist, als es sich anhört, da auch echte Jockeys eher im Sattel stehen, als zu sitzen. Wer kein Balance Board zur Hand hat, kann natürlich auch auf eine klassischere Bewegungssteuerung umschalten, bei der die Gewichtsverlagerungen durch Neigungen des Nunchuks ersetzt werden. Wer auch darauf keine Lust hat, kann auf eine reine Knopfsteuerung umschalten, bei der nur noch zum Schwingen der Peitsche die Remote geschüttelt werden muss. Diese Option hätte man sich sicherlich bei sehr vielen anderen Spielen gewünscht, die dem Spieler stattdessen eine unpassende Bewegungssteuerung aufzwingen. Bei jeder Einstellung kommt das Gefühl, ein Pferd zu dirigieren, sehr glaubwürdig rüber und es gibt schon deutliche Unterschiede zu virtuellen Autos, die mit Lenkrad und Pedalen bedient werden. Die Pferde steuern sich wie in der Realität wesentlich indirekter, was einen großen Teil der Herausforderung des Spiels ausmacht, sind jedoch nie außer Kontrolle.
Technisch merkt man dem Titel dabei jedoch leider an, dass es sich um die Portierung der auch 2008 noch existierenden PS2-Version handelt. Die Umgebungsgrafiken können ihre Herkunft nicht ansatzweise verleugnen und die Pferde sehen zwar recht gut aus, lassen den fehlenden 480p-Modus aber ebenfalls deutlich erkennen. Tatsächlich gibt es nicht mal einen Widescreen-Modus, sodass Besitzer von moderneren TV-Geräten mit einem stark in der Breite verzerrten Bild konfrontiert werden, was heutzutage schon als armselig bezeichnet werden muss. Auch beim Soundtrack werden sich definitiv die Geister scheiden, denn obwohl das Spiel optisch recht realistisch daherkommt, scheint die Musik direkt aus einem Anime zu entstammen. Die japanische Trance-Musik ist nicht jedermanns Sache und bei diesem Titel definitiv sehr unpassend. Ebenfalls enttäuschend ist das komplette Fehlen einer Stadionatmosphäre - die Anwesenheit eines Publikums bemerkt man nicht mal.
Fazit: G1 Jockey Wii 2008 ist im Gegensatz zu den meisten Titeln, die Pferde in den Mittelpunkt stellen, kein Casual-Game für kleine Mädchen, sondern eine harte Simulation, die sich an erwachsene, erfahrene Spieler richtet. Jüngere Zocker werden definitiv damit überfordert sein, Geschwindigkeit, Ausdauer, Motivation und Potential des Pferdes gegeneinander abzustimmen, und werden selbst auf dem leichtesten Schwierigkeitsgrad spätestens bei den mörderisch schweren Trainingsaufgaben nicht mehr wissen, wie ihnen geschieht. Wer sich darauf einlässt, bekommt hier einen überraschend tief gehenden, umfangreichen und motivierenden Titel geboten und kann davon profitieren, dass die Serie in Japan bereits seit acht Jahren weiterentwickelt und verbessert wird. Eine wirklich hohe Wertung wird nur durch die Grafik und den unausgewogenen Schwierigkeitsgrad verhindert - ansonsten ist der Titel für experimentierfreudige Spieler, die sich der Thematik öffnen können, sogar definitiv einen Blick wert. Mich hat der Titel jedenfalls sehr positiv überrascht und jegliche Vorurteile, die Ubisoft zusammen mit ein paar anderen Firmen gegenüber Spielen mit Pferden auf dem Cover aufgebaut hat, sehr schnell über den Haufen geworfen.
Von Andreas Held
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| Wertung für das Spiel G1 Jockey Wii 2008 | |
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| 5.8 | Grafik PS2-Optik, die an sich OK ist, denn die Pferde sehen ganz gut aus. Der komplett fehlende Widescreen-Modus beschert einigen Spielern ein verzerrtes Bild. | |
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| 5.6 | Sound Die Musik besteht aus Japan-Techno, der zwar nicht schlecht ist, aber so gar nicht zum realistischen Stil des Spiels passen will. Sprachausgabe und Stadionatmosphäre fehlen komplett. | |
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| 8.7 | Steuerung Die verschiedenen Einstellmöglichkeiten haben Vorbildcharakter und decken von Knopfsteuerung bis Balance-Board-Steuerung alles ab. Die Verteilung der Kommandos ist bei allen Möglichkeiten sehr gut gelöst und geht leicht von der Hand. | |
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| 8.2 | Gameplay Ein umfangreicher Karrieremodus mit vielen motivierenden Elementen, der jedoch etwas vom unausgewognenen Schwierigkeitsgrad beeinträchtigt wird. Wer trotz teils sehr happiger Anforderungen die Zähne zusammenbeißt, könnte hier über Wochen beschäftigt sein. | |
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| 7.9 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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