Review von Tim Herrmann (mail) | 03.07.2008
Das Brettspiel: die Mutter aller Casual-Games. Die ganze Familie kann sie spielen, sie sind super einsteigerfreundlich und die Steuerung geht so leicht von der Hand wie kaum etwas anderes. Schach, Dame, Reversi und Co. sind Klassiker der Spielegeschichte und wurden spätestens mit „42 Spieleklassiker“ auf dem Nintendo DS auch von der Videospielindustrie entdeckt – Stichwort Gelegenheitsspiel, denn diese verkaufen sich bekanntlich gut und verhelfen der Konsole zu einem einsteigerfreundlichen Image. Die Spielesammlung für den Nintendo DS beinhaltete dabei nicht nur die altbekannten Brettspiele wie Schach usw., sondern bot darüber hinaus noch einiges, was man vielleicht noch nicht kannte, und setzte dem Ganzen auch noch zusätzliche Features wie Online-Modi auf.
XPlosiv hat nun Blut geleckt und zusammen mit Valcon und Mere Mortals (dessen verhältnismäßig gruseliges und dunkles Titellogo übrigens im Vorspann geradezu großartig in den familienfreundlichen Casual-Titel passt) eine Sammlung an Brettspielen für Wii entwickelt, die sogar ultimativ sein soll: Die Ultimative Brettspiele Sammlung! Ultimativ? Das schreit ja geradezu nach einem Test!
Das ultimative Grauen
Nach dem, wie gesagt, sehr atmosphärischen Logo von Mere Mortals wird der Spieler in das Hauptmenü des Titels geworfen und kann gleich beginnen. Links: Optionen (Musiklautstärke verstellen etc.), Rechts: Highscores. In der Mitte: die Spiele, unterteilt in drei Kategorien. Da gibt es zum einen den „Klassischen Modus“ - hier finden sich Schach, Dame, Reversi und Backgammon. Im „Strategischen Modus“ gibt es Vier Gewinnt, Gomoku, Mahjong und Sudoku und zu guter letzt findet sich noch der Familienmodus, in dem munter gepuzzelt werden darf. Außerdem kann man in diesem Modus Schiffe versenken, Worte suchen und Halma spielen. Zwölf „Brett“spiele also. Das ist fast ein Viertel von dem, was 42 Spieleklassiker auf dem Nintendo DS für denselben Preis geboten hat. Und so ist die Daseinsberechtigung der Ultimativen Brettspiele Sammlung auch schon fast wieder verflogen, denn somit kostet jedes der Spiele für sich allein genommen fast 2,50 Euro. Davon einmal abgesehen, dass Schach, Backgammon, Halma und Dame wohl sowieso bei jedem noch irgendwo im Schrank liegen, Sudoku sich jeden Tag in zehn Zeitungen befindet und dort auch wesentlich besser spielbar ist (Stichwort: Notizen). Hinzu kommt noch, dass das Puzzle-Spiel mit sich bewegenden Puzzle-Teilen sowieso vollkommen misslungen ist.
Aber der Entwickler wirbt immer noch damit, dass es ja ein unbegrenztes Spielvergnügen durch eigens erstellbare Untergründe, Spielsteine und Regeln gibt. Zunächst ein Wort zu den Hintergründen, die Bildschirmschonercharakter haben und auf denen dann das transparente Spielfeld liegt: Manchmal schwimmt ein Hai durchs Bild, manchmal fliegt ein Flugzeug, manchmal flackert einfach irgendwas und manchmal sieht man „abgespacete“ Farben im Hintergrund. Kurzum: Die Ultimative Brettspiele Sammlung bringt ihren Spielern bei, wie groß die Vorteile eines Spielbretts eigentlich sind, das auf einem einfachen, still da liegenden und unbeweglichen Teppichboden in der eigenen Wohnung liegt…
In Hinsicht auf die Regeln hat man wohl auch noch nie von einem Brettspielhersteller gehört, der seine Kunden verklagt hat, weil sie sich nicht an die Spielregeln gehalten haben. Von daher stellt es auch im echten Leben kein großes Hindernis dar, beim Vier-Gewinnt einfach auf Drei-Gewinnt umzusteigen. Dafür braucht man keine Ultimative Brettspiele Sammlung.
Die nächste Disziplin, die die Brettspiele Sammlung von XPlosiv gegen die Realität verliert, ist die Optik. Denn ein Schachbrett mit Plastikfiguren sieht deutlich besser aus, als der Pixelbrei, der euch beim Spielen über den Bildschirm flackert. Und die runden Chips beim echten Vier-Gewinnt oder die Reversi-Steine sind auch sehr viel runder als die virtuellen Versionen. Außerdem kann man echte Puzzle-Bilder signifikant besser erkennen und zusammensetzen, wenn sie nicht 10 X 10 Zentimeter groß als Vorlage auf dem Bildschirm flimmern.
Auch die Gravitation kann manchmal ein echter Segen sein, denn auf unserer schönen Erde liegen die Spielbretter bekanntlich einfach still auf dem Boden und fläzen sich nicht dynamisch in der Schräglage auf fürchterlich bunten Untergründen. So geschieht es nämlich im Videospiel, wodurch es mit dem Pointer der Wii-Fernbedienung zunehmend kniffliger wird, in die hinteren Reihen eines Feldes zu gelangen, wenn diese perspektivbedingt immer kleiner werden.
Technik, die zum Weinen bringt
Dass die Musik des Spiels wohl sogar bei einem Bewerbungsgespräch um einen Posten als Fahrstuhlmusik durchfallen würde, muss hoffentlich nicht mehr ausschweifend erwähnt werden: Nerviges Gedudel im Hintergrund malträtiert die Ohren mit dem immer gleichen Musikstück und der einzige Soundeffekt ist ein Klicken aus der Wii-Fernbedienung oder aber ein „Swush“, wenn man irgendeinen Stein gesetzt oder eine Schaltfläche angeklickt hat.
Wer nun für die Ultimative Brettspiele Sammlung plädiert und sich durch die Virtualität und Digitalität wenigstens von Aufbauzeiten befreit sieht, der sei auf die fünfsekündigen Ladezeiten verwiesen, die jedes noch so nichtige und anspruchslose Spiel vor sich sieht. Und auch Multiplayer-Spaß kann natürlich nicht aufkommen, wenn man erst einmal vier Wii-Fernbedienungen anmelden oder den Controller ununterbrochen durch die Gegend reichen muss. In dieser Hinsicht ist es wieder sehr viel einfacher, sich um das Spielbrett zu setzen und Würfel oder Ähnliches weiterzureichen. Dieser eckige „Controller“ mit den sechs Seiten erfordert keinen Druck auf den 1- und 2-Knopf, will nicht den Namen des Spielers wissen und interessiert sich auch nicht für den bisherigen Punktestand. Der Einzelspielermodus gegen den Computer fühlt sich unterdessen übrigens genau so spaßig an, als wenn man ohne einen Partner Fangen spielt.
Fazit: Kurzum: Wer glaubt, dass man bei einer Brettspielesammlung eigentlich nicht viel verkehrt machen kann, irrt sich gewaltig: Man kann praktisch alles falsch machen. Allein schon die Idee zu einem solchen Konzept ist ein Fehler, wenn man nicht das Grundkonzept eines „42 Spieleklassiker“ aufgreift. Dieser Titel hat zig Spiele aus allen Bereichen geboten, einen anständigen Multiplayer mit Online-Features und Langzeitspaß an vielen exotischen Spielen. Die Ultimative Brettspiele Sammlung aber ist nichts von dem: Sie ist klein, umfangsarm, hässlich, hört sich nicht gut an, wurde einfach schlampig und ohne Nachdenken programmiert und ist der Realität und jedem herkömmlichen Brettspiel einfach in jedem Belang unterlegen.
Aber kurz nachdem dieser Satz geschrieben worden ist, konnte der Titel doch noch mit einer Aussage auf der Rückseite der Verpackung glänzen: „So verlierst du nie wieder deine Spielsteine!“, heißt es da.
…
Ja, das stimmt wohl… Und somit kann man die Ultimative Brettspiele Sammlung mit ganz viel, gut christlichen Willen vielleicht als eine Art Edel-Spielstein bezeichnen, der nicht so leicht verloren geht und insgesamt dreißig Euro kostet.
Von Tim Herrmann
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| Wertung für das Spiel Die Ultimative Brettspiele Sammlung | |
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| 1.8 | Grafik Das Spiel bietet keinerlei optische Highlights und sähe auf dem Nintendo DS noch besser aus. Es setzt keinerlei Anstrengungen daran, ein paar schöne Effekte oder außergewöhnliche Stile zu zaubern, sondern orientiert sich an der Realität und scheitert daran kläglich wegen pixeliger Modelle, unschöner Hintergründe und ungeschliffener Menüs. | |
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| 1.7 | Sound Ewig gleiches Gedudel im Hintergrund, das schon nach sehr kurzer Zeit fürchterlich auf den Nerven marschiert und nur durch Abschalten besser wird. Die Soundeffekte sind Klack-Laute. | |
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| 4.5 | Steuerung Im Prinzip gibt es hier nicht viel auszusetzen, aber die teils ungünstige Blickperspektive erschwert die Steuerung und Besonderheiten in der Kontrolle des Spiels gibt es zu keinem einzigen Zeitpunkt, sodass es auch hier wieder einfacher wäre, eine Spielfigur einfach mit der Hand aufs Spielfeld zu setzen, als sie mit dem Pointer irgendwo hinzuziehen. | |
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| 2.3 | Gameplay Die klassischen Spielprinzipe können nichts dafür, hier so lieblos umgesetzt worden zu sein und funktionieren teilweise immer noch in Ansätzen. Allerdings gibt es keinerlei Grund, beispielsweise Dame auf Wii zu spielen, weil es auf einem echten Schachbrett wesentlich besser funktioniert – was auch bei allen anderen Disziplinen der Fall ist. | |
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| 1.4 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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