Review von Tim Herrmann (mail) | 22.06.2008
Spätes 2006 / frühes 2007: Wii ist überall auf der Welt gerade frisch auf dem Markt und die neu eingeführte Bewegungssteuerung macht Schlagzeilen. Allerdings nicht durch ihren neuen Grad an Interaktivität, sondern durch Fernbedienungscontroller, die in Plasma-TVs, Fensterscheiben, Möbeln, Wänden, Haustieren oder Mitbewohnern stecken. Als verheerende Wurfgeschosse fliegen die Wii-Remotes durch vorwiegend amerikanische Haushalte und werden bald darauf mit stärkeren Handgelenksschlaufen ausgestattet. War das vielleicht die Inspiration für die Professional Darts Corporation (PDC), ihre Lizenz an den Entwickler Oxygen Games zu verkaufen? Oder war es Oxygen Games selbst, das sich bei den hervorragenden Flugeigenschaften von Nintendos neuem Controller gleich an den Darts-Sport erinnert fühlte?
Man weiß es nicht. Doch in unserem Test wollen wir für euch klären, ob man bei diesem sportlichen Lizenztitel die Fernbedienung am liebsten gleich wieder in den Fernseher schmeißen würde oder ob PDC World Championship Darts vielleicht direkt ins Bull’s Eye trifft.
„Na toll…“, denkt man sich vielleicht, „ein Darts-Spiel.“ Dart, das ja laut dem Volksmund neben einem Party-Zeitvertreib eigentlich nur ein Sport für beleibte Männer ist, die nichts als geschickte Handgelenke haben – was soll das für ein Videospiel werden? Doch Oxygen ist zuversichtlich, schließlich hat man laut Text auf der Rückseite der Verpackung „16 PDC Spitzenprofis, eine realistische KI und sorgfältig zugeschnittene Wurfstile der Profis“ in das Spiel integriert. Außerdem soll die „sorgfältig ausgearbeitete und intuitive Steuerung" sowie die "komplette Grafikverbesserung“ die Spieler überzeugen. Spätestens bei letzterem Punkt wird der Wii-Fan hellhörig: Ein Lizenzspiel von einem nicht unbedingt namenhaften Entwickler, das mit guter Grafik UND einer ausgearbeiteten Steuerung glänzen will? Na, das schreit ja geradezu danach, einmal näher überprüft zu werden.
Von Mimik und Plastik
Rein also ins Hauptmenü und einen Blick auf die vier verfügbaren Spielmodi geworfen: Schaukampf, Turnier, Karriere oder Partyspiele. Für den schnellen und fundierten Ersteindruck wird natürlich erst einmal der Schaukampf gewählt. Es wird ein Spieler ausgesucht (natürlich ist zunächst der Weltranglistenerste mein Pate), dann ein Schauplatz zum Pfeile-an-die-Wand-Schmeißen und los geht es. Zunächst hängt noch das Nunchuk an der Wii-Fernbedienung und das Spiel beschwert sich auch nicht darüber. Die beiden Spieler marschieren in einer kleinen Vorsequenz in die Arena und die Hälfte des Bildschirms wird dann mit einer Dartscheibe bedeckt. Relativ nachvollziehbar geht es los: Der Pointer der Wii-Fernbedienung dient zum Zielen. Und jetzt? Der B-Knopf verändert lediglich den Blick auf die Dartscheibe aber ansonsten ist es zunächst unergründlich, wie man den Pfeil auf den Filz befördern kann. Erst später erfährt man in der Anleitung – und nicht durch ein Tutorial – dass bei dieser Steuerungsvariante der Control-Stick zurückgezogen werden muss, um Kraft zu sammeln: etwas umständlich und eher weniger realistisch. Also dann noch ein Versuch ohne Zusatzcontroller und diesmal wird sogar freundlicherweise erklärt, wie die Steuerung nun funktioniert: Zunächst soll wieder gezielt werden, dann wird mit dem A-Knopf fixiert und die Wii-Remote „wie ein Dartpfeil“ geschwungen. Das Geschoss sollte beim Loslassen (des Knopfes!) dann fliegen. Tut es auch. Allerdings in irgendeine Richtung, die anscheinend zufällig ausgewählt ist. Erst später bekommt man mit, dass man den Controller weiter nach unten schwingen muss, damit der Dartpfeil einigermaßen geradeaus fliegt. Höchstens ansatzweise ähnlich zum echten Dartwurf und manchmal ist es immer noch nicht ganz nachvollziehbar, wieso ein perfekt gerader Schwung letztendlich doch nicht dorthin führt, wo man den Pfeil haben wollte.
Damit wäre also das Kapitel „sorgfältig ausgearbeitete und intuitive Steuerung“ abgearbeitet. Die Kontrolle mit dem Nunchuk ist nicht intuitiv und die Steuerung mit der Wii-Remote funktioniert zwar mit ein paar Tricks, Hintertürchen und Kniffen, ist aber kaum sorgfältig ausgearbeitet - was allerdings auch schon zu Beginn klar war. Denn wer erwartet schon eine realistische Dart-Steuerung mit einem Controller, der ca. 20 Mal so groß ist wie einer der federleichten Pfeile und die Hand möglichst nicht verlassen sollte? Einen Präzisionssport mit einem Controller steuern, der nicht auf Präzisionsschwünge ausgelegt ist? Das hört sich ja schon merkwürdig an und spielt sich noch viel merkwürdiger.
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Nun verspricht das Spiel auch noch eine komplette Grafiküberarbeitung. Mit einer „spannenden Gesichtsmimik“ wirbt es, was ebenfalls nur zum Teil stimmt. Gesichtsmimik: Ja. Spannend: Nein. Die Gesichter sind immerhin klar als solche zu definieren (was man ja schon als lobenden Punkt erwähnen muss). Unsarkastisch gesprochen kann man sogar sagen, dass sie überraschend gut aussehen. Allerdings wird dieser nette, optische Effekt wieder dadurch zunichte gemacht, dass alles andere an den Charakteren wirkt wie Plastik: Die Haare sehen ohne große Übertreibung gesprochen aus wie Faschingsperücken von Kik, die nicht aus Plastikhaar, sondern gleich ganz aus dünnem Plastik gemacht und mit ein paar Dellen zur Kontursimulation versehen worden sind. Das Publikum im Hintergrund besteht immerhin nicht aus zweidimensionalen Miis wie bei Wii Sports, könnten aber ohne weiteres auch als Playmobil-Figuren durchgehen, die ein Bewegungsrepertoire von drei Arm- und Fußstellungen haben. Das ist aber zu verkraften, da man das Publikum sowieso nur in den zehn Einführungssekunden sieht. Danach ist nur noch die Dartscheibe und optional der Spieler zu sehen. Zwischendurch sabbelt der renommierte Dart-Kommentator Sidd Waddell, leider sehr unverständlich, einige Fachtermini vor sich hin. Musik ist nur kurz in den Menüs vorhanden.
Pfeile fliegen auf Scheiben
Wie bereits erwähnt, besteht PDC World Championship Darts aus vier Spielmodi. Dabei liefert der Schaukampf ein schnelles und unkompliziertes Dart-Match. Der Turnier-Modus erklärt sich fast von selbst: Hier spielt ihr entweder eines der großen, weltweiten Turniere nach oder erstellt euch euren eigenen Wettbewerb, in dem ihr nacheinander die Besten der Welt aus dem Weg räumt. Dann gibt es da noch den Karrieremodus. Entweder verhelft ihr einem der vorgefertigten Profis zu Ruhm und Ehre oder ihr kreiert einen eigenen Spieler, mit dem ihr dann euer Können unter Beweis stellt.
Alle Modi haben dabei eines gemeinsam: Es wird Dart gespielt. Wenig verwunderlich, werden sich die meisten nun denken und andere werden keine Existenzberechtigung für diesen Satz in einem Review zu einem Dart-Spiel finden. Doch letztendlich soll damit nur zum Ausdruck kommen, wie unendlich abwechslungsarm das Spiel eigentlich ist. Es geht immer darum, als erster einen gewissen Punktbetrag abgearbeitet zu haben und dabei einen Gegner nach dem anderen zu besiegen. Dass die Locations dabei manchmal wechseln, ist völlig unerheblich, weil man sie während des eigentlichen Spiels sowieso nicht wahrnimmt. Und auch dass der Gegner immer ein anderer ist, macht wenig wett, da die Unterschiede zwischen den Spielern lediglich Nuancen sind (es sind schließlich alles Profis). Spannung kommt keine herüber, die Steuerung lässt ebenfalls keine Dart-Atmosphäre aufkommen und insgesamt muss man einfach feststellen, dass Darts für ein Vollpreis-Videospiel, das mehr als eine Stunde auf dem großen Fernseher unterhalten soll, ein buchstäblicher Griff ins Klo ist. Es funktioniert einfach nicht richtig. Während bei den echten Turnieren wahre Nervenkrimis laufen können und das Publikum enthusiastisch im Hintergrund johlt, kann man das Spiel wirklich darauf reduzieren, dass es nur ums Werfen eines Pfeils auf ein Stück Filz geht. Das ganze Spiel über. In allen Modi. In allen Variationen.
Zu guter Letzt gibt es auch noch den Partyspiel-Modus. Ungewöhnlicher- und untypischerweise wird hier so ziemlich die meiste Abwechslung geboten, weil es viele unterschiedliche Spielchen rund um den Sport gibt, die Regeln und Spieltypen variieren und hier erstmals so etwas wie Spaß aufkommt. Löblich ist außerdem noch die Tatsache, dass das Spiel im Multiplayer bis zu acht Spieler erlaubt, indem die Wiimote(s) herumgereicht werden. Der Multiplayer ist auch insgesamt das Herz des Titels und der einzige Teil, der überhaupt seine Existenzberechtigung hat. Darts ist nun mal ein Sport, der allein davon lebt, den Gegner zu schlagen. Und wenn der Gegner nur ein seelenloser Computer mit Plastikkappe und die Zuschauer nur zappelnde Playmobil-Männchen sind, kann das Ganze für Einzelspieler einfach nicht dauerhaft funktionieren. Fazit: Darts ist ein Präzisions- oder Geschicklichkeitssport, wenn man es überhaupt als Sport und nicht als Spiel ansieht. Die Wii-Remote ist allerdings nur ein Spielcontroller und kein Präzisionswerkzeug. Allein schon diese Feststellung müsste einen zur Schlussfolgerung bringen, dass ein Darts-Spiel wenig Sinn ergibt, auch wenn der Bewegungscontroller auf den ersten Blick dazu einlädt. Dieser Fakt ist letztendlich auch der, der dem Spiel das Genick bricht. Im Singleplayer ist es einfach nicht zu gebrauchen, weil es die ganze Spieldauer über ums realitätsfremde Bewegen des Controllers zum Werfen auf eine virtuelle Scheibe geht und weil keine Abwechslung geboten werden kann. Doch trotzdem ist PDC World Championship Darts insgesamt betrachtet kein kompletter Totalausfall: Im Multiplayer kann das Spiel durchaus für die eine oder andere Minute unterhalten, wenn man sich erst einmal auf die verwirrende Steuerung einlässt.
PDC World Championship Darts ist ein klassisches Beispiel dafür, dass einige Sportarten einfach nicht für die große Konsole gemacht sind. Wie Seilspringen. Oder Fahrradfahren. Auch wenn der Entwickler hier keine grobe Schande abgeliefert hat und das Spiel einigermaßen annehmbar präsentiert wird.
Von Tim Herrmann
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| Wertung für das Spiel PDC World Championship Darts 2008 | |
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| 6.2 | Grafik Die Gesichter der Spieler sehen nicht allzu schlecht aus, auch wenn sie mehr oder weniger Standbilder sind. Die Frisuren sind inakzeptabel. Die Spiel beherrschende und Bildschirm füllende, schwarzrote Dartscheibe ist aber sehr scharf und detailgetreu… | |
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| 3.4 | Sound Moment Mal… Es gibt eigentlich gar keinen Sound. Lediglich einen unverständlichen Kommentator und ein manchmal murmelndes Publikum sowie ein paar Töne in den Menüs. | |
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| 4.8 | Steuerung Ein Versprechen von Intuitivität und Realitätsnähe entpuppt sich als kompliziertes, ungenaues und meist unverständliches Geschmeiße auf eine Scheibe, das sich nicht unbedingt einfach oder realistisch anfühlt und schlicht nicht optimal funktioniert. Kein Wunder allerdings, weil die Wiimote nicht den Grad an Präzision bieten kann, der zum Dartspielen benötigt wird. | |
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| 4.2 | Gameplay Als Einzelspieler ist der Titel innerhalb weniger Minuten langweilig, weil mit jedem Charakter und an jeder Location und in jedem Modus und mit jeder Regelkonfiguration immer gegen einen emotionslosen Computer auf eine Scheibe geworfen werden muss. Nur der Multiplayer unterhält kurzweilig. | |
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| 4.4 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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