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Geheimakte Tunguska
Review von Tim Herrmann (mail) | 23.04.2008

Remakes und Wii sind ein heikles Thema. Auf der einen Seite dauert die Arbeit an Neuauflagen längst vergangener Spiele so lange, dass man sie fast schon wieder in die Entwicklung von etwas Frischem und Exklusivem hätte stecken können. Und wenn irgendein kleiner Publisher die Neuauflage von irgendeinem belanglosen Playstation 2-Spiel wie Rebel Raiders - Operation Nighthawk bekannt gibt, interessiert das eigentlich kaum jemanden.
Auf der anderen Seite gibt es auch immer den einen oder den anderen, der das Originalspiel nie gespielt hat und auf einer neuen Plattform (in diesem Falle Wii) die Möglichkeit dazu bekommt. Gerade, wenn in der zweiten Auflage dann auch noch bessere Features oder eine optimierte Steuerung hinzukommen und wenn das Spiel in seinem ursprünglichen Zuhause auch schon ein kleinerer oder größerer Knüller war, lacht das Fan-Herz wohlwollend.
Bei der Ankündigung von Geheimakte Tunguska für Wii gab es nur wenig Murren, schließlich darf sich der Titel aus deutschen Häusern guten Gewissens zu einem der besten PC-Abenteuer seiner Zeit zählen. Die Umsetzung des Titels erscheint nun in Kürze auch auf Wii und dem Nintendo DS. Unser Test widmet sich neben den üblichen Fragen nach Handlung und Gameplay natürlich auch dem interessanten Aspekt der Wii-Anpassung.

Vom PC direkt auf Wii
Geheimakte Tunguska verfolgt(e) ein wenig revolutionäres, weil sehr traditionsreiches, Genre: das des Point & Click-Abenteuers nämlich, mit welchem schon viele interessante Geschichten und Charaktere großen Videospiel-Ruhm erlangen konnten. Der Tradition entsprechend ist das Spiel damals (gegen Ende 2006) auf dem Computer erschienen, wo die Maus wie gewohnt als virtueller Handersatz über den Bildschirm glitt, um alle Geheimnisse des Levels zu enthüllen.

Mit dem Nintendo DS und Wii hat Nintendo nun schon seit einiger Zeit zwei neuartige Konsolen auf dem Markt, die sich für viele neue und alte Prinzipe perfekt eignen. Und nicht nur Nintendo selbst, sondern auch der eine oder andere Drittentwickler hat bewiesen, dass Point & Click-Abenteuer keine Exklusivitäten für das Monster unterm Schreibtisch sein und bleiben müssen. Und so haben sich Deep Silver und Keen Games nun auch dazu entschieden, Geheimakte Tunguska auf die beiden facettenreichen Nintendo-Plattformen zu bringen.

Insgesamt haben wir es – vorweg gesagt - bei der Wii-Version grundlegend mit einer 1:1-Umsetzung vom Computer zu tun, bei der eigentlich die einzige Änderung im Controller besteht. Denn verständlicherweise navigiert man nun nicht mehr mit einer Maus, sondern schwenkt die Wii-Fernbedienung seicht durch den Raum. Neue Inhalte, neue Rätsel oder echte Bewegungselemente gibt es nicht. Besonders bei letztgenanntem Punkt kann man sich allerdings die Frage stellen, ob man das wirklich als Minuspunkt ankreiden sollte. Denn Abenteuer wie Agatha Christie für Wii haben vorgemacht, wie sehr so etwas auch in die Hose gehen kann.
Worin sich der Titel etwas verbessert hat, ist in der Grafik: Das Spiel läuft auf eurem Fernsehschirm in 16:9 und unterstützt den 480p-Modus für ein schärferes Bild. Doch echte grafische Veränderungen im Spiel und Anpassungen an Wiis technische Möglichkeiten wird man auch in dieser Adaption wieder einmal vergeblich suchen.

Zeigen, Klicken, Beobachten, Nehmen, Untersuchen, Kombinieren, Anwenden
Diesem Mangel an neuen Inhalten entsprechend ist es für die meisten wohl nur wenig verwunderlich, dass sich auch am Spielprinzip rein gar nichts getan hat. Immer noch steuert ihr den Hauptcharakter, Nina, durch die gezeichneten Hintergründe und sucht dabei den Bildschirm mit dem Pointer der Wii-Remote nach verdächtigen Stellen ab. Dabei bewegt sich der Protagonist entweder durch einen simplen Klick oder durch Stick-Bewegung des optional anzuschließenden Nunchuks. Immer wenn es etwas zu sehen gibt, leuchtet die entsprechende Stelle heller auf, sodass jeder erkennen kann, was gemeint ist; ein praktischer optischer Reiz. Habt ihr ein verdächtiges Objekt ausgemacht, gibt es zwei Möglichkeiten: Immer dürft ihr mit dem B-Trigger ein Auge auf behandeltes Ding werfen und es genauer untersuchen. Nina erklärt euch dann, was sie persönlich davon hält und was ihr davon halten solltet. Wenn ihr meint, dass ihr später einmal etwas mit dem Gegenstand anfangen könntet, reicht ein Druck auf den A-Knopf, um eure Taschen aufzufüllen. Grundsätzlich gilt natürlich wie in jedem Point&Clicker, dass man alles einsammeln sollte, was man in die Finger bekommt, ehe man es an späterer Stelle schmerzlich im Inventar vermisst.
Eben jenes Inventar blendet ihr (im 16:9-Modus) über das Steuerkreuz in den unteren Spielbildschirm ein und sucht damit auch darin herum. Alle Kommentare stehen hier nochmals zur Verfügung und außerdem stellt sich die Frage, ob ihr ein bestimmtes Objekt auf eure Umgebung anzuwenden versuchen wollt. Wenn dem so sein sollte, klickt ihr einmal mit dem A-Knopf auf das gewünschte Objekt, zeigt dann auf eine Stelle auf dem Spielbildschirm und wenn eine Interaktion möglich ist, verwendet ihr das Item mit erneutem A-Druck. Simpler geht es eigentlich nicht mehr, auch wenn es manchmal etwas lästig ist, das Steuerkreuz zu erreichen.

So simpel wie die Durchführung der Rätsel sind die Kopfnüsse aber glücklicherweise bei Weitem nicht: Sie sind auch bei diesem Point & Click-Abenteuer (eines der) Kernstück(e) und bauen voll und ganz auf der cleveren Benutzung der Items auf. Die vielen verschiedenen Gegenstände ermöglichen den Spielern vielfältige Abhöraktionen mit Katzenbeteiligung, Schlüsselbergungen oder Reparaturaufträge. Dabei sind einige Items für sich allein bereits zur Rätsellösung ausreichend und erfüllen ihren Zweck sofort, andere müssen erst noch mit ihren Gegenstücken kombiniert werden, um einen neuen Gegenstand zu erhalten. Das erfordert standesgemäß viel Kreativität und Einfallsreichtum und man wird immer sehr stolz sein, wenn man eine der knackigen Kopfnüsse lösen konnte. Der große Pluspunkt findet sich dabei darin, dass alles stets logisch, fair, nachvollziehbar und auch machbar bleibt. Kein Vergleich zu Spielen wie „Agatha Christie – Und Dann Gab’s Keines Mehr“, wo ein Dornenbusch mit Apfelmost überschüttet werden musste, der aus einer mit Käsefolie betriebenen Presse stammte, damit eine Ziege ihn im Alleingang zum besseren Passieren aus dem Weg frisst…
Dazu bietet das Spiel noch einige Hilfen. So löst ein Druck auf den A-Knopf beispielsweise aus, dass euch im derzeitigen Bildschirm  alles angezeigt wird, was ihr untersuchen könnt. Praktisch, wenn man einmal eine Kleinigkeit übersehen hat. Außerdem gibt es manchmal eine Rätselhilfe, die einem konkret bei der Bewältigung von beispielsweise dem Knackens eines Zahlenschlosses behilflich ist.

Etwas schade ist hingegen der Umstand, dass der Rätselanteil zumeist beim Kombinieren von Gegenständen und deren richtiger Benutzung bleibt, echte Puzzle-Sequenzen sind daher nur sehr rar gesäht. Beispielsweise gibt es eine Situation, in der Nina einen Fahrradreifen flicken soll. Im Spiel gilt es dabei, erst einen Gummihandschuh mit Sekundenkleber zu kombinieren, um den Mischmasch dann im Item-Menü auf den Schlauch anzuwenden. Eine gute Idee wäre es vielleicht gewesen, das Ganze etwas dynamischer zu gestalten, indem man Kleber und Co. direkt mit der Wii-Remote in einer Art „OP-Sequenz“ wie bei Trauma Center auf den Schlauch geträufelt hätte. So etwas gibt es aber nicht.

Was geschah in Tunguska?
Der eine Teil von Geheimakte Tunguska findet sich, wie gesagt, in den einfallsreichen und sehr überzeugenden Item-Rätseln. Der andere Teil besteht in der dichten und atmosphärischen Geschichte. Alles beginnt wie so oft mit einem relativ harmlosen Hintergrund: Die Deutschrussin Nina Kalenkow sucht ihren Vater im Museum, wo er arbeitet, findet aber nur ein durchwühltes Büro vor. Bei den Recherchen nach dem Verbleib des Wissenschaftlers erfährt sie langsam immer mehr über geheime Kontakte und Projekte ihres alten Herren und wird durch intensive Nachforschungen (die auch niemals unrealistisch wirken wie bei einigen schlechten Detektivfilmen) auch auf ein gewisses Tunguska-Ereignis aufmerksam. Und darin findet sich später der Kern des Spiels, denn vor 100 Jahren fand in einem sibirischen Landstrich, Tunguska, eine unerklärliche Explosion statt, die noch Hunderte Kilometer weiter zu spüren war und bei der große Landflächen zerstört wurden. Dieses „Tunguska-Ereignis“ ist übrigens kein Produkt der Kreativität der Entwickler, sondern geschah 1908 wirklich in der russischen Taiga und man weiß tatsächlich bis heute nicht sicher, was passiert sein mag. Das Spiel beschäftigt sich mit fiktiven Lösungsmöglichkeiten und schnürt das Ganze mit einigen Verschwörungstheorien, menschlichen Einzelschicksalen und skrupelloser Kriminalität gut zu einem intensiven Geschichtspaket zusammen, das einem gedruckten Roman in wenig nachsteht.

All Around The Earth
Auf ihren Nachforschungen und Recherchen bewegt sich Nina nicht nur in Berlin, sondern flitzt auch direkt zum Geschehen und gelangt so auf alle möglichen Weisen schlussendlich direkt zum Ort des Geschehens. Diese relative Vielzahl an Orten muss natürlich auch irgendwie präsentiert werden und wie in fast jedem Point & Click-Abenteuer geschieht das mithilfe von vorgezeichneten Hintergründen, in denen sich der Charakter bewegt. Dabei sind die verschiedenen Orte stets anstandsfrei, sehr detailreich und mit satten Farben gezeichnet und bewegen sich irgendwo zwischen harter Realität und Comic-Look. Nina Kalenkow ist unterdessen immer komplett in 3D animiert und sieht recht gut aus (natürlich erst einmal nur in Hinsicht auf Polygone und Texturen gesprochen), wenn sie sich (leider etwas steif) durch die Levels navigiert. Je weiter die Geschichte fortschreitet, desto öfter findet man auch Zwischensequenzen in animierter FMV-Form, die stets sehr atmosphärisch rüberkommen und an denen es auch hier wieder nichts auszusetzen gibt.

Wirft man einen Blick auf den Ton, wird man auch hier wieder Qualitätsarbeit bescheinigen müssen. Zwar sind einige Abschnitte (bzw. einzelne Teile davon) leider gar nicht mit Soundeffekten untermalt, grundsätzlich ist allerdings immer irgendwo ein Vogelzwitschern oder ein Bahn-Donnern zu hören. Dazu muss auch lobend erwähnt werden, dass das Spiel komplett in deutscher Sprache synchronisiert worden ist. Dieser muss man ebenfalls einmal ordentlich auf die Schulter klopfen. Hierbei gefällt besonders, dass man von den nervigen Point & Click-Standardsprüchen wie „Das geht nicht“ oder „Ich glaube nicht, dass das funktionieren wird“ abgesehen und etwas fetzigere, teils auch parodische, Slogans eingebaut hat, wenn man unnötige Sätze nicht gleich ganz eingespart hat. Nina hat Charakter und ist nicht einfach ein Roboter, der sich stur den Befehlen des Spielers beugt.

Fazit:
Geheimakte Tunguska ist ein klasse Spiel. Das Abenteuer lebt von einer Mischung aus Geschichte und Rätsel. Dabei ist stets alles bis aufs Letzte durchdacht und nichts wirkt irgendwie künstlich oder unlogisch oder „zufällig zur Handlung beitragend“. Die Rätsel fordern die Spieler und die Geschichte reißt sie schnell in ihren Bann. Allerdings muss dazu auch gesagt werden, dass dieses Urteil bereits für die PC-Version des Spiels galt, denn Geheimakte Tunguska ist für Wii nicht mehr als eine simple Portierung, bei der die Maussteuerung auf die Wii-Remote verlagert wurde. Neue Inhalte wird man vergeblich suchen und auch ansonsten besticht die Wii-Version durch nichts, was das PC-Spiel nicht auch hatte. Das Spiel selbst bis auf wenige Ausnahmen absolut zu überzeugen und sollte auf jeden Fall durch die Laufwerke von Genre-Fans wandern. Wer noch Zweifel hat, kann sich auf der offiziellen Homepage des Spiels die kostenlose PC-Demo-Version herunterladen. Knickerige dürfen berechtigt überlegen, ob die zehn bis zwanzig Euro teure PC-Version nicht doch der Wii-Variante vorzuziehen ist. Im August soll übrigens ein zweiter Teil erscheinen, vielleicht sehen wir diesen ja auch später auf Wii wieder.

Von Tim Herrmann
Wertung für das Spiel Geheimakte Tunguska
Wertungen Beschreibung
8.0Grafik
Sehr schön gezeichnete Hintergründe und makellose Zwischensequenzen tragen zu einer optischen Präsentation bei.
8.4Sound
Unaufdringliche Tonuntermalung und ausgezeichnete Sprachausgabe lassen hier nur wenige Wünsche offen.
7.5Steuerung
Funktioniert auch mit der Wii-Remote bis auf kleine Fingerverrenkungen, die zum Erreichen des Steuerkreuzes ausgeführt werden müssen. Ansonsten ist die Steuerung aber nichts Besonderes und wurde einfach vom PC portiert.
8.0Gameplay
Die Rätsel sind angenehm fordernd, immer logisch und fördern oft einen erfrischenden „Aha-Effekt“ zutage, die Geschichte fesselt und die Charaktere sind sehr interessant.
8.2Gesamt
(Kein Durchschnitt der Einzelwertungen)



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