Review von Andreas Held (mail) | 06.04.2008
Mitte Juni letzten Jahres sorgte eine Ankündigung von Atomic Planet Entertainment bei einigen für Gelächter, bei anderen nur noch für blankes Entsetzen: Jenga, ein bekanntes Gesellschaftsspiel, wollte für Wii umgesetzt werden. Einige wenige Optimisten sahen noch eine Chance für das Spiel, falls es auf WiiWare erscheinen würde - und so folgte eine weitere Welle frischen Gelächters, als dann sicher war, dass es tatsächlich als Disk-Version mit dem Namen Jenga World Tour in den Läden stehen würde. Seit dieser Ankündigung ist jedoch einige Zeit vergangen, weshalb man dem Titel durchaus ein Jahr Entwicklungszeit unterstellen kann - was die Entwickler in dieser Zeit wohl gemacht haben?
Jenga im echten Leben
Wer Jenga nicht kennt, für den wollen wir das Spielprinzip einmal kurz erläutern: Eine feste Anzahl aus Holzklötzchen, die dreimal so lang wie breit sind, wird ein Turm gebaut. Dieser entsteht, indem jeweils drei Klötzchen eine Ebene bilden und die nächste, ebenfalls aus drei Klötzchen bestehende Ebene quer darübergelegt wird. Somit entsteht ein Turm mit einer quadratischen Grundfläche. Nun ist es möglich, ein oder auch zwei Klötzchen aus jeder Ebene zu entnehmen und oben auf den Turm zu legen, um ihn weiter in die Höhe zu bauen. Hier kommt dann die Chaostheorie ins Spiel: Winzige, für das Auge nicht sichtbare Größenunterschiede der Jenga-Klötzchen sorgen nämlich dafür, dass das Gewicht des Turms nicht im Verhältnis eins zu drei auf die drei Klötzchen einer Ebene verteilt ist, sondern einige für die Statik essentiell sind, während andere überhaupt kein Gewicht tragen. Die Spieler müssen nun nacheinander versuchen, ein Klötzchen zu finden, das aus dem Turm entnommen werden kann, dies zu tun ohne ihn zum Einsturz zu bringen und ohne eines der anderen Klötzchen zu berühren und den entnommen Holzquader oben auf den Turm zu legen. Wer dabei den Turm umwirft, hat verloren, wird von der ganzen Familie ausgelacht, muss alle Klötzchen wieder einsammeln und danach den Abwasch machen.
Jenga an der Wii
Wie dieses Konzept nun an Wii funktionieren soll, ist mehr als fraglich. Eines der Grundkonzepte, das Herausfinden durch Abtasten, welche Klötze den Turm tragen und welche entnommen werden können, ist nach dem heutigen Stand der Technik schlichtweg unmöglich umzusetzen. Außerdem gab es bis heute kein einziges Spiel, das durch exakte 3D-Bewegungen mit der Wiimote gesteuert werden musste und wirklich funktioniert hat. Man darf sich also fragen, warum überhaupt der Beschluss gefasst wurde, Jenga auf Wii zu bringen. Die Antwort ist denkbar einfach: Da Nintendo solche Spiele immer und immer wieder mit dem Seal of Quality "belohnt", war Atomic Planet einer von Dutzenden Entwicklern, die Nintendos Gutmütigkeit ausnutzen und leichtes Geld verdienen wollten. Und was eignet sich dazu besser als ein Spiel, das Casual-Gamer "früher immer gerne gespielt" haben und jetzt anhand seines Namens wiedererkennen?
Ganz so vorurteilsbehaftet sollte man Jenga jedoch auch nicht gegenüberstehen. Es ist zumindest erkennbar, dass sich jemand Gedanken darüber gemacht hat wie das Spiel aussehen kann und teilweise sogar Änderungen vorgenommen wurden, damit das Endprodukt einigermaßen vernünftig herüberkommt. Um festzustellen, ob ein Block entnommen werden kann, müsst ihr einfach mit der Wiimote auf ihn zeigen - wird er rot umrandet, ist es sehr schwer, ihn zu entfernen, grüne Blöcke hingegen sind ungefährlicher. Alternativ dazu könnt ihr Blöcke auch antippen und schauen, ob sie sich dann bewegen - eine Taktik, von der dringend abzuraten ist, da der Turm fast immer zur Seite hin umfällt, wenn ihr eines der Klötzchen kurz "antippt". Habt ihr einen geeignet Block gefunden, könnt ihr ihn mit de A-Knopf "greifen", was zur Folge hat, dass der angepeilte Klotz und die von euch gesteuerte Hand mit einem Gummiseil verbunden werden. Ziel ist es nun tatsächlich, möglichst in einem 90-Grad-Winkel zum Turm an diesem Gummiseil zu ziehen und den Klotz somit möglichst ohne Folgeschäden aus dem Turm zu entfernen. Danach schwenkt die Kamera automatisch an die Spitze des Turms, wo ihr dann direkte Kontrolle über den Stein erhaltet und ihn ordnungsgemäß platzieren müsst.

Beides funktioniert überraschend gut. Natürlich kann hier zweifelsohne nicht von einer bahnbrechenden Bewegungssteuerung gesprochen werden - gerade beim Ziehen am Gummiseil ist der Winkel nicht immer nachvollziehbar und die Hand des Spielers teleportiert sich manchmal von einem Bildschirmende zum anderen - trotzdem muss ganz klar gesagt werden, dass hier nicht einfach eine Steuerung hingesaut wurde, welche nicht einmal funktioniert, wie es zum Beispiel in Showtime Championship Boxing der Fall war. Zu 90 Prozent der Fälle treten die gewünschten Effekte ein und es kommt sogar ein gewisses Erfolgserlebnis auf, wenn man nach über vier Minuten mit einer sehr ruhigen Hand einen eigentlich rot gefärbten Klotz aus dem Turm entfernt. Auch das Platzieren der Klötze auf dem Turm erfordert sehr viel Geschick, funktioniert jedoch sogar noch besser, da man nun sehr direkte Kontrolle über den Klotz hat und die 3D-Bewegungserkennung tadellos funktioniert.
Trotzdem sollte man jetzt natürlich nicht sofort in den Laden rennen, denn auch wenn Jenga zugegeben eine Zeit lang Spaß macht, ist es damit nach spätestens einer Stunde vorbei. Der Titel bietet nämlich leider überhaupt keine Abwechslung. Die Spielmodi erstrecken sich von dem normalen Multiplayermodus mit Real-Life-Regeln (hier kann glücklicherweise auch mit einer Controllerkombo gespielt werden, die dann rumgereicht wird) über einen Spielhallenmodus, in dem es Extrapunkte gibt, wenn ihr gleichfarbige Blöcke auf die neuen Ebenen befördert, einen Übungsmodus und letztendlich den World-Tour-Modus, in dem in acht Levels ein Duell gegen die KI gewonnen werden muss. Der World-Tour-Modus ist übrigens bockschwer und die KI spielt fast perfekt, weshalb ihr pro Level etwa fünf bis zehn Versuche einplanen müsst.
Die Präsentation des Spiels ist anfangs noch überraschend gut und den Entwicklern muss vor allem dafür Respekt gezollt werden, dass sie einen im Spielverlauf immer instabiler werdenden Jenga-Turm samt Physik-Engine glaubhaft umgesetzt haben. Die ersten beiden Levels um den Jenga-Turm herum reißen zwar sicherlich keine Bäume aus, was die Grafikqualität anbelangt, trotzdem sind hier zunächst ansprechend viele Details enthalten - nach den ersten beiden Levels kippt das jedoch und es stehen verschneite Berggipfel und karge Mondlandschaften auf dem Programm. Die Musik ist belanglos, aber überraschend angenehm, die deutschen Sprecher grenzen jedoch an Körperverletzung. Da Jenga sich durchaus an eine jüngere Zielgruppe richtet, wollen diese wie Kindergärtner klingen, klingen tatsächlich aber wie Amateurschauspieler, die einen Kindergärtner imitieren wollen. Fazit: Bei aller Kritik muss ich eins ganz ehrlich sagen: Jenga hat mich positiv überrascht. Trotz des lächerlichen Spielkonzepts steht hier ein Titel in den Läden, der tatsächlich funktioniert und nicht einfach (wie so viele andere Spiele) schnell hingesaut wurden. Bei Atomic Planet sitzen fähige Entwickler und es blebt zu hoffen, dass ihnen Jenga World Tour vielleicht sogar ein paar Tore öffnet, damit sie in naher Zukunft ein richtiges Spiel programmieren können. Die 3D-Bewegungserkennung funktioniert fast immer, was selbst in aufwendiger produzierten Wii-Titeln fast nie der Fall ist, und deshalb bekommt der Titel auch verdiente drei von vier Punkten beim Innovationsfaktor.
Das war es dann aber leider auch schon - nach etwa einer Stunde kippt die Präsentation des Spiels ins Amateurhafte und der Spielspaß mangels Abwechslung gleich mit um. Als WiiWare-Download für einen einstelligen Eurobetrag hätte man Jenga also problemlos empfehlen können - als volles Spiel zum vollen Preis leider absolut nicht mehr. Casual-Gamer und vor allem Kinder werden außerdem auch kaum die Geduld haben, die wirklich viel Geschick erfordernde Steuerung zu erlernen, weshalb diese Zielgruppe ebenfalls wegfällt. So bleibt unter dem Strich trotz guter Ansätze leider trotzdem nur ein Spiel, das wirklich niemand braucht.
Von Andreas Held
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| Wertung für das Spiel Jenga World Tour | |
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| 4.5 | Grafik Die ersten beiden Levels sehen zwar auch schlecht aus, sind aber wenigstens sehr detailliert. Alles danach ist optischer Müll. | |
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| 6.0 | Sound Angenehme und ruhige Hintergrundmusik, fürchterliche Synchronsprecher. | |
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| 7.5 | Steuerung Die 3D-Bewegungserkennung funktioniert trotz leichter Bugs fast immer und ist die größte Stärke des Spiels. Respekt. | |
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| 2.0 | Gameplay Ohne Abwechslung wird der Titel nach spätestens einer Stunde langweilig. Für 50 Euro ein absoluter Witz, für Kinder und Gelegenheitsspieler außerdem viel zu anspruchsvoll. | |
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| 4.7 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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