Review von Tim Herrmann (mail) | 23.01.2008
Point & Click Adventures auf Konsolen – bisher eine immer relativ zwiespältige Geschichte. Denn die Stick- und Knöpfchensteuerung war meistens umständlich und funktionierte nur schleppend. Aber auch auf dem PC ist das Genre heutzutage nur noch sehr dünn vertreten. Wii und vorrangig der Nintendo DS haben es aber geschafft, den Spielen mit den langen Dialogen, den vielen aufzusammelnden Gegenständen und den knackigen Rätseln ein wenig neues Leben einzuhauchen: Another Code oder Hotel Dusk – Room 215 sind nur zwei Stichworte dafür. Auf Wii trauen sich jetzt auch einige Entwickler und wollen sich die Fähigkeiten der Bewegungskonsole zunutze machen: Nach Capcom mit Zack & Wiki startet auch die Adventure Company zusammen mit JoWood mit einer gleich „doppelten“ Umsetzung ins Wii-Geschäft. Im Kern steckt in Agatha Christie – And Then There Were None nachvollziehbarer Weise die Geschichte des Mystery-Bestsellers vom britischen Kriminalgenie Agatha Christie. Sekundär handelt es sich bei diesem Wii-Spiel aber auch noch um eine PC-Umsetzung. In unserem Test, zu dem hier vorliegenden interaktiven Thriller, wollen wir für euch klären, wie gut die Umsetzung vom Computer gelungen ist, wie viel Charme und Spannung die Software vermitteln kann, und ob sich euer Geld hier besser investiert fühlen wird als in einem Roman.
Zehn kleine Leichtmatrosen…
Wie oben beschrieben, basiert Agatha Christie – And Then There Were None auf dem gleichnamigen Roman, der schon 1939 erschienen und zu einem der bestverkauften Mystery-Thriller aller Zeiten avanciert ist. Zehn völlig unterschiedliche Personen – ob Richter, renommierter Arzt, Gouvernante, Butler oder Privatdetektiv, bekommen ein Schreiben von einem mysteriösen Mr. Owen, der sie auf eine abgelegene Insel vor der englischen Küste einlädt. Sie sollen von ihm entweder einen Job erhalten, ihm einen Dienst erweisen oder mit ihm einfach ein nettes Wochenende verbringen. Er selbst wolle später nachkommen und zur Wochenendgesellschaft stoßen. Die zehn Personen treffen sich an der südwestlichen Küste Großbritanniens und werden vom Bootsmann Patrick Narracott auf die mysteriöse Insel Shipwreck Island gebracht. Dieser Mr. Narracott existiert im Roman-Original nicht, sondern wurde in der Versoftung von den Entwicklern hinzugedichtet, genau wie einige kleinere Nebenhandlungen oder Schauplätze. Er ist eure Spielfigur und lässt sich von euch durch das riesige Anwesen auf der kleinen Insel oder durch die verzweigten Wege des Eilandes scheuchen, sammelt Gegenstände auf und fragt die zehn Teilnehmer des heiteren Treffens über verschiedene Themen aus.
In der ersten Nacht im Anwesen kommt ein schwerer Sturm auf, das Boot des Schiffmannes wird (aus einem ebenfalls erdichteten Grund) versenkt und Narracott steckt zusammen mit den zehn Charakteren auf der Insel fest. Nach einem ausgiebigen Abendessen legt der Butler eine Schallplatte auf, die der Gastgeber ihm gegeben hatte, und die Wochenendgesellschaft hört Schreckliches: Ihr vermeintlicher Gastgeber, Mr. U. N. Owen (= Unknown, Unbekannter) hängt ihnen in dieser Nachricht eine Reihe von Morden an. Gleich darauf stirbt einer der Zehn. Und das sollte nicht der einzige Todesfall gewesen sein. Nach einiger Zeit stellt sich heraus, dass auch die darauf folgenden Unglücke merkwürdigerweise exakt zu einem gruseligen Kinderreim passen, der unheilvoll über dem Kamin im Wohnzimmer baumelt. Schnell lernen die Bewohner, dass sie in die Falle eines unberechenbaren, vielleicht wahnsinnigen Killers getappt sind, und rätseln nun nicht nur darüber, wer das nächste Opfer sein könnte, sondern auch, wer der mysteriöse Killer ist. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, jeder verdächtigt hinterrücks oder offensichtlich jeden und ein Geflecht aus Beziehungen der Charaktere untereinander enthüllt sich genauso wie die dunklen Vergangenheiten.
So viel zur spannenden Hintergrundgeschichte aus der Feder der 1976 verstorbenen Schriftstellerin. Doch was uns im Rahmen dieses Tests natürlich vorrangig interessieren soll, ist die Umsetzung der Software für Wii.
Agatha Christie – Und dann gabs keines mehr, wie der Titel auf Deutsch heißt, ist ein reinrassiges Point & Click Adventure der alten Schule. Die größte Dauer der Spielzeit über schleicht ihr euch durch das große Anwesen aus weit mehr als 20 Zimmern und befragt die Bewohner nach ihren Meinungen, Ansichten oder Informationen, beäugt euch Gegenstände genauer oder sammelt Objekte ein, die ihr in Schubladen, Regalen, auf Tischen oder in anderen Verstecken findet.

Roman oder Videospiel?
Was einem guten Point & Click Abenteuer natürlich auch nicht fehlen darf, sind die vielen kleinen Aufgaben für den menschlichen Hirnschmalz bei der Auflösung der Geschichte. Wie bekomme ich diese Apparatur zum Laufen? Wo finde ich den benötigten Gegenstand? Wie sollte ich wen nun nach was fragen und – am allerwichtigsten – wer hat das größte Potenzial zum wahnsinnigen Psycho-Mörder? Das sind die Fragen, die man sich während des Spielablaufs stellen sollte. Bei Agatha Christie glaubt man aber nach den ersten paar Kapiteln relativ schnell zu wissen, worauf bei der Entwicklung der Schwerpunkt gelegt wurde: Rätsel scheint man sich bis dahin so gut wie gespart zu haben, sie sind fast nicht vorhanden und größtenteils nur optional für Ratefüchse in der Spielwelt verteilt. Spätestens bei der Hälfte des Spiels aber wird das Ganze ziemlich gemein, obwohl der Spieler dann eigentlich nur ein Rätsel lösen muss. Dieses basiert allerdings wiederum auf einigen weiteren Aufgaben, die das Spiel zur Lösung vorheriger Kapiteln nicht zwingend gefordert hat, weil es so unlinear aufgebaut ist. Somit gilt es nun, erst einmal herauszufinden, wo man suchen muss. Und das kann schon ziemlich ins Abstruse hineingehen mit verschiedenfarbigen Büchern, Apfelmost trinkenden Ziegen und Fallschirmen aus Ziegengeschirr. Dazu kommt dann bei einem Rätsel mit einem Tresor noch die unvorteilhafte Einbindung der Wii-Steuerung. Man wird verrückt dabei, durch Neigen des Controllers die richtige Zahlenkombination zu treffen. Fast hätte die zwanghafte Einbindung der Bewegungssensoren hier für eine spielerische Sackgasse, dem Videospiel-GAU, gesorgt.
Das Hauptaugenmerk bei der Roman-Adaption liegt aber trotz der vereinzelten Rätselhaufen auf der Erzählung der hervorragenden Geschichte. Diese ist aufgeteilt in insgesamt zehn Kapitel. Jedes beginnt mit einem besonderen Vorfall, über den ihr zuerst einmal eure Mitmenschen befragt. Ihr erfahrt, was sie zu der Situation denken, wie sie sich fühlen und was sie als nächstes tun wollen. Dabei kommunizieren sie auch miteinander. Jedes Kapitel ist in sich noch einmal unterteilt in verschiedene Tageszeiten, zu denen sich die Geschehnisse abspielen. In späteren Passagen der ca. jeweils 20 – 30 Minuten langen Kapitel befragt ihr die Bewohner des großen Anwesens auf Shipwreck Island auch noch einmal einzeln. Und dann kommen die Abgründe zutage: Alle verdächtigen jeden. Die, mit denen man eben noch Billard gespielt hat, sind plötzlich nun die vermeintlichen Wölfe, die nette Oma mit dem Bibeltick ist auf einmal eine potenzielle Killerin. Meistens endet ein Abschnitt oder das ganze Kapitel dann, wenn Patrick Narracott, eure Spielfigur, alle Charaktere einmal befragt hat. Somit ist Agatha Christie eher ein Roman, den der Spieler sich selbst erfragt, eine geschriebene Geschichte in animiertem Bild und Ton.
Des Nachts in einem Haus mit dem Mörder…
Agatha Christie – And Then There Were None lebt von seiner Atmosphäre. Durch intelligente und logisch eingebundene Rätsel kann es fast nicht punkten, also muss es die Qualität aus den Dialogen mit den Charakteren schöpfen. Und das gelingt größtenteils wirklich wunderbar. Der Titel ist komplett in deutscher Sprache synchronisiert und die Sprecher verstehen, wofür sie bei dieser Produktion angestellt worden sind. Man merkt jedem Charakter für sich an der Stimme und Sprache seine individuelle Gefühlslage an. Der rational denkende Richter spricht genau so, wie man es sich vorstellt, der überhebliche Arzt redet wie ein Medizin-Professor und die merkwürdige alte Dame Mrs. Brent hört sich an wie die kernige, vielleicht kratzbürstige Seniorin, die zwar schon etwas älter ist, es aber immer noch faustdick hinter den Ohren hat. Perfekt, besser geht es eigentlich nicht.

Schade, dass nicht auch die Grafik auf demselben hohen Niveau mitspielen kann. Doch auch bei diesem Punkt erst einmal die gute Seite: Das riesige Anwesen und das weitläufige Inselgelände sind komplett vorgezeichnet und präsentieren sich – wie bei vielen anderen Point & Clickern auch – immer aus einem bestimmten fixen Kamerawinkel. Mit der Wii-Fernbedienung habt ihr stets die Möglichkeit, an die Grenzen eines Abschnitts zu zeigen und ihn somit zu verlassen und einen neuen zu betreten. Kurze Ladezeiten von ca. drei Sekunden muss man beim Wechsel von Räumen oder Geländen in Kauf nehmen. Die Umgebungen – besonders im Haus – sehen tadellos aus. Schränke spiegeln sich im frisch gebohnerten Boden, Ölgemälde hängen an der Wand und der Teppich ist offensichtlich handgemacht. Leider sehen die Personen im Spiel nicht annähernd so gut aus. Sie sind größtenteils grob modelliert, kantig und sehen irgendwie so aus, als wären ihre Kleider nur aufgemalt (was sie ja im Endeffekt auch sind, aber trotzdem sollte man das nicht so deutlich sehen). Die Bewegungsanimationen sind oftmals ebenfalls ziemlich ungeschliffen, sodass die Hand auch schon einmal aus zwei Fingern und einem undefinierbaren Pixelklumpen besteht oder der Arm irgendwo in Lebernähe landet, wenn er sich eigentlich locker lässig auf die Hüfte stützen sollte. Wenn man mehrere Charaktere in einem Bild sieht (zum Beispiel, wenn sie sich unterhalten) ist es manchmal nur möglich, sie anhand der Stimmen zu unterscheiden, weil ihre Sprechorgane ungenau vor sich hinwabbeln. Ein kleines bisschen mehr Mimik und Gestik wäre auch schön gewesen. Es kommt nicht besonders authentisch herüber, wenn ein renommierter Richter zusammen mit neun Unbekannten in einem Raum sitzt, eines Mordes bezichtigt wird und als einzige Reaktion darauf leicht die Stirn runzelt und die Augen zu Schlitzen verschließt. Auch die Tatsache, dass die Situationen nach Todesfällen alle ziemlich locker und gelassen sind, erzielt nicht ganz die wahrscheinlich eigentlich gewünschte Wirkung. Die teilweise stumpf-hölzernen, vorgefertigten Fragen, die ihr als Narracott stellt (stellen müsst), hätten ebenfalls ein wenig feinsinniger sein können und nicht einfach: „Was denken Sie, wer der Mörder ist?“ oder: „Glauben Sie, es war Selbstmord?“. Dies sind Feinheiten, die nicht nötig gewesen wären und die bei mehr Feinschliff zu einer (noch) besseren Atmosphäre beigetragen hätten.
In Hinsicht auf die Musik kann man eigentlich nur die geringe Anzahl der „Stücke“ bemäkeln: Es wechseln sich mysteriöse Malträtierorgien einer Violine in Endlosschleife mit etwas theatralischer Piano-Dramaturgie ab und vermischen sich dabei mit Donnergrollen oder Regenprasseln des Unheil verkündenden Sturmes außerhalb der Villa. Kein Meisterstück, aber passend, um die Atmosphäre des Alleinseins auf einer einsamen Insel in einem schwermütigen Anwesen zu unterstreichen, während man sich sicher darüber sein kann, dass irgendwo ein Mörder auf einen lauert.
Adventures + Wii = traumhafte Rätsel?
Wii – die Bewegungskonsole. Perfekt für jede Art von Rätsel: Denn nicht länger müssen sie durch simple Tastenklicks gelöst werden, sondern eröffnen sich dem Spieler durch realitätsnahe Bewegungen mit dem Controller. Auch bei diesem Titel kommt dies das ein oder andere mal zum Einsatz, allerdings merkt man hier deutlich die Portierung. Denn die Bewegungen gehen nicht immer locker von der Hand, sondern arten oft in exzessiven Gefuchtel aus, das dann als Knopfersatz dient und die Animation des Gegenstandes auslöst. Beispielsweise muss einmal etwas Mehl aus einem Sack befördert werden, um an Batterien zu kommen (Wer zur Hölle versteckt Batterien in Mehl und wie soll man darauf, außer durch Zufall, kommen?!). Dabei schießt man dann mit der Wii-Remote schnell nach vorne. Auch beim Türenöffnen benötigt es eine kurze 90°-Drehung beim Anklicken, um sie aufzubekommen. Ansonsten fungiert die Wii-Remote (die Nunchuk-Erweiterung kommt nicht zum Einsatz) lediglich als Mausersatz und düst mit ihren Pointerfunktionen über den Bildschirm, um zu erkennen, wo es etwas aufzuheben, zu entdecken oder zu sehen gibt. Dabei sind Menüs alle sehr simpel gehalten und überfordern niemanden, sodass alles nach den ersten drei Spielminuten wunderbar erlernt ist. Fazit: Agatha Christie – And Then There Were None ist nicht unbedingt ein Spiel für Rätselfreunde, denn meistens gehen die Lösungen sehr ins Absurde hinein, sodass ein normal denkender Mensch nur sehr schwer darauf kommt (Stichwort: Käsefolie als Fruchtfleischfilter benutzen etc.). Eigentlich wartet man die ganze Zeit nur auf die nächste Zwischensequenz, denn dieser Titel ist eher ein interaktiv erzähltes und selbst erarbeitetes Atmosphäre- und Geschichte-Feuerwerk. Es erzählt die brillante Story mit tollen Sprechern und einer geschickt inszenierten akustischen und optischen Präsentation. Lediglich einige Feinheiten hätten etwas mehr Aufmerksamkeit in der Schlussphase gebrauchen können, um die Stimmung zu optimieren. Ansonsten bleibt es jedem für sich selbst überlassen, ob er sich lieber den Roman kauft, der alle Geschehnisse sehr viel ausführlicher, deutlicher, ohne Schnörkel und Unterbrechungen erzählt oder ob er zum Spiel greift. Letzteres ist teurer, hat dafür allerdings auch szenische Mittel parat, die ein Buch „nur“ im Kopf erzeugen kann, bietet für Interaktionssüchtige eine handvoll Rätsel und fügt auch ein paar zusätzliche Geschichtselemente hinzu, die man sich allerdings besonders bei den alternativen Enden zugunsten des Originals hätte sparen dürfen.
Von Tim Herrmann
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| Wertung für das Spiel Agatha Christie - And Then There Were None | |
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| 7.0 | Grafik Schöne, vorgestaltete, detaillierte Umgebungen, dafür allerdings unzureichende Charaktermodelle, die dieser Konsolengeneration nicht mehr entsprechen und etwas besser hätten ausfallen dürfen | |
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| 7.1 | Sound Endlosschleifen mit Klavier und Geige im Hintergrund, die eine schwermütige Stimmung in die Lautsprecher zaubern, dafür aber nichts wirklich Besonderes sind und eher als Beiwerk dahindudeln. | |
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| 8.0 | Steuerung Die Wiimote funktioniert als Mausersatz ohne jegliche Probleme und die Bedienung der Menüs ist nach wenigen Sekunden perfekt beherrscht. Die Bewegungsfeatures funktionieren manches Mal allerdings eher schlecht als recht. | |
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| 7.4 | Gameplay Der Titel spielt sich wie ein interaktiver Roman. Das Gameplay besteht aus Aufgaben wie „Personen suchen“, „alle Personen einmal befragen“ und „Gegenstände aufsammeln“. Die Rätsel sind allerdings nur selten intuitiv und schwer nachvollziehbar. | |
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| 7.1 | Gesamt (Kein Durchschnitt der Einzelwertungen) | |
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