Preview von Andreas Held (mail) | 23.08.2010
Musikspiele fristeten in Europa schon immer ein Nischendasein und sind weltweit auf dem absteigenden Ast. Daher war auch auf der gamescom recht wenig davon zu sehen: Während Activision "Guitar Hero: Warriors of Rock" überhaupt nicht zeigt, wird DJ Hero 2 am Microsoft-Stand mit zwei Anspielstationen abgespeist, bei denen die Bildverzögerung so stark ist, dass der Titel völlig unspielbar ist. Rock Band 3 ist immerhin mit einer kleinen Bühne vertreten, auf der als Band mit den traditionellen Instrumenten gespielt werden kann, sowie zwei Anspielstationen, an denen man das neue Keyboard ausprobieren kann. Wirklich interessant wurde es aber am Mittwoch in EA's Bereich im Business Center: Hier war Rock Band 3 in einem eigenen Stand zum Anspielen bereit, und auch die neuen Gitarrencontroller, die sich kaum mehr von einer echten Gitarre unterscheiden, konnten hier getestet werden.
Knallharte Musik-Simulation
Während Guitar Hero: WoR dieses Jahr versucht, sich mit einem Quest-Modus, Spezialfähigkeiten und zahlreichen Zusatzherausforderungen als Videospiel weiter zu entwickeln, setzt Harmonix noch mehr auf die authentische Erfahrung, selbst Musik zu spielen. Neben ein paar kleinen Neuerungen im Gameplay, die auch diejenigen betreffen, die an den traditionellen Instrumenten festhalten wollen (darunter ein überarbeiteter Tour-Modus und stark verbessertes Score-Tracking), setzt man besonders auf die neuen Instrumente und den damit verbundenen Pro-Modus.
Am leichtesten betroffen ist davon noch das Schlagzeug. Während das Drumset bisher nur vier Toms beinhaltete, die dann bei Bedaf auch als Becken herhalten mussten, gibt es nun drei Erweiterungen für das Plastik-Schlagzeug, die es um Hi-Hat, Ride-Becken und Crash-Becken erweitern. Auf die Notencharts hat das kaum Auswirkungen: Die Erweiterungen sind mit den bereits verwendeten Farben gelb, blau und grün ausgestattet. Sollen sie benutzt werden, erscheint im Chart an der entsprechenden Stelle eine anders geformte Note. Spieler, die bereits gut mit dem vorhandenen Drumkit umgehen können, werden sich hier sehr schnell zurecht finden.

Ganz anders sieht es bei der Gitarre aus. Diese kommt wahlweise als Mammut-Plastikgitarre mit über 100 Knöpfen, oder aber man greift direkt zum echten Modell von Stratocaster, das man als Game-Controller an der Konsole, aber auch als normale E-Gitarre benutzen kann. Anstelle der normalen Notencharts sind sechs Saiten auf dem Bildschirm eingeblendet, auf denen nun Zahlen nach unten fallen, die für die entsprechende Position auf dem Griffbrett stehen. Um diese Noten zu treffen, muss nicht nur die Saite an der richtigen Stelle nach unten gedrückt, sondern auch unten angeschlagen werden. Hier helfen dann alle Spielkünste mit den existierenden Fünf-Button-Controllern nichts mehr: Wer keine Übung im Umgang mit E-Gitarren hat, hat zu Beginn nicht mal auf dem leichtesten der vier Schwierigkeitsgrade eine Chance. Damit ihr beim Spielen als Neuling nicht völlig verloren seid, gibt euch das Spiel ständig Feedback über eure Eingaben - Zahlen auf dem Zielbereich sagen euch, wo ihr das Griffbrett gerade haltet, und wenn ihr eine Saite anzupft, beginnt auch ihr virtuelles Ebenbild auf dem Bildschirm zu vibrieren. Leider offenbarte dieses Feature auch mögliche Hardwarefehler: Während die Position auf dem Griffbrett perfekt erkannt wurde, vibrierte beim Anzupfen einer Saite statt der eigentlich benutzen gelegentlich eine benachbarte Saite auf dem Bildschirm, was auch für einige verpasste Noten sorgte. Ob es sich hierbei wirklich um ein ernstes Problem handelt, oder ob dieser Fehler auf die für die Demo bereitgestellte Hardware oder gar meine dilettantische Handhabung der Gitarre zurückzuführen ist, wird sich wohl erst in den Tagen und Wochen nach dem Release zeigen. Klar sollte dagegen sein, dass es diesen Modus mit all seinen Änderungen auch für Bassisten gibt.
Das Keyboard ist ein komplett neues Instrument und kommt ebenfalls mit einem Profi-Modus. Im normalen Modus benutzt ihr fünf direkt nebeneinander liegende weiße Tasten des Keyboards, mit denen ihr als kleines Gimmick übrigens auch Gitarren- und Bass-Spuren nachspielen könnt, was bei einigen Liedern sogar mehr Sinn macht, als diese mit einer Plastikgitarre zu spielen. Im Profi-Modus werden dagegen alle Tasten des Keyboards genutzt, und es ist zunächst äußerst schwierig, die Noten auf dem Bildschirm den entsprechenden Tasten auf dem Keyboard zuzuordnen bzw. die richtige Taste auch zu finden - vor allem dann, wenn man beim Spielen nicht ständig auf das Keyboard selbst schauen will. Das wird noch dadurch erschwert, dass immer nur ein Teil des Keybards verwendet und dieser auch gerne mal während eines Songs verlagert wird, wobei die Noten jedoch an der gleichen Stelle bleiben. Trotzdem entstand schon früh der Gesamteindruck, dass das Keyboard nach einer schweren Eingewöhnungsphase wohl das am leichtesten zu spielende Instrument sein wird - zumindest, bis DLC von Dream Theater kommt.
Polarisierend: Die neue Setliste
Die 84 auf der Rock Band 3-Disc enthaltenen Songs scheinen dabei sehr stark darauf ausgelegt zu sein, allen Spielern einen möglich leichten Einstieg in den Profi-Modus zu ermöglichen. Schwere Songs sind mit Titeln wie Rainbow in the Dark oder Freebird zwar auch dabei, aber eher die Ausnahme - größtenteils verlässt sich das Spiel auf simple und einfach gestrickte Songs. Was sicherlich einen sinnvollen Einstieg in die Profi-Modi darstellt, ist für diejenigen, die gerne an den alten Instrumenten festhalten wollen, leider eher enttäuschend - mit der alten Plastikgitarre wird man dieses Jahr wohl zusammen mit Guitar Hero: Warriors of Rock mehr Spaß haben, dessen Setliste darauf ausgelegt ist, auch erfahrene Spieler zu fordern. Rein musikalisch ist die Setliste natürlich Geschmackssache, mit zwei spanischsprachigen Titeln, gewöhnungsbedürftigen Songs wie Rock Lobster oder Jerry Was A Race Car Driver oder Interpreten wie Bob Marley oder Amy Winehouse aber zumindest sehr unkonventionell, was nicht jedermanns Sache ist. Die geleakete Setliste, von der wir euch Donnerstag berichtet haben, ist übrigens echt - Harmonix hat auf dem Portal Vimeo ein Video gepostet, in dem sie deutlich sagen, dass alles, was nicht von ihnen bestätigt wurde, als Gerücht anzusehen ist; im Hintergrund scrollen sie jedoch selbst durch die Setliste, die nun komplett zu sehen ist. Bei den bisher unbekannten Songs handelt es sich wie angenommen um Caught in a Mosh, Beast and the Harlot sowie Centerfold von der J. Giles Band und China Grove von den Doobie Brothers.

Wer in den Profi-Modus einsteigen will, muss übrigens einiges auf den Tisch legen: Das Keyboard erscheint in den USA für $79.99, die 120-Knopf-Gitarre für $149.99 - der Preis des Stratocaster-Modells ist bisher nicht bekannt, wird aber wohl noch höher sein. Gerade deshalb ist es gut zu wissen, dass Rock Band 3 auch mit allen alten Instrumenten voll kompatibel sein wird.
Fazit: Rock Band und Guitar Hero scheinen sich in diesem Jahr endlich in komplett eigene Richtungen zu entwickeln. Verglichen mit Rennspielen, war Rock Band bisher eine leichte Simulation im Stil von Forza, während Guitar Hero ähnlich wie manche Need For Speed-Teile in einer Grauzone zwischen Realismus und Videospiel-Logik herumschwamm. Und während Guitar Hero sich dieses Jahr endlich voll als Videospiel outet und wohl eher mit Ridge Racer vergleichbar sein wird, geht Rock Band 3 den Weg von Gran Turismo 5 und stellt sich in Sachen Realitätsgrad auf eine Stufe mit PC-Rennsimulationen wie Live for Speed. Darüber, dass das Erlernen der neuen Instrumente viel Geduld erfordert, sollte man sich aber im Voraus im Klaren sein, denn die Anschaffung der neuen Controller wird eure Geldbörse empfindlich treffen. Wer nicht umsteigen will, bekommt eine komplett neue Setliste; wer mit dieser aber auch nichts anfangen kann, sollte sich vielleicht überlegen, ob Rock Band 3 aufgrund der sonst spärlichen neuen Features einen Neukauf wert ist. Fakt ist jedenfalls, dass Rock Band 3 voll abwärtskompatibel mit allen bisherigen DLC-Songs und Exporten sein wird, und auch die Rock Band 2-Disc wird höchstwahrscheinlich - zumindest auf den HD-Konsolen - wieder exportierbar sein. Umgekehrt wird neuer DLC aber nicht mehr mit den alten Rock Band-Titeln funktionieren. Alles in allem hat Harmonix aber wieder sehr saubere Arbeit geleistet und viel Liebe zur Musik bewiesen.
Von Andreas Held
WiiX Wertung |
Prognose Sehr Gut |
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