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Ersteindruck: Xenoblade Chronicles
Editorial von Andreas Held (mail) | 17.08.2011

Wie bei jedem anderen Beruf gibt es auch für einen Spieletester Tage, an denen man seinen Job hasst und Tage, an denen man ihn liebt. Der vergangene Freitag gehört sicher zu letzteren. Nintendo hat es geschafft, uns eine Woche vor Release eine Testversion von Xenoblade Chronicles zukommen zu lassen, welche ich dank der schnellen Arbeit von unserem "Testmuster-Verteiler" Kamil einen Tag später mit einem breiten Grinsen aus meinem Briefkasten ziehen konnte. Auf der einen Seite freut man sich natürlich darüber und hat einen Moment lang das Gefühl, dass es das wert war, sich all die Jahre lang mit Titeln wie "Space Chimps" oder "the Garfield show: Invasion der Space Lasagne" zu quälen; auf der anderen Seite holt man sich aber auch die Mammutaufgabe ins Haus, einen solchen Titel zu testen. Ihr, die Leser, wollt nun natürlich nicht bis September warten, bis ihr von uns erfahrt, ob das Spiel dem Trubel, der darum gemacht wird, gerecht wird. Da ich aber kein Review vom Zaun brechen kann und will, das auf den ersten zehn bis fünfzehn Stunden des Spiels basiert, mich aber gleichzeitig keine acht Stunden am Tag vor die Konsole setzen kann, wird es mit dem vollständigen Test wohl oder übel noch etwas dauern. Was ich aber kann (und auch will), ist, euch in einem Editorial meine Eindrücke zu schildern - alles mit dem Hinweis darauf, dass sie sich bisher nur auf einen kleinen Teil des Spiels beziehen.

Ich fange mal mit dem meiner Meinung nach schwächsten Aspekt des Spiels an: Die Grafik. Versteht mich bitte nicht falsch: Das Spiel sieht gut aus und zaubert ab und an eine beeindruckende Weitsicht auf den Bildschirm, aber echte Wow-Effekte, wie ich sie bei Super Mario Galaxy oder Metroid Prime 3 hatte, blieben bisher aus. Auch das Charakterdesign ist irgendwie zu gewöhnlich, man könnte auch sagen langweilig, aber irgendwie ist es schon wieder lobenswert, dass sich Xenoblade vom Trend der androgynen Haupthelden und gravitationsverachtenden Stachelkopffrisuren lossagt. Dass die Spielwelt mich trotzdem in ihren Bann ziehen kann, liegt daran, dass sie einfach lebendig ist. Es gibt einen dynamischen Tageszeitenwechsel, also nicht nur Tag und Nacht, sondern auch Sonnenaufgänge, die die Spielwelt in ein leuchtendes Orange tauchen. In der Wildnis weichen tagaktive Pflanzenfresser nachtaktiven Raubtieren und leuchtenden Insekten, während in der ersten großen Stadt des Spiels die Bewohner ihrem Tagesablauf nachgehen und zu verschiedenen Zeiten und verschiedenen Orten anzutreffen sind. Untermalt man das noch mit dem sehr schönen Soundtrack, der sich ebenfalls der Tageszeit anpasst, baut alleine die Spielwelt für sich genommen schon eine sehr schöne Atmosphäre auf, sodass es sehr viel Spaß macht, diese zu erforschen.



Erforschen muss man sie auch, denn Xenoblade bombardiert seine Spieler geradezu mit Sidequests, die an sich nicht viel anders als in einem MMORPG ablaufen. Besiege X Monster, sammle Y Items und hole die Unterwäsche zurück, die uns die Monster gestohlen haben. Zum Glück beschränken sich die Quests zur Zeit auf eher niedrige Zahlen, sodass es vor allem darauf ankommt, das Habitat der Monster zu finden. Immer wieder die selben Monster zu besiegen, sodass man irgendwann auf seine Quote kommt, blieb mir bisher meist erspart. Trotz allem muss man hier aber auch ganz objektiv eingestehen, dass die Sidequests in erster Linie Streckmittel sind und den Spieler dazu zwingen sollen, die umfangreiche Spielwelt auch wirklich zu erforschen. An dieser Spielmechanik werden sich definitiv die Geister scheiden, aber wer generell mit Spielaufgaben, die in die Sparte "Grinding" fallen, kein Problem hat, sollte sich mit Xenoblade sehr gut anfreunden können.

Das Kampfsystem und das sonstige Gameplay setzt mit sehr einfachen Mitteln ein sehr solides Gerüst um. Das Kampfsystem orientiert sich in erster Linie an japanischen online-RPGs wie Final Fantasy XI oder White Knight Chronicles, bietet jedoch einiges mehr an Interaktivität. Visiert man einen Gegner an und bewegt den Hauptcharakter in Reichweite, greift er automatisch an. Wie man von Monolith gewohnt ist, ist es aber kaum praktikabel, Gegner nur mit normalen Angriffen zu besiegen. Es bringt aber auch nichts, einfach immer die stärksten Spezialattacken einzusetzen, sondern sie müssen klug und vor allem gezielt genutzt werden, um das Potential und die Seiteneffekte jeder Fertigkeit voll ausnutzen zu können. Ein weiteres und recht innovatives Feature ist, dass der Hauptcharakter ab einem gewissen Punkt Visionen aus der Zukunft hat, wodurch er im Voraus weiß, wann die Gegner starke oder tödliche Attacken einsetzen. Dann startet am oberen Bildschirm ein Countdown und man hat acht Sekunden Zeit, das Unglück abzuwenden, was für Spannung sorgen könnte - doch leider ist der Schwierigkeitsgrad bisher sehr niedrig und selbst große Endgegner hatten in Sachen Angriffskraft nicht viel zu bieten. Die Charakterentwicklung ist ebenfalls solide, aber nicht bahnbrechend: Man man kann Charaktere aufleveln, Spezialattacken verstärken und Perks freischalten, und findet - vor allem nach dem Besiegen eines der zahlreichen optionalen Bossgegner - allerlei Ausrüstungsgegenstände.



Es bleiben also die Story und die Charaktere, das Rückgrat eines guten RPGs. Gerade dieser Aspekt ist nach so kurzer Zeit unmöglich zu bewerten, aber was ich in den ersten Stunden gesehen habe, machte in jedem Fall Lust auf mehr. Die Story von Xenoblade ist überraschend erwachsen und das Spiel hat keine Hemmungen, die letzten Sekunden eines NPCs recht eindeutig darzustellen. Die typischen Anime-Klischees sind zwar vorhanden, werden aber eher sparsam eingesetzt. Bereits in der zwanzigminütigen Intro-Sequenz demonstrieren die Macher sehr eindrucksvoll ihre Fähigkeiten: Kinoreife Schnitte und Kameraeinstellungen treffen auf einen bombastischen Soundtrack, und ich kann mich an kein RPG erinnern, welches mich in den ersten Stunden schon so sehr in seinen Bann ziehen konnte. Hier muss man auch einmal Nintendo loben, denn die (ausschließlich englische, aber deutsch untertitelte) Sprachausgabe ist - vor allem bei den Antagonisten - wirklich gelungen, auch wenn man sich an die teils dicken britischen Akzete der Charaktere erst mal gewöhnen muss. Puristen, die sich zu sehr an Reyns englischer Stimme stören, können allerdings beruhigt sein und in den Optionen auf die originale, japanische Tonspur umschalten.
Nachdem die Grundlagen der Haupthandlung geschaffen waren, hat Xenoblade aber erst einmal einen Gang zurückgeschaltet, aber an sich ist man es ja auch gewohnt, dass RPGs zunächst ihre Rahmenhandlung aufbauen und dann nach einiger Zeit erst wirklich fesselnd sind. Das soll also an dieser Stelle kein Kritikpunkt sein, aber wie gesagt: Die Story kann ich erst dann bewerten, wenn ich das Spiel wirklich durchgespielt habe.

Mein vorläufiges Fazit: Wenn die ersten Stunden auch nur annähernd repräsentativ für die Qualität des kompletten Spiels sind, dann wird Xenoblade seinem Ruf, das beste JRPG dieser Konsolengeneration zu sein, wohl wirklich gerecht. Das Feedback aus Japan ist ja ohnehin fast einstimmig positiv, und in der Anfangsphase des Spiels konnte ich mich auch selbst von den Fähigkeiten der Macher überzeugen, die scheinbar endlich wieder an die Klasse der ersten Episode von Xenosaga anknüpfen konnten. Das Gameplay reißt dabei sicherlich keine Bäume aus, ist jedoch solide und die lebendige Spielwelt sorgt auch dann, wenn die Story sich zurücklehnt, noch für genug Atmosphäre. Für Genrefans und alle, die es werden wollen, gibt es von mir also schon jetzt eine uneingeschränkte Kaufempfehlung.
Von Andreas Held



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